Meinung

Gefangen im Lügengespinst: Das deutsche Establishment und der Syrien-Konflikt

Die deutsche Verteidigungsministerin hat die Einrichtung einer "europäischen Sicherheitszone" in Nordsyrien vorgeschlagen. Vermutlich will sie sich mit diesem irren Vorschlag nur profilieren. Dennoch zeigt sich an ihm das Niveau der heutigen politischen Klasse.
Gefangen im Lügengespinst: Das deutsche Establishment und der Syrien-KonfliktQuelle: AFP

von Andreas Richter

Mehr als zwanzig Jahre sind seit dem illegalen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien vergangen. Damals wurde das Völkerrecht gebrochen, um angeblich einen neuen Völkermord oder, wie der damalige deutsche Außenminister Joseph "Joschka" Fischer behauptete, ein neues Auschwitz zu verhindern.

2019 ist der Völkerrechtsbruch im Namen des angