Politische Krise in Brasilien: Amtsenthebung und Prozess gegen Präsident Bolsonaro?
von Maria Müller
Am 28. April hievte der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro seinen guten Freund und bisherigen Chef des brasilianischen Geheimdienstes ABIN, Alexandre Ramagem, in das Amt des Generaldirektors der Bundespolizei. Umgehend verbot ein Richter des Obersten Gerichts die Ernennung. Die öffentlich bekannte Nähe von Ramagem zu den Söhnen Bolsonaros sei damit unvereinbar. Diese stehen unter Verdacht, an mehreren schweren Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Ermittlungen dazu dauern noch an.
Polizei und Geheimdienst in einer Person vereint
Als Ersatz für Ramagem brachte der Präsident dann den Kommissar Rolando De Souza ins Amt. Er gilt als dessen "rechte Hand" und ist ebenfalls ein Beamter des Geheimdienstes ABIN, wo er bisher als Planungs- und Verwaltungssekretär arbeitete. Damit vereinen sich faktisch Polizei und Geheimdienst in einer Person. Die "intime Freundschaft" mit der Präsidentenfamilie ist ebenfalls gesichert.
Der Schachzug war selbst für Justizminister Sérgio Moro zu brisant. Nach seinem Rücktritt kritisierte er vor laufenden Kameras seinen Landesvater wegen mehrerer Straftaten. Dieser habe politischen Druck auf polizeiliche Untersuchungen ausgeübt. Er versuchte ihn zu zwingen, den bisherigen Polizeichef auszuwechseln, und habe damit gedroht, alle Verantwortlichen zu "beseitigen", falls seinen Söhnen und einigen "seiner Leute" etwas zustoße. Das zielte auf den Polizeichef von Rio de Janeiro, den Generaldirektor der Bundespolizei und auf ihn selbst, den Justizminister.
Zweikampf zwischen Bolsonaro und Moro
Umgehend reagierte Bolsonaro und ließ Moro öffentlich im Regen stehen:
Er hat mir erklärt, keine Probleme mit einem Tausch an der Spitze der Polizei zu haben – unter der Bedingung, dafür einen Sitz im Obersten Gerichtshof zu erhalten.
Wütend wies Moro diese Darstellung zurück: "Niemals habe ich den Polizeichef Maurícia Valeixo als Faustpfand für mich benutzt!"
Der Generalstaatsanwalt und ein Bundesrichter eröffneten daraufhin ein neues Ermittlungsverfahren gegen Brasiliens Präsidenten. Diesmal geht es um "Einschüchterung, Rechtsbeugung, Behinderung der Justiz, privilegierte passive Korruption, Machtmissbrauch und Angriff auf den Rechtsstaat". In den vergangenen Tagen musste Moro gleichfalls seine Beweise vorlegen, sonst droht ihm ein Verleumdungsprozess.
Die Bundespolizei wird nun unter Leitung des Bolsonaro-treuen (!) neuen Generaldirektors gegen Bolsonaro ermitteln.
Die Verstrickung des Sérgio Moro
Merkwürdig nur, dass der ehemalige Justizminister Sérgio Moro all diese Delikte während der bisherigen Regierungszeit kannte und verschwiegen hat. Mehr noch: Laut Pressemeldungen legte er mehrere Verfahrensakten über den Präsidenten in seinem Büro auf Eis. Moro musste wissen, welche Gefahr daraus für ihn erwächst.
Am 12. Mai versuchte der Staatschef die Flucht nach vorne, um seinen geschassten Minister zu bremsen. Vor der Presse erklärte er:
Ich habe mich Moro gegenüber verpflichtet, ihn als Kandidaten für ein Richteramt am Obersten Gerichtshof vorzuschlagen, sobald ein Platz frei ist. Wenn Gott will, werden wir dieses Versprechen erfüllen.
Doch der Vorstoß kam zu spät. Der Jurist musste sich in dieser Woche acht Stunden lang von der Staatsanwaltschaft befragen lassen. Auch drei Minister, sechs Polizeikommissare und eine Parlamentarierin mussten zum Verhör. Moro benannte Zeugen, übergab Chatprotokolle mit dem Präsidenten und vor allem den am 22. April heimlich aufgenommenen Videofilm einer vertraulichen Sitzung Bolsonaros mit drei seiner Minister.
Ein Video als stärkstes Beweismittel gegen Bolsonaro
Das Video ist das stärkste Beweisstück, um zu belegen, dass Bolsonaro den Polizeichef des Landes aus persönlichen Gründen entlassen hat. Er wollte seine Söhne und einige Abgeordnete seiner Partei vor laufenden Ermittlungen und ihren strafrechtlichen Konsequenzen schützen. Der Präsident selbst und die Militärs im Regierungspalast versuchten mit allen Mitteln zu verhindern, dass der Film in die Hände der Bundespolizei gelangt.
