Meinung

Keine Geschäfte mit Russland! Aber warum fördert die Bundesregierung dann russische Oppositionelle?

Das Auswärtige Amt unterstützt mit Millionen russische NGOs, die angeblich den Austausch zwischen beiden Ländern fördern sollen. In Wirklichkeit kommt die Förderung Gegnern von Kooperationen zugute: Eindrücke von einer Konferenz "russischsprachiger Europäer".
Keine Geschäfte mit Russland! Aber warum fördert die Bundesregierung dann russische Oppositionelle?Quelle: www.globallookpress.com © RT bearbeitet

von Wladislaw Sankin

Dirk Wiese, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, hat den versammelten Gästen einiges zu sagen. Er redet lange und schnell. Gleich zu Anfang sagt er: 

Deutschland und seine EU-Partner haben heute politische Differenzen mit Russland. Und sie kennen zweifellos auch die entsprechenden Schlagworte, wo es Differenzen gibt. Russland spielt aktuell eine negative Rolle in den ungelösten Konflikten. 

Die Versammelten, zu denen Wiese mit seiner Rede spricht, sind Gäste und Vortragende, die der Einladung des Forums der russischsprachigen Europäer e.V. gefolgt sind, um zur zweitägigen Konferenz "Russischsprachige für Europa" in das "Berliner Mauermuseum" zu kommen. Diese Konferenz wird vom deutschen Auswärtigen Amt finanziert. Dies sei Teil des Programms "Deutsch-Russisches Jahr der Menschenrechte", das die Rolle der Zivilgesellschaft in den deutsch-russischen Beziehungen stärken soll. 

Die Kontakte der Bürger untereinander spielen eine zentrale und entscheidende Rolle jenseits der Kontakte zwischen den Regierungen. Je schwieriger die politischen Differenzen sind, desto wichtiger ist der Austausch, der Abbau von Vorurteilen, um eine Basis für Vertrauen zu schaffen", sagt Wiese.   

Anschließend lobt er die erfolgreichen deutsch-russischen Wissenschaftskooperationen und Städtepartnerschaften sowie das Kulturprojekt "Russian Seasons". Im Laufe der Konferenz zeigt sich: Für viele der Versammelten klingen Wieses Worte zu moderat – und das trotz der anfänglich angefügten Kritik zu "Russlands negativer Rolle". Für diesen Verein, der sich "als Anhänger der europäischen liberal-demokratischen Werte und Gegner der Diktatur, Aggression und Propaganda Putins" sieht, kommt der Austausch Berlins mit Moskau einer Appeasement-Politik gleich.

Die ersten zwei Panels der Konferenz am zweiten Tag – "Die Natur von Putins Regime: ein hybrider oder ein neuer Totalitarismus" und "Hybrider Krieg: Ein Versuch, europäische Werte zu zerstören" –, die ich als RT-Korrespondent besuchen konnte, haben am anschaulichsten die Ausrichtung der Konferenz als äußerst tendenziös demonstriert.

Mitnichten saßen im Saal Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft – die im Sinne des von Dirk Wiese gepriesenen Austausches hier eigentlich anwesend sein müssen. Von den zeitweise bis zu 60 Versammelten waren annähernd die Hälfte jene – von Panel zu Panel wechselnden – Referenten selbst. Der Rest waren aus ganz Deutschland zugereiste russischsprachige Aktivisten, die sich selbstironisch als "Verrückte mit Plakaten" bezeichnen, sowie Betroffene oder Angehörige der mutmaßlichen Opfer von Polizeiwillkür im Kaukasus.

"Fürchterliche" Russophobie 

Gleich im ersten Panel haben wohl die dienstältesten Putinkritiker der Konferenz für eine intellektuell atemberaubende Achterbahn durch die Welt von passenden Begrifflichkeiten gesorgt. Sie haben versucht, die ganze Bandbreite aller Meinungen über das "wahre Wesen" des "Putin-Regimes" im Lichte verschiedenster Autoritarismus- und Totalitarismustheorien innerhalb Russlands und im Ausland zu erfassen.

So schien denn das Urteil für Russland unter Putin zeitweise gar nicht sonderlich hart ausgefallen zu sein. Der Soziologe und Publizist Dmitrij Trawin nannte es einen "elektoralen Autoritarismus" und wies darauf hin, dass auch in autoritären Regimes verschiedene Interessengruppen in Konkurrenz zueinander stehen würden. Er halte deshalb – nach einem Rückzug des amtierenden Präsidenten aus der Politik, versteht sich – auch eine demokratische Entwicklung des Landes als mögliche Zukunft.

