Dr. Gniffkes Macht um Acht – Maßeinheit für gepfefferte Kritik: der Rezo
von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam
11,4 Millionen Mal (Stand: Sonntag, 26. Mai 2019, 18.00 Uhr) haben Internet-Nutzer das Video "Die Zerstörung der CDU" des Youtubers Rezo aufgerufen. Seine Abrechnung mit unserer Parteien-Oligarchie zielt allerdings nicht nur auf die Union, sondern ebenso auf die SPD und im Grunde genommen auf alle Bundestagsparteien. Darüber hinaus trifft sie einen heruntergekommenen Journalismus, der sich besonders in den Nachrichtenredaktionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spreizt und speziell in der Tagesschau etabliert hat. Die jedoch fühlt sich nicht angesprochen – oder tut zumindest so.
Die ARD-aktuell, der Redaktionsladen von Tagesschau, Tagesthemen& Co., gibt sich über die Kritik erhaben und macht weiter wie gehabt: Sie verbreitet distanzlos und affirmativ die Politik der Bundesregierung. Das Merkel-Maas-Kabinett hat den Völkerrechtsbruch zur Normalität erklärt und den Rechtsnihilismus zur Staatsräson; da ist die ARD-aktuell dabei, das findet sie prima.
Mit Rezo hat endlich jemand die notwendige Sprache und Präsentationsform gefunden, die unsereiner nicht (mehr) drauf hat, mit der man aber erweislich "ankommt". Inhaltlich hat er ohnehin recht: Die Bundesregierung gibt sich als Friedenswahrer aus, betreibt jedoch aggressive, bellizistische, das Völkerrecht und die UN-Charta missachtende Außenpolitik und fördert außerdem den Export von Kriegswaffen in alle Welt, auch in Kriegsgebiete.
Sie gibt sich sozial, aber gegen die wachsende Armut und den krassen Reichtum unternimmt sie nichts. Sie fährt die sozialen Sicherungssysteme zielsicher in die Grütze und gewährt dem Geldadel Steuerprivilegien. Sie redet über Umweltschutz, aber dank ihrer restlos verkommenen Landwirtschaftspolitik, Industriepolitik, Verkehrspolitik und Energiepolitik verfehlt Deutschland selbst seine äußerst bescheidenen Klimaschutzziele. Wir können inzwischen dabei zuschauen, wie unsere natürliche Mitwelt zerstört wird.
Nichts, was Rezo anspricht, ist wirklich neu und nicht längst in aller Entschiedenheit angeprangert worden, in den alternativen Medien von Telepolis über NachDenkSeiten, Rubikon, Rationalgalerie bis RT, Kritisches Netzwerk, Neue Rheinische Zeitung, Spiegelkabinett, Peds Ansichten und scharf-links. Aber er hat es geschafft, mit seiner Kritik ein Millionenpublikum zu erreichen, das zudem noch jung und flexibel genug ist, um konsequent zu reagieren. Rezos nicht überbietbares Verdienst. Der Publizist Gabor Steingart meinte dazu in seinem Morning Briefing vom 24.05.2019:
Aufruhr in Parteigremien, Konzernzentralen und Pressehäusern: Wenige Tage vor der Europawahl ist den traditionellen Zeremonienmeistern der öffentlichen Meinung das Agenda-Setting entglitten. ... Das Video des Youtubers Rezo ... provozierte – anders als ein Kommentar in der 'FAZ' oder im 'Spiegel' – die unmittelbare Reaktion der CDU-Vorsitzenden und ihres Generalsekretärs. Erst attackierte das Adenauer-Haus den 26-Jährigen, schließlich lud man ihn kleinlaut zum Dialog ein. Eine zehnseitige Stellungnahme wurde veröffentlicht. Politische Polemiken wie die von Rezo, LeFloid oder Tilo Jung ... entfalten auf Youtube eine publizistische Wirkung, wie sie früher nur Rudolf Augstein, Alice Schwarzer und Sebastian Haffner erreichten.
