Kurzarbeit: Sozialhilfe für Konzerne dank Corona-Epidemie
von Susan Bonath
Gesundheitsbehörden in Deutschland melden immer mehr Corona-Fälle. Viele haben Angst vor Ansteckung und davor, im teil-privatisierten und auf Effizienz getrimmten Gesundheitssystem, das schon vor Corona an der Belastungsgrenze stand, nicht gut aufgehoben zu sein. Die Wirtschaftsverbände fürchten etwas anderes: Wenn Betriebe schließen müssen, droht Profit-Verlust. Jetzt haben die Politiker der Bundesregierung deren oft wiederholte Forderungen nach mehr Rundum-Vorsorge erhört. Betroffene Firmen sollen höhere Zuschüsse im Falle Kurzarbeit erhalten.
Rundum-Sorglos-Paket für die Industrie
So beschloss der Koalitionsausschuss am Sonntagabend, einen vorliegenden Entwurf für das "Arbeit von morgen-Gesetz", um Sonderhilfen für Firmen im Falle einer befristeten Schließung wegen Corona-Fällen zu erweitern. "Angesichts der wirtschaftlichen Folgen von COVID2019 werden im Interesse der Beschäftigten und der Unternehmen am Mittwoch im Bundeskabinett alle erweiterten Instrumente für Kurzarbeit ermöglicht", schrieb Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nach der Sitzung dazu auf Twitter.
Dem 14-seitigen Beschluss zufolge soll der Staat den Konzernen sämtliche Sozialbeiträge für die Beschäftigten bei ausgefallenen Arbeitsstunden erstatten. Bisher mussten die Unternehmer diese selbst weitertragen. Die Bundesregierung kündigte zudem sogenannte Liquiditätshilfen für "besonders betroffene Unternehmen" an. Das heißt, der Staat zahlt an die Firmen Geld aus dem Steuertopf, um drohende Pleiten abzuwenden. Ferner will die Regierung mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft sowie den Gewerkschaften sprechen.
Am Mittwoch will das Bundeskabinett eine Verordnungsermächtigung auf den Weg bringen, berichteten am Montag mehrere Medien unter Berufung auf Sitzungsteilnehmer, die nicht genannt werden wollten. Das Gesetz solle noch in diesem Frühjahr den Bundestag und den Bundesrat passieren und in Kraft treten.
Für die Beschäftigten selbst ändert sich nichts. Im Fall von Kurzarbeit zahlt ihnen die Arbeitsagentur auf Antrag satte 60 Prozent des pauschalierten Nettolohns. Wenn Kinder im Haushalt leben, gibt es sogar 67 Prozent. Sondervergütungen für Überstunden, Schicht- oder Nachtarbeit und ähnliche Zulagen fließen selbstredend nicht in die Bemessungsgrundlage ein.
Wirtschaft ruft seit Monaten nach höheren Subventionen
Zuvor hatte die Konzernlobby lauthals nach großzügigen Staatshilfen wegen der Corona-Epidemie gerufen. Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, klagte vergangene Woche in Berlin, die konkreten Folgen von Corona seien zwar noch unklar, dass aber die Metall- und Elektrobranche besonders stark betroffen sein werde, "ist für mich absehbar".
Die Lieferketten und der Absatz gerieten ins Stocken, Vorprodukte könnten knapp werden. Auch dies könne Betriebe dazu zwingen, zeitweise zu schließen, mahnte Zander. Seine Forderungen, dass der Staat vom ersten Tag an die Sozialabgaben für Kurzarbeiter übernehmen soll, was sogar die Krisenregelung in den Jahren 2008 und 2009 übertreffen würde, haben die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD nun also eilfertig erfüllt.
Allerdings riefen Unternehmerverbände nicht erst seit Corona nach mehr Finanzspritzen vom Staat für Unternehmen, die Beschäftigte aus wirtschaftlichen Gründen auf Kurzarbeit setzen. Vor dem Ausbruch der Epidemie begründeten sie das allerdings mit erforderlichem "Strukturwandel" oder Sicherung der "Wettbewerbsfähigkeit".
