Wirtschaft

Russische Aktiva zerstören die Westwirtschaft

Die Verbindlichkeiten ausländischer Kreditnehmer an Russland belaufen sich auf etwa 300 Milliarden US-Dollar, wohingegen die Forderungen an russische Schuldner schätzungsweise 400 Milliarden US-Dollar betragen. Eine Beschlagnahmung von Vermögenswerten würde alles aufheben. Ein gutes Geschäft für Moskau.
Russische Aktiva zerstören die Westwirtschaft© RIA Nowosti / durch KI generiert

Von Sergei Sawtschuk

Während sich die ganze Aufmerksamkeit der Weltpresse auf die inhaltsleeren Reden des Schweizer "Friedensgipfels" richtete, spielten sich im Hintergrund viel tiefgreifendere Ereignisse ab. So erklärte US-Finanzministerin Janet Yellen in einer ABC-Sendung, dass die Vereinigten Staaten die Verwendung von Erträgen aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten nicht als Diebstahl betrachten würden. Natürlich zugunsten Kiews.

Bevor wir zur weiteren Diskussion übergehen, möchten wir gleich auf zwei Schlüsselpunkte hinweisen: Erstens, um den Vorwurf der prorussischen Voreingenommenheit von vornherein auszuschließen, wurden alle Zahlen und Werte aus westlichen Quellen übernommen. Und zweitens wurden alle Finanzprozesse bewusst vereinfacht, um sie für ein möglichst breites Publikum verständlich zu machen, insbesondere für diejenigen, die keine spezielle Ausbildung und Erfahrung haben.

Zunächst komme ich zu dem Begriff der "im Ausland vorhandenen russischen Vermögenswerte". In den vergangenen zwei Jahren seit dem Beginn der militärischen Sonderoperation in der Ukraine hat jeder davon gehört, aber nicht jeder versteht, wovon die Rede ist.

Erstens

Die staatliche russische Entwicklungsgesellschaft WEB.RF (Wneschekonombank) definiert sie als Kreditverbindlichkeiten ausländischer Kreditnehmer für von der Sowjetunion und der Russischen Föderation gewährte Kredite. Einfach ausgedrückt handelt es sich dabei um Kredite, die unser Staat ausländischen Käufern gewährt, um eine breite Palette inländischer Waren zu erwerben und damit mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Staatliches Geld unterstützt den realen Sektor unserer Wirtschaft, Finanz- und Bankstrukturen erhalten dafür Zinsen, und da es sich um den Außenhandel eines großen Staates handelt, sind die Zinserträge nicht unerheblich. Zu diesem Begriff gehören auch die Gold- und Währungsreserven, die Gebäude unserer diplomatischen Vertretungen und andere Objekte, die auf die eine oder andere Weise dem russischen Staat gehören, doch der Großteil der Vermögenswerte entfällt auf Kredite.

Nach Schätzungen amerikanischer Finanzinstitute wurden insgesamt etwa 300 Milliarden US-Dollar im Ausland blockiert, aber es sollte klargestellt werden, dass die Formulierung "etwa" "weniger" impliziert. Der Löwenanteil der Vermögenswerte ist im belgischen Finanznetz Euroclear eingefroren. Es ist auf das Clearing (bargeldlose Transaktionen) und die Abwicklung von Wertpapiergeschäften spezialisiert. Der genaue Gesamtbetrag der russischen Vermögenswerte ist zwar nicht bekannt, aber es ist erwiesen, dass sie sich in den Vereinigten Staaten auf fünf bis sechs Milliarden US-Dollar belaufen. Weitere Vermögenswerte befinden sich in Finanzinstituten in Kanada und Japan, aber ihr Anteil an der Gesamtmasse ist unbedeutend.

Zweitens

In der breiten Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, dass das Einfrieren des russischen Staatsvermögens eine unzumutbare Nachlässigkeit und fast schon kriminelle Fahrlässigkeit seitens der russischen Behörden darstellt. Es wird gefragt, wie man dies überhaupt passieren lassen konnte und warum nicht alle Vermögenswerte im Voraus zurückgezogen worden sind. Diese Einschätzung ist ebenso primitiv wie weit entfernt von der Realität.

Man sollte zunächst einmal festhalten, dass es in der Weltgeschichte keine vergleichbaren Präzedenzfälle gab. Ja, es wurden schon Staatsvermögen eingefroren, aber das waren Aktien in einem unvergleichlich kleineren Umfang. Unter anderem sollte man bedenken, dass diese Finanzmarktprozesse in direktem Zusammenhang mit rein militärischen Ereignissen stehen. Zur Erinnerung: Der Beginn der militärischen Sonderoperation war ein absoluter Schock für die ganze Welt, d. h. unsere Feinde haben die umfangreiche militärische Ausbildung verschlafen, die Anhäufung von militärischen Kräften und Mitteln, ihre Komplettierung und ihren Einsatz an den Aufmarschlinien, was es ermöglicht hat, riesige Gebiete zu besetzen, die nun zu neuen Regionen des Landes wurden.

Wenn Moskau beginnen würde, seine Reserven, Währungen und Wertpapiere aktiv zu veräußern, würde dies auf großes Interesse stoßen und weitreichende Schlussfolgerungen nach sich ziehen, denn nur ein sehr naiver Mensch kann glauben, dass westliche Geheimdienste das Marktgeschehen nicht beobachten und keine spezialisierten Berater haben. Es sollte auch erwähnt werden, dass in den vergangenen zwei Jahren unser Währungskorb reformiert wurde und einige unserer Vermögenswerte bereits nach Russland zurückgekehrt sind oder in befreundete Länder transferiert wurden.

