Wirtschaft

Der Brexit als Wirtschaftskatastrophe – für die deutsche Industrie

Nach dem Brexit-Referendum beschworen Analysten jahrelang eine Wirtschaftskatastrophe für Großbritannien. Diese realisierte sich jedoch nie. Kurz vor dem Austrittsdatum steht Deutschland schlecht da – bis zu 460.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Der Brexit als Wirtschaftskatastrophe – für die deutsche IndustrieQuelle: Reuters © Hannibal Hanschke/Reuters

Führende deutsche Wirtschaftsforscher schauen mit Sorge auf den Brexit. So erklärte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zum Austritt der Briten aus der EU:

Das Brexit-Drama wird nach dem 31. Januar leider nicht vorbei sein – eher im Gegenteil: Jetzt wird es erst richtig kritisch.

Bis Jahresende bleibt Großbritannien noch im EU-Binnenmarkt. Wenn es gut geht, haben beide Seiten dann einen notdürftigen Freihandelsvertrag ausgehandelt. Sonst kommt der harte No-Deal-Brexit – der für die deutsche Industrie teuer werden dürfte.

Abgesehen von den inhaltlichen Differenzen ist der Zeitplan jedoch viel zu ambitioniert", sagte Fratzscher der dpa.

Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, sagte: "Eine Zollunion wäre ein gutes Ergebnis. Realistisch ist das leider nicht."

Es steht viel auf dem Spiel: Deutschland hat 2018 Waren und Dienstleistungen für 109 Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert. Gut 460.000 Arbeitsplätze in Deutschland sind damit verbunden.

Michael Hüther, Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), sagte, bis Dezember könnte "ein einfaches Freihandelsabkommen über Warenverkehr ausgehandelt werden". Das werde aber Finanz- oder Transportdienstleistungen so wenig regeln wie den Datenaustausch oder den Zugang zu britischen Fischereigründen. "Damit stünden die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU-27 und dem Vereinigten Königreich auf wackligeren Beinen als beispielsweise mit Kanada."

Fünf Jahre lang verhandelte die EU mit Kanada. Danach dauerte es noch zwei Jahre, bis der Vertrag in jedem EU-Land abgesegnet war. Ein Ergebnis waren freie Dienstleistungen mit Ausnahme einiger extra aufgelisteter Bereiche. "Eine solche Negativliste wird in der kurzen Frist kaum auszuloten sein. Vielmehr wird man sich auf eine Positivliste einigen, in der lediglich einige Bereiche definiert werden, in denen man Hemmnisse abschaffen möchte", sagte Hüther.

London will weder Zölle noch Mengenbeschränkungen im Handel einführen. Doch Brüssel will sich darauf nur einlassen, wenn die Briten den EU-Standards bei Umwelt, Arbeitnehmerrechten und Subventionen folgen. Das lehnt London ab:

Es wird keine Angleichung geben. Wir werden keine Empfänger von Regeln sein, wir werden nicht im Binnenmarkt sein, und wir werden nicht in der Zollunion sein", stellte der britische Finanzminister Sajid Javid klar.

Hüther sagte:

Wenn beide sich nicht bewegen, wird es kein Abkommen geben. Die deutsche Wirtschaft müsste mit Zöllen von 3,3 Milliarden Euro rechnen, wobei die Automobilindustrie mit über 2 Milliarden Euro jährlich am härtesten getroffen wäre.

Hinzu kämen gut doppelt so hohe Belastungen aus nichttarifären Handelshemmnissen.

Die Pharma- und Chemiebranche ist in jedem Fall besonders betroffen: Zollfragen sind hier weniger relevant, dafür geht es aber um die doppelte Anerkennung von Arzneimitteln oder eine Alternative zur Chemikalienverordnung", erklärte Hüther.

Bei einem harten Brexit erwarten die meisten Experten für Deutschland langfristig ein um 0,5 Prozentpunkte niedrigeres Bruttoinlandsprodukt. "Im Extremfall wird ein Absinken der deutschen UK-Exporte um bis zu 50 Prozent prognostiziert", sagte Hüther.

Ein harter Brexit könnte höhere Preise, weniger Handel und weniger Arbeitsplätze bedeuten. Im Juni 2016 hatten die Briten den Austritt aus der EU in einer Volksabstimmung beschlossen.

Schon die vergangenen drei Jahre haben die deutsche Wirtschaft wegen der entstandenen Unsicherheit rund zehn Milliarden Euro pro Jahr gekostet", sagte Fratzscher. Gibt es nach der Übergangsphase kein Abkommen, dürften die Folgen noch sichtbarer werden.

Fuest rät deshalb beiden Seiten dringend:

Man sollte sich Zeit nehmen, ein möglichst umfassendes Abkommen auszuhandeln. In dieser Zeit sollten die Briten im Binnenmarkt bleiben. Es wäre kein Problem, die Übergangsfrist zu verlängern – falls nötig.

Allerdings hat Premier Boris Johnson eine Verlängerung ausgeschlossen. "Es erscheint daher relativ eindeutig, dass man ab 2021 – auf Basis oder eben nicht auf Basis eines Freihandelsabkommens – über viele Jahre ein ambitioniertes Abkommen, inklusive Dienstleistungen, Datenaustausch und innere Sicherheit, verhandeln wird", sagte Hüther.

Mehr zum Thema - Trump droht Großbritannien mit neuem Handelskrieg nach Brexit 

(dpa/rt deutsch)

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