Die Fehlgriffe der Macht um Acht – Großer Bahnhof für einen Grünschnabel
von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
Grundmuster der US-amerikanischen Chinapolitik: Soziale Sabotage. Politische, organisatorische und finanzielle Unterstützung von Versuchen, zu destabilisieren und einen "Regime Change" herbeizuführen, notfalls gewaltsam. Ob in Tibet, in Xingjiang oder in Hongkong: Immer und überall finden die USA Leute, die sich infolge Beschränktheit oder gegen Geld als Maulhelden und "Unterstützer der Demokratie" einsetzen lassen. In Hongkong heißt ihr "Menschenrechtsaktivist" Joshua Wong und ist ein 22-jähriger Student. In Berlin ist es Heiko Maas, der größte Außenminister aller Zeiten. Beide voll dabei, eine "Regenschirm-Revolution" gegen die Zugehörigkeit Hongkongs zur Volksrepublik China zu inszenieren. So abenteuerlich dieser Versuch, so hirnrissig seine Betitelung im medialen Echo. Die Tagesschau bewährt sich ganz vorne im Verzicht auf eine kritische und saubere Berichterstattung.
Der Minister entblödete sich nicht, für ein Foto mit dem Aufwiegler Wong zu posieren und ihm seine Unterstützung zu versichern, nachdem schon die BILD für Wong den Roten Teppich ausgerollt hatte. Da musste die Tagesschau natürlich mithalten. Über globale Konflikte, so kennen wir sie, berichtet die Redaktion ARD-aktuell eben entweder gar nicht oder gröblich verkürzt und oberflächlich, somit meistens irreführend.
Über Ursachen und Nutznießer der Konflikte erfährt man meist so gut wie nichts. Die Redaktion macht zwar für sich geltend, täglich einen Überblick über die weltweit wichtigsten Ereignisse des Tages zu geben, kann dem aber schon aus Platzgründen nicht gerecht werden. Sie muss eine Auswahl treffen und sollte das "nach journalistischen Grundsätzen" ja getrost auch tun. Was dabei herauskommt, erweist sich jedoch nur zu oft als zwanghaftes Konformgehen mit der Bundesregierung und als Preisgabe eigenständigen Denkens. Der unaufrichtige Umgang mit Nachrichten aus den Kriegs- und Konfliktregionen unserer Welt sowie mit der darauf bezogenen deutschen Außenpolitik ist eine einzige große journalistische Pleite.
Seit Wochen wird das deutsche Publikum mit tendenziösen Berichten über die Umtriebe in Hongkong malträtiert. Der Informationskern dieser Nachrichten ist immer gleich und substantiell bescheiden. Die "Botschaft" fürs vermeintlich unkritische Publikum:
Die Kommunisten in Beijing lassen in der Sonderzone Hongkong die für Freiheit und Demokratie kämpfende Bevölkerung mit massiver Polizeigewalt unterdrücken. Hilfe tut not.
Diese Agitation – vulgo: "Narrativ" – wird in Variationen ständig wiederholt. Beim Zuschauer setzt sich die Überzeugung fest, dass es in Hongkong tatsächlich um bürgerliche Freiheit gehe und dass die kommunistische Regierung in Beijing ihre Rolle als Hassobjekt der "internationalen Gemeinschaft" selbst verschulde und verdiene.
Die Wirksamkeit dieser Propaganda ist nicht nur an sich methodisch erprobt, sondern auch deshalb garantiert, weil der Boden fruchtbar ist, auf den sie fällt: Haben wir nicht in jahrzehntelang eingeübter – eingetrichterter – Selbstgerechtigkeit die Gewissheit erworben, dass unser Land eine Musterdemokratie ist, und wir am besten beurteilen können, wie es sich mit den Freiheitsrechten in anderen Ländern verhält? Den Anspruch darauf haben wir Deutsche mittlerweile doch im Urin bzw. in der DNA, nicht wahr?
Trotz massiver Gewaltexzesse, plündernder und Brandsätze werfender "Demonstranten", trotz der zeitweisen Besetzung des Internationalen Flughafens und zentraler Verkehrswege, trotz ungezählter Verletzter und millionenschwerer Sachschäden auf der Insel meldet die Tagesschau beschönigend und verharmlosend:
Zehntausende Menschen in Hongkong haben sich nicht davon abhalten lassen... gegen die Regierung auf die Straße zu gehen ... Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein, einige Demonstranten warfen Molotowcocktails und Steine auf Polizisten. ... Einige Demonstranten nutzten Kegel, Metallabsperrungen und Mülleimer, um Straßenbarrieren zu errichten ... Demokratie-Aktivisten festgenommen ...
Man vergleiche diese ekelhafte Suada mit dem Umgang, den die Tagesschau bezüglich der Demonstrationen in Deutschland pflegt: Nachrichten über Friedensdemonstrationen werden meistens komplett unterlassen / unterschlagen, und wenn Demonstranten Randale machen (am 1. Mai im Hamburger Schanzenviertel oder in Berlin), dann werden Polizeieinsätze gegen sie als Selbstverständlichkeit ausgegeben, selbst wenn die ebenfalls in Gewalt ausarten.
Schon rein sprachlich-formal besteht keine Verwechslungsgefahr: Bei den Protestaktionen gegen das G20-Gipfeltreffen in Hamburg war regelmäßig von "Krawallen" und nicht mehr bloß von "Demonstrationen" die Rede. Gewaltszenen wurden als "bürgerkriegsähnliche Zustände", beschrieben, die Täter als "Kriminelle" bezeichnet, "marodierende und randalierende Gruppen” als solche benannt – und nicht etwa als "Demokratie-Aktivisten" beweihräuchert.
Noch ein wesentlicher Unterschied: Im Vordergrund der Berichterstattung über die Hamburger Szene stand die hingebungsvolle Beschreibung der Gewalttätigkeiten. Über die gesellschaftlichen Ursachen des Gewaltausbruchs sowie die Motive der Randalierer erfuhr man selbstverständlich nichts. Im Gegensatz zu Hongkong gab es weder Interviews mit ihren vermeintlichen Anführern noch Sonderberichte über "G20-Demokratie-Aktivisten". Über die Ramstein-Demonstrationen beispielsweise verbreitete ARD-aktuell sowieso dröhnendes Schweigen. Das fällt auf.
Erstaunlich: Zwischen dem 1. und dem 15. September 2019 hat die Redaktion 101 Beiträge in Wort und Filme über die Unruhen in Hongkong gesendet. Zum Vergleich: Über die Ukraine wurde im gleichen Zeitraum nicht mal ein Viertel dieser Menge angeboten, obwohl das Land nur zwei Flugstunden von Berlin entfernt liegt und ständig für Instabilität und Aggressionen in Osteuropa sorgt.
Zwischenruf: Ukraine? Wenn überhaupt Infos von dort, dann aber volle Kanne vom Gleichen. Konfektionsware wie im Sommerschlussverkauf: Sage und schreibe 14-mal gab es Anfang September die Einzelnachricht aus dieser Kriegszone über den Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine. Sonst nichts.
Auch nichts über den schweren Rückschlag für das Minsker Abkommen, obwohl das unter Bundeskanzlerin Merkels Beteiligung ausgehandelt worden war, Grundlage multinationaler Friedensbemühungen ist und deutsche Interessen unmittelbar berührt. ARD-aktuell berichtete kein Wort darüber, dass der neue ukrainische Außenminister Pristeiko bei einer Konferenz in Kiew es ausdrücklich abgelehnt hat, die in Minsk vereinbarte Verfassungsänderung zugunsten der Autonomisten im Osten der Ukraine zu realisieren. Das Fundament des gesamten Abkommens ist entfallen, ohne dass die Tagesschau es schnallt und vermittelt.
Angesichts solch grotesker journalistischer Fehlleistung wirkt die Selbstdarstellung der ARD wie ein dreister Versuch, ihr Publikum vollends für blöde zu verkaufen:
Jeden Tag wird bei ARD-aktuell aufs Neue darüber diskutiert und gerungen, über welche Ereignisse in welchem Umfang berichtet wird. Nachrichten zu machen, bedeutet stets, Nachrichten zu gewichten und eine Auswahl zu treffen, denn aus Tausenden von Meldungen muss zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden. ARD-aktuell ist sich dieser Tatsache bewusst, und wir gehen so verantwortungsvoll wie wir können damit um.
