Erst, wenn die Opfer entschädigt sind, ist der Vietnamkrieg wirklich vorbei

Es war die bisher größte Niederlage der USA, aber sie fügen ihrem einstmaligen Gegner heute noch Schaden zu: Die Folgen der eingesetzten Entlaubungsmittel sind für Vietnam bis heute enorm. Und noch immer weigern sich die USA, die Verantwortung zu übernehmen.
Erst, wenn die Opfer entschädigt sind, ist der Vietnamkrieg wirklich vorbeiQuelle: www.globallookpress.com © Hiroko Tanaka

von Dagmar Henn

Der Vietnamkrieg endete vor 46 Jahren. Er war der erste und auch der letzte Krieg, der täglich geradezu noch blutig bis in die Wohnzimmer versendet wurde. Nach erbittertem Widerstand der vietnamesischen Bevölkerung, einer weltweiten Protestbewegung, massenhaften Desertionen von in die US-Armee Einberufenen (wobei auch deutsche Friedensgruppen behilflich waren) starteten am 30. April 1975 die letzten US-Hubschrauber von der US-Botschaft in Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt), der damaligen Hauptstadt Südvietnams.

War der Vietnamkrieg beendet? Nicht für Vietnam. Das ostasiatische Land mit 95 Millionen Einwohnern auf einer etwas kleineren Fläche als Deutschland leidet bis heute unter den Folgen. Ein Grund dafür heißt Agent Orange. Das von der US-Armee im Kampf gegen die als "Vietcong" beschimpfte vietnamesische Guerilla – die am Ende siegreiche "Nationale Front für die Befreiung Südvietnams" – großzügig versprühte Entlaubungsmittel enthielt Dioxine, die bis heute nicht nur weite Landstriche Vietnams vergiften, sondern inzwischen in der vierten Generation Missbildungen der davon heimgesuchten Bewohner verursachen.

Der Einsatz der Entlaubungsmittel begann bereits vor dem Jahr 1964 als dem offiziellen Eintritt der USA in den Vietnamkrieg. Im August 1961 begann die südvietnamesische Regierung mit US-amerikanischer Unterstützung, Herbizide aus Flugzeugen über den Wäldern zu verteilen. Vorbild dafür war ein Einsatz solcher Mittel durch die Briten in Malaysia in den 1950ern. Der damalige US-Präsident Kennedy genehmigte im November des gleichen Jahres die "Operation Ranch Hand", die den Einsatz von US-Piloten bei Entlaubungsaktionen umfasste und damit gleichzeitig die unmittelbare Beteiligung der USA am Krieg in Vietnam einleitete. Ende des Jahres 1961 war die Zahl der in Vietnam anwesenden US-Soldaten bereits von 900 auf 3.205 erhöht worden.

Bis 1971, als das Entlaubungsprogramm endete, hatten die USA bis zu 80 Millionen Liter Entlaubungsmittel über Vietnam versprüht; nicht nur, um durch die Entlaubung der Wälder die Nachschubwege der Guerilla zu unterbrechen, sondern auch, um der Landbevölkerung, die diese Guerilla unterstützte, durch Vernichtung der Ernte die Lebensgrundlage zu nehmen. Bei insgesamt mindestens 6.542 Flügen, die der Ausbringung der Gifte dienten, wurden 12 Prozent der Gesamtfläche Südvietnams mit einem der angewandten Herbizide besprüht.

In den zehn Jahren dieser Einsätze gab es mehrere Versuche, in den Vereinten Nationen eine Verurteilung dieser Handlungen zu erreichen, die stets von den USA mit der Bemerkung blockiert wurden, es handele sich nicht um eine chemische Waffe, die sich gegen Menschen richte, sondern nur um eine gegen Pflanzen, daher sei es auch kein Verstoß gegen das Genfer Protokoll von 1925, das den Einsatz chemischer Waffen klar untersagt.

Agent Orange war das meistverwandte dieser Herbizide, und es enthielt Dioxin. Schätzungen besagen, dass somit eine Gesamtmasse von bis zu 400 kg Dioxin in Vietnam ausgebracht wurden. Das in Agent Orange enthaltene Dioxin ist TCDD, das in Europa als Seveso-Gift bekannt ist. Die in Tierversuchen ermittelte tödliche Dosis liegt unter einem Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Und TCDD reichert sich nicht nur im menschlichen Körper an, sondern es schädigt auch die Chromosomen, wodurch Fehlbildungen auftreten. Die Verbindung ist insbesondere in tropischen Gebieten sehr haltbar und zerfällt erst nach Jahrzehnten.

