Meinung

Gipfel der Ironie: US-Veteranen kehren nach Vietnam zurück – "für ein besseres Leben"

Es klingt nahezu unglaublich. Doch eine Reihe von US-Bürgern beschließt, aus dem sich verflüchtigenden "amerikanischen Traum" auszusteigen und sich an fremden Orten wie Vietnam niederzulassen. Ausgerechnet dort, wo viele von ihnen einst als Invasoren verhasst waren.
Gipfel der Ironie: US-Veteranen kehren nach Vietnam zurück – "für ein besseres Leben"Quelle: www.globallookpress.com © Kevin Sullivan

von Robert Bridge

Vietnam, Laos, Kambodscha. Für viele US-Amerikaner rufen diese Namen starke Erinnerungen und Bilder von unsäglicher Gewalt hervor. Es wären vielleicht die letzten Orte auf der Welt, die man für einen Besuch in Erwägung zieht. Doch immer mehr US-amerikanische Veteranen und Rentner besuchen nicht nur Südostasien. Sie haben sich sogar entschieden, es zu ihrem Zuhause zu machen. Der Grund dafür? Viele beantworten diese Frage mit dem Hinweis auf eine bezahlbare Gesundheitsfürsorge, billige Miete und einen steigenden Lebensstandard.

So berichtete die Los Angeles Times kürzlich:

Die alternden US-amerikanischen Baby-Boomer leben einen Lebensstil, der an Florida, Nevada und Arizona erinnert, allerdings in Vietnam.

Die monatlichen Ausgaben übersteigen hier selten 2.000 US-Dollar, selbst wenn man in einer großen Einheit lebt (...), einschließlich der Hilfe eines Kochs und einer Putzfrau.

Das hätte das Zeug zum Gipfel aller Ironie. Pensionierte US-Soldaten und durchschnittliche US-Rentner würden lieber ihre Chance nutzen, im Ausland unter ihren ehemaligen Feinden zu leben, als zu versuchen, mit ihren Pensionen zu Hause in den Vereinigten Staaten über die Runden zu kommen. Das sagt zwar erst einmal nicht viel über den Zustand des Kapitalismus in den USA aus. Allerdings sollten wir dabei nicht vergessen, dass Vietnam "sozialistisch" ist, was in den USA einem Schimpfwort mit vier Buchstaben so nahe wie nur irgendmöglich kommt. Doch all das scheint den Neuankömmlingen nichts auszumachen, von denen einige vor vielen Jahren in den asiatischen Dschungel geschickt wurden, um die ideologischen Überzeugungen von Washingtons Erzfeind auszulöschen.

Zwar wird die vietnamesische Regierung nicht die genaue Anzahl der US-amerikanischen Veteranen und Rentner preisgeben, die jetzt dauerhaft im Land leben. Doch es ist kein Geheimnis, dass das Land seine Visabestimmungen für viele ausländische Bürger gelockert hat, auch für US-Amerikaner. Kambodscha, ebenfalls ein Land, das während der Kriegsjahre enorm gelitten hat, erweist sich auch als sehr entgegenkommend gegenüber Ausländern, die eine Rente zum Ausgeben haben.

Für eine Art anekdotischen Beweis hatte ich mich an einen Bekannten von mir in den USA gewandt. Ich werde ihn "John" nennen, da er darum bat, anonym zu bleiben. John lebt seit fünf Jahren in Ho-Chi-Minh-Stadt (auch bekannt als Saigon) mit seiner vietnamesischen Frau, die er während seines Studiums an der Universität kennenlernte. Seit er nach Vietnam gezogen ist, hat er eine "deutliche" Zunahme der Ausländer festgestellt, vor allem der US-Amerikaner. Und alle scheinen unterschiedliche Geschichten zu erzählen.

Viele von ihnen dienten in Vietnam und wollten wieder eine Verbindung zu einem Ort herstellen, der so einen emotionalen Einfluss auf ihr Leben hatte, andere sind Rentner, die etwas Abenteuer wollten und beschlossen, diesen Teil der Welt zu besuchen, ohne zu ahnen, dass sie am Ende bleiben würden", so John.