Der Verfasser dieser Realsatire hat sich nicht im härenen Gewand in eine Wüste zurückgezogen, um fortan keinem Menschen mehr ins Antlitz schauen zu müssen. Nein, er hat, wie das Peterprinzip vorgibt, es zum Intendanten eines ARD-Senders gebracht.
Zurück zur ARD-aktuell über Hongkong. Der plakative "Ruf nach Demokratie und freien Wahlen" ist freilich besser für "Journalismus-Ersatz" geeignet als eine gründliche und analytisch akkurate Darstellung der objektiven Ursachen des Protestes. Zudem verlangt die Selbstbeschränkung der Tagesschau aufs Oberflächliche und Formale weniger Rückgrat und Konfliktfähigkeit als die objektive Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen in Hongkong.
Welcher Tagesschau-Redakteur ließe sich schon gern nachsagen, er habe das Fernsehvolk animiert, strukturell ähnliche Problemlagen in Deutschland zu erkennen und wie in Hongkong darauf zu reagieren? Molotowcocktails als Antwort auf massive Mieterhöhungen und Armutsrenten, Flughafenbesetzungen als Protest gegen Niedriglöhne und Kinderarmut? Aber klar, "das geht gar nicht", wie Kanzlerin Merkel zu sagen und wie deshalb die Tagesschau-Redaktion zu schweigen pflegt.
Mehr zum Thema - Joshua Wong in Berlin: Deutschlands Flirt mit Radikalen
Hongkong, die Acht-Millionen-Stadt, ist ein sozialer Brennpunkt wie vergleichbare Ballungszentren im Westen auch. Nicht Armut, Korruption oder die institutionellen Defizite der Regierung Hongkongs stellen hier den Boden für die Unruhen dar, sondern extrem hohe Lebenshaltungskosten und deutlich sichtbare Klassenunterschiede. Der krasse Gegensatz von Arm und Reich ist das Problem, nicht der Mangel an individueller Freiheit.
Der Gegensatz konkret: Privater Wohnraum ist, wie in allen Ballungszentren weltweit, in Hongkong heiß begehrt. Bevölkerungswachstum und Zuzug vom chinesischen Festland verschärften über die Jahre die Wohnungsnot. Sie erscheint mittlerweile nicht mehr als lösbar – wenn lediglich die Mittel des sogenannten "freien Marktes" zur Verfügung stehen. Auch der Boom bei sogenannten Mikro-Apartments – eine Art Wohnklo mit Kochnische – entlastet nicht mehr. Inzwischen sind schon Schlafmaschinen im Angebot, in Waben angeordnete Röhren, in die gerade mal eine schmale Matratze passt; pro Wabe stehen oft nur eine einzige Waschstelle und Toilette zur Verfügung.
Wer lebt freiwillig in so drangvoller Enge? Aber für ein Ministudio von 15 Quadratmetern zahlt man umgerechnet mindestens 1.000 Euro Miete. Das ist fast die Hälfte eines durchschnittlichen Brutto-Monatseinkommens von 2.150 Euro. In dieser angespannten Lage wird jeder Zuzug vom chinesischen Festland nach Hongkong als Bedrohung empfunden. Die seit 1997 zugewanderten Festlandchinesen, nun ausgebeutete "Arbeitstiere", gelten vielen Hongkongern als "Heuschrecken”. Vor diesem Hintergrund erklären sich separatistische Bestrebungen, die den Protesten seit Wochen ihren gefährlichen Drall verleihen. Mit demokratischen Defiziten haben sie wenig zu tun, aber viel mit kapitalistischer Profitsucht:
... der immer wieder ins Spiel gebrachte Freiheitsdrang und Ruf nach Demokratie entspringen sicherlich zu einem ganz gehörigen Maße westlichem Wunschdenken. Denn Demokratie alleine macht nicht satt und durch freie Wahlen hat bisher noch niemand ein Dach über dem Kopf bekommen.
