Russland

Proteste in Jekaterinburg: Putin fordert Abstimmung - Teile der Demonstranten setzen auf Eskalation

Im Konflikt um den geplanten Wiederaufbau der St.-Katharina-Kirche in Jekaterinburg hat Wladimir Putin einen Lösungsvorschlag unterbreitet. Teilen der Protestierenden scheint es aber um mehr zu gehen, als die Beibehaltung eines Parkes. Doch auch aus Moskau kommt Kritik.
Proteste in Jekaterinburg: Putin fordert Abstimmung - Teile der Demonstranten setzen auf EskalationQuelle: Sputnik

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Der russische Präsident Wladimir Putin hatte gestern bei einem Treffen mit Medienvertretern vorgeschlagen, eine Abstimmung unter den Bewohnern des Stadtbezirks in Jekaterinburg durchzuführen, ob eine historische Kirche wiederaufgebaut werden soll, die auf Geheiß der sowjetischen Verwaltung in den 1930er-Jahren gesprengt wurde, und wenn ja, wo – anstelle des kleinen Stadtparks gegenüber des Drama-Theaters.

In der langjährigen Auseinandersetzung darüber, ob und wo die Kirche, die der Schutzpatronin der Stadt gewidmet ist, wieder aufgebaut werden sollte, gab es am Montag einen Tiefpunkt: Als mit der Abriegelung eines kleinen Parks im Stadtzentrum begonnen wurde, auf dem Pläne der Stadtverwaltung den Wiederaufbau aktuell vorsehen, kam es zu einer Spontandemonstration von Gegenaktivisten. Diese rissen den Bauzaun nieder und besetzten – ansonsten weitgehend friedlich – den Park, wurden jedoch von Befürwortern des Wiederaufbaus auseinandergetrieben.

Das russische Staatsoberhaupt äußerte den Vorschlag bei einer Plenarsitzung des Medienforums unabhängiger regionaler und örtlicher Medien "Prawda i Sprawedliwost" ("Wahrheit und Gerechtigkeit") der Gesamtrussischen Volksfront in Sotschi, an dem er am Donnerstag teilnahm:

Ich habe erst gestern davon gehört – und selbst das zufällig – und war ein wenig überrascht. Ich habe nicht verstanden, was dort vor sich ging. In der Regel bitten die Menschen darum, ein Gotteshaus zu bauen – doch hier wird widersprochen. Die Meinung der Bewohner des Stadtbezirks sollte berücksichtigt werden – wenn sie denn keine Aktivisten mit einer Agenda sind, die aus Moskau kamen, um Lärm zu machen und sich zu profilieren.

Ein Maidan im Aufbau?

Zu einem solchen Verdacht bestehe zumindest Anlass, schreibt das Newsportal des TV-Senders Tsargrad: Unter denjenigen, die gegen den Wiederaufbau der Kirche protestierten, sollen Protestanleitungen im Umlauf sein, die unter anderem vorschreiben, den Protest so schnell wie möglich gegen die Führungsriege des Landes auszurichten – obwohl es eigentlich um eine kommunale Angelegenheit geht –, und so schnell wie möglich den Aufbau von Straßensperren und potenziell auch Barrikaden zu organisieren. Das Portal zitiert dazu die Punkte 6 und 7 des Protest-Merkblattes, das ihm vorliege:

6. Wenn ihr Straßen blockiert, nutzt jeden verfügbaren Plunder – ihr könnt sogar Möbel anschleppen. Es ist wünschenswert, mit Autofahrern zusammenzuarbeiten, die die Demonstrationskolonne von mehreren Seiten begleiten können.

7. Steuert die Kundgebung ins politische Flussbett. Schuld an der Planierung des Stadtparks ist die Verwaltungselite, die von Putin aufgestellt wurde. Merkt euch das.