Er betonte, dass das derzeitige System sogar gewisse Freiheiten zulasse, und sah dabei sich selbst als Autor als ein Beispiel: "Ich kann für bis zu zehn Medien frei schreiben, ohne Zensur zu befürchten." Der Journalist Nikolai Rudenski sagte dazu scherzend:

Wir beschäftigen uns hier mit einer furchterregenden Russophobie und können nach Moskau zurückkehren, ohne dass wir gleich am Flughafen von einem Trupp von Knochenbrechern verprügelt werden.

Rudenski verglich den populären Zug der Millionen von Teilnehmern mit den Portraits der Kriegsteilnehmer aus der Familie – das "Unsterbliche Regiment" am Tag des Sieges – mit einem in Ethnologie-Büchern beschriebenen Ritual der Indios, die Knochen ihrer Vorfahren zu tragen. "Das ist nicht einmal Ideologie in Russland, das gleicht eher einer archaischen Religion".  

Die anderen zwei Redner des Panels waren in ihrer Analyse eindeutig weniger witzig. Für Alexander Skobow, selbst ein politischer Gefangener in der Sowjetzeit, sei Russland heute eine mit Staatsorganen dekorierte "Diktatur der Gangster". Als Atommacht habe sie genug Ressourcen, um das System der internationalen Beziehungen zu zerstören. Schließlich sei Putin eine gleichartige Bedrohung für die Zivilisation, wie es Hitler war.

Macron-Initiative unterbinden

Die in Frankreich lebende Historikerin und Philologin Galina Akkermann sah in Russland wenig Chancen für einen baldigen Macht- und Politikwechsel: "Es findet die Rückkehr in den Sowjetismus statt, nur Sowjetismus ohne Kommunismus".

Bei der anschließenden Fragerunde nahm eine Frau aus dem nordkaukasischen Dagestan das Mikrofon an sich, ging zum Podium und klagte laut über die Misshandlungen an ihrem Sohn, der unter dem Vorwurf, "terrorverdächtig zu sein", festgenommen wurde. "Wir haben zwei unserer Häuser verlassen und brachen nach Europa auf." Sie bat die Anwesenden darum, "etwas zu unternehmen", um Menschen, die sich in der gleichen Lage wie ihr Sohn befinden, zu helfen. Daraufhin formulierte Galina Akkermann die Ziele der Veranstalter:

Unsere Aufgabe besteht darin, dieses Regime daran zu hindern, Europa zu spalten, damit solch dumme Illusionen wie zuletzt bei Macron gar nicht mehr möglich würden.

Empfänglichkeit für Russland

Wie die zweite Panel-Diskussion zeigte, konnten sich viele andere Redner der Konferenz mit dieser Zielsetzung identifizieren. Die liberale Ideologie mit ihrem Postmodernismus habe es Putin ermöglicht, den Wahrheitsbegriff zu verwässern und Zwiespalt und Mehrdeutungen selbst bei solchen Gewissheiten wie "Demokratie" oder "Diktatur" zu säen, sagte der Welt-Korrespondent Richard Herzinger während des zweiten Panels.

Besonders problematisch sei für ihn die "Empfänglichkeit" der Deutschen für alles, was aus Russland kommt. Er sehe sogar die Tendenz des Abdriftens zu Russland – auf Kosten der transatlantischen Freundschaft. Diese Neigung sei tief verwurzelt, als Projektionsbild reiche Russland bei den Deutschen bis ins 19. Jahrhundert.  

Besonders empfänglich für derlei Sympathien seien die Ostdeutschen, was Herzinger mit dem 30 Jahre später zutage getretenen "Stockholm-Syndrom" erklärt – Verständnis für die ehemaligen Besatzer. Die Nähe zum autoritären Russland sei für liberale Demokratien auch deshalb gefährlich, weil Russland kein islamisches "Dingsbums" (wortwörtlich) sei, sondern europäisch und "uns ähnlich". Das macht Europa nachahmungsfähig.

Die Historikerin Anna Veronika Wendland wies in ihrem Redebeitrag darauf hin, dass die Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas im Endeffekt auf den Ehrgeiz der Deutschen zurückzuführen sei. Sie wollten die Nummer eins bei der Energiewende sein und brauchten für die lange Umstiegsphase billigeres und umweltfreundliches russisches Gas.

Wir müssten uns die Frage stellen, ob wir das wirklich brauchen, Nummer eins sein zu wollen", fragte sie in die Runde.

Große Geschäfte? Nichts davon!

