Warmer Herbst bedroht Weizenernte in Russland
Von Olga Samofalowa
Nach Berechnungen des russischen Instituts für landwirtschaftliche Marktkonjunktur haben die russischen Landwirte auf 6,3 Millionen Hektar Winterkulturen (ohne Ölsaaten) ausgesät, was den niedrigsten Wert für diese Jahreszeit seit mehr als zehn Jahren darstellt. Die jüngste russische Ernte ist aufgrund der ungünstigen Witterung bereits um etwa zehn Prozent zurückgegangen. Die ausgetrockneten Böden in diesem Herbst gefährden die Winterweizenernte und die Ernte des nächsten Jahres.
Natalia Sgurskaja, Generaldirektorin des Landwirtschaftsunternehmens Semliza, sagt:
"Die Trockenheit kann künftige Ernten gefährden, denn die Winterkulturen brauchen Feuchtigkeit. Jeder Landwirt weiß, dass die Aussaat von Getreide im Herbst auf trockenem Boden äußerst riskant ist. Außerdem muss jetzt und im Oktober gesät werden, und der fehlende Regen im September verengt das Zeitfenster für die Aussaat, was zusätzliche Risiken für die russischen Landwirte mit sich bringt."
Alexander Timofejew, Dozent am Lehrstuhl für Informatik der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität, erklärt:
"Wenn der Boden wie versteinert ist, gibt es mehr Minuspunkte als Pluspunkte. Seit Juli hat es zu wenig Niederschlag gegeben. Selbst jetzt, im September, beträgt die Niederschlagsmenge nur 20 Prozent der üblichen Menge."
Alexander Potawin, Analyst der Investmentgesellschaft Finam, merkt an:
"Böden, die nicht die notwendige Feuchtigkeit aufweisen, lassen die Samen nicht keimen. Getreide, das 20 bis 30 Tage in trockenem Boden unter den Bedingungen täglicher Schwankungen von Temperatur, Luft- und Bodenfeuchtigkeit liegt, wird durch Krankheiten und Schädlinge geschädigt und verliert an Lebensfähigkeit und Keimenergie."
Und der Wirtschaftsinformatiker Timofejew fügt hinzu:
"Übermäßige Trockenheit kann nicht nur die Qualität der Bodenvorbereitung für die Überwinterung und die Aussaat von Winterkulturen beeinträchtigen. Ohne die erforderliche Niederschlagsmenge wird auch die Frühjahrsaussaat problematisch sein. Bei der Aussaat muss eine gewisse Wassermenge in der obersten Bodenschicht vorhanden sein. Wenn das Frühjahr trocken ist, wird es zu Ernteausfällen kommen."
Die Aussaat bei Trockenheit berge ein hohes Risiko für den Verlust künftiger Ernten. Die Landwirte müssten daher entweder die Aussaattermine für die Winterkulturen, die den größten Teil der jährlichen Ernte ausmachen, hinausschieben oder weniger aussäen, in der Hoffnung, sie im nächsten Jahr durch Frühjahrssaaten wieder aufzufüllen, sagt der Finam-Analyst Potawin. Neben Weizen könnten auch andere Kulturen wie Raps von der Trockenheit betroffen sein, führt er weiter aus.
Die Landwirte hätten jedoch noch Zeit, daher warteten sie laut Experten die Verbesserung der Wetterbedingungen ab, um die verpassten Aussaatmöglichkeiten nachholen zu können. Das russische Landwirtschaftsministerium geht davon aus, dass trotz des niedrigen Feuchtigkeitsgehalts im Boden die Gesamtfläche für die Aussaat von Winterkulturen etwa 20 Millionen Hektar betragen wird, was den Zahlen des letzten Jahres entspricht.
In diesem Jahr hat Russland alle Wetterbedingungen zu spüren bekommen, die es nur geben konnte. Der Frühling war für die Landwirte ebenfalls unangenehm, was sich auf die aktuelle Ernte auswirkt. "Die Verringerung der aktuellen Getreideernte aufgrund der Trockenheit ist eine Folge der Frühjahrstrockenheit und nicht der derzeitigen abnormalen Temperaturen", sagt Denis Ternowski, ein führender Wissenschaftler des Zentrums für Agrar- und Ernährungspolitik am Institut für angewandte Wirtschaftsforschung der russischen Präsidentenakademie.
