Wird eine neue ukrainische Gegenoffensive vorbereitet? Das sind die Anzeichen
Von Jewgeni Krutikow
In letzter Zeit kündigte der Führer des Kiewer Regimes, Wladimir Selenskij, regelmäßig Pläne für eine neue Offensive gegen die Positionen der russischen Streitkräfte an. Auch in der ukrainischen Presse tauchen regelmäßig Leaks über die Vorbereitung einer weiteren Gegenoffensive auf. Sollte man solche Berichte ernst nehmen? Wie könnte eine Offensive der ukrainischen Streitkräfte aussehen? Und wie würde Russland darauf reagieren?
Die Gefahr einer neuen ukrainischen Offensive sollte ernst genommen werden. Hierfür gibt es zumindest einige Anhaltspunkte.
Erstens gibt es in Kiew ein politisches Interesse an einer neuen Offensivoperation im Sommer. Angesichts der Frontkrise der ukrainischen Streitkräfte wäre sogar ein lokaler Erfolg vonnöten.
Im Laufe des Jahres 2024 ist es der Ukraine nicht gelungen, die Front zu stabilisieren, sie verliert Territorium und erleidet schwere Verluste. Die russischen Streitkräfte sind beständig in der Offensive. Im letzten Monat wurde eine neue Richtung (Dserschinsk – New York) eingeschlagen, und der Kampf um Tschassow Jar trat in eine Entscheidungsphase ein. Auch in anderen Gebieten der ukrainischen Verteidigung sind Durchbrüche der russischen Truppen nicht auszuschließen. Insbesondere besteht für die ukrainischen Streitkräfte weiterhin die Gefahr, dass die russische Offensive in eine weitere Richtung geht – nach Sumy.
All dies stellt für Kiew eine schwierige Situation dar. Vor allem, weil es seine Befähigung gegenüber seinen westlichen "Auftraggebern" unter Beweis stellen muss. Daraus ergibt sich die akute politische Notwendigkeit für Kiew, eine neue Gegenoffensive zu starten.
Zweitens lehnte es die Führung der ukrainischen Streitkräfte trotz des drohenden Verteidigungszusammenbruchs bisher kategorisch ab, Reservekräfte in den Kampf zu schicken. Kürzlich erklärte Selenskij, dass 14 Brigaden der ukrainischen Streitkräfte wegen des Ausbleibens rechtzeitiger westlicher Waffenlieferungen nicht ausreichend ausgerüstet seien. Das bedeutet aber auch, dass diese Brigaden in Wirklichkeit die strategische Reserve der ukrainischen Streitkräfte sind. Es handelt sich dabei um Brigaden mit drei Bataillonen, was bedeutet, dass die Gesamtzahl dieser Reserve 15.000 bis 16.000 Mann erreichen kann.
Sobald sie diese Brigaden entsprechend ausgerüstet haben, werden die ukrainischen Streitkräfte sicherlich versuchen, sie für eine neue Offensive zu verwenden.
Theoretisch sollten alle 14 Brigaden an einem geografisch und verkehrstechnisch günstigen Ort versammelt werden, um eine Angriffsfaust zu organisieren. Darüber hinaus sollten dort die Luftverteidigung und ein Vorteil in der radioelektronischen Kriegsführung gewährleistet sein.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Taktikänderung der Artillerie und der westlichen Langstreckensysteme gegen die Luftabwehrstellungen der russischen Streitkräfte in Richtung Sloboschansk (Region Charkow). Dieses Gebiet scheint die am ehesten denkbare Richtung für eine neue ukrainische Gegenoffensive zu sein. Neben den Angriffen auf die russische Luftabwehr häufen sich in dieser Richtung auch die feindlichen Drohnenangriffe auf die Militärdepots der russischen Streitkräfte und die Stromversorgungssysteme in den Regionen Belgorod, Kursk und Woronesch. Es ist möglich, dass der Gegner das gesamte System der rückwärtigen Energieversorgung und der Militärdepots sondiert.
Seit einigen Monaten kommen frische Reserven der ukrainischen Streitkräfte in Richtung Sloboschansk an. Dazu gehören auch strategische Reservebrigaden.
Die Führung der ukrainischen Streitkräfte verhält sich jedoch widersprüchlich. Ein Teil dieser Reserve wird sofort in die Schlacht geworfen. In Woltschansk ist dies freilich umständlich, da der Fluss Woltschja überquert werden muss. Aber in der Nähe von Lipzy versuchen die ukrainischen Streitkräfte bereits, lokale Gegenangriffe auf das Dorf Glubokoje zu organisieren, wobei sie ihren zahlenmäßigen Vorteil nutzen.