Die anderen Redner des Panels sind auf die viel beschworene Unterstützung Russlands der europäischen Anti-Establishment-Parteien ausführlich eingegangen. "Russland will, dass wir in der EU untereinander streiten", sagte die französische Historikerin Cécile Vaissié. Eine Abschlussbemerkung machte die anwesende Grünen-Politikerin Rebecca Harms.

Wir müssten es mal unterstreichen, dass Russland aggressiv ist und versucht, die Staaten in und außerhalb der EU zu destabilisieren. Allein das sollte der Grund sein, mit Russland keine großen Geschäfte zu machen, ob mit Gazprom, in der Autoindustrie oder mit Rosatom. Nichts davon sollte stattfinden, sagte Harms.

Stattdessen sollte man in die Demokratie anderer Staaten der ehemaligen Sowjetunion investieren, um durch ihren Erfolg Veränderungen in Russland zu bewirken. Es folgte Applaus.

Die Konferenz der russischsprachigen Europäer mit über zwanzig eingeladenen russischen Regierungskritikern ist nur eine der über 1.100, die das Auswärtige Amt in den letzten sechs Jahren in den Ländern der östlichen Partnerschaft und Russland finanzierte. Insgesamt seien nach Angaben von Dirk Wiese 77 Millionen Euro in diese Projekte geflossen.

Ob dieses Geld tatsächlich wie propagiert dem Dialog, dem gesellschaftlichen Austausch und dem Abbau von Vorurteilen zugutekommt, ist jedoch zu bezweifeln. Statt eine Debatte für einen offenen Diskurs zu sein, fungierte die große Konferenz "Russischsprachige für Europa" in Berlin als Konsolidierungsplattform und Echokammer für diejenigen, die für den Abbruch der Kooperation zwischen Russland und Deutschland plädieren.

Die Isolation Russlands sowie die damit verbundene Kälte und der Hass in den Beziehungen sind für diese gesellschaftlichen Akteure offenbar der Idealzustand. Geht es anders als gewünscht auf die Kooperation zu, sind es entweder das Volk, das "falsch" tickt, oder käufliche Regierungen, die dem im Weg stehen – "Schuldige" sind stets auszumachen.

Nach der Logik von Harms, die auf der Konferenz bejubelt wurde, sind zudem Fortschritte in der Bekämpfung von Krebs unerwünscht, wenn diese durch die Zusammenarbeit mit Russland zustande kommen. Es wäre dann nicht nur Nord Stream 2 zu verurteilen, sondern auch die deutsch-russische Kooperation im Bereich der Nuklearmedizin – denn daran ist das russische Staatsunternehmen Rusatom beteiligt. Bei Rusatom handelt es sich schließlich um das Tochterunternehmen des russischen High-Tech-Riesen Rosatom. Politische Obsession ist offenbar mehr wert als ein Menschenleben.

Dass das Auswärtige Amt trotz des großen Kooperationsanliegens, das in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist, die Bühne für Kooperationsgegner bietet, erklärt sich dadurch, dass das offizielle Berlin in Sachen Russland offenbar immer noch für Regime-Change-Fantasien empfänglich ist. Der jüngste Skandal mit dem regierungsnahen Auslandssender Deutsche Welle bestätigte dies erneut. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Initiative der Bundesregierung, die visumfreie Einreise nur für junge Menschen aus Russland zu erwirken, um sie so an Europa und "europäische Werte" zu binden. 

Die Anmaßung, ein NGO-Projekt mit dem amtlich klingenden Namen "Deutsch-Russisches Jahr der Menschenrechte" zu fördern – vorbei an der russischen Regierung und dem Menschenrechtsrat –, ist ein weiteres Zeichen dafür.

Ich fragte bei der russischen Botschaft, wie diese undiplomatischen Schritte der deutschen Kollegen dort aufgenommen werden. Denn ebensolche Aktivitäten, sollten sie von russischer Seite ansatzweise versucht werden, werden von den gleichen Hütern der Demokratie, wie auf der Konferenz, sofort als Destabilisierungsversuch angeprangert.

Eine politische Einschätzung dazu könne nur der Botschafter Netschajew geben, war die Antwort. Aus den Gesprächen mit Sergei Jurjewitsch Netschajew wusste ich: Eine weitere Anfrage lohnt sich nicht. Er ist für eine positive Agenda interessiert. Im weiteren Gespräch hat mich ein Ressortleiter der Botschaft über das bevorstehende Jahr Deutschlands in Russland informiert. Es soll von August 2020 bis Juni 2021 stattfinden, was die deutsche Botschaft erst am Tag zuvor bekannt gegeben hat. Dies ist das erste Deutschlandjahr in Russland seit acht Jahren.

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