Wobei er unterstrich, dass viele Besucher von dem Land überrascht sind:

Die Vietnamesen sind nicht nur freundlich und zuvorkommend, sondern auch Essen, Miete und öffentliche Dienstleistungen wie das Gesundheitswesen sind äußerst erschwinglich. Außerdem ist man nie weit von schönen Stränden entfernt.

Mehr fürs Geld

Für einige Veteranen und Rentner in den USA erweisen sich diese Faktoren als unwiderstehlich. Schließlich kommen sie zu der düsteren Schlussfolgerung, dass ihre monatlichen Renten und Sozialversicherungsleistungen kaum den Bedarf decken. Wenn sie nicht in der Lage waren, während ihrer Arbeits- oder Kriegsjahre etwas auf die hohe Kante zu legen – und die Statistiken zeigen, dass die Mehrheit dazu nicht in der Lage war –, dann könnten sie im Alter eine Überraschung erleben.

Obwohl Donald Trump vor kurzem ein Gesetzesvorhaben umgesetzt hat, das die medizinische Versorgung auf mehr US-Veteranen ausdehnt, steht der ganze Plan bereits unter dem Druck, jeden in dem Programm unterzubringen, der sich dafür qualifiziert. Das sind schlechte Nachrichten für Millionen von Veteranen, von denen viele dringend eine körperliche und seelische Behandlung benötigen. Um deren Probleme zu verdeutlichen: Jeden Tag begehen schätzungsweise 17 Veteranen Selbstmord.

Tatsächlich hat die Gesamtzahl der registrierten Selbstmorde unter den Veteranen in vier der letzten fünf Jahre zugenommen, wie die Military Times berichtet. Die Wahrscheinlichkeit, Selbstmord zu begehen, ist bei US-Veteranen 1,5-mal größer als bei US-Amerikanern, die nie im Militär gedient haben. Bei weiblichen Veteranen liegt die Wahrscheinlichkeit eines Selbstmordes 2,2-mal höher.

Würde ein Umzug an einen erschwinglicheren Ort – wie Südostasien – ihre Anspannungen verringern? Wie es scheint, sind immer mehr US-amerikanische Veteranen und Rentner bereit, das Risiko einzugehen und es herauszufinden. Trotz der schmerzhaften Hinterlassenschaft des Vietnamkrieges, der US-Amerikaner und Vietnamesen gleichermaßen tief gezeichnet hat.

Zwischen März 1965 und Mai 1975 verloren über 50.000 US-Soldaten (und ein Vielfaches davon auf der gegnerischen Seite unter der Zivilbevölkerung und den Soldaten) ihr Leben als Teil von Washingtons stümperhaften Bemühungen, die Ausbreitung des Kommunismus in Südostasien zu stoppen.

Nach offiziellen Statistiken Vietnams kamen auf beiden Seiten des langwierigen Konflikts bis zu zwei Millionen Zivilisten ums Leben.

Heute müssen sich viele US-Amerikaner eine einfache Frage stellen: Waren all der Tod und all die Zerstörung auf beiden Seiten des Krieges es wirklich wert? Selbst für diejenigen, die den langwierigen Krieg überlebt haben. Sie wurden zu Hause nicht als Helden willkommen geheißen. Tatsächlich wurden sie von der Gesellschaft weitgehend gemieden. Inzwischen leiden Tausende dieser Veteranen immer noch unter den physischen und psychischen Auswirkungen des Kampfes, ohne aber das Minimum an medizinischer Versorgung erhalten zu können. Mittlerweile sehen die ehemaligen Schlachtfelder nicht nur attraktiver aus, sondern sie sind für viele zur neuen Heimat geworden.

Werden zukünftige Generationen von US-Amerikanern die Lektion dieser schrecklichen Tragödie lernen? Wenn die Geschichte sie etwas lehrt, dann dies – dass sie sich immer wiederholen wird.

Robert Bridge ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Der ehemalige Chefredakteur der Moscow News ist Autor des 2013 veröffentlichten Buches "Midnight in the American Empire".

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