Steingart erwähnte mit keinem Wort das "Flaggschiff des deutschen Nachrichtenjournalismus", die Tagesschau, obwohl diese tagtäglich mehr als zehn Millionen Zuschauer indoktriniert. Seine Gründe kennen wir nicht, aber begreiflich finden wir die Aussparung sehr wohl. Die ARD-aktuell reagiert auf Rezos Video genauso borniert und bescheuert, wie es arrogante Inhaber der Deutungshoheit erwarten ließen: "Anti-CDU-Video: Wie die Jugend Parteien herausfordert", heißt es auf der Internetseite tagesschau.de.
Im darauffolgenden Text bringt es die Redaktion zustande, nicht ein einziges Argument des Youtubers zu zitieren und sich damit auseinanderzusetzen. Sie kritisiert den Kritiker nur formal als Zeiterscheinung im Generationenkonflikt und zieht in sattsam bekannter Ablenkungs-Methodik noch etliche "Experten" zurate. Rezos solide Argumentation wird als Ausdruck jugendlicher Protesthaltung gegen das Überkommene und die ältere Generation so herablassend wie hirnlos abgetan.
Schon im auch sprachlich idiotischen Untertitel: "Sein Protest zeigt die Spaltung von Jugend und Politik." (ebd.) So denken und schreiben eben journalistische Hofschranzen, die sich keineswegs vorstellen können, dass ein "Rezo" – nehmen wir den Namen mit Vergnügen als Maßeinheit für treffliche Publizistik – bereits politische Lawinen lostreten könnte. Die Hilflosigkeit dieser bräsigen Bedenkenträger der ARD wäre erheiternd – wenn man nicht in Rechnung stellt, dass sie Ausdruck des Versagens einer demokratischen Kontrollinstanz unseres Gemeinwesens ist.
Wo demokratische Kontrolle derart scheitert, verkommt Demokratie selbst zum hohlen Formalismus. Er drückt sich nicht nur in der gerade vollzogenen Wahl eines EU-Parlaments aus, das keinerlei gesetzgeberisches Initiativrecht hat und ohne jede Volksverbundenheit, Friedenspolitik und humanitären Anspruch auskommt, wohl aber mit mörderischem Wirtschaftskrieg, exorbitanter Geldverschwendung und satten Diäten seiner Mitglieder. Demokratischer Formalismus auch in der allgegenwärtigen Missachtung des Völkerrechts vonseiten des Berliner Reichstags.
Beispiel Krim: Die Bundesregierung, die überwältigende Mehrheit des Bundestages und die medialen Schoßhündchen der ARD-aktuell wie des gesamten Mainstreams wahren eherne Sprachregelung: Russland hat sich die Krim völkerrechtswidrig einverleibt. Es spielt keine Rolle, dass mehr als 90 Prozent der Krim-Bewohner in zwei freien Referenden dem korrupten Oligarchen-Staat Ukraine deutlich ihren Abschied erklärt hatten. Unerheblich, dass bedeutende Völkerrechtler im freiwilligen und gewaltlosen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation keine Annexion, sondern eine völkerrechtlich unproblematische Sezession sehen, die allenfalls mit der ukrainischen Verfassung kollidierte.
Dass Kanzlerin Merkel bei jeder sich bietenden Gelegenheit von der "Annexion der Krim" schwätzt, ist – an der Aktualität Rezos gemessen – Verleumdungszwang und politische Senilität. Dass die Tagesschau das fortwährend kritiklos nachschwätzt, ist mieser Verkündungsjournalismus.
Bereits im Jahr 2016 begründete SPD-Mann und ARD-aktuell-Chefredakteur Gniffke seine distanzlos konformistische Regierungsverbundenheit in der Krim-Frage schamlos und deutlich:
... das Auswärtige Amt spricht in seiner außenpolitischen Bewertung des Ukraine-Konfliktes unmissverständlich von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland.
