Wirtschaft

California über alles – Warum der globale Handelskrieg der USA scheitern muss

Auf den ersten Blick erscheint die US-Außenpolitik chaotisch: Handelskrieg mit China, Sanktionen gegen Russland, Aufhebung der Meistbegünstigungsklausel für Indien. Doch in Wirklichkeit steckt hinter der auffallend aggressiven Politik kaltes Kalkül.
California über alles – Warum der globale Handelskrieg der USA scheitern mussQuelle: www.globallookpress.com

von Vlad Georgescu

Washington geht es bei dieser aggressiven Politik um die Dominanz über Patente und Rohstoffe weltweit. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet US-Präsident Donald Trump könnte den technologischen Abstieg der USA besiegeln.

Wenn es um zukunftsträchtige Materialien geht, führt in der Welt der Wissenschaft kein Weg am Schweizer Fachjournal Applied Sciences vorbei. Was heute noch Grundlagenforschung ist, kann morgen eine bahnbrechende Anwendung darstellen. Entsprechend haben die Veröffentlichungen in Applied Sciences Gewicht. Vor allem große Wirtschaftsunternehmen und globale Think Tanks beobachten sehr akribisch, worüber das Online-Fachjournal aus Basel berichtet. Denn einen Durchbruch zu verschlafen hieße, die Dominanz über Schlüsseltechnologien zu verpassen – und genau das, so hat es den Anschein, geschieht derzeit in den USA auf breiter Front.

Tatsächlich ist eine am 28. Juni 2019 erschienene Publikation chinesischer Wissenschaftler in Applied Sciences mehr als nur trockene Materie für Insider. Am Beispiel des technischen Wunderstoffs Graphen, einer aus reinem Kohlenstoff bestehenden Verbindung, zeigten Forscher der chinesischen Southwest Jiaotong University in Chengdu auf, wer im biomedizinischen Bereich die meisten und effizientesten Patente rund um die erst 2004 entdeckte Substanzanmeldete.

Die nackten Zahlen belegen, dass in Sachen Graphen China den Westen weit übertrumpft. Allein im Jahr 2018 meldeten die Chinesen 216 Patente an, im weiten Abstand gefolgt von den US-Amerikanern (37 Patente) und einer danach folgenden innovativen Wüste. Deutschland rangierte Applied Sciences zufolge mit lediglich zwei Patentanmeldungen auf dem vorletzten Platz.

Doch ist Masse auch Klasse? Und führt jede Patentanmeldung auch wirklich zur technologisch nachhaltigen Dominanz?

Beispiel Graphen: China legt vor

Wer Antworten auf diese Fragen sucht, muss – am Beispiel Graphen bleibend – zunächst verstehen, warum neue Materialien oder Technologien überhaupt so wichtig sind. Die Substanz Graphen beispielsweise, deren Atome sich nicht von jenen eines Diamanten oder eines Klumpens Kohle unterscheiden, ist eine besondere Form von Kohlenstoff. 200 Mal härter als Stahl, extrem dünn auftragbar und vor allem elastisch, vermag Graphen physikalische Wunder zu bewirken.

So ließen sich mit Hilfe von Graphen eines Tages unter anderem LEDs ohne Kabelanschluss oder Batterie betreiben, Akkus mit enormen Laufzeiten herstellen oder Elektroautos allein durch das Fahren auf graphenbeschichteten Straßen aufladen. Im Gehirn des Menschen wiederum interagiert Graphen mit humanen Neuronen, ohne Nebenwirkungen aufzuweisen – die eine oder andere neurologische Erkrankung ließe sich auf diese Weise in Zukunft wohl behandeln. Für das Militär schließlich verspricht Graphen leichtere Fluggeräte, die im Unterschied zu Aluminium härter als Stahl sind. Nur selten in der Geschichte der Technik hat eine Neuentdeckung die Phantasie der Forscher so beflügelt wie Graphen.

Und so zeigt die Studie der Chinesen, dass neben der Masse der Patentanmeldungen allein im medizinischen Bereich vor allem die ökonomische Schlagkraft der Anmelder eine entscheidende Rolle spielt. Denn lediglich große Institutionen und Unternehmen sind in der Lage, ein Patent zum Erfolg zu führen und gegenüber der Konkurrenz nachhaltig am Markt zu verteidigen – und auch hier haben die Chinesen die Nase vorn.

