Afrika

"Nieder mit Frankreich": Antifranzösische Stimmung in Sahel-Staaten erreicht neuen Höhepunkt

Die Zivilbevölkerung in Ländern des Sahel erhebt sich gegen den wachsenden französischen Einfluss und die militärische Präsenz. Während in Paris und auch in Berlin Politiker vorgeben, vor Ort den "Terrorismus" zu bekämpfen, breitet sich dieser vor Ort immer weiter aus.
"Nieder mit Frankreich": Antifranzösische Stimmung in Sahel-Staaten erreicht neuen HöhepunktQuelle: AFP

von Kani Tuyala

Noch immer begreift sich das EU-Land Frankreich als "Schutzmacht" seiner ehemaligen afrikanischen Kolonien. In den vergangenen Jahren gesellte sich der Kampfbegriff der eigenen und europäischen "Sicherheit" als Argument für die eigene militärische Präsenz vor Ort hinzu. Diese Sicherheit ist demnach durch die in der Geschichte der Region historisch einmalige Ausbreitung des "islamistischen Terrorismus" bedroht. Ein Terrorismus, wie er aktuell etwa in Mali, Burkina Faso und jetzt auch im bislang als noch relativ stabil und sicher gelten Niger um sich greift.

In Inatès, 260 Kilometer von Nigers Hauptstadt Niamey und fünf Kilometer von der Grenze zu Mali entfernt, verübten Terroristen den bis dato verheerendsten Angriffe auf eine nigrische Militärbasis. 71 Regierungssoldaten verloren bei dem Angriff ihr Leben, 12 weitere wurden verwundet, etliche – heißt es – seien "verschwunden". 57 der mutmaßlichen Terroristen wurden demnach ebenfalls getötet. Der "Islamische Staat in der größeren Sahara (ISGS)" übernahm umgehend die Verantwortung für den Terrorakt. In der gleichen Region wurden bereits im Mai und Juli knapp 50 nigrische Soldaten bei Überfällen getötet. Auch für diese erklärten sich die Kämpfer des ISGS verantwortlich.

Der jüngste Überfall, bei dem die Angreifer zunächst die Kommunikationszentrale und dann die Militärbasis selbst angegriffen haben sollen, ereignete sich zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Zorn innerhalb vor allem der malischen, aber auch nigrischen Bevölkerung gegen die beachtliche französische Militärpräsenz in der Sahelregion zunehmend Bahn bricht. Was hat es mit der Präsenz tausender französischer Soldaten auf sich, wenn die Gewalt durch diese nicht etwa eingedämmt wird, sondern seither immer weiter ausufert, lautet die Frage der misstrauischen Bürger.

Schon seit Anfang des Jahres protestieren die Menschen etwa in Malis Hauptstadt Bamako gegen den Einfluss Frankreichs und dessen militärische Präsenz im eigenen Land.

Nieder mit Frankreich und seinen Komplizen gegen Mali. Das Volk sagt nein, wir haben genug" skandierten etwa am 5. April Bürger auf den Straßen der malischen Hauptstadt.

Zu den Protesten aufgerufen hatte der Hohe Islamische Rat Malis (HCIM).

Frankreich, ein Terrorstaat", war auf anderen Transparenten zu lesen.

Rund 4.500 französische Soldaten bekämpfen in der Region nach eigener Darstellung den Terrorismus, wofür Paris ein Budget von 600 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Mittel, die letztendlich womöglich von den ehemaligen Kolonialstaaten selbst gegenfinanziert werden, denn noch immer fordert der Élysée-Palast von seinen ehemaligen westafrikanischen Kolonien, ihre vermeintliche "Kolonialschuld" abzutragen.

Seit den Tagen ihrer scheinbaren "Unabhängigkeit" sind die entsprechenden Länder dazu verpflichtet, bis zu 80 Prozent ihrer Devisenreserven auf Konten der französischen Nationalbank zu transferieren, mit denen Paris nach Gutdünken handelt und die sie nach Belieben reinvestiert. 

Währenddessen wächst sich die terroristische Bedrohung – und eine damit einhergehende zunehmend prekäre Sicherheitslage – in der Sahelregion zu einer humanitären Krise aus. Eine Zuspitzung, die ihren Ausgang nach der Zerstörung Libyens durch eine von Frankreich angeführte Militärkoalition nahm. Eine militärische Operation zur Beseitigung Muammar al-Gaddafis, die kurze Zeit später die NATO übernahm.

