Nach Flucht aus Afghanistan: Werden die USA auch Taiwan im Stich lassen?
Die staatliche chinesische Zeitung Global Times hat Taiwan darauf hingewiesen, dass die "Abkehr" der USA von ihren afghanischen Verbündeten eine Lehre sein sollte, da die umstrittene Insel in einem Krieg mit China auf sich allein gestellt wäre und "innerhalb von Stunden unterliegen" würde.
Die Führung der Demokratischen Fortschrittspartei Taiwans (DPP) müsse einen "nüchternen Kopf" bewahren und die Befürworter einer Abspaltung von China sollten "aus ihren Träumen aufwachen", so das englischsprachige Blatt am Montag. In dem Leitartikel der Global Times heißt es:
"Nach den Ereignissen in Afghanistan sollten sie erkennen, dass die Verteidigung der Insel innerhalb von Stunden zusammenbrechen wird, sobald ein Krieg in der Meerenge ausbricht, und das US-Militär nicht zu Hilfe kommen wird."
"Infolgedessen werden die Verantwortlichen der DPP schnell kapitulieren, während einige hochrangige Beamte per Flugzeug fliehen könnten."
Ein solches Szenario hat sich in Afghanistan abgespielt, seit US-Präsident Joe Biden im April ankündigte, das US-Militär werde sich bis zum 11. September aus dem Land zurückziehen. Später verschob er die Frist sogar auf Ende August, doch noch bevor der Prozess abgeschlossen werden konnte, brach die von den USA unterstützte Regierung des Landes zusammen. Die Taliban-Kämpfer überrannten die afghanischen Sicherheitskräfte in einem überwältigenden Feldzug, der mit der Einnahme von Kabul am Sonntag seinen Höhepunkt fand. Afghanistans Präsident Ashraf Ghani floh mit Taschen voller Bargeld im Schlepptau aus dem Land.
Weiter heißt es dazu:
"Die beste Wahl für die Verantwortlichen der DPP ist es, die Situation nicht so weit zu treiben."
"Sie müssen ihren Kurs ändern und sich von der antichinesischen Retourkutsche der USA lösen. Sie sollten den Frieden mit dem Festland mit politischen Mitteln sichern, anstatt als strategischer Handlanger der USA zu agieren und die bitteren Früchte eines Krieges zu ertragen."
Der Artikel wurde von einer Illustration begleitet, die einen Weißkopfseeadler, der die USA repräsentiert, zeigt, welcher die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen zu einem Loch im Boden führt. Die Zeitung verglich das Chaos in Kabul mit dem Fall von Saigon im Jahr 1975, als die Mitarbeiter der US-Botschaft per Hubschrauber evakuiert wurden, so wie es auch am Sonntag in Afghanistans Hauptstadt geschehen ist.
Laut der Global Times sind die USA dafür berüchtigt, ihre Verbündeten im Stich zu lassen, vom Verrat des kaiserlichen Frankreichs nach dem Revolutionskrieg über die Abkehr von den kurdischen Verbündeten in Syrien im Jahr 2019 bis hin zur Flucht aus Kabul, als die afghanische Verteidigung zusammenbrach. Weiter stellte der Autor des Leitartikels die Frage:
"Ist dies eine Art Omen für Taiwans zukünftiges Schicksal?"
Er fügte hinzu, dass Tsai und andere DPP-Verantwortliche die Afghanistan-Krise zwar herunterspielen, "es aber insgeheim besser wissen müssten, dass die USA nicht zuverlässig sind".
Die Biden-Regierung sei eindeutig zu dem Schluss gekommen, dass die Besetzung Afghanistans trotz der strategischen Bedeutung des Landes zu kostspielig geworden sei. Sie habe beschlossen, ihre Ressourcen anderenorts zu investieren, um die Hegemonie der USA zu erhalten, so die Global Times. Taiwans geopolitischer Wert sei nicht größer als der Afghanistans und die USA müssten einen "hohen Preis" zahlen, um in einen Krieg mit China einzugreifen. Das Blatt hob hervor:
"Wenn ein Krieg zwischen Taiwan und dem Festland ausbricht und das Festland die Insel mit seinen Streitkräften besetzt, müssten die USA eine viel größere Entschlossenheit an den Tag legen als in Afghanistan, Syrien und Vietnam, wenn sie sich einmischen wollen."
