Russland und Serbien: Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil

In Westeuropa wird Serbien vor allem mit Blick auf einen Beitritts zur EU und zur NATO gesehen. Russland wird dabei als Störfaktor betrachtet oder gar als Bösewicht dargestellt. Die Interessen Serbiens und politische Vorgänge spielen dabei höchstens am Rande eine Rolle.
Russland und Serbien: Beziehungen zum gegenseitigen VorteilQuelle: www.globallookpress.com © Kremlin Pool

von Prof. Dr. Anton Latzo

Westliche Politiker, Medien, NGOs, Denkfabriken und ihre Fabrikanten betrachten Serbien und seine Politik vorwiegend unter dem Gesichtspunkt eines Beitritts oder Nichtbeitritts dieses Landes zur "Europäischen Union" (EU) und zur NATO. Russland wird dabei stets Störfaktor gesehen, wenn nicht gar als Bösewicht dargestellt. Die tatsächlichen Interessen und politischen Vorgänge spielen höchstens am Rande eine Rolle.

Vorgeschichte

Mit der Zerschlagung Jugoslawiens wurde der letzte Staat in Europa beseitigt, der den Sozialismus als sein gesellschaftspolitisches Ziel deklariert hatte. Es wurde damit aber zugleich ein Staat zerschlagen, der als Rückgrat der Politik der Nichtpaktgebundenheit anzusehen war. Es war damit auch ein tödlicher Schlag gegen den erhofften Prozess der Schaffung eines Systems der europäischen Sicherheit auf der Grundlage des Zusammenwirkens souveräner Staaten entsprechend den Prinzipien der UNO-Charta. Die Aggression zeigte, dass der "Westen" bereit ist, seine auf "gemeinsamen Werten" beruhenden Ziele nicht nur durch "friedlichen Regime-Change", sondern – wenn es anders nicht geht – auch mit den Mitteln brachialer Zerstörung jeglicher materieller und menschlicher Werte durchzusetzen, nämlich mit militärischer Gewalt und durch Krieg!    

Sowohl Russland als auch Serbien sahen sich mit dieser Art "Politik" der USA konfrontiert, welche die Weltherrschaft der USA als eine "Neue Weltordnung" zum  Ziel hatte. Und das bezeichnete man damals allseits als die angebliche "Beendigung des Kalten Krieges", als den ersehnten Anbruch eines Friedenszeitalters. Eine "Grand Strategy" zwar, aber eben ein "Frieden" ganz im Sinne des Kapitals!

Der damalige bundesdeutsche Außenminister Genscher bezeichnete die USA-Strategie als "eine in mancher Hinsicht sehr amerikanische Antwort auf die Frage nach der künftigen Weltordnung". Eine sehr bundesdeutsche Sicht aus der Position eines gerade erst zum Konkurrenten gewordenen "Partners"! Wie es im Falle von Kroatien und Slowenien deutlich wurde, ging es ihm nämlich wohl vor allem darum, die EU und speziell Deutschland stärker im "eurasischen Balkan" einzubinden. Das war und ist de facto eine Großmachtrivalität an Europas weichem Bauch, die den Balkan nun wieder zum Pulverfass werden ließ.

Übereinstimmung grundlegender Interessen

Das Interesse Serbiens an einer stabilen Zusammenarbeit mit Russland beruht  darauf, dass Russland und seine Außenpolitik – verglichen mit den USA, der EU und Deutschland – eine reale Alternative in politischer, wirtschaftlicher, sicherheitspolitischen und auch in moralischer Hinsicht darstellt. In der Praxis – wie beispielsweise in Syrien – hat Russland bewiesen, dass es die Verwirklichung der Grundprinzipien der UNO-Charta entsprechend den gegenwärtigen internationalen Beziehungen anstrebt.

Dies kommt den souveränen Interessen Serbiens entgegen, das – nach all den Erfahrungen mit der Aggression der USA, der EU und Deutschlands gegen Jugoslawien – an einem zuverlässigen Schutzschirm interessiert war und ist. Mit den Beziehungen zwischen Serbien und Russland wird ein wirksames Gegengewicht zur Präsenz der USA und der NATO in Albanien und im Kosovo geschaffen. Serbien verfolgt eine Politik der sicherheitspolitischen Neutralität und hegt daher auch keine Bestrebungen, Mitglied der NATO zu werden. Alle diese Elemente wirken sich nicht nur bilateral, sondern auch in Bezug auf die Situation in Europa positiv aus.