Das ließ und lässt er für sich gelten, bis heute. Ja, wenn das dem militärisch-industriellen Komplex nützt und von Washington vorgegeben ist, dann muss es eben auch hehre Botschaft der Tagesschau sein: Der Russe ist stets gefährlich und von Übel.
Ganz anders, wenn tatsächlich und zweifelsfrei Völkerrechtsverletzungen der "Westlichen Wertegemeinschaft" zu beklagen und zu kritisieren wären. Dann nämlich schweigen sich unsere Regierenden und die Qualitätsjournalisten der ARD-aktuell gemeinsam aus. Als Beispiele vier klassische Opfer kriminellen politischen und medialen Rechtsbruchs: Venezuela, der Iran, Syrien und die Chagos-Inseln.
Am 25. April, gleich nachdem US-Präsident Trump seinen venezolanischen Hampelmann, den politisch impotenten Schnösel Juan Guaidó, völkerrechtswidrig zum "legitimen" Präsidenten Venezuelas gekürt hatte – unter bravem Applaus westlicher Politiker wie Heiko Maas oder Theresa May –, mussten alle akkreditierten Diplomaten Venezuelas am 25.04.2019 die USA verlassen. Anfang Mai stellten die US-Behörden zunächst die Strom- und Wasserversorgung der Botschaft ein. Am 17. Mai ließen sie das immer noch unter venezolanischer Hoheit stehende Gebäude von einer SWAT-Einheit der Polizei stürmen.
Das unerlaubte Eindringen bis an die Zähne bewaffneter US-Polizisten in die venezolanische Botschaft verstößt gegen Artikel 22 des "Wiener Abkommens". Der völkerrechtliche Vertrag wurde nach Vorarbeiten der UNO-Völkerrechtskommission am 18. April 1961 geschlossen und ist seit dem 24. April 1964 in Kraft. Artikel 22:
(1) Die Räumlichkeiten der Mission sind unverletzlich. Vertreter des Empfangsstaats dürfen sie nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten.
(2) Der Empfangsstaat hat die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen, um zu verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird.
(3) Die Räumlichkeiten der Mission, ihre Einrichtung und die sonstigen darin befindlichen Gegenstände sowie die Beförderungsmittel der Mission genießen Immunität von jeder Durchsuchung, Beschlagnahme, Pfändung oder Vollstreckung.
Eindeutig – sollte man meinen. Trumps Bruch dieses internationalen Vertragswerks ist historisch beispiellos. Die US-Regierung hat damit keinen Zweifel daran gelassen, dass sie das Völkerrecht in allen Verästelungen zu schleifen gedenkt und international das Faustrecht praktizieren will: Vom Bruch diplomatischer Verpflichtungen bis hin zur Gewalt gegen den Iran, den Irak, Syrien, den Sudan, Libyen oder den Jemen und der rechtswidrigen weltweiten Sanktionierung aller Vorgänge, die Trumps Vorstellung "America first" zuwiderlaufen.
Derzeit hat Deutschland für ein halbes Jahr den Vorsitz im Weltsicherheitsrat. Unser Exponent der sozialdemokratischen Funktionselite, der größte Außenminister aller Zeiten Heiko Maas, befand es nicht für nötig, das UN-Gremium mit dem flagranten US-amerikanischen Bruch gültiger Verträge zu befassen. Ein Skandal, den die Tagesschau allerdings ebensowenig wahrnahm und thematisierte, wie sie über den US-amerikanischen Rechtsbruch berichtet hatte. Völkerrechtsbruch? Na und?
