Dr. Gniffkes Macht um Acht: Völkermord im Jemen? Fiderallala

Bombardements auf Schulbusse und Marktplätze, alle zehn Minuten stirbt ein Kind in dem von Saudi-Arabien mit westlicher Unterstützung geführten Krieg gegen den Jemen – aber ARD-aktuell behandelt den Genozid nachrangig.
Dr. Gniffkes Macht um Acht: Völkermord im Jemen? Fiderallala Quelle: Reuters © Reuters

von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Über den Völkermord im Jemen berichtet ARD-aktuell in der Hauptausgabe der Tagesschau um 20 Uhr seit Kriegsbeginn vor drei Jahren allenfalls sporadisch. Die westliche Kriegsallianz – es sind ja beileibe nicht bloß Saudi-Araber – bombt tagtäglich zivile Einrichtungen in Grund und Boden, nimmt Schulbusse, Marktplätze und alle Menschenansammlungen unter Raketenfeuer, und seien es auch „nur“ Beerdigungen oder Hochzeitsfeiern. Die USA, Frankreich und die Vereinigten Arabischen Emirate sind mit Bodentruppen dabei, Großbritannien mit Militärberatern. Die westliche Werte-Gemeinschaft liefert das Mordwerkzeug und verdient sich an den Rüstungsexporten ins Kriegsgebiet dumm und dämlich. Dass diese „Wertegemeinschaft“ verantwortlich ist für die größte humanitäre Katastrophe dieses Jahrhunderts, rückt die Tagesschau allerdings nicht nachhaltig ins öffentliche Bewusstsein.

Im Jemen führen ja auch keine Russen einen völkerrechtswidrigen Krieg und machen sich übelster Kriegsverbrechen schuldig, sondern dort morden Deutschlands „Partner“ und „Verbündete“, geführt von den USA. Daher bleibt die Tagesschau vornehm zurückhaltend. Sie serviert ihr dürftiges Informationsangebot nur in Nebengewerken, auf tagesschau.de oder dem Sendeplatz tagesschau24, allenfalls in einer ihrer Vorausgaben am Nachmittag. Sie vermeidet vor allem direkte und klare Sprache:

Bei einem Luftangriff auf einen Schulbus sind im Jemen mindestens 39 Menschen getötet worden, unter ihnen viele Kinder. Das Land macht die von Saudi-Arabien geführte Koalition dafür verantwortlich... Sie führt seit 2015 Krieg gegen die Huthi-Rebellen."

Verschleierndes, empathieloses Agenturdeutsch. „Es sind ... getötet worden“, „das Land macht ... die Koalition verantwortlich“. Warum nicht einfach: „Saudische Kampfflugzeuge haben im Jemen einen Schulbus bombardiert und 51 Zivilisten umgebracht. 29 davon waren Kinder. Der Westen ist damit für ein weiteres Kriegsverbrechen verantwortlich.“ 

Stalin soll einmal gesagt haben: „Ein einzelner Toter ist eine Tragödie. Eine Million Tote sind nur eine Statistik.“ Es ist nicht überliefert, in welchem Zusammenhang der Satz fiel. Richtig ist, dass personifiziertes Leiden und Sterben uns näher gehen als Berichte von einem Massentod, zum Beispiel das grausige Massaker an 124 Jugendlichen in Afghanistan, die auf Befehl des deutschen Obersts Georg Klein bei Kundus an einem steckengebliebenen Tanklaster bombardiert wurden und verbrannten. Unsere emotionale Sperre entbindet die Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber doch nicht ihrer Pflicht, immer und immer wieder zu versuchen, ihrem Publikum die Unmenschlichkeit des Massenmordens ins Bewusstsein zu bringen. Und zwar so nachdrücklich, dass es aus dieser Information politisch wirksame Konsequenzen ziehen kann. Hatten wir in Deutschland nicht einmal geschworen, „Nie wieder Krieg!“?

Das journalistische Versagen der ARD-aktuell hat keine formalen und unvermeidlichen Ursachen, etwa Platzmangel wegen der Kürze der Sendungen. In ihrer eingangs genannten 20-Uhr-Tagesschau wurde beispielsweise berichtet, dass Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien jetzt wieder strafbar seien. Solche Fakten profund zu ventilieren, ist zwingend für ARD-aktuell und die Kreuzworträtselbildung ihrer Gebührenzahler auf dem Sofa.