Drittens – und damit kommen wir zum Kern der Sache

Die Diskussionen über die Notwendigkeit, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen, dauern fast seit dem ersten Tag der intensiven Kampfhandlungen an und ähneln in ihrer Form rituellen Tänzen mit einem Tamburin. Am aktivsten wird dieses Thema in amerikanischen Finanz- und Politikkreisen diskutiert. Die Amerikaner schieben diese zweifelhafte "Ehre" standardmäßig auf die EU ab, nach dem Motto: Ihr habt die Hauptreserven, also müsst ihr auch handeln. Betrachtet man jedoch ähnliche Erwägungen in der Alten Welt, so fällt auf, dass selbst Politiker dieses Thema nur mit den "Fingerspitzen" anfassen, und die europäischen Finanzinstitute jedes Wort zu diesem Thema mit manischer Sorgfalt überdenken. Und dafür gibt es Gründe.

Zu beachten ist hier die Erklärung von Janet Yellen, mit der unser heutiger Beitrag eingeleitet wurde. Sie betonte, dass die Vereinigten Staaten die Europäische Union nicht bestrafen werden, wenn diese versuche, die auf russische Auslandskredite aufgelaufenen Zinsen zurückzuziehen. Dabei handelt es sich unter anderem um den Betrag von 3 Milliarden US-Dollar, der von den Kreditnehmern für 2023 gezahlt wurde. Es ist wichtig, dass es dabei nur um die Zinsen geht, nicht um die Vermögenswerte selbst. In den jüngsten Äußerungen der G7-Staats- und Regierungschefs wurde die Summe von 60 Milliarden US-Dollar erwähnt, aber es ist nicht ganz klar, woher sie stammt.

Die westlichen Finanzanalysten schreiben, dass selbst wenn (die letzten beiden Worte sollten fett unterstrichen werden) die EU einen solchen Schritt wagen sollte, dies zwar der Ukraine helfen, aber keine tödliche Wirkung auf Russland haben wird. Ganz im Gegenteil.

Während die Westalliierten mit dem Tamburin tanzten, leitete Moskau mehr als zwei Drittel seiner Rohstoffexporte in befreundete Länder um und sicherte sich so Märkte und einen konstanten Zufluss von Währungseinnahmen. Hinzu kommt, dass Russland durch die enge Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene immer weiter von dem an den US-Dollar gekoppelten Handel abrückt und zunehmend auf alternative Währungen umsteigt – in erster Linie auf den Yuan, aber auch auf indische Rupien, türkische Lira und brasilianische Real. Die Transaktionen selbst werden zunehmend über das System zur Übermittlung von Finanzmitteilungen (SPFS) abgewickelt, was auch die Sicherheit gegen Angriffe von außen erhöht.

Und nun das Wichtigste: Warum der kollektive Westen es nicht riskiert, russische Vermögenswerte zu beschlagnahmen, sondern nur die Wahrscheinlichkeit der Zinsnutzung in Betracht zieht.

Wie wir uns erinnern, handelt es sich bei dem Großteil des Auslandsvermögens um Kredite. Während die EU und ihre "Mittäter" etwa (weniger als) 300 Milliarden US-Dollar blockierten, betragen die Schulden russischer Kreditnehmer bei westlichen Gläubigern mehr als 300 Milliarden US-Dollar. Niemand kennt den genauen Betrag, doch nach den gleichen westlichen Schätzungen belaufen sich die Gesamtverbindlichkeiten unserer Unternehmen auf annähernd 400 Milliarden US-Dollar.

Zur Vereinfachung: Eine Person schuldet uns 300, und wir schulden ihr etwa 400.

Durch die Beschlagnahme von Vermögenswerten werden automatisch alle externen Verbindlichkeiten der russischen Marktteilnehmer aufgehoben. Und wenn bis zu diesem Moment ein indirekter Austausch stattfand, bei dem ausländische Vermögenswerte aus unserem Land abgezogen und im Gegenzug die Blockade aufgehoben wurde, wobei Russland einen Teil seiner Finanzen zurückbekam, wird dieses System jetzt nicht mehr funktionieren. Die westlichen Gläubiger werden einen uneinbringlichen Nettoverlust von fast 100 Milliarden US-Dollar erleiden.

Nach dem Energieerhaltungssatz bedeutet ein Verlust westlicher Finanzorganisationen einen ähnlichen Gewinn für russische Kreditnehmer, die sich in der Regel in Staatsbesitz befinden. Wenn dies geschieht, erhält die russische Zentralbank die Möglichkeit, für die genannten 100 Milliarden US-Dollar den Rubel zu emittieren (zu drucken). Dies wird nicht nur keine Inflation auslösen, sondern durch die Verringerung der Währungsreserven auch zu einem Anstieg des Nettoinlandsvermögens führen. Einfach ausgedrückt: Die russische Binnenwirtschaft wird noch stärker und ihre Basis stabiler. Und all dies auf Kosten direkter westlicher Verluste.

Deshalb wird ständig von der Notwendigkeit gesprochen, Vermögenswerte zu beschlagnahmen und an die Ukraine zu übergeben, aber in der Praxis liegen die russischen Vermögenswerte auf belgischen Konten, auf denen ständig Zahlungen und Zinsen eingehen, und niemand wagt es, die Büchse der Pandora im Wert von 100 Milliarden US-Dollar zu öffnen. Zwar dürfen die Politiker alles sagen, was sie wollen, aber die globalen Banker zählen jeden Cent.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 18. Juni 2024 zuerst auf RIA Nowosti erschienen.

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