OAS, EU und USA besorgt über Prozesse gegen ehemalige Putsch-Regierung in Bolivien
Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, hat die Schritte der bolivianischen Justiz, den Putsch vom November 2019 und die daran anschließenden Massaker der Putschregierung aufzuarbeiten, als "Missbrauch von Justizmechanismen" und "repressive Instrumente der regierenden Partei" bezeichnet. Almagro fordert laut einem Bericht des Lateinamerikaportals Amerika21 "die Freilassung aller in diesem Zusammenhang Inhaftierten, bis unparteiische Prozesse und Mechanismen zur Feststellung der Verantwortlichkeiten" möglich seien und schlägt die Bildung einer internationalen Kommission vor. Diese solle "die Korruptionsfälle von der letzten Periode der Regierung von Evo Morales bis zur heutigen" untersuchen – eingeschlossen sei "selbstverständlich" die Periode der De-facto-Regierung unter der selbsternannten Präsidentin Jeanine Áñez. Darüber hinaus halte er es für notwendig, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) hinzuzuziehen, um eine "unparteiische Strafverfolgung" zu ermöglichen.
Vergangene Woche wurden Jeanine Áñez und zwei ihrer früheren Minister – Energieminister Rodrigo Guzmán und Justizminister Álvaro Coimbra – verhaftet. Sie müssen sich vor der bolivianischen Justiz für die Anklagepunkte der Korruption, des Terrorismus und des Aufstandes verantworten – und nicht zuletzt für die Massaker von Sacaba und Senkata, bei denen 36 Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. Die Verhaftungen erfolgten laut der bolivianischen Behörden wegen der erhöhten Gefahr der Verdunkelung. Bereits im vergangenen Jahr hatten sich Arturo Murillo, Innenminister unter der Putschregierung, und Fernando López, Verteidigungsminister unter der Putschregierung, nach Brasilien abgesetzt. Áñez Fluchtversuch wurde von der Bevölkerung der bolivianischen Stadt Trinidad verhindert.
Die OAS und Almagro selbst spielten eine wichtige Rolle in der Krise nach den Wahlen 2019 in Bolivien, indem sie einen Bericht herausgaben, der angebliche schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentenwahlen vermeldete und Evo Morales des Wahlbetrugs bezichtigte. Das Dokument hatte maßgeblichen Anteil an der Mobilisierung, die Áñez auf den Schild hob, und gilt laut Amerika21 in seiner Aussage inzwischen als manipuliert und widerlegt.
Das Parlament des Mercosur (Parlasur) hatte im Dezember 2020 eine Untersuchung gegen den OAS-Generalsekretär in Aussicht gestellt. Die OAS habe in Bolivien im letzten Jahr "eine schamlose Rolle gespielt, ohne Sinn und Verstand". Mit diesen Worten forderte der Präsident des Parlasur, Oscar Laborde, die Organisation auf, "den schrecklichen Fehler" einzugestehen, "den sie zur Unterwerfung Lateinamerikas und des bolivianischen Volkes gemacht hat".
Auch die bolivianische Regierung kündigte an, rechtliche Schritte gegen Almagro zu prüfen. Dies sagte der Justizminister Boliviens, Iván Lima, gegenüber einem bolivianischen Radiosender. Der Generalsekretär sei ein "politischer Akteur", und wenn die bolivianische Justiz ihn strafrechtlich verfolgen und ins Land bringen könne, um ihn für die "Schwere seiner Aussagen und die Verantwortungslosigkeit seines Berichts" über einen angeblichen Betrug bei den Wahlen 2019 zur Rechenschaft zu ziehen, werde man das tun.
Der seinerzeit gestürzte ehemalige Präsident Evo Morales kritisiert die aktuellen Äußerungen des OAS-Generalsekretärs vehement. Auf Twitter schrieb Morales:
"Almagro hat sich nie zu den 36 Ermordeten, mehr als 800 Verwundeten, 1.500 illegal Inhaftierten und den Hunderten Verfolgten geäußert. Wir sind nicht überrascht von seiner Verteidigung von Áñez, denn er sollte selbst für die Förderung des Staatsstreichs und für die Verbrechen gegen die Menschheit in Bolivien vor Gericht gestellt werden."
Almagro nunca se pronunció por los 36 asesinatos, más de 800 heridos, 1.500 detenidos ilegalmente y el centenar de perseguidos. No nos extraña su defensa a Áñez porque él también debería ser juzgado por propiciar el golpe de Estado y por crímenes de lesa humanidad en #Bolivia.
— Evo Morales Ayma (@evoespueblo) March 15, 2021
Indes schüren auch die USA und die Europäische Union Vorbehalte gegen die bolivianische Justiz und die strafrechtliche Ahndung des Putsches. Nabila Massrali, die Sprecherin der Behörde des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, sprach im Zusammenhang mit den Haftbefehlen gegen Áñez und deren Anhänger von "besorgniserregenden Entwicklungen, die wir aufmerksam verfolgen". Die EU erwarte, dass "politische Differenzen durch Dialog und Versöhnung beigelegt werden, um die politische Stabilität und die Wahrung der Menschenrechte zu gewährleisten".
Aus den USA meldete Jalina Porter, stellvertretende Sprecherin des Außenministeriums, zu den Vorgängen in Bolivien: "Die Vereinigten Staaten verfolgen mit Besorgnis die Entwicklungen im Zusammenhang mit der jüngsten Verhaftung ehemaliger Funktionsträger durch die bolivianische Regierung."
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Die Deutsche Welle, der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland, schloss sich dem Tenor an und titelte am Mittwoch: "Wenn sich Justiz und Politik die Hand reichen." Dazu äußerte sich als Expertin Marie-Christine Fuchs, Leiterin des Rechtsstaatsprogramms für Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Fuchs bezeichnete die politische Instrumentalisierung der bolivianischen Justiz als "durchgängiges Phänomen, das sich in den 14 Jahren der Regierung von Evo Morales, aber auch in der Zeit der Interimspräsidentin Jeanine Áñez gezeigt hat". Im Fall von Áñez sieht Fuchs eine "willkürliche Anwendung des Haftbefehls", da es ihrer Ansicht nach eine "Verletzung des ordentlichen Gerichtsverfahrens gab, weil der Haftbefehl nicht auf ordnungsgemäß begründeten Tatsachen beruhte".
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