Hongkong fällt ohnehin in der Konkurrenz zu anderen Sonderwirtschaftszonen der Volksrepublik zurück, wie sich im unmittelbaren Vergleich zu dem nur wenige Kilometer entfernten Shenzhen auf dem Festland zeigt. Das Durchschnittseinkommen dort liegt bereits bei umgerechnet 2.930 US-Dollar, das heißt: 780 US-Dollar über dem in Hongkong. In Shenzhen betrug der Einkommenszuwachs allein von Januar bis September dieses Jahres +9,1 Prozent.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Metropolen wie Singapur und Hongkong wirkt im Vergleich mit Shenzhen weniger beeindruckend. In Hongkong stagniert das Einkommen nahezu, während die Preise und Mieten steigen. In der drangvollen Enge auf der Insel sind arbeitsintensive Industrieansiedlungen nicht mehr möglich, in Shenzhen auf dem Festland hingegen ist jede Menge Platz dafür. Das heißt: Hongkong kann mit dem Festland wirtschaftlich nicht mehr mithalten, es ist ein Auslaufmodell.
Die Problemlösung drängt sich auf: Kooperation und schließlich die naheliegende Integration der so unmittelbar benachbarten Wirtschafts- und Finanzzentren Shenzhen, Hongkong und Macau. Entsprechende Anstöße aus Beijing gibt es. Würden sie befolgt, dann würde das die geopolitische Position der Volksrepublik China beträchtlich stärken und die Überlegenheit ihres Wirtschaftsmodells unterstreichen. Erklärlich, dass die USA und deren Gefolgschaft – gelle, Heiko? – eine solche Entwicklung zu hintertreiben versuchen. Wo dafür die Vertragsbedingungen mit Großbritannien über die Rückgabe Hongkongs an China nichts hergeben, muss man eben die Regenschirme rausholen lassen.
Das ist nicht sonderlich schwierig. Auch als Banken-, Börsen- und Dienstleistungszentrum kann Hongkong nicht unbegrenzt Arbeitsplätze und Karrieren anbieten. Die ersten, die für sich das heraufziehende Ende der interessanten Perspektive erkennen, sind Studenten und junge Akademiker. Entsprechend bilden sie auch den Stamm der Protestbewegung.
Die sozial schwierige Lage, in die sich Hongkong trotz milliardenschwerer Investitionshilfen Beijings selbst hineingewirtschaftet hat – die 55 Kilometer lange Seebrücke zum Festland ist nur ein Beispiel für die umfangreiche Unterstützung von dort – , unterscheidet sich nicht prinzipiell, sondern nur in ihrer Schärfe und ihrem Gewaltpotential von den Gegebenheiten beispielsweise in New York – oder in München.
Gibt es einen nachvollziehbaren journalistischen Grund, diese unbezweifelbaren Tatsachen zu ignorieren, unbeirrt weiter von einer "Demokratiebewegung" in Hongkong zu schwadronieren und von letztlich verantwortlichen "Freiheitsfeinden" in Beijing, wie es die Tagesschau treibt? Derweil sie die kapitalistischen Schieflagen in Deutschland verschweigt, statt die Ähnlichkeit/Gleichheit der Problematiken hie und da zu benennen?
Mit dem Finger auf andere zeigen lenkt von eigenen Missständen ab. Der Westen lässt seine System-Medien wie die Tagesschau durchaus nicht aus Sorge um Rechtsgüter wie Freiheit und Demokratie über China herziehen. Vielmehr scheinen jeder Anlass und jedes Mittel recht, antichinesische Propaganda abzusondern. Es geht schließlich gegen den Systemfeind, gegen die Kommunisten; ihnen darf nicht zugutegehalten werden, dass es ihnen gelungen ist, ein Milliardenvolk vom Hunger zu befreien und ihm reale Wohlstandsperspektiven zu eröffnen, um die es nun weltweit beneidet wird.
Die Wachstumsrate des chinesischen Bruttoinlandsprodukts lag im Jahr 2017 bereits um gut zwei Drittel höher die der USA. Der Gini-Koeffizient für China, der die Verteilung der Einkommen beschreibt, zeugt von erfolgreichen Schritten hin zu gerechteren Verhältnissen. Die Werte in den USA und Europa dokumentieren dagegen ein wachsendes Einkommensgefälle, eine permanente Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich.