Im Vergleich zu Afghanistan würden die USA in diesem Fall eine noch "tiefere Hoffnungslosigkeit" auf einen Sieg haben. Bemerkenswert ist, dass die Zeitung wiederholt davon spricht, dass ein Krieg ausbricht und nicht "falls".
Der Artikel der Global Times lag auf der gleichen Wellenlänge wie das, was in den letzten Tagen in den sozialen Medien angesichts der US-Evakuierung und des Vormarschs der Taliban zu lesen war. Timur Kuran, Professor an der Duke University in North Carolina, schrieb am Montag auf Twitter:
"Dies ist ein Fiasko epischen Ausmaßes."
Weiter zitierte er den Kolumnisten der New York Times Bret Stephens:
"Jeder Verbündete – Taiwan, die Ukraine, die baltischen Staaten, Israel, Japan – wird die Lehre daraus ziehen, dass er im Angesicht seiner Feinde auf sich allein gestellt ist."
Andere Beobachter, wie der Newsmax-Moderator Steve Cortes, behaupteten, Bidens Umgang mit der Afghanistan-Krise werde China ermutigen, Taiwan zu erobern. Die ehemalige stellvertretende US-Finanzministerin Monica Crowley twitterte:
"China weiß jetzt, dass es in Afghanistan, Hongkong und Taiwan freie Hand hat. Der kompromisslose Biden hat wirklich was geleistet."
Taiwan wird von den Nachkommen der chinesischen Nationalisten regiert, die 1949 vor der Niederlage im Bürgerkrieg auf dem Festland flohen und im Exil die "Republik China" ausriefen. Obwohl die Insel ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Selbstverwaltung vom Festland anstrebt, hält Peking daran fest, dass Taiwan im Rahmen der Ein-China-Politik weiterhin chinesisches Territorium ist.
Taiwan ist nicht Afghanistan
Die Führung Taiwans reagierte auf die Diskussion und den Vergleich der Insel mit Afghanistan. Der Premierminister Taiwans Su Tseng-chang erklärte am Dienstag, dass der De-facto-Inselstaat nicht wie Afghanistan zusammenbrechen werde. Er warnte den mächtigen Nachbarn China indirekt davor, sich der Illusion hinzugeben, die Insel einnehmen zu können.
Die Entwicklungen in Afghanistan lösten auch in Taiwan selbst eine Diskussion darüber aus, was im Falle einer chinesischen Invasion geschehen würde und ob die Vereinigten Staaten die Insel wirklich verteidigen würden.
Auf die Frage eines Journalisten, ob der Präsident oder der Premierminister fliehen würden, wenn "der Feind vor den Toren stünde" wie in Afghanistan, entgegnete Su:
"Heute gibt es mächtige Länder, die Taiwan mit Gewalt verschlingen wollen, und auch wir haben keine Angst, getötet oder inhaftiert zu werden."
"Wir müssen diesen Staat und dieses Land schützen und dürfen nicht so sein wie gewisse Leute, die immer das Prestige des Feindes hoch- und unsere Entschlossenheit herunterreden."
Er fügte hinzu, die Geschehnisse in Afghanistan hätten gezeigt, dass ein Land, das sich in einem inneren Chaos befindet, ohne Hilfe von außen nicht zu retten sei.
Die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der raschen Eindämmung der kürzlich aufgetretenen COVID-19-Infektionen zeige, was erreicht werden könne, wenn Taiwan geeint sei, so der Regierungschef. Su betonte:
"Wir sagen auch den ausländischen Mächten, die in Taiwan eindringen und es an sich reißen wollen, dass sie sich keine Illusionen machen sollen."
Die Vereinigten Staaten unterhalten wie die meisten Länder keine offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Taiwan, sind aber dessen wichtigster internationaler Unterstützer und Waffenlieferant.
Allerdings befürchtet man in dem Inselstaat seit langem, dass Washington im Falle eines chinesischen Angriffs entweder nicht willens oder nicht in der Lage sei, zu Hilfe zu kommen.
Zurzeit leitet die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen ein ehrgeiziges militärisches Modernisierungsprogramm, um die einheimische Rüstungsindustrie zu stärken und Taiwans Militär mit fortschrittlichen, hochmobilen Waffen auszustatten, um eine chinesische Invasion so schwierig wie möglich zu machen.
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