Seit 2012 wurde dann die Region von Gewalt heimgesucht, als Tuareg-Rebellen und militante Gruppierungen – ausgerüstet mit Waffen und Munition geplünderter libyscher Bestände – den Norden Malis überrannten. Im folgenden Jahr sah sich Frankreich zu einer militärischen Intervention "veranlasst", um dem bedrohten und bis dahin als "demokratischer Musterstaat" geltenden Mali zur "Hilfe" zu eilen.

Mit rund 11.000 Blauhelmsoldaten und knapp 1.500 Polizisten unterhalten die Vereinten Nationen seither in Mali eine sogenannte "Stabilisierungsmission" (MINUSMA).

Die Bundeswehr kann sich mit bis zu 1.100 Soldaten an MINUSMA beteiligen. Das Mandat erlaubt auch den Einsatz von Waffen", heißt es dazu auf den Seiten des Bundesverteidigungsministeriums.

Von Mali aus unterstützt die Bundeswehr Frankreichs eigene "Opération Barkhane" beim Transport und bei der Aufklärung. Aktuellen Informationen zufolge bat Frankreich Deutschland jüngst darum, sich "im Kampf gegen den Terrorismus" ab dem kommenden Jahr auch an der Ausbildung einer malischen Kommandoeinheit zu beteiligen. Die Rede ist von demnach 500 Bundeswehrsoldaten, darunter auch Ausbilder vom deutschen "Kommando Spezialkräfte".

Vor wenigen Tagen hatte der malische Außenminister Tiébilé Dramé jedoch den Leiter des Büros der UN-Mission MINUSMA, Christophe Sivillon, in Kidal im Nordosten des Landes explizit zur "persona non grata" erklärt. Sivillon hatte nach Angaben des Außenministers bei einem Kongress einer ehemaligen Rebellengruppe während einer Ansprache angedeutet, dass Kidal nicht zu Mali gehöre. Dramé kritisierte, dass die UN-Mission doch eigentlich die Regierung dabei unterstützen sollte, die nationale Einheit des Landes wiederherzustellen.

Obwohl – trotz der ausländischen "Unterstützung" – das bis dato vor Ort unbekannte Ausmaß an Gewalt vor allem Mali und Burkina Faso destabilisiert und weite Teile dieser Länder unregierbar gemacht hat, ist diese Gewalt bereits auch auf den Niger übergesprungen. Auch die Aktivitäten der Terrorgruppe Boko Haram haben sich bereits ebenfalls längst vom Norden Nigerias auf die Nachbarländer ausgeweitet.

Am 26. November dieses Jahres verloren nun auch 13 französische Soldaten ihr Leben bei einer Hubschrauber-Kollision in Mali. Seit vier Jahrzehnten musste die französische Armee keinen derartigen Blutzoll mehr auf afrikanischem Boden in Kauf nehmen. Anschließend "zitierte" der französische Präsident Emmanuel Macron die Staatsoberhäupter der sogenannten G5-Staaten Niger, Mali, Burkina Faso, Mauretanien und Tschad für den 16. Dezember nach Frankreich. Dort sollten diese für "Klarheit" über ihre Unterstützung in Sachen "Opération Barkhane" sorgen.

Um die Bedingungen für unsere legitime Präsenz in der Sahelzone zu überdenken, treffen wir uns am 16. Dezember in Pau mit den Führern der G5-Sahelzone zu einem Barkhane-Gipfel ", verkündete der französische Präsident über Twitter.

Macrons Ziel: Die "Aufklärung von Missverständnissen" und die mutmaßliche Erörterung gemeinsamer Lösungen gegen die Verbreitung einer zunehmend negativen Einstellung der lokalen Bevölkerungen gegenüber der französischen Intervention im Sahel, insbesondere in Burkina Faso und Mali.

Ich kann keine Truppen vor Ort im Sahel haben – und ich will es auch nicht –, wenn es Unklarheiten in Bezug auf antifranzösische Bewegungen und manchmal (auch entsprechende) Kommentare von Politikern und Ministern gibt", sagte Macron während einer Pressekonferenz.