Weil wirtschaftlicher und politischer Aufstieg nicht zu trennen sind, wird die Volksrepublik China als Hauptkontrahent begriffen, der die Hegemonie der USA und des westlichen Kapitalismus bricht. Daher ist nicht verwunderlich, dass Donald Trump trotz seines rüpelhaften Stils Unterstützung bei dem Bestreben findet, den Chinesen Zugeständnisse abzupressen. "Erfolgreiche Kommunisten” sind eine Erscheinung, die nicht zum Selbstbild des Westens passen, zu seiner vermeintlich überlegenen Gesellschaftsform. Ehe er sich der Systemfrage stellt, unterstützt er lieber alle Versuche, Feindbilder zu erzeugen, Desinformation und haltlose Denunziation.
Füglich verschweigt auch die Tagesschau wesentliche Fakten bei ihren Halbnachrichten aus Hongkong. Dass gewalttätige Oppositionskräfte das Parlamentsgebäude verwüsteten und schließlich sogar lebenswichtige Teile der Stadtinfrastruktur zerstörten (u. a. das Verkehrssicherungssystem), wurde nur andeutungsweise vermittelt:
… hatten hunderte Demonstranten das Parlamentsgebäude gestürmt, um ihrem Zorn Ausdruck zu geben ...
Gewalttäter besetzten schließlich sogar den Internationalen Flughafen Hongkong. Man stelle sich Vergleichbares auf dem Frankfurter Flughafen vor; man überlege, wie Polizei und Staatsschutz darauf wohl reagieren würden und was dann in welchen Tönen in der Tagesschau und nachfolgenden ARD-Brennpunkten darüber vom Stapel gelassen würde. Doch in ihren Berichten über Hongkong stellte die ARD-aktuell das Vorgehen der Polizei in den Vordergrund:
Mit Pfefferspray gegen Barrikaden”,
hieß es da, die Gewalttäter wurden als "Protestierende” und "Aktivisten” verharmlost, die sich "Rangeleien” mit der Polizei lieferten.
Auf die zwingend gebotene Einordnung der Vorgänge verzichteten die Tagesschau-Redakteure großzügig: In Deutschland würden Vorfälle wie in Hongkong als schwerer Landfriedensbruch strafrechtlich verfolgt, Gewalttäter würden als Kriminelle behandelt und hätten mit Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren zu rechnen. Wer wie die Tagesschauer doppeltes Maß anlegt und sich dabei am offenkundig verkrüppelten Rechtsbewusstsein eines Laufburschen des US-Statthalters Grenell orientiert, – gemeint ist unser Außenminister-Darsteller Heiko – beweist berufliches Versagen.
Ob britische und US-amerikanische Geheimdienste oder aus schwarzen Kassen geschmierte Nicht-Regierungs-Organisationen, NGOs, bei den Ausschreitungen ihre Hände im Spiel hatten, untersuchte die Tagesschau natürlich auch nicht. Die bürgerliche Presse diskutierte diesen Verdacht immerhin, auch wenn sie ihn meist gleich wieder als Verschwörungstheorie abtat. Wenn auch bislang nicht beweisbar, deutet doch alles auf eine Einmischung fremder Kreise hin: Auf dem Höhepunkt der Hongkonger Ereignisse tauchten zwei wichtige Oppositionspolitiker in den USA auf, denen der ehemalige leitende Berater der Regierungen Trump und Bush, Christian Whiton, versicherte:
Diese Krise für die chinesische Regierung auszulösen ... liegt im nationalen Interesse der USA.
Nach bürgerlichem Verständnis braucht jede Revolution einen Anführer, eine Symbolfigur, die für komplexe gesellschaftliche Brüche steht und sie "fassbar" macht. Dazu wurde der 22-jährige Joshua Wong auserkoren. Dem jungen Mann dürfte es an Reife und politischer Weitsicht fehlen, als Kühlerfigur taugt er aber allemal; so avancierte er auch in der Tagesschau zum "Demokratie-Aktivisten" und "Botschafter des Hongkonger Widerstands". Ähnliche Blitzkarrieren sind uns schon vertraut: Vom Maidan in Kiew die des Box-Champions Vitali Klitschko, vom venezolanischen Caracas die des US-Hampelmanns Juan Guaidó ...