Laut einem Fernsehbericht von O Globo zeigt das Video einen besonders irritierten, fast außer Kontrolle geratenen Bolsonaro. In seiner typischen Ausdrucksweise rief er:
Ich werde nicht darauf warten, dass jemand aus meiner Familie verarscht wird, ich wechsle den ganzen Sicherheitsbereich aus, ich wechsle den Chef, ich wechsle den Minister!
Damit eröffnet sich die Möglichkeit, den Präsidenten strafrechtlich zu verfolgen, weil er damit mindestens vier im brasilianischen Strafgesetzbuch vorgesehene Straftaten begangen hat.
In der gleichen ministeriellen Sitzung soll sich auch der Erziehungsminister Abraham Weintraub über die Richter des Obersten Gerichtshofes als "die elf Hurensöhne", die schon längst im Knast sitzen müssten, geäußert haben. Aus solchen Motiven heraus organisierte Bolsonaro auch Demonstrationen gegen das Oberste Gericht Brasiliens.
Die Rechtsanwälte Moros handeln in dieser Woche nach der bekannten Taktik ihres Mandanten, der bei juristischen Konflikten stets über die Medien Druck ausübte. Diesmal beantragten sie, man solle den Beweisfilm öffentlich machen und verbreiten.
Der Präsident gibt sich hingegen gelassen:
In diesem Video taucht das Wort 'Bundespolizei' gar nicht auf. All das, was die Presse darüber bringt, sind Fake News!
Auch der Generalstaatsanwalt ist zu Dank verpflichtet
Die Ermittlungen dauern weiter an. Nach deren Abschluss kommt es darauf an, ob Generalstaatsanwalt Augusto Aras, der im September vergangenen Jahres von Bolsonaro ernannt wurde, den Fall vor das Oberste Gericht bringt und damit ein Prozess eröffnet wird.
Allerdings soll Aras laut dem TV-Bericht von O Globo einen Monat nach seiner Ernennung einen Teil der Untersuchungen im Mordfall Marielle Franco archiviert haben. Es sind die Passagen, in denen ein Zeuge einen der Mordverdächtigen mit der Wohnung der Präsidentenfamilie in Verbindung brachte. Aras sprach sich gegen ein Untersuchungsverfahren vor dem Obersten Gericht aus, in dem geklärt werden sollte, welche Rolle der Präsident und sein Sohn Carlos dabei spielten.
Amtsenthebung, Prozess oder Impeachment?
Im Kongress verhandeln die Parteien inzwischen über die nötigen zwei Drittel der Stimmen, um den Staatschef seiner Immunität zu entheben, falls der Oberste Gerichtshof den Prozess eröffnet. Dann kann er für sechs Monate aus dem Amt entfernt werden. In ganz Brasilien diskutiert man über ein Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten. Er selbst gibt sich hingegen ungerührt und triumphierend:
Ich werde wiedergewählt und erst am 1. Januar 2027 den Regierungspalast verlassen.
Worum geht es bei den Ermittlungen gegen die Familie Bolsonaro?
Der Staatschef und seine vier Söhne stehen schon seit Monaten unter schwerwiegenden Verdachtsmomenten.
Flávio Bolsonaro – der zweitälteste der vier Söhne des Präsidenten – wird von der Polizei in Rio de Janeiro wegen der Finanzierung von rechtsextremen paramilitärischen Gruppen mit öffentlichen Geldern untersucht. Zudem wirft man ihm Geldwäsche bei Immobiliengeschäften vor. Auch die anderen Söhne stehen im Fadenkreuz der Polizei.
Der Mordfall Marielle Franco
Im Fall des Mordes an der linken Stadträtin von Rio de Janeiro, Mariella Franco, wurden bisher fünf Verdächtige verhaftet. Die Polizei sucht noch immer nach sechs weiteren Kriminellen, die an diesem Mord beteiligt sind. Einer von ihnen war der ehemalige Kapitän der Militärpolizei, Adriano Magalhães da Nóbrega. Er hatte eine direkte Beziehung zu Flávio Bolsonaro. Die bislang Inhaftierten sind Mitglieder der ältesten und gefährlichsten Miliz im Bundesstaat Rio, bekannt als "Crime Office", die den illegalen Immobiliensektor in der Favela von Río das Pedras mit gewalttätigen Aktionen und Morden ausbeutet. Der flüchtige Nóbrega galt als Chef des "Büros" und wurde schon seit Jahren im Zusammenhang mit Auftragsmorden untersucht oder verdächtigt.
Im Büro des früheren Abgeordneten und heutigen Senators Flávio Bolsonaro waren bis November letzten Jahres Nóbregas Mutter und Ehefrau beschäftigt.
Am 9. Februar 2020 wurde Nóbrega von der Polizei im Bundesstaat Bahia erschossen. Er wird seine Auftraggeber nicht mehr preisgeben können.
Die Präsidentenfamilie bestreitet alle Vorwürfe, doch Senator Flávio Bolsonaro war bis heute nicht bereit, vor der Staatsanwaltschaft auszusagen. Er pocht auf seine Immunität. Den Präsidenten selbst schützt ein Netz von abhängigen und gefälligen Persönlichkeiten in Justiz und Politik.
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