Selbst als unsere "Qualitätsjournalisten" den Außenminister vor dem Mikrofon hatten, wagten sie nicht, Maas auf die Widersprüchlichkeit und die Brüche seiner politischen Logik anzusprechen. Sie ließen ihn einfach schwadronieren. Das füllt die Sendezeit ja auch:
"Ein Erstarken der Rechtspopulisten wird nichts Gutes für Europa bedeuten", meinte Maas nach seiner Südamerikareise in einem ARD-Interview am 19. Mai. Ein einigermaßen versierter und kundiger Journalist hätte nachgefragt, warum Maas einerseits die Rechtspopulisten in Europa als Gefahr ansieht, andererseits aber gerade erst dem rechtsextremen brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro seine Aufwartung machte. Die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel kritisierte zu Recht:
Bei seinem ersten Staatsbesuch in Brasilien hatte Maas den durch Bolsonaro massiv bedrohten sozialen Organisationen und Menschenrechtsgruppen eine notwendige Unterstützung versagt, den Politskandal um den inhaftierten Ex-Präsidenten Lula da Silva hat er nicht einmal erwähnt. Stattdessen erteilte er der Bolsonaro-Führung die Absolution, indem er dem rassistischen und sexistischen Präsidenten Multilateralismus und gemeinsame Werte bescheinigte.
Weniger denkfaule Nachrichtenjournalisten als die Tagesschauer hätten bloßgelegt, dass Maas als Geschäftsvermittler und Lobbyist unterwegs war. Bolsonaro betätigt sich derzeit als Ausverkäufer Brasiliens, er lässt die Ölproduktion, Flughäfen und zahlreiche Staatsbetriebe privatisieren, und deutsche Unternehmer stehen Schlange.
Von investigativem Eifer und informationellem Anspruch lassen sich die journalistischen Ausfallerscheinungen der Tagesschau allerdings nicht anfechten. Somit war auch keine Nachfrage zu erwarten, zu welchem höheren Zwecke Maas seinen ebenfalls höchst freundschaftlichen Besuch beim stockreaktionären rechtspopulistischen Staatspräsidenten und Regierungschef Kolumbiens, Iván Duque, abgestattet hat: Kolumbien ist seit Kurzem der NATO assoziiert, da sind demnach hochprofitable Aufträge für die deutsche Rüstungsindustrie drin ...
Einen Minister verdientermaßen mal in die Zange nehmen? Ihn bloßstellen, weil für ihn "das Erstarken von Rechtspopulisten" durchaus kein Problem zu sein scheint, wenn mit ihnen lukrative Geschäfte, auch Waffengeschäfte, zu machen sind? Ach woher denn: Für die Journalisten der Tagesschau reicht als Qualifikationsnachweis, einem politischen Amtsträger das Mikro unter die Nase halten zu können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bewährt sich als Werbeagentur eines ebenso geltungssüchtigen wie unfähigen und bedenkenlosen Außenministers, der alle Gelegenheiten ausschlägt, in Konflikten zu vermitteln und Profil zu gewinnen.
Auch bei der Iran-Berichterstattung fällt auf, dass der Begriff "völkerrechtswidrig" im sprachgeregelten Vokabular der feinfiedrigen Qualitätsjournalisten fehlt, wenn die US-Regierung gegen Teheran zu Felde zieht und ihr Außenminister Pompeo sowie Sicherheitsberater Bolton und schließlich gar Trump dabei die Sau rauslassen.
Als der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag am 03.10.2018 etliche neue US-Sanktionen gegen den Iran als Bruch der UN-Charta verurteilte, marginalisierte ARD-aktuell den eindrucksvollen Richterspruch und berichtete weichspülend von "unzulässigen Sanktionen". Dabei war der IGH unmissverständlich und einstimmig (sogar mit der Stimme des US-entsandten Richters) zu der Entscheidung gekommen, den USA verbindlich bestimmte Sanktionen zu untersagen. Die Tagesschau-Schreiberlinge jedoch hoben hervor, dass der Rechtsanspruch des Iran, von den Sanktionen befreit zu werden, sich aus einem vor Jahrzehnten geschlossenen "Freundschaftsvertrag" der USA mit dem Schah Reza Pahlavi ergab – als sei dieser Vertrag eine olle Kamelle und seine Nichtbeachtung seitens der USA nicht weiter schlimm.