Wong war, wie gesagt, von den Machern der BILD als Stargast auf ein Sommerfest nach Berlin eingeladen worden. Da schmückte er einen Kreis illustrer Gäste: Putin-Feind Michail Chodorkowski, Ex-Minister und Fake-Dr. jur. Karl-Theodor zu Guttenberg, US-Statthalter und Scharfmacher Richard Grenell, Preisboxer Vitali Klitschko, der Kommunistenfresser und von seinen heimischen CDU-Parteifreunden abgehalfterte Elmar Brok, dessen Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, und – da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich:
Weißhelme-Chef Raed Al Saleh, erfahren in Kriegsgräuel-Propaganda und im Abgreifen staatlicher Millionengelder. Dazu passend der Bild-Slogan:
Axel Springer steht hinter allen Menschen auf der Welt, die für Freiheit kämpfen.
Wo so helles Rampenlicht strahlt und so viele Kamerateams stehen, wollte die verkörperte Pleite der deutschen Diplomatie, Heiko Maas, natürlich dabei sein und die Birne ebenfalls ins Bild schieben. Entweder bedachte er nicht, dass diese dummdreiste Wichtigmacherei in Beijing Erbitterung hervorrufen musste, oder es war ihm egal. Dass er damit zugleich auch Bundeskanzlerin Merkel desavouierte, die gerade erst in Beijing den Abschluss von elf großen Handelsverträgen befördert hatte, dürfte seinen Stellenwert allerdings weder im Kabinett noch in seiner koalitionsversessenen Partei gesteigert haben.
Was machte ARD-aktuell aus dem Eklat? Ein SWR-Journalist heizte auf tagesschau.de die Atmosphäre auch noch mit der Forderung auf, dass Maas und Merkel "den Aktivisten auch offiziell empfangen sollten.” Schön. Einem Kommentator ist (fast) alles erlaubt, seine Äußerungsfreiheit steht unter dem Schutz unserer Verfassung. Ob die Tagesschau sich solch einen agitatorischen Kommentar erlauben durfte, steht allerdings auf einem anderen Blatt: Sie ist laut Staatsvertrag nämlich der Völkerverständigung verpflichtet.
Wer ist Joshua Wong? Jens Berger beschreibt ihn auf den NachDenkSeiten als sauberes Früchtchen. Als gern gesehenen Gast bei den ultra-rechten US-Eliten, vom US-Senator Marco Rubio im Februar 2018 gar für den Friedensnobelpreis nominiert. Rechtsaußen Rubio übrigens hat sich längst einen unrühmlichen Namen wegen seiner Putschisten-Unterstützung in Venezuela gemacht, wegen seiner menschenfeindlichen, rassistischen Einwanderungspolitik und seiner reaktionären Klimapolitik. Seine absurde Nominierung Wongs fand selbstredend keinen Platz in den Angeboten der Tagesschau ...
Auch, und das ist nun eine Unterlassung von ganz anderem Kaliber, Wongs offensichtlich sehr entspanntes Verhältnis zu den Weißhelmen wurde nicht erwähnt. Obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass deren Interesse sich nach Syrien nun auch auf Hongkong richtet. Die BBC berichtete bereits 2014, dass das "Oslo Freedom Forum" etliche Hongkonger "Aktivisten" ausbilde.
Das Forum zählt zu den krassen Verleumdern der Volksrepublik China und ist bekannt dafür, dass es mit seinen hasserfüllten Äußerungen selbst Trump und Bolton rechts überholt. Thor Leonardo Halvorssen Mendoza, Vorsitzender dieser "Menschenrechts-Vereinigung", erklärte vor einigen Tagen, "Chinas Diktatur" habe eine Wirtschaftsform, die sich auf "Sklaverei und unfairen Praktiken" stütze und sich als Kapitalismus tarne. Die "größte Tyrannei" der Welt sei die der Kommunistischen Partei Chinas. Klar, dass es zwischen einem derart vernagelten Demagogen und einem äußerst anrüchigen syrischen Kriegspropagandisten Gemeinsamkeiten gibt. Halvorssen hatte schon 2017 Raed Al Saleh, den Chef der Weißhelme in Syrien, als einen der Hauptredner zu seinem Forum eingeladen.
