Nordamerika

USA: Auf Autopilot gegen die Felswand?

Das, was bei der Fernsehdebatte zwischen Biden und Trump geschah, hat durchaus handfeste Konsequenzen. Es entstand ein reales Interregnum, dessen Folgen noch gar nicht absehbar sind. In einer globalen Lage, die ohnehin kritisch ist, keine erfreuliche Entwicklung.
USA: Auf Autopilot gegen die Felswand?Quelle: www.globallookpress.com © Artem Priakhin

Von Dagmar Henn

Im Augenblick muss man schon ein eingefleischter Verschwörungstheoretiker sein, um den derzeitigen Zustand der USA nicht als bedrohlich zu empfinden. Denn nur, wenn man der festen Überzeugung ist, dass hinter dem Haufen überforderter Schwachköpfe rund um einen dementen Präsidenten irgendwo eine Schattenregierung verborgen ist, die zumindest einen kohärenten Gedanken fassen kann, kann man das ganze Spektakel der letzten Tage beruhigt ignorieren.

Dabei meine ich wirklich eine Schattenregierung, nicht nur eine Handvoll Milliardäre, die reich und mächtig genug sind, ihre privaten Fantasien direkt in die Ohren der Minister zu träufeln. Oder die etwas komplexeren Mechanismen, durch die sich die Interessen etwa der Rüstungsindustrie oder der Israellobby durch den Kongress hindurch in politisches Handeln umsetzen. Denn das alles ist derzeit zerbrochen.

Warum? Weil die Tatsache von Bedeutung ist, dass ein großer Teil der US-amerikanischen Bevölkerung selbst live miterlebt hat, dass ihr aktueller Präsident nicht handlungsfähig ist und der Rest der Bevölkerung es nur dann nicht im Internet präsentiert bekommt, wenn er im hintersten Bergdorf der Appalachen haust. Natürlich war es schon lange so, dass politisch interessierte Menschen von der "Mumie im Weißen Haus" sprachen und darüber debattierten, wer denn nun wirklich die Entscheidungen trifft, und auch die entsprechenden Zweifel bezüglich etwa der Befehlskette des US-Militärs lagen bereits auf dem Tisch. Der Unterschied zwischen der Zeit vor der Debatte und der danach ist jedoch, dass diese Zweifel durch den Fernsehauftritt belegt wurden, und zwar in einem Umfang, der tatsächlich die politische Legitimität der gesamten gegenwärtigen Regierung aufhebt.

Denn die US-Verfassung ist sehr auf den Präsidenten fokussiert. Alle Minister sind nur durch seine Entscheidung Minister. Jeder rechtsgültige Befehl, der der Armee erteilt werden soll, braucht eine ungebrochene Kette vom Präsidenten über den Verteidigungsminister zu den einzelnen Truppenteilen.

Bis zur Debatte wurde seitens des US-Mainstreams mit allen Mitteln versucht, so zu tun, als sei alles in Ordnung, bis hin zur Behauptung, all die Aufnahmen, die einen hinfälligen, dementen Biden zeigten, seien Deepfakes. Aber jetzt kann niemand, schlicht niemand mehr behaupten, dass dem so sei. Damit ist, ganz beiläufig, die rechtliche Grundlage jeder militärischen Handlung obsolet. Wenn dieser Zustand so bleibt, müssten die Streitkräfte der USA bis zum Amtsantritt des nächsten Präsidenten gewissermaßen in den Winterschlaf gehen.

Was nicht passieren wird. Aber schon der Gedanke belegt, dass die Schwierigkeiten über die Frage hinaus gehen, wer denn jetzt die Hand auf dem berühmten roten Knopf hat. Und bei dieser Gelegenheit sollte man nicht vergessen, dass die US-Politik in den letzten Jahren derart eifrig weltweit Brände gelegt hat, dass selbst jemand mit beweglichem Verstand im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten Schwierigkeiten hätte, damit umzugehen, geschweige denn, da wieder herauszufinden.

Der Nominierungskongress der Demokraten könnte die Qualität eines Shakespeareschen Königsdramas annehmen. Alle Fürsten sammeln ihre Vasallen um sich, schmieden Bündnisse oder Intrigen, träufeln Gift in Becher und Ohren, üben Versprechungen wie Verrat, und hinter jedem Eck in den Fluren des Palastes steht jemand mit gezücktem Degen. Ginge es nicht ganz nebenbei darum, irgendwie eine Eskalation bis hin zum Atomkrieg zu verhindern, ließe sich das, was in den Reihen der US-Demokraten gerade abläuft, sicher, sollte man es mit versteckter Kamera filmen, als Reality-Version von "Game of Thrones" vermarkten.