Der unmittelbare Kontakt mit TCDD kann Krebs erzeugen. Die nächsten Generationen leiden unter offenem Rücken, fehlenden oder überzähligen Gliedmaßen, endokrinologischen und neurologischen Störungen. Nach Aussagen in Vietnam tätiger Hilfsorganisationen sind über drei Millionen Menschen dort von den Folgen betroffen. Die meisten Familien leben unter der Armutsgrenze, und ein Fünftel davon weist drei oder mehr Betroffene auf.

Bis heute weigern sich die USA, die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen. Alle bisherigen Versuche vor US-Gerichten scheiterten. Auch Klagen gegen die produzierenden Konzerne wurden zurückgewiesen, da diese ja nur auf Anforderung der US-Regierung produziert hätten. Die beteiligten Konzerne waren Monsanto, Dow Chemical und Diamond Shamrock. Die Bürgerinitiative "Coordination gegen Bayer-Gefahren" (CBG) meint, über die 1954 gegründete Bayer-Monsanto-Tochter Mobay sei auch der Bayer-Konzern an der Produktion beteiligt gewesen, was dieser aber abstreitet.

Der jüngste Versuch, eine Entschädigung der Opfer zu erreichen, scheiterte im Mai dieses Jahres vor einem französischen Gericht, mit derselben Begründung wie in den USA: die Produktion läge in der Verantwortung des den Auftrag erteilenden Staates. Die vietnamesischstämmige Französin Tran To Nga verklagte nach jahrelanger Vorbereitung 26 Chemiekonzerne, darunter den Bayer-Konzern, der mittlerweile Monsanto übernommen hatte. Tran To Nga war als Journalistin während des Vietnamkriegs dem Gift ausgesetzt worden; gegenüber der Schweizer Wochenzeitung sagte sie, "sie versprühten so viel Agent Orange, dass man am Ende ganz nass war. Als ob man lange im Regen gestanden hätte."

Tran To Nga hat durch den Kontakt mit TCDD eine Tochter verloren und eine zweite mit Fehlbildungen der Wirbelsäule geboren. Sie selbst leidet unter Krebs; ihr Onkologe gibt ihr noch fünf Jahre. Trotzdem will sie weiter kämpfen und in der nächsten Instanz versuchen, doch noch ein Verfahren zu erreichen.

Vor der Presse erklärte die bald 80-Jährige: "Die amerikanischen Chemiefirmen haben nie auf irgendeine Klage zu Agent Orange reagiert. Aber bei der Klage einer einzigen alten Frau wie mir haben sie geantwortet, und sie haben sich vor dem Gericht präsentiert." Das sei "schon ein erster Sieg."

Das einzige Zugeständnis, das die Vereinigten Staaten bis heute Vietnam gegenüber gemacht haben, ist die Beseitigung der Dioxin-Überreste an den ehemaligen US-Stützpunkten. Dort ist, auch weil die abziehenden US-Truppen das nicht verbrauchte Herbizid einfach vergruben, die Belastung bis heute besonders hoch. Allein die Sanierung des ehemaligen Luftwaffenstützpunkts Đà Nẵng dauerte zehn Jahre und kostete 103 Millionen US-Dollar. Inzwischen wird Biên Hòa in Angriff genommen, ein weiterer Luftwaffenstützpunkt. Es gibt aber in Vietnam insgesamt 30 solcher Gebiete mit extrem hohen Dioxinkonzentrationen.

Aber alleine in Biên Hòa leben über tausend behinderte Menschen. Auch wenn eine Beteiligung an der Dekontamination die Belastungen für Vietnam etwas mindert – die Folgekosten der millionenfachen Schädigungen muss das arme Land alleine stemmen, solange die USA sich einer Entschädigung verweigern. Der taumelnden Großmacht wird dies nicht für immer gelingen. Eine Konvention gegen ökologische und genetische Kriegsführung ist mehr als überfällig. Das zeigt nicht nur der US-Ökozid in Vietnam, sondern das zeigen auch die Folgen der Munition aus abgereichertem Uran, die von den US-Truppen sowohl in Serbien wie auch im Nahen Osten eingesetzt wurde.

An dem Tag, an dem eine Regierung der Vereinigten Staaten ihre Schuld an diesen Zerstörungen eingesteht, wird der Vietnamkrieg auch für die Vietnamesen endlich enden.

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