Die boulevardeske Nachrichtenauswahl ist nicht zufällig. Sie hat System und Tradition. Als die Saudis in Allianz mit der westlichen Wertegemeinschaft am 15. März 2016 bei einem Bombenangriff im Jemen 103 Menschen umbrachten, erfuhren die 6 Millionen Zuschauer der 20-Uhr-Tagesschau und der Tagesthemen absolut nichts über das Verbrechen. Stattdessen übermittelte das “Erste Deutsche Fernsehen” an diesem Abend folgendes Themenangebot: 

Russland startet Teilabzug aus Syrien, Friedensgespräche für Syrien in Genf / Lage an griechisch-mazedonischer Grenze / Bundesverfassungsgericht prüft Rechtmäßigkeit des Atomausstiegs / Merkel besucht Technologiemesse CeBIT in Hannover / Suche nach Koalitionspartnern in Baden-Württemberg / Schießereien bei Razzia in Brüssel / Deutsche Botschaft warnt vor weiteren möglichen Anschlägen in Ankara / Auto in Berlin explodiert / Mutter Teresa wird heiliggesprochen / Das Wetter"

Fiderallala. Eine Meldung über das absichtliche Massaker der Saudis – ein Gemüsemarkt wurde von Tieffliegern beschossen – kam lediglich über Text auf tagesschau.de.  

Chefredakteur Dr. Gniffke hält es eben für journalistisch sauber, Saudi-Arabien nicht als eine mörderische und bis ins Mark korrupte Despotie zu bezeichnen, sondern die Formel "erzkonservative Monarchie" zu verwenden. Trotz wöchentlicher öffentlicher Auspeitschung von 14- und 15-jährigen Jugendlichen, trotz öffentlicher Massenhinrichtungen (einmal 46 Regime-Gegner an einem einzigen Tag), trotz Folter und Hände-Abhackens als strafjustizielle Standards. 

Ignorieren wo möglich, marginalisieren, verschleiern: Üblicher Umgang der ARD-aktuell mit dem Thema “Krieg im Jemen”. Weder wurde umfassend und nachhaltig darüber informiert, wer an diesem Krieg beteiligt ist, noch, worum es da eigentlich geht. Zur Militärallianz gegen Jemen gehören: Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Jordanien, Marokko, Sudan und (seit Mai 2015) Senegal. Angeleitet und logistisch unterstützt werden sie von den USA, Frankreich und Großbritannien – abgesehen von umfangreichen Waffenlieferungen aus Deutschland an Saudis und Emirate. Waffen, die jetzt größtenteils im Krieg gegen Jemen verwendet werden.

Es handelt sich auch nicht, wie in der Tagesschau immer wieder behauptet, um einen „Stellvertreterkrieg Saudi-Arabiens gegen Iran“. Wenn schon Stellvertreter, dann sind es die Saudis und Emiratis für den USA-geführten „Westen“ – und zwar in dessen Sanktionskrieg gegen Iran und Russland.  Die Saudis mögen sich bereichern wollen um Land und Einfluss in der Region. Wesentlicher aber ist die geostrategisch interessante Lage des Jemen als Anrainer des Arabischen Meeres, an der Schifffahrtsstraße zwischen Persischem Golf und dem Roten Meer. Sie ist eine der wichtigsten Öltransport- und Handelsrouten der Welt. Setzen sich die Saudis endgültig in den dortigen Häfen fest, dann werden im Handumdrehen ein US-Flottenstützpunkt und weitere US-Garnisonen folgen, Iran und Russland werden noch enger militärisch eingekreist.

Sich selbst widersprechend behauptet die Tagesschau andererseits, der Jemenkrieg sei „hausgemacht“. Das ist ebenfalls nicht richtig: „Hausgemachte“ Bürgerkriege und sogenannte „Farbenrevolutionen“ zu initiieren sind traditionelle Methoden der USA, um eine Region zu chaotisieren, sie anschließend zu „balkanisieren“, zu beherrschen und auszubeuten. Die Methodik ist bekannt, aber von der Tagesschau peinlichst verschwiegen. 

