Lateinamerika

Kolumbien: UN-Besuch von neuen Morden an Ex-Guerillas überschattet

Der Besuch des UN-Sicherheitsrats in Kolumbien wird überschattet von der Ermordung dreier ehemaliger FARC-Kämpfer. Die Kritik an der Regierung von Iván Duque bleibt trotz des schleppenden Friedensprozesses verhalten.
Kolumbien: UN-Besuch von neuen Morden an Ex-Guerillas überschattet Quelle: AFP

von Maria Müller

Die 15 Botschafter des UN-Sicherheitsrates besuchten zwischen dem 11. und 14. Juli Kolumbien. Sie überwachen laut Friedensvertrag die Wiedereingliederung der früheren Kämpfer in das zivile Leben und sind dazu verpflichtet, vom kolumbianischen Staat Sicherheitsgarantien für sie und die Konfliktopfer einzufordern. Doch angesichts des endlosen Massakers an Friedensaktivisten und Ex-Guerilleros in Kolumbien ist die Ohnmacht selbst der UN heute eine Realität.

Die Diplomaten sprachen mit dem Präsidenten Iván Duque, trafen sich mit Kongressabgeordneten, Vertretern der Sonderjustiz für den Frieden und der Wahrheitskommission. Sie besuchten im Department Cauca ein landwirtschaftliches Projekt in einer Zone zur Wiedereingliederung der ehemaligen FARC-Kämpfer. Dort lieferten ihnen Mitglieder der neuen FARC-Partei und Sprecher sozialer Bewegungen Informationen aus erster Hand.

Vor allem Berichte über die zahlreichen Morde an ehemaligen Aufständischen und an Hunderten von Menschen aus den Friedens-, Umwelt- und Indigenenbewegungen prägten die Treffen. In den rund 960 Tagen seit Abschluss des Friedensvertrages wurden insgesamt 900 Personen umgebracht. Auch neuerliche Vertreibungen von 5.000 Kleinbauern aus ihrem Landbesitz kamen zur Sprache.

Am vergangenen Freitag äußerte sich dann der Sicherheitsrat in New York in milder und ausgewogener Form zum Stand des Friedensprozesses. Man unterstütze ihn weiterhin und begrüße die von der kolumbianischen Regierung unternommenen Fortschritte. Allerdings sei man wegen der Morde an den Teilnehmern des Friedensprozesses "zutiefst besorgt". Außerdem sagte der Sicherheitsrat zu, seine Beobachterfunktion für ein weiteres Jahr fortzusetzen, und entsprach damit der Bitte des Präsidenten Duque.

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Im Vorfeld des Besuchs der Delegation fand Agnès Callamard, die Sonderberichterstatterin der UN gegen außergerichtliche Hinrichtungen, vor der Menschenrechtskommission in Genf allerdings schärfere Worte. Anlass war der Fall des FARC-Mitgliedes Dimar Torres Arévalo, den örtliche Militärs im Juni gefoltert und hingerichtet hatten. Der Versuch, seinen Leichnam unbemerkt zu verscharren, wurde entdeckt. 

Die Expertin forderte den kolumbianischen Staat auf,  "die mögliche außergerichtliche Hinrichtung (und andere ähnliche Mordfälle) unparteilich und unabhängig nach internationalen Standars aufzuklären". Callamard sagte weiter:

Dieses Attentat ist eine Provokation gegen den Friedensprozess, denn es bricht mit den von Kolumbien unterzeichneten Garantien zum Schutz des Lebens aller ehemaliger Kämpfer, die die Waffen niederlegten. Wenn die vereinbarten Garantien verweigert werden, wächst die Möglichkeit, dass sie sich Dissidentengruppen anschließen oder sich wieder bewaffnen, um sich selbst zu schützen.

Ihre Worte bleiben bereits hinter der Realität zurück. Aus Kolumbien werden Neugründungen von Guerillaorganisationen gemeldet, mehrere Fronten der alten FARC-EP seien wieder im Aufbau. Sie sollen starken Zulauf erhalten. In den letzten Wochen gab es regelrechte Kämpfe zwischen Militärs und Guerillas mit Bombardierungen, es wird über neue unschuldige Opfer aus der Zivilbevölkerung berichtet. Der Frieden in Kolumbien ist – fast – gescheitert.   

Gerade zu Beginn des Besuchs der Delegation des UN-Sicherheitsrates fiel der ehemalige FARC-Guerillero Carlos Yunda den Schüssen von vorbeifahrenden Paramilitärs zum Opfer. Carlos war im Gebiet Cauca Mitglied einer Landwirtschaftskooperative und pflanzte erfolgreich Ananas an. Am gleichen Tag erlag auch der 24-jährige Weimar Galíndez einem solchen Attentat, ebenfalls im Cauca. Er lebte zurückgezogen mit seiner Familie und erfüllte alle Vorgaben des Wiedereingliederungsprozesses. Eine Woche später wurde José Chavarría, 23 Jahre alt, in der gleichen Zone erschossen. Er nahm an einem Basar für soziale Zwecke teil. Die Kugeln trafen auch zufällig den 23-jährigen Erick Narváez, einen Nachbarn aus der Gegend. Die Mörder entkamen auf einem Motorrad.

