Hat der britische Ex-Minister Javid bei Geheimtreffen in den USA Assanges Auslieferung versprochen?
von Zlatko Percinic
Kurz vor seiner Ernennung zum Innenminister besuchte Sajid Javid das "World Forum" des einflussreichen US-Thinktanks American Enterprise Institute (AEI) in einem Fünf-Sterne-Ressort in Sea Island im US-Bundesstaat Georgia. Für viele Neocons, die insbesondere während der Regierungszeit von George W. Bush den Aufstieg in hochrangige Positionen geschafft haben, bietet das AEI das ideologische Gerüst, worauf sie sich in der Formulierung ihrer Politik beziehen. Richard Cheney, der Vizepräsident von Bush, ist heute noch Mitglied des Stiftungsrates.
Zum jährlichen "World Forum" werden Staatschefs, Minister, Wirtschaftsgrößen und Vertreter von sogenannten Eliten geladen, die sich in exklusiver Umgebung bei "Starlight Chats" und "After Dinner Cocktails" zu vertraulichen Gesprächen treffen können. Sajid Javid, Sohn pakistanischer Einwanderer nach Großbritannien, wurde insgesamt sechsmal eingeladen. Die letzte Teilnahme war 2018, kurz bevor er Innenminister wurde. Was genau bei diesen Treffen besprochen wurde, ist nicht bekannt. Bill Kristol, einer der bekanntesten Neocons der Vereinigten Staaten von Amerika und gern gesehener Gast bei AEI-Veranstaltungen, twitterte vor fünf Jahren anlässlich seines Besuches beim "World Forum":
Hier beim AEI World Forum. Wenn nicht alles strikt vertraulich wäre, gäbe es einige interessante Dinge zu berichten.
Here at @AEI World Forum. If everything weren't strictly off the record, there would be some interesting things to report.
— Bill Kristol (@BillKristol) March 7, 2015
Allerdings ist jetzt herausgekommen, dass bei dem Panel, an dem Javid als Redner auftrat, auch Jonah Goldberg teilnahm. Goldberg ist ein AEI-Fellow, der keinen Hehl daraus machte, dass er den WikiLeaks-Gründer Julian Assange gern tot sehen würde. In einem Artikel vom 29. Oktober 2010 schrieb er:
Ich möchte eine einfache Frage stellen: Warum ist Julian Assange nicht tot? … WikiLeaks gehört leicht zu den bedeutendsten und wohlbekannten Verstößen gegen die amerikanische nationale Sicherheit, seit die Rosenbergs den Sowjets die Bombe gaben. Deshalb frage ich erneut: Warum wurde Assange nicht schon vor Jahren in seinem Hotelzimmer erdrosselt? Das ist eine ernsthafte Frage.
Auch der bereits genannte Bill Cristol, der ebenfalls zu den Gesprächsteilnehmern von Javid gehörte, stellte ähnliche Überlegungen wie Goldberg an. In seiner Kolumne vom 30. November 2010 schrieb er bereits in der Überschrift: Whack WikiLeaks – Legt WikiLeaks um. Im Text stellte er dann die rhetorische Frage:
Warum können wir nicht gewaltsam gegen WikiLeaks vorgehen? Warum können wir unsere zahlreichen Möglichkeiten nicht nutzen, um Julian Assange und dessen Kollaborateure zu bedrängen, schnappen oder neutralisieren, wo immer sie sind? Warum können wir WikiLeaks nicht im Cyberspace und im physischen Raum so weit wie möglich stören und zerstören?
Dass das keine isolierten Meinungen sind, zeigt auch ein Blick auf die Seite von AEI selbst. Gibt man dort Begriffe wie "Julian Assange" oder "WikiLeaks" ein, kommen Beiträge von diversen Fellows in zahlreichen Medien, die eine Kampagne gegen die Whistleblower erkennen lassen.
Obwohl es bisher keine Gesprächsmitschnitte zwischen Sajid Javid und seinen Gesprächspartnern in Sea Island gab, so darf durchaus angenommen werden, dass Julian Assange ein Thema bei den privaten Gesprächen zwischen den US-Amerikanern und dem Briten war. Zumal Javid zu diesem Zeitpunkt bereits einen Kabinettsposten bekleidete und man ihm sogar zutraute, eines Tages Ministerpräsident zu werden. Nur einen Monat nach dem Besuch des "World Forum" wurde er von Theresa May zum Innenminister ernannt, nachdem Amber Rudd aufgrund von Skandalen zurückgetreten war.
Seit der Rücknahme des politischen Asyls durch die ecuadorianische Regierung von Lenín Moreno und der gewaltsamen Verhaftung von Julian Assange aus deren Botschaft in London am 11. April 2019 wuchs der Druck auf die britische Regierung, ihn an die USA auszuliefern. Entgegen der offiziellen Regierungsposition, die die Verhaftung guthieß, kritisierte die Schattenministerin Diane Abbott diesen Vorgang und warnte vor einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten.
Julian Assange wird nicht verfolgt, um die nationale Sicherheit der USA zu schützen, er wird verfolgt, weil er das (begangene) Unrecht von US-Behörden und deren Streitkräften enthüllt hat. … Julian Assange riskiert genau aus dem Grund an die USA ausgeliefert zu werden, weil, wie wir auf dieser Seite des Parlamentes glauben, er Material veröffentlicht hat, das von größtmöglichem öffentlichen Interesse ist.
Zwei Monate nach dessen Verhaftung unterzeichnete Javid den kontroversen US-Auslieferungsantrag am 12. Juni 2019 und ebnete damit den Weg für den formellen Anhörungsprozess vor britischen Gerichten. Am nächsten Tag äußerte sich der Innenminister im Radioprogramm von BBC dazu:
Das ist eine Entscheidung für die Gerichte, aber es gibt einen für den Innenminister sehr wichtigen Teil davon, und ich will die Gerechtigkeit jederzeit am Werk sehen, und wir haben einen legitimen Auslieferungsantrag erhalten, deshalb habe ich den unterzeichnet, aber die endgültige Entscheidung liegt bei den Gerichten.
Um mehr über die Beweggründe zu erfahren, die zur Entscheidung Javids geführt haben, den Antrag aus Washington zu unterzeichnen, forderte das Investigativportal Declassified UK über das Gesetz zur Informationsfreigabe (FOI) das Innenministerium auf, jegliche Telefongespräche oder E-Mails von oder an Sajid Javid freizugeben, die Assange erwähnen. Die Antwort des Ministeriums hat allerdings mehr Fragen offen gelassen, als tatsächlich beantwortet wurde:
Wir haben eine gründliche Durchsuchung durchgeführt und festgestellt, dass das Innenministerium nicht über die von Ihnen angeforderten Informationen verfügt.
Wenn das zutreffend sein sollte, stellt sich die Frage, wie und auf welchem Weg Javid die Auslieferung von Assange mit den USA besprochen hat, wenn es darüber keine offiziellen Aufzeichnungen gibt. Und welche Rolle dabei die AEI spielte, aus deren Reihen beispielsweise auch John Bolton stammte, bevor er von US-Präsident Donald Trump im April 2018 zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt wurde. Auch Bolton gilt als harscher Kritiker von WikiLeaks, Assange und Edward Snowden, deren harte Bestrafung er mehrmals forderte.
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