"In den letzten Monaten des Jahres 2019 zählte man schon wieder 90.000 Kurzarbeiter, so viele wie zuletzt 2013", sagte Hilmar Schneider, Chef des privaten Unternehmerlobby-Verbandes "Institut zur Zukunft der Arbeit" (IZA), vergangene Woche gegenüber der Springer-Zeitung Die Welt. Der Anstieg, so Schneider, liege vor allem an den zunehmenden Absatzschwierigkeiten der Automobilindustrie.
Krise der Kapitalverwertung verschärft sich
Was die Unternehmerlobby nicht sagt: Die Absatzkrise in den rohstoffreichen Branchen ist seit vielen Jahren absehbar. Denn sie hat systemische Ursachen. Einerseits sorgt der technologische Fortschritt für immer schnellere Massenproduktion mit immer weniger Beschäftigten. Andererseits ist aber die Arbeitskraft die einzige Quelle, aus der neuer Profit abgeschöpft werden kann. Nur die menschliche Arbeitskraft kann mehr Werte produzieren, als sie selbst Wert ist – letzteres findet seinen Ausdruck im gezahltem Lohn. Maschinen und Computer verbilligen hingegen die Produktion von Waren wie auch deren Erlöse auf dem Markt. Die Folge: Die Unternehmen müssen ihre Produktivität ständig erhöhen und wachsen. Das stößt wiederum an ökologische Grenzen und sorgt zugleich für eine wachsende Armut der (ehemals oder noch) Beschäftigten.
Das Problem ist dem Staat zwar durchaus bekannt. Die Staatsführung bekämpft es jedoch mit jenen systemischen Mitteln, die nicht nur die Ursache des Problems sind, sondern selbiges noch weiter verschärfen. So droht dem Staat einerseits durch die fallenden Profite ein Verlust an Einnahmen. Andererseits muss er mit höheren Sozialausgaben aufgrund wachsender Armut rechnen.
Der Staat versucht seit Jahren dagegenzuhalten: Mit sozialen Kürzungsprogrammen, einem Abbau von Arbeitsrechten und mehr Subventionen an Konzerne. Die Kaufkraft schrumpft jedoch weiter und mit ihr der Absatz, die Überproduktion lässt die Müllhalden wachsen, die Staatseinnahmen drohen weiter zurückzugehen. Die Krise der Kapitalverwertung verschärft sich. Da nützt es nur begrenzt etwas, wenn als Reaktion die Europäische und andere Zentralbanken die Leitzinsen senken, um billiges Geld auf den Markt zu spülen und die Unternehmen zum Investieren zu animieren. Weite Teile der Wirtschaft setzen längst vermehrt auf Spekulationsgeschäfte.
DGB bleibt auf Kuschelkurs mit der Industrie
Doch auch der SPD-dominierte Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält an seiner Strategie der "Sozialpartnerschaft" zwischen Staat, Kapitalverbänden und Arbeiterorganisationen fest. So forderte selbst der DGB in den letzten Monaten ähnliche "Sozialhilfe-Maßnahmen" für wankende Konzerne, um Arbeitsplätze zu erhalten, darunter auch einen "Ausbau des Kurzarbeitergeldes".
"Wir befinden uns in einem weitreichenden Strukturwandel, getrieben durch die Digitalisierung oder auch Globalisierung, so dass wir die Unternehmen und vor allen Dingen die Beschäftigte schützen müssen", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann am Wochenende in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Das Coronavirus gefährde die Weltwirtschaft aktuell insbesondere, so Hoffmann. Damit diese sich nicht eintrübe, erklärte er, müsse die Bundesregierung eine "ambitionierte Investitionsoffensive" starten. Diese sei, so der Gewerkschaftschef, "ideologiefrei" anzugehen und zu finanzieren.
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