Zwar warten die USA bei Patentanmeldungen mit Konzernen wie Lockheed Martin auf, der kommerzielle-militärischen Innovationsschmiede der Amerikaner. Auch die University of California, bislang weltweiter Innovationsmotor, ist bei Patentanmeldungen um Graphen vertreten.

Doch mit Hilfe eines speziellen Computerprogramms namens Innography, das Forscher weltweit für die Auswertung der Patentanmeldungseffizienz nutzen, lässt sich die Schlagkraft einer Erfindung als Kreis visualisieren – und hier rangieren die Chinesische Akademie der Wissenschaften und chinesische Universitäten erneut deutlich vor den Amerikanern.

Im Kampf um die Patente der Zukunft geraten die USA seit geraumer Zeit derart massiv ins Hintertreffen, dass selbst die britische Financial Times, kein Sympathieträger chinesischer Hochtechnologie, sich dem sensiblen Thema zu nähern versuchte. Dass hinter Donald Trumps Handelskrieg in Wirklichkeit der Krieg um Patente stecken könnte, ist somit in London und Washington durchaus angekommen und demnach kein Tabuthema mehr.

Wie schlecht es um die ehemalige Vorherrschaft des Westens in Sachen Innovationen steht, hingegen schon. Nicht nur China, auch andere Länder auf der globalen Enemy-List der Amerikaner, streben innovationstechnisch betrachtet nach oben.

In einem von Bloomberg publiziertem Ranking, dem Patent Innovation Index, rangiert beispielsweise Iran mittlerweile auf Platz 13. Geht es um Investitionen in Schlüsseltechnologien, findet man Indien auf Platz drei, bei Patentanmeldungen liegt das Land auf den zehnten Platz, und in der Liste über die Zahl wissenschaftlichen Publikationen stehen die Inder auf Rang 6 – weltweit.

Als nicht minder innovativ erweist sich der Pool der Russischen Föderation. Eine vom Europäischen Patentamt EPO unlängst vorgestellte Suchmaschine des russischen Patentamtes Rospatent etwa erlaubt die kostenlose Suche im Fundus von über 2,5 Millionen Patenten aus der Zeit der Sowjetunion bis heute – wichtig sind solche Innovationskonglomerate schon deshalb, weil ohne sie viele neue Erfindungen gar nicht erst angemeldet werden könnten.

USA: Nicht mehr das Zentrum der Innovation

Und wenn es um die nackten Zahlen der Patentanmeldungen steht, verdeutlicht eine Grafik der Weltbank die desolate Lage der einstigen Innovations-Vorreiter USA: Seit nunmehr zehn Jahren liegen sie von China weit abgeschlagen nur noch im breiten Band des Mittelfeldes.

Der Satz "California über alles", in den frühen 1980ern als provokativer Titel der US-Punkband Dead Kennedys zu internationaler Berühmtheit gelangt, hat im Jahr 2019 nicht nur musikalisch ausgedient. Die innovative Vorherrschaft der Amerikaner, noch vor zwei Jahrzehnten durch das Leuchten kalifornischer Innovatoren symbolisiert, scheint beendet.

Ausgerechnet auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz und der Kommunikationstechniken wie 5G führen die Chinesen das Feld an – gestützt von einem de facto Liefermonopol auf Rohstoffen, die für den Bau der hochsensiblen Chips und Prozessoren lebensnotwendig sind: Seltene Erden. Zwar kommen die Metalle, ohne die kein Smartphone laufen würde, auch in den USA vor. Selbst Deutschland verfügt über derartige Vorkommen, denn anders als es der Name vermuten lässt, sind die Metalle der Seltenen Erden keinesfalls rar. Nur: Der Abbau ist extrem aufwendig und umweltschädigend zugleich – mitunter ein Grund, weswegen man die Belieferung der globalen Märkte bislang vorwiegend den Chinesen überließ.

Keine Rohstoffe für die Zukunfts-Technologien, kaum noch Ideen. Die Innovationskrise des Westens, angeführt von den Amerikanern, lässt sich nicht mehr verbergen.