Teilweise Ähnlichkeiten zum Verlauf des Euro-Maidan in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, der Anfang des Jahres 2014 Fahrt aufnahm, sind nicht zu leugnen. So hüpften Teile der Protestierenden auf der Stelle und skandierten: "Wer nicht springt, ist für die Kirche", auf dieselbe Art, wie es auf dem Maidan üblich war zu skandieren: "Wer nicht springt, ist ein Moskal" (Moskal – ukrainisches Schimpfwort für Russen). Wobei der Ursprung dieses Slogans im chilenischen Widerstand in Pinochet-Zeit liegt, damals wurde skandiert: "Quien no salta es Pinochet" - ("Wer nicht springt, ist Pinochet"). 

Auch Punkt 2 der Protestanleitung zeugt von einem höheren Organisationsgrad als es bei einem spontanen Protest wegen eines kommunalen Themas üblich ist. 

2. Nehmt unbedingt warme Bekleidung, Tee in der Thermoskanne und eine leichte Decke mit; ein kleiner Vorrat an Verpflegung ist empfehlenswert. Auch schwerere Decken und Zelte könnte man mitnehmen. Isomatten gehen ebenso.

Löst eine Umfrage den Konflikt?

Demgegenüber betonte Putin in seinem Beitrag: "Ein Gotteshaus sollte Menschen vereinen – nicht spalten." Der Präsident rief die Stadtverwaltung zur Suche nach einer demokratischen Lösung des Konflikts auf: "Es gibt eine einfache Methode – eine Umfrage durchzuführen, und dann muss die Minderheit der Mehrheit gehorchen. Das ist das Prinzip der Demokratie. Aber natürlich sollten die Meinung und die Interessen dieser Minderheit berücksichtigt werden. Sollen die Bauträger den Park an einer anderen Stelle wieder anlegen? Genau das sollte die Verwaltung der Stadt tun – die beste Lösung für die dort lebenden Menschen finden", fasste der Präsident zusammen.

Indes gab Jekaterina Kusemka, Vertreterin des Bürgermeisters von Jekaterinburg, bekannt, dass die Stadtverwaltung mit dem Vorschlag des Präsidenten einverstanden ist:

Wir werden eine Umfrage durchführen. Ich weiß, dass die Verwaltung der Oblast mit der 'Sozium'-Stiftung eine eigene Umfrage plant.

Die stellvertretende Bürgermeisterin betonte jedoch, daneben auch Umfragen durch andere Organisationen zuzulassen: "Aber keine von [den Umfragen] dürfte vom protestierenden Teil der Gesellschaft als legitim anerkannt werden. Viele gesellschaftliche Organisationen wenden sich an uns und sind bereit, eine unabhängige Massenumfrage zu initiieren. Das ist eine sehr gute Initiative, wir haben nichts dagegen", stellte Kusemka klar.

"Aufstand gegen Geiz und Dummheit der herrschenden Klasse"

Scharfe Kritik an dem Kirchenneubau in Jekaterinburg kaum auch von kritischen Intellektuellen in Moskau, unter anderem von dem marxistischen Politologe Boris Kagarlitsky. Die russisch-orthodoxe Kirche verhalte sich in dem Konflikt um den Park wie eine "übliche Mafia-Bande aus dem Immobilienbereich", erläuterte der Direktor des "Instituts zu Globalisierung und sozialen Bewegungen". Zu Beginn der Woche, so behauptete es der Politologe, hätten die Firmen, die den Bau finanzieren wollen, Schläger gegen die Protestierenden eingesetzt.

Bei dem Bau der neuen Kirche gehe es "nicht um Gott, sondern um Immobilien und Geld". Die Kirche brauche "große Bauprojekte, in denen viel Geld eingesetzt wird". Während in Jekaterinburg mit viel Geld eine neue große Kirche gebaut werden soll, würden "in ganz Russland alte russisch-orthodoxe Kirchen" und andere historisch wertvolle Architektur "zerfallen", so Kagarlitsky weiter und bezeichnete den Protest in Jekaterinburg als

Aufstand gegen Geiz, Dummheit, Frechheit und Aggressivität der herrschenden Kreise. 

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