Sogar die oben erwähnten Verschwörungsanhänger bekommen ihr Teil. Sollte nämlich das zu erwartende Blutbad ausbleiben, wäre ihre Idee einer Schattenregierung bewiesen, denn aus dem Eck, in das sich die Demokraten manövriert haben, gibt es nur zwei Auswege: Entweder gibt es jemanden im Verborgenen, der mächtig genug ist, den ganzen Haufen zu einer Einheit zu zwingen; oder es wird in den nächsten Wochen jede, aber auch jede offene Rechnung aus den Schubladen gezogen, und die unterschiedlichsten Teile der Demokraten fallen übereinander her wie die Judäische Volksfront und die Volksfront von Judäa im "Leben des Brian".

Es erweist sich nun, dass das Problem Biden vor den Vorwahlen hätte gelöst werden müssen. Denn momentan gibt es nur drei Möglichkeiten, wie er nicht zum Kandidaten der Demokraten wird. Die erste: Er verstirbt. Das hätte den Preis, mindestens bis Januar 2025 Kamala Harris als amtierende Präsidentin zu haben, deren intellektuelle Fähigkeiten womöglich jene Bidens noch untertreffen. Die zweite: Der 25. Verfassungszusatz kommt zur Anwendung und Biden wird abgesetzt, weil er die Funktion des Präsidenten nicht mehr erfüllen kann. Der Preis: Kamala Harris, mindestens bis Januar. Die dritte: Er erklärt seinen Verzicht auf eine Kandidatur. Dazu müsste man vermutlich mindestens Hunter Biden entführen; sein Ersatzgehirn, Ehefrau Jill Biden, ist dafür jedenfalls nicht zu haben.

Aber gehen wir einmal davon aus, dieser Punkt wird vor dem Nominierungskongress irgendwie geklärt. Vielleicht werden ja Biden und Harris nach einem Bankett Opfer einer Lebensmittelvergiftung. Dann findet ein Nominierungskongress statt, der völlig frei aus einer größeren Zahl weitgehend unbekannter Kandidaten wählen soll, und der sich logischerweise entlang vorhandener Loyalitäten sortieren wird. Genau das ist der Moment, der ins Königsdrama führt; denn wenn es um offene Personalentscheidungen geht, sind die personellen Beziehungen meist stärker als die inhaltlichen. Also die Fürsten und ihre Vasallen, ein Mantel- und Degen-Drama.

Besonders verheerend wirkt diese Situation, weil es gelungen ist, in Europa sämtliche entscheidenden Positionen mit gehorsamen Nullen zu besetzen. In früheren Jahrzehnten wären die europäischen Staaten dann ihrer politischen Linie gefolgt. Das heutige Westeuropa hat keine politische Linie, außer mit dem Schwanz zu wedeln, wenn Washington ruft.

Bundeskanzler Olaf Scholz wäre selbst dann nicht imstande, Entscheidungen im deutschen Interesse zu fällen, wenn irgendjemand die Vereinigten Staaten vom Planeten beamen würde. Bei den beiden grünen Bundesministern hat man den Eindruck, sie wären nicht imstande, die Toilette aufzusuchen, ehe sie die entsprechende Anweisung erhalten haben. Das politische Vakuum, das vermutlich den US-Neokons als Erfüllung aller Wünsche schien – die bedingungslose Unterwerfung –, wird in dem Augenblick, da die befehlsgebende Instanz gar nicht mehr imstande ist, die erforderlichen Befehle einzuspeisen, zu einer Art versteinerter Anarchie.

Die in Gang gesetzte Maschinerie, die die ukrainische Front irgendwie mit allen Mitteln aufrechterhält, läuft erst einmal blind weiter. Für die russische Seite entsteht jedoch das höchst reale Problem, dass sich erst durch das Ende der Amtszeit das denkbare ukrainische Gegenüber in Nichts auflöste, jetzt aber auch in den Vereinigten Staaten auf absehbare Zeit keine Person mehr verfügbar ist, die ein politisches Mandat für Verhandlungen besäße. Ganz zu schweigen vom Willen und der Fähigkeit, einen Kurswechsel durchzusetzen. Der gesamte westliche Block verwandelt sich durch den Legitimitätsverlust der Biden-Regierung in einen Düsenflieger, der ohne Piloten auf Autopilot auf einen Berg zusteuert.

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