Und so könnte Trumps globale Anti-Handelspolitik, die sich gleichzeitig gegen mehrere Nationen und die EU richtet, der verzweifelte Versuch sein, das Ruder doch noch in letzter Sekunde herumzureißen.

Denn die Eröffnung der globalen Handelsfront gegen Länder wie Indien, Russland, China und die gesamte EU, absorbiert gerade in staatlich gelenkten Giganten wie China Ressourcen, die ansonsten in die Innovationspipeline fließen würden. Sanktionen und Schwarze Listen im technologischen Bereich tangieren nämlich Patentanmeldungen per se – weil viele Patente auf bereits erteilte Patente im Ausland beruhen, ohne deren Anwendungserlaubnis das neu erschaffene Patent keinerlei Anwendungsperspektive haben kann. Der Handelskrieg verschafft den gebeutelten US Konzernen in Sachen Patentwettlauf eine Atempause, nur: Diese Strategie blockiert nicht nur den Erzrivalen China, auch die USA selbst werden auf diese Weise angreifbar.

Huawei: Die Patenschlacht ist eröffnet

Wie hart die Patentschlacht hinter dem Handelskrieg verläuft, zeigt das Beispiel Huawei. Von Donald Trump auf die Schwarze Liste der Amerikaner gesetzt, sah sich Huawei quasi über Nacht mit dem drohenden Verlust des Smartphone-Geschäfts und seiner G5-Technologie nicht nur in den USA konfrontiert: Huawei-Geräte, so die Annahme, würden wegen der Trump-Verbote Google-Dienste wie Android nicht mehr nutzen dürfen.

Der chinesische Tech-Gigant reagierte prompt und konterte mit der Patentkeule: Er machte beim US-Hersteller Verizon eine Milliarde US-Dollar an Lizenzgebühren geltend – Streitmasse sind rund 200 Patente, die die Chinesen für sich beanspruchen, und die Verizon Huawei zufolge unerlaubt genutzt haben soll.

Der Showdown basiert auf einem Abkommen, welches an sich das globale Miteinander fördern wollte – bevor Donald Trump kam. Weil beide Länder das sogenannte Trade-Related Aspects of Intellectual Property Agreement der Welthandelsorganisation WTO unterzeichneten, dürfen sie ihre Patente im jeweils anderen Land anmelden. Was ursprünglich als Diskriminierungssperre und als Öffnung der internationalen Zusammenarbeit gedacht war, lässt sich heute in Zeiten des Handelskriegs als scharfe Waffe einsetzen: Ein chinesisches Unternehmen etwa, das in den USA eine Patentzulassung erhielt, darf diese auch dazu nutzen, um amerikanische Konzerne über Lizenzgebühren und Klagen zu blockieren. Andersrum verhält es sich dem Abkommen zufolge genauso.

Doch der Teufel liegt für die Amerikaner im Detail. Weil die kalifornische IT-Innovationsschmiede längst ins Hintertreffen geraten ist, dominieren die Chinesen den Patentmarkt gerade im digitalen Bereich - und können nun über diesen Hebel Trumps Handelspolitik strategisch geschickt torpedieren.

Den Ausschluss von Huawei vom US Markt, wie von Trump vermutlich als Endziel erwünscht, wird es daher schon deshalb nicht geben, weil der Konzern über 56.000 Patente weltweit innehat – und im hochsensiblen Bereich der 5G-Technologie mehr Patente besitzt, als alle US Unternehmen und die EU zusammengenommen.

Nicht nur diese Zahlen sind beeindruckend, auch die Dynamik der chinesischen Innovationen spricht für sich. So wurden im Jahr 2017 weltweit insgesamt 608 Patente im Bereich der Künstlichen Intelligenz angemeldet, von denen 473 aus China stammen. Lediglich 65 kamen aus den USA. Ähnlich sieht es im Bereich Blockchain aus, wo ein Drittel aller Patente aus China stammen. Ausgerechnet jene Felder, auf denen sich einst Kalifornien mit seinem Silicon Valley als Innovationsgigant tummelte, sind heute fest in chinesischer Hand.

Für Donald Trump und seine Berater jedoch scheint das simple Prinzip jenseits des Verständlichen zu liegen: Das Patent sichert das nächste Patent sichert das nächste Patent. Anders ausgedrückt kann man auch sagen: Einmal abgehängt, immer abgehängt.

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