Den Begriff „Rebellen“ verwendet sie dagegen gern für die schiitischen Huthi. Dass die einen Bevölkerungsanteil von 45 Prozent darstellen, sich nicht von einem mit transatlantischer Nachhilfe ins Amt gehievten sunnitischen Präsidenten namens Abdo Hadi beherrschen lassen wollten und ihn (mit Unterstützung anderer jemenitischer Minderheiten) aus der Hauptstadt Sanaa vertrieben, wird mit der Tagesschau-Kurzformel nicht klargestellt.

Man darf der Tagesschau auch in diesem Fall verschleiernde Absicht unterstellen. Denn dass das „Eingreifen“ der US-Saudi-usw.-Kriegskoalition im Jemen ohne UN-Mandat geschieht, unterschlägt die Tagesschau ja ebenfalls sehr konsequent. Sie verschweigt, dass die anhaltende völkerrechtswidrige Blockade des Jemen am Boden, zu Wasser und in der Luft die Ursache für die gegenwärtige humanitäre Katastrophe im Jemen ist, anzulasten unserer westlichen Wertegemeinschaft.

Die könnte das Elend sofort beenden. Aber sie unternimmt nichts dagegen, dass dort gerade eine Million Menschen zu verhungern drohen – mindestens eine ganze Million.

Gelegentlich deutet die Tagesschau an, der Iran unterstütze die aufständischen Huthi mit Waffen. Teheran hat solche Anschuldigungen stets vehement zurückgewiesen. Dazu der international angesehene Nahost-Experten Dr. Michael Lüders in der Sendung „Jung & Naiv” (Folge 312, 18.06.2017):

Der Iran ist nicht wirklich im Jemen engagiert, dafür gibt es zu wenige Belege, da der Jemen für den Iran auch viel zu unwichtig ist. Aufgrund der territorialen Gegebenheiten kann man im Jemen auch keinen Krieg gewinnen. Das eigentliche Motiv jedoch ist, dass Saudi-Arabien seinem Erzfeind Iran im Jemen für die USA eine Niederlage beifügen sollte und will."

Deutschland ist mit der Lieferung von Kriegsmaterial nur mittelbar, aber massiv materiell an diesem Vernichtungskrieg beteiligt. Einzelheiten verschweigt ARD-aktuell oft. Zwar wird über die Höhe der Gesamtexporte berichtet (6,85 MRD Euro), wenn es aber um genaue Zahlen und Art der Exporte in arabische Länder geht, schweigt die Gniffke-Truppe – oder lässt sich von der Bundesregierung als Tröte verwenden:

Im Falle von Saudi-Arabien seien es etwa zivile Mehrzweck-Hubschrauber gewesen, die in Rüstungskooperationen mit europäischen Partnern genehmigt worden seien."

Mit solchem empörenden Schmarren – “zivile Mehrzweck-Hubschrauber!” – von einer Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, geäußert auf der Bundespressekonferenz, geht die Tagesschau anschließend kommentarlos hausieren.

Fakt ist: Die Koalition aus CDU, SPD und CSU hat seit ihrem Amtsantritt im März neue Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien im Umfang von 254 Millionen Euro genehmigt und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten im Umfang von 40 Millionen Euro. Nur das ebenfalls sehr menschenrechtsfeindlich regierte Algerien erhielt in diesem Jahr noch bedeutend mehr Waffen als seine östlichen arabischen Bruderländer: Deutsches Mordwerkzeug für fast eine dreiviertel Milliarde Euro durften dorthin verkauft werden. Ein absoluter Tabubruch.

Unter den heuer genehmigten Lieferungen an Saudi-Arabien sind acht Schnellboote, ein Radarsystem zur Ortung gegnerischer Artillerie sowie Sprengköpfe samt Elektronik für Schiffsraketen. Und das, obwohl es in den verbindlichen Export-Bestimmungen ausdrücklich heißt:

Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht."

Schön. Und im Koalitionsvertrag der mittlerweile zerrütteten Regierung Merkel steht über die Waffengeschäfte mit den Feinden des Jemen:

Wir werden ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind."

Wie schon der Volksmund sagt: Papier ist geduldig.

RT Deutsch bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln. 

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 im NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1985 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehr- und Forschungsauftrag an der Fu-Jen-Uni in Taipeh. 

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden zumeist auf der Seite https://publikumskonferenz.de/blog dokumentiert.

 

 

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.