Beide Seiten knüpfen bewusst an historisch gewachsene Beziehungen an. Dazu gehören die historischen, kulturellen und politischen Verbindungen Russlands mit den Staaten einer christlich-orthodoxen Tradition. Auch diese historischen Linien sind ein wichtiger Faktor in den bilateralen Beziehungen, da er die sich aus den aktuellen Interessen ergebenden Möglichkeiten, beider Seiten erweitert. Die Unterstützung breiter Kreise der Bevölkerung dafür erweitert die günstigen Bedingungen und stabilisiert diese Beziehungen. Laut Umfragen sind 94 Prozent der Serben der Meinung, dass Serbiens Interessen am besten geschützt sind, wenn man eine enge Partnerschaft mit Russland pflegt.

Langfristige Grundlagen

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern beruhen mittlerweile auf stabilen, langfristigen Grundlagen. Beide Seiten bemühen sich um eine rationale Politik. Die Beziehungen sind auf die Überwindung der Probleme der ökonomischen Entwicklung, auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger und auf die Gewährleistung der äußeren Sicherheit ausgerichtet. Mit Russland an der Seite ist Serbien weniger erpressbar! Die Zusammenarbeit mit Russland ist ein wichtiger Faktor bei den Bemühungen, aus der Rolle eines Billiglohnlandes  und als Absatzmarkt für die ausländischen Monopole auszubrechen. 

Strategische Partnerschaft

Im Mai 2014 sind Russland und Serbien auch formell eine Strategische Partnerschaft eingegangen. Im Januar 2019 wurden in Verwirklichung dieser Partnerschaft während eines Staatsbesuches von Putin in Belgrad mehr als 20 Kooperationsabkommen zwischen beiden Ländern unterzeichnet. Sie zielen darauf ab, die bestehenden Beziehungen zu erweitern und neue Projekte in den Bereichen Energie, Infrastruktur, Innovationen und Digitalisierung zu initiieren. Die Transitinfrastruktur für eine neue Pipeline soll entwickelt werden.

Im serbischen Banatski Dvor soll die Kapazität des bestehenden Gasspeichers von 450 auf 759 Millionen Kubikmeter ausgebaut werden. Russland unterstützt die serbische Absicht, eine eigene Infrastruktur für den Gastransport aufzubauen, die sich von Bulgarien bis Ungarn erstrecken soll. Das wiederum bietet die Möglichkeit, russisches Gas zu transportieren, welches über Turkstream nach Mitteleuropa geliefert wird. Wichtige Verträge mit einem Volumen von 230 Millionen Euro, die auf rund 660 Millionen ausgeweitet werden, sind im Bereich des Schienenverkehrs unterzeichnet worden.

Ein weiterer Bereich der Zusammenarbeit ist die militär-technische Kooperation: Serbien kauft sechs Mi-17-Mehrzweckhubschrauber sowie Luftabwehrsysteme von Russland. Neben MiG-29-Flugzeugen erhält Serbien außerdem 30 T-72-Panzer sowie 30 BRDM-2-Aufklärungs- und Streifenfahrzeuge aus Russland kostenlos. Ebenso will Serbien die Raketensysteme Buk-M1 (9K37) und Buk-M2 (9K40) sowie das Flugabwehrraketensystem Tunguska (2K22) erwerben.

Freihandelsabkommen  

Am 25. Oktober 2019 wurde von Serbien mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) ein Freihandelsabkommen abgeschlossen. Serbien ist somit das erste europäische Land, das mit der EAWU ein solches Abkommen besitzt. Für Serbien bedeutet dies, dass 95 Prozent seiner Produkte zollfrei in einen Markt mit 182 Millionen Käufern exportiert werden können. In diesem Rahmen entwickelt sich zugleich der Handel mit Russland weiter, das gegenwärtig der fünftgrößte Handelspartner Serbiens ist.

Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern entwickeln sich seit 2005 günstig. Der positive Trend erreichte 2018 ein Volumen von zwei Milliarden US-Dollar. 2008 wurde zwischen beiden Ländern ein Energieabkommen abgeschlossen. Es hat eine Gültigkeit von 30 Jahren und verlängert sich automatisch.  Mit dem Abkommen eröffnen sich neue Möglichkeiten. Allerdings werden noch immer über 60 Prozent des Handels Serbien mit den EU-Staaten abgewickelt.