Das Analysezentrum SovEcon weist auf einen Rückgang der Weizenproduktion im europäischen Teil Russlands hin, der auf die Trockenheit in der Zentralregion und die extreme Hitze in der Wolgaregion zurückzuführen sei. Die Prognosen für diese Regionen wurden um 0,4 Millionen Tonnen auf 16,9 Millionen Tonnen beziehungsweise um 0,8 Millionen Tonnen auf 17 Millionen Tonnen gesenkt, so SovEcon. Die Erntekampagne im asiatischen Teil des Landes ist demgegenüber in die Höhe geschossen, was den Ausfall in der Zentralregion und der Wolgaregion teilweise ausgleicht. So stieg die Schätzung der Ernte in Sibirien auf einen Rekordwert von 11,3 Millionen Tonnen (ein Plus von 1,3 Millionen Tonnen gegenüber der vorherigen Prognose). Im Ural wird mit einer Weizenernte von 4,3 Millionen Tonnen gerechnet, das sind 200.000 Tonnen mehr als laut der vorherigen Schätzung. Infolgedessen hat SovEcon seine Prognose für die diesjährige Weizenernte um 400.000 Tonnen auf 82,9 Millionen Tonnen angehoben.
"Das warme Wetter begünstigt die Erschließung von immer mehr nördlichen Gebieten Russlands, auch wenn dort die Qualität des Bodens schlechter ist, denn es handelt sich ja nicht um Schwarzerde. Aber die Erschließung von Land in Sibirien und im Ural wird die Verluste ein wenig ausgleichen. Die extreme Hitze hat den Süden des Landes in Mitleidenschaft gezogen, aber in der Wolgaregion und insbesondere in Tschuwaschien sind die Erträge gestiegen", berichtet Alexander Timofejew.
Nach Angaben des russischen Landwirtschaftsministeriums wurde bis zum 11. September auf 33 Millionen Hektar, das sind etwa 70 Prozent der Fläche, Getreide gedroschen. Mehr als 97 Millionen Tonnen Getreide wurden geerntet, davon 72 Millionen Tonnen Weizen. Bis zum 18. September wurde auf 75 Prozent der Fläche Getreide geerntet, und die Bruttoernte von Getreide und Hülsenfrüchten belief sich auf 102 Millionen Tonnen – das sind fast acht Millionen Tonnen weniger als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2023. Die Behörde ändert ihre Prognose jedoch nicht und rechnet weiterhin mit einer Gesamternte von 132 Millionen Tonnen. Das ist weniger als der Rekordwert des letzten Jahres: 2023 erntete Russland 144,9 Millionen Tonnen Getreide. Denis Ternowski sagt:
"In den letzten Jahren gab es Rekordernten, und das bedeutet, dass wir in dieser Saison eine Ernte haben werden, die dem langjährigen Durchschnitt entspricht. Die Erträge sind im Vergleich zu früheren Saisons aufgrund der klimatischen Bedingungen und wirtschaftlicher Faktoren rückläufig. Die Weizenpreise, insbesondere auf dem Weltmarkt, begannen im Sommer 2022 zu sinken, was sich auch auf den russischen Markt ausgewirkt hat. Außerdem steigen die Kosten für Maschinen und Arbeitskräfte, was die Produktionskosten in die Höhe treibt. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Erzeuger ihre Anbauflächen umverteilen und Kulturen mit höherer Profitabilität, wie Ölsaaten und Hülsenfrüchte, bevorzugen müssen."
Ihm zufolge konnte das hohe Exportvolumen in den letzten beiden Jahren aufgrund von Rekordgetreideernten aufrechterhalten werden, in dieser Saison sei jedoch aufgrund der rückläufigen Getreideernte mit einem Rückgang des Exportvolumens zu rechnen. Dennoch werde Russland der Hauptlieferant von Weizen auf dem Weltmarkt bleiben.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 19. September 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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