Um keine Fehldeutungen aufkommen zu lassen: Die Weißhelme sind ein vom Westen bezahltes Propagandakonstrukt mit engen Verbindungen zu terroristischen Gruppen wie al Qaida und Jahbat al-Nusra, heute bekannt als Haiʾat Tahrir asch-Scham. Mit anderen Worten: Organisiertes Gesindel, dessen obskurem Chef Saleh die USA nicht einmal die Einreise erlaubten. Dem seinerzeitigen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, heute geehrtes Staatsoberhaupt, erschien Saleh trotzdem honorig genug, mit sieben Millionen Euro aus Berlin geschmiert zu werden.
Was haben die Anführer der Hongkong-Opposition mit der Propagandatruppe syrischer Terroristen zu schaffen? Verständlicher wird das gegenseitige Interesse, wenn man sich erinnert, dass beide sich den gewaltsamen "Regime Change" auf die Fahne geschrieben haben und beide an der US-Kandare gehen.
Darüber erfahren die zwölf Millionen Zuschauer der Tagesschau allerdings nichts. Sie müssen den "Freiheit-und-Democracy"-Schmarren schlucken, den ihnen die ARD-aktuell-Kellner servieren, gebührenpflichtig, notabene. Albrecht Müller, der Herausgeber der NachDenkSeiten, brachte das Skandalon auf den Punkt:
Wenn Politiker und Medien mehrheitlich wichtige Informationen weglassen und verschweigen, dann entsteht ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit. Das oft systematisch betriebene Verschweigen ist deshalb eine wirksame Methode der Meinungsmache.
Wie effizient die Meinungsmache ist, wie stark sie auch unser Bild von den Hongkong-Protesten prägt, wird daran sichtbar, dass wir den Auslöser der Proteste in Hongkong nicht einmal genau kennen, jedenfalls nicht aus der Tagesschau. Kurzfassung:
Hongkong unterhält seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien nur wenige Auslieferungsabkommen mit anderen Ländern, die es erlauben, Straftäter dorthin abzuschieben. Auch nicht mit China. Das sollte geändert werden. Der Grund dafür war nachvollziehbar und hatte mit Gefolgschaftstreue gegenüber Beijing überhaupt nichts zu tun. Die Hintergrundgeschichte, schreibt der Berliner Tagesspiegel, lese sich "wie ein 'Tatort'-Krimi":
Anfang 2018 habe der Hongkonger Chen Tong-jia mit seiner Freundin Pan Xiao-ying in Taiwan Urlaub gemacht. Dort habe er bemerkt, dass seine Freundin von einem anderen Mann schwanger war. Er habe sie umgebracht, ihr Geld und ihre Kreditkarten geraubt und sei nach Hongkong zurückgekehrt. Die Polizei Taiwans und der Vater der jungen Frau fanden den Mord heraus. Taiwan forderte die Auslieferung des mutmaßlichen Mörders.
Die Stadtregierung Hongkongs wollte dem stattgeben, konnte es aber nicht: Taiwan nämlich wird auch von Hongkong, wie von Beijing, offiziell als Teil der Volksrepublik China betrachtet. Der Vater der Toten konnte nur erreichen, dass Chen in Hongkong wegen Kreditkartenbetrugs zu 29 Monaten Haft verurteilt wurde. Chen hatte kaltblütig mit den Kreditkarten der Ermordeten seine Schulden in Hongkong bezahlt. Im Oktober muss er nun aus der Haft entlassen werden.
Fazit: Für die Freiheit eines hochgradig mordverdächtigen Ganoven sind die "Regenschirm-Revolutionäre" in Hongkong auf die Straße gelockt worden. Nun gelten sie der Tagesschau als Demokratie-Helden – und nicht als bedauernswerte Verführte, die mit ihren schwierigen Lebensumständen und düsteren Zukunftsaussichten nicht mehr klarkommen.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - Protestler in Hongkong: "Aggression ist manchmal notwendig"
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.