Politische Fragen

Von großer Bedeutung für Serbien sind die Beziehungen zu Russland bei der Wahrung seiner grundlegenden nationalen Interessen. Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern haben – sowohl unter dem Gesichtspunkt der bilateralen Beziehungen als auch der friedlichen Lösung der Fragen, die stets Gegenstand der internationalen Auseinandersetzung mit den USA, der NATO sowie mit der EU und Deutschland sind – ein beträchtliches und stabiles Niveau erreicht. Die Rolle Russlands als strategischem Partner Serbiens ist im Wachsen begriffen. Das bezieht sich sowohl auf die Sicherung einer stabilen nationalen Wirtschaft als auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik Serbiens. Die Beziehungen mit Serbien helfen Russland, seine Position auf dem Balkan zu festigen und dort einer Ausweitung des amerikanischen Einflusses entgegenzuwirken.                                                                              

Kosovo

Russland setzt sich für die territoriale Integrität und die Souveränität Serbiens ein. Sowohl in Bezug auf die Kosovo-Frage als auch hinsichtlich der Erhaltung der Republika Srpska (in Bosnien-Herzegowina) ist die Unterstützung durch Russland von entscheidender Bedeutung für Serbien. Russland betrachtet die UNO-Resolution 1244 als die einzige wirkliche Grundlage in der  Kosovo-Frage. Mit der Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo im Jahre 2008, die Russland nicht anerkennt, haben die NATO-Hauptmächte nicht nur Jugoslawien zerschlagen, sondern eine weitere Trennungslinie auf dem europäischen Kontinent geschaffen und auch das Prinzip der unteilbaren Sicherheit grob verletzt. Außenminister Lawrow versicherte, dass Russland nicht tatenlos zusehen wird, wenn Serbien die Beteiligung Moskaus an einem Dialog zwischen Belgrad und Pristina wünscht, und zwar insbesondere dann nicht, wenn die Albaner die Beteiligung der USA am Friedensprozess fordern sollten.

NATO

Die Haltung Serbiens gegenüber der NATO wird von der Position bestimmt, dass der Selbständigkeit und Souveränität des Landes absolute Priorität gebührt und Serbien so seine Politik des Friedens und der Stabilität auf dem Balkan verwirklichen kann. Serbien beharrt darauf, die Einhaltung der Position der militärischen Neutralität des Landes durchzusetzen. Im März 2019 erklärte Staatspräsident Aleksandar Vučić sogar, dass  "Serbien niemals Mitglied der NATO wird".

Das im März 2015 vereinbarte Abkommen zwischen Serbien und der NATO über einen "Individual Partnership Plan" (IPP) bedeute nicht, dass zwangsläufig eine Mitgliedschaft folgt. Die Position gegenüber der NATO werde von dem Wunsch Serbiens bestimmt, "Stabilität in der Region" zu gewährleisten. Die Zusammenarbeit mit der NATO basiert auf der Voraussetzungen und der Achtung der serbischen Politik einer (militärischen) sicherheitspolitischen Neutralität.

Europäische Union  

Für die Haltung Serbiens zur EU stelle sich nicht die Entweder-oder-Frage. Serbien könne seine Absichten gegenüber der EU gut mit der Pflege der traditionellen Nähe und der guten Beziehungen zu Russland vereinbaren. Serbien sieht Russland als traditionellen Verbündeten und als wirtschaftlichen Partner. Anlässlich des 180. Jahrestages der Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten stellte der serbische Präsident Vučić gegenüber dem russischen Außenminister Lawrow fest, dass es einen Druck gibt, die Haltung Serbiens gegenüber Russland zu ändern.

Serbien werde aber seine traditionellen Beziehungen zu Russland beibehalten und an ihrer Weiterentwicklung arbeiten. "Wir sind ein unabhängiges Land und wir treffen unsere Entscheidungen selbständig", sagte Vučić. Serbien lehnt es auch ab, jegliche Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Darüber hinaus wird die Europäische Union von Serbien darauf hingewiesen, dass es seine Beziehungen nicht nur mit der EU, sondern gleichermaßen auch mit der Eurasischen Wirtschaftsunion entwickeln wolle. 

Fazit

Das Verhältnis zwischen Russland und Serbien beruht in jedem Sinne auf der Verwirklichung von Grundprinzipien und Normen des demokratischen Völkerrechts. Es ist durch Nähe und Ähnlichkeit in der Herangehensweise an die Beurteilung und Lösung der Hauptthemen einer bilateralen Zusammenarbeit und der internationalen Agenda charakterisiert. Es wird bewusst im Rahmen von historisch gewachsenen Traditionen gestaltet.

Die Zusammenarbeit zielt auf die Erweiterung und Vertiefung der Beziehungen im Geiste einer strategischen Partnerschaft. Frieden und Sicherheit für die Entwicklung beider Länder, für die Gestaltung der Zusammenarbeit auf dem Balkan sowie für Sicherheit, Frieden und gleichberechtigte Zusammenarbeit in Europa sind die Leitlinien ihrer gegenseitigen Beziehungen. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind damit ein Faktor der Stabilität auf dem Balkan und darüber hinaus.

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