Als Trump und seine schrecklichen Gehilfen Pompeo und Bolton der Welt im April des Jahres erklärten, dass alle Länder, die ab Mai noch iranisches Öl kauften, mit Strafmaßnahmen zu rechnen hätten, tauchte bei der ARD-aktuell noch immer nicht der Begriff "völkerrechstwidrig" auf. Stattdessen titelte man locker und banal "Iran wettert gegen US-Sanktionen", als seien die iranischen Verantwortlichen grundlos schimpfende Marktweiber; als müsse man sich in Teheran keine Sorgen machen wegen des US-Versuchs, einen Regierungssturz zu erzwingen oder andernfalls den Iran in den Ruin zu treiben. Die Tagesschau tat so, als habe Trump nicht soeben versucht, sich über die Souveränitätsrechte sämtlicher am freien Ölhandel interessierter Regierungen dieser Welt hinwegzusetzen.
Bei ARD-aktuell ist keine Spur von journalistischer Seriosität und Mitverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens zu erkennen. Selbst als Trump dem Iran die totale "Vernichtung" androhte: "Wenn der Iran kämpfen will, wird das das offizielle Ende des Iran sein. Droht nie wieder den Vereinigten Staaten", taten Maas und seine Wasserträger in der Tagesschau so, als sei das nicht mehr als Normalkost. Maas fiel – ungefragt – nur eine Sprechblasenfüllung ein:
Alle Seiten sind aufgefordert, größtmögliche Zurückhaltung zu üben und die Situation nicht weiter anzuheizen.
Als ginge diese Aufforderung des SPD-Politikers dem Donald Trump nicht am Allerwertesten vorbei. Nein, das Qualitätsteam eines Dr. Gniffke referiert selbst billigste Fensterreden als staatstragend, auch wenn die Regierenden einen Unrechtsstaat repräsentieren: Das Wort "Völkerrechtsbruch" tauchte nirgends auf. Dafür aber dies hier:
Die USA und ihr enger Verbündeter Saudi-Arabien werfen dem Iran vor, Unruhe zu stiften und Terrorismus zu unterstützen.
Die USA und Saudi-Arabien. Bekanntlich beide Gral der Friedfertigkeit, Rechtsstaatlichkeit und wahrer Humanität. Die Tagesschau unterschlägt derweil einfach, dass die USA die früheren scharfen Sanktionen wieder in Kraft gesetzt haben, obwohl das nur dem UN-Sicherheitsrat zustand. Gniffkes Qualitätsjournalisten übergehen, dass die US-Sanktionen Irans Bevölkerung in Geiselhaft nehmen und schon deshalb völkerrechtlich unzulässig sind, ein Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht und gegen die Menschenrechte.
Die Androhung von Gewalt und eines militärischen Angriffs sind Verstöße gegen Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta, man kann ihn in diesen Zeiten gar nicht oft genug in Erinnerung rufen:
Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Die Bundesregierung sieht dem Treiben der Amis untätig zu, obwohl sie ebenso wie die Europäische Union und alle deren Mitglieder durch Art. 3 Abs. 5 des EU-Vertrags verpflichtet wäre, auch die großen USA "zur strikten Einhaltung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen", anzuhalten. Es wirkt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass Minister Maas noch immer keine Sicherheitsratssitzung einberufen hat, obwohl die USA den Weltfrieden täglich neu gefährden.
Was aber soll man von ihm und der EU schon erwarten, da sie doch gerade wieder selbst in voller Missachtung des Völkerrechts ihre mörderischen Sanktionen gegen Syrien erneuert und verlängert haben? Sie lügen dreist, diese Sanktionen träfen "nur das Regime in Damaskus, nicht aber die syrische Bevölkerung". Als ob die von den menschenfeindlichen, mörderischen Folgen verschont bliebe, wie beispielsweise das gegen Syrien verhängte Zugangsverbot zum Weltmarkt für medizintechnische Güter, Pharmazeutika und instrumentelle Ausstattung für Krankenhäuser und Ärzte.