Am 9. Juli, kurz vor dem Eintreffen der UN-Delegation des Sicherheitsrates in Kolumbien, erreichte auch Eamon Gilmore, der spezielle Abgesandte der Europäischen Union für den Frieden in Kolumbien, Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Auf einer Pressekonferenz rief er dazu auf, das Morden zu beenden und die Todesfälle zu untersuchen. Gleichzeitig versprach er zwei Millionen Euro für die kolumbianische Staatsanwaltschaft, um sie bei ihrer Arbeit in den meist abgelegenen Gebieten des Landes zu unterstützen. Dort, wo es die meisten Opfer gibt.

Das sind wir den Familien schuldig, dem Friedensprozess und der Stärkung der Demokratie in diesen Gebieten", so Gilmor. 

Den frischen Millionen aus Europa haftet der gleiche Widerspruch wie allen Hilfsgeldern für Kolumbien an: Sie gleichen die staatlichen Kürzungen im Finanzplan der Friedensprojekte aus – so auch im Justizbereich, dem Gilmore helfen will. Die gestrichenen Gelder gehen in den extrem aufgeblähten Rüstungsetat, obwohl offiziell das Haushaltsdefizit als Grund genannt wird.

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Einen Tag vor der Pressekonferenz des Europäers erläuterte Patricia Linares, die Präsidentin der Sonderjustiz für den Frieden (JEP), die Folgen der angekündigten Kürzungen für die neugeschaffene Institution.

Die für das Jahr 2020 vereinbarten rund 28 Millionen US-Dollar sind nun auf unter 21 Millionen gekürzt worden. Dadurch wird die Arbeit der Sonderjustiz drastisch eingeschränkt", warnte die Präsidentin.

Die JEP soll laut Friedensvertrag die Verbrechen des bewaffneten Konflikts aufklären und die Opfer entschädigen. 

Die Erfolgsmeldungen des Präsidenten Duque

Knapp einen Monat vor dem UN-Besuch und nach der Ermordung der mehr als 900 Menschen im Zusammenhang mit dem sozialen Friedensprozess beeilte sich Präsident Duque, der Öffentlichkeit ein spezielles Schutzsystem vorzustellen. Es beinhaltet 26 Maßnahmen, darunter ein neues integriertes Informations- und Koordinierungszentrum, um Drohungen und Sicherheitsbedingungen zu analysieren. Außerdem ein Erlass über die Risikokontrolle und über eine neue Eliteeinheit der Polizei, die die bisherigen Tötungen der entwaffneten Friedenspartner untersuchen soll.

Die UN-Mission des Sicherheitsrates fand lobende Worte für die "rasche" Reaktion der kolumbianischen Regierung angesichts der ausufernden politischen Gewalt.

Die Sondereinheit der Staatsanwaltschaft berichtete zudem über Fortschritte bei der Aufklärung der registrierten Todesfälle, von denen die meisten den illegalen bewaffneten Gruppen und Kriminellen zuzuschreiben seien. Die Untersuchungen hätten es ermöglicht, 68 Täter aus diesen Gruppen zu identifizieren, von denen 35 festgenommen seien. Außerdem habe man 50 "intellektuelle Autoren" der Morde herausgefunden, von denen acht inhaftiert sind. Die Sondereinheit habe ihre Präsenz in den betroffenen Regionen ausgebaut und sechs neue Büros vor Ort eröffnet.

Hier stellt sich allerdings die Frage: Wenn die Staatsanwaltschaft 50 "intellektuelle Autoren" herausgefunden hat, dann deutet das auf eine starke Tendenz zu Auftragsmorden hin. Sie verweist auf das Milieu der Großgrundbesitzer und Großkonzerne, die auch früher unliebsame Widerständler auf diese Weise aus dem Wege räumen ließen. Die Tendenz hat eine politische Bedeutung, die öffentlich aufgezeigt werden müsste. Stehen die intellektuellen Autoren auf der Fahndungsliste von Interpol? Davon ist nichts zu erfahren. Die Dunkelziffer beträgt 90 Prozent der Verbrechen.

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Präsident Duque präsentierte als weitere Erfolgsmeldung gegenüber der UN-Delegation, dass die Katastermaßnahmen auf dem Land bis zum Jahr 2022 abgeschlossen seien. Damit würden Landkonflikte und Vertreibungen beendet. Bisher verloren jedoch zahlreiche Betroffene ihr Leben, nachdem sie im Rahmen des Programms Besitzansprüche anmeldeten. Es ist offensichtlich, dass die Repressalien die Betroffenen davon abhalten sollen, sich zu beteiligen. Die Rückgabe des geraubten Landes (von Agrarfirmen und Großgrundbesitzern) ist einer der umstrittendsten Punkte des Friedensvertrages, gegen den vor allem die heutige Regierungspartei und der Senator Álvaro Uribe ankämpften. Ersatzgrundstücke für Landvertriebene kosten Gelder, die im kolumbianischen Staatshaushalt ab 2019 nicht zu finden sind. Es gibt keine oder nur geringe Mittel für diese Art von Opferentschädigung.

Seitens der UN nahm man lobend zur Kenntnis, dass trotz der enormen Probleme die 10.708 wieder eingegliederten FARC-Leute bei einer Umfrage den Wunsch bekräftigten, diesen Prozess fortsetzen zu wollen. Eine Konsequenz aus der politischen Überzeugung der FARC, dass der Friede in Kolumbien der einzig richtige und mögliche Weg ist.

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