Eine weitere mögliche Richtung für einen neuen Angriff der ukrainischen Streitkräfte wäre die Region Saporoschje. Die Ziele sind dieselben, die die Ukraine im letzten Jahr zu erreichen versuchte – ein Durchbruch zum Asowschen Meer mit Abschneiden der Landkommunikation zwischen Russland und der Krim.
Es scheint seltsam, dass die ukrainischen Streitkräfte noch einmal auf die gleiche Schiene setzen. Dies gilt umso mehr, als die russischen Streitkräfte in den letzten sechs Monaten die Kontrolle über alle während der letzten ukrainischen Gegenoffensive vorübergehend verlorenen Positionen in diesem Gebiet wiedererlangt haben.
Darüber hinaus wurde das russische Einflussgebiet nördlich von Staromajorskoje und Rabotino im Vergleich zu 2022 sogar noch erweitert. Auf dem Wremewski-Vorsprung wird derzeit um das Zentrum von Uroschainoje gekämpft, was eine Bedrohung für das gegnerische Verteidigungssystem bis nach Orechowo und Guljaipole darstellt. Doch das Ziel, die russische Kommunikationsverbindung abzuschneiden und das Asowsche Meer zu erreichen, ist für die Ukraine so verlockend, dass in diesem Fall nichts ausgeschlossen werden kann.
Eine weitere voraussichtliche Richtung der ukrainischen Gegenoffensive könnte Kupjansk-Swatowsk sein. Im Jahr 2023 führten die ukrainischen Streitkräfte auch bereits Offensivoperationen in Richtung Krasny Liman und Kupjansk durch. Derzeit finden in diesem Gebiet erbitterte Kämpfe statt, bei denen die russischen Truppen die Oberhand haben. Dabei befreien die russischen Streitkräfte regelmäßig neue Siedlungen. Darüber hinaus ist in einigen Gebieten mit einem lokalen Durchbruch der ukrainischen Verteidigung zu rechnen, was bisher durch das Gelände behindert wurde: durch Höhenunterschiede, die Lage der Siedlungen hauptsächlich in den Niederungen und eine Vielzahl großer Schluchten.
Allerdings gibt es nur in Richtung Kupjansk-Swatowsk lokale Offensivaktivitäten der ukrainischen Streitkräfte. So führen die ukrainischen Streitkräfte regelmäßig Angriffe im Serebrjanskoje-Forstgebiet durch. Allerdings können Sewerodonezk oder Lissitschansk kaum Ziel einer Gegenoffensive in diesem Gebiet sein – selbst 14 Drei-Bataillons-Brigaden würden den ukrainischen Streitkräften dafür nicht ausreichen. Vielmehr handelt es sich um einen Versuch, einen propagandistischen und ideologischen Erfolg zu erzielen, um die Stimmung der ukrainischen Streitkräfte zu verbessern. So konnte beispielsweise die Bewegung in Belogorowka, das von Süden her direkt an das Waldgebiet angrenzt, bereits als Erfolg der Gegenoffensive verbucht werden.
Es sollte auf ein wichtiges Detail hingewiesen werden: Die ukrainischen Streitkräfte bereiten neue Versuche einer Gegenoffensive in einem völlig anderen militärisch-technischen Umfeld vor als im vergangenen Jahr.
Während sie sich früher auf westliche Panzerfahrzeuge verließen, setzen die ukrainischen Streitkräfte heute auf Langstreckenwaffen und den Aufbau eines kommandoweiten elektronischen Truppenführungssystems. Außerdem legen die ukrainischen Streitkräfte eindeutig mehr Wert auf die Luftstreitkräfte (in Erwartung von F-16-Lieferungen) und auf Angriffe auf rückwärtige Gebiete Russlands.
Die geplante neue Gegenoffensive mag wie ein weiteres politisiertes Abenteuer des Kiewer Regimes erscheinen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die ukrainischen Streitkräfte intensiv nach neuen militärtechnischen und administrativen Lösungskonzepten zur Veränderung der Kampfsituation suchen und diese auch finden.
Die russischen Geheimdienste befassen sich derzeit intensiv damit, sowohl die Bewegungen der ukrainischen Truppen aufzudecken als auch die vom Westen an die Ukraine gelieferten Langstreckenschlagsysteme ins Visier zu nehmen. Ein Beweis dafür sind mehrere erfolgreiche russische Angriffe auf rückwärtige ukrainische Militäreinrichtungen. Die Verhinderung jeglicher ukrainischer Offensivversuche ist zweifellos eine der wichtigsten Aufgaben der russischen Streitkräfte in der laufenden Kampagne.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. Juli 2024 zuerst auf der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
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