Darüber hinaus geht es Macron darum, mehr Unterstützung von den EU-Partnern für Frankreich zu erhalten. Macron forderte auch seine NATO-Verbündeten dazu auf, sich "stärker in den Kampf gegen den Terrorismus" in der Region einzubringen.

Wir sind nicht aus kolonialen oder geschäftlichen Gründen dort", fühlte sich Macron offenbar genötigt zu ergänzen.

Auf die Frage, ob er Truppen abziehen würde, sagte Macron, dass er aus Gesprächen mit den afrikanischen Führern "Konsequenzen ziehen" würde. "Ich brauche Aufklärung, um meine Truppen dort zu halten." Bei den Bürgern fanden Macrons Einlassungen derweil keinen positiven Widerhall.

Die Einladung wurde von der Öffentlichkeit keineswegs positiv angenommen. Die Leute (...) betrachten sie als paternalistisch, als ob es heißen würde: "Frankreich ruft seine afrikanischen Lakaien zusammen", erläuterte etwa Bréma Ely Dicko, Soziologin an der Universität von Bamako in Mali.

Es würden vielmehr "synergistische Aktionen und eine bessere Koordination zwischen den Barkhane-Soldaten und den lokalen Streitkräften erwartet".

In einer Zeit, in der die antifranzösische Stimmung wächst, ist das Treffen keine Garantie für die Unterstützung der Öffentlichkeit", ergänzt Dicko.

Hervé Ouattara, Leiter der "Front Anti-CFA" in Burkina Faso, bringt die aktuelle Situation in Zusammenhang mit dem Fiasko in Libyen:

Frankreich ist mitverantwortlich für die aktuelle Situation, da alles auf die Zeit zurückgeht, als sie bei der Bombardierung Libyens geholfen haben. Es ist an der Zeit, dass diese fünf Staatschefs [die G5-Staatschefs, Anm. d. Red.] ihre Unabhängigkeit bekräftigen und Fragen auf gleicher Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt diskutieren. Wir haben auch den Eindruck, dass die französischen Truppen uns unsere Rohstoffe vorenthalten. Ihre Präsenz hat Françafrique [die wirtschaftliche und politische Verbindung Frankreichs zu seinen ehemaligen Kolonien in Afrika, Anm. d. Red.]" nur erweitert.

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Abdoul Karim Saïdou wären die Staaten im Sahel aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Situation gar nicht in der Lage, von Frankreich zu verlangen, seine Truppen zurückzuziehen. Derweil würde "das diplomatische Monopol der Staaten [in der Sahelzone, Anm. d. Red.] infrage gestellt. Die afrikanischen Zivilgesellschaften engagieren sich mehr und mehr auf der Weltbühne, um die Außenpolitik in ihren Ländern zu beeinflussen."

Was hier geschieht, ist Teil eines Prozesses zur Neugestaltung der internationalen Politik, der lange Zeit als "hohe Politik" galt und für die Unterschicht unzugänglich war", fügte Saïdou hinzu.

Insbesondere Salif Keïta, ein international renommierter malischer Musiker, tat sich als Kritiker der französischen Interventionspolitik hervor und veröffentlichte ein entsprechendes Video. In diesem fordert der Musiker vom malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta, damit aufzuhören, sich "dem kleinen Emmanuel Macron zu unterwerfen", dieser sei "nur ein kleines Kind". Zudem behauptete Keïta in seinem Appell, dass Frankreich selbst militante Gruppen finanziere, die es vorgibt zu bekämpfen.

Am 12. Dezember einigten sich Macron und sein nigrischer Amtskollege Mahamadou Issoufou schließlich darauf, das vom französischen Präsidenten einberufene Treffen im französischen Pau auf Anfang 2020 zu verschieben. Währenddessen fand am 15. Dezember in der nigrischen Hauptstadt Niamey ein Treffen der G5-Staatsoberhäupter ohne die Beteiligung Frankreichs statt. In ihrem Abschlussbericht verweisen die Staatschefs auch auf "die Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für die Unsicherheit in der Sahelzone aufgrund der Destabilisierung des libyschen Staates" und fordern die Staatschefs dazu auf, die "Bemühungen zur Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelzone zu verstärken".

Mehr zum ThemaEinziger deutscher Unternehmer im Niger: Ursachen des Terrorismus werden ignoriert (Video)

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.