Damit wäre Syrien nach Venezuela und dem Iran als drittes Beispiel für "Opfer kriminellen politischen und medialen Rechtsbruchs" genannt.
Ein letztes, viertes Beispiel – die Liste ließe sich erheblich verlängern – sind die legalen Bewohner des Chagos-Archipels und der Inselstaat Mauritius. Der Name einer der Chagos-Inseln ist ebenso weltbekannt wie ihre Geschichte in Vergessenheit geraten: Diego Garcia, ein Atoll im Indischen Ozean und britisches Überseeterritorium, beherbergt eine der größten US-Militärbasen außerhalb der USA. Die ursprüngliche Bevölkerung der Insel wurde wegen des Baus der Militäreinrichtungen (1968 bis 1973) nach Mauritius und auf die Seychellen deportiert und erhebt Anspruch auf ihre Heimatinsel, die der Staat Mauritius als Teil seines Archipels betrachtet. Bei ARD-aktuell langte es gerade noch für einen Bericht in der Nische tagesschau.de darüber, dass der "Weltgerichtshof" in einem Gutachten London aufgefordert habe, seine Kolonie an Mauritius zurückzugeben:
Großbritannien und seine ehemalige Kolonie Mauritius streiten über einen ... Archipel im Indischen Ozean. Geht es nach dem Weltgerichtshof, muss London die Inseln zurückgeben. Großbritannien hat jahrzehntelang unrechtmäßig den militärisch bedeutsamen Chagos-Archipel im Indischen Ozean besetzt. Zu dieser Auffassung kam der Internationale Gerichtshof in einem nun veröffentlichten Gutachten. London habe gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstoßen und müsse die Inselgruppe, zu der auch der US-Militärstützpunkt Diego Garcia gehört, schnellstmöglich an Mauritius zurückgeben.
Tja. Das Problem ist nur: Es geht nicht nach dem "Weltgerichtshof". Eben das verschwieg die Tagesschau. Noch ärger: Sie unterschlug auch, dass die Regierungen Großbritanniens und der USA vorige Woche in der UN-Generalversammlung eine krachende Niederlage erlebten: 116 Länder stimmten gegen diese Kolonialmächte, 56 Regierungen enthielten sich der Stimme und nur sechs (!) Staaten unterstützten sie. Wie votierte das Merkel-Maas-Deutschland in diesem so eindeutigen Fall? Mit Stimmenthaltung! Peinlich, peinlich: sowohl die demonstrative Gleichgültigkeit deutscher Politiker gegenüber dem Völkerrecht als auch das affirmative Unterschlagen jeglicher Information darüber in der Tagesschau.
Weiter oben war unsere Rede vom "kriminellen politischen und medialen Rechtsbruch". Wir finden, dass die gewohnheitsmäßige Missachtung des Völkerrechts, die verständnisinnige Verbreitung der Kriegshetze unserer Regierenden und die ignorante Übernahme von deren Lügen Verbrechen sind. Damit macht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunkjournalismus schuldig. Für ihre mediale Komplizenschaft sollten die Autoren zur Verantwortung gezogen werden können. Die grundgesetzlich verbürgte Pressefreiheit hat ihre Grenzen dort, wo übergeordnete Rechtsgüter wie die Menschenrechte medial herabgemindert und angegriffen werden.
Die fundierte Attacke des Youtubers Rezo ist für ARD-aktuell bloß Ausdruck eines Generationenkonflikts. Das ist jämmerlich. Ein Zuschauerkommentar auf tagesschau.de bringt das wunderschön auf den Punkt:
Ich bin kein Jugendlicher mehr, aber der Junge spricht mir aus der Seele.
Uns auch, keine Frage. Mögen diesem Rezo noch viele aufklärerische Volltreffer gelingen.
RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Das Autoren-Team:
Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 - 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.
Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Journalist. 1975 - 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der ARD-Tagesschau, nach 1991 in der NDR-Hauptabteilung Kultur. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni Taipeh.
Anmerkung der Autoren:
Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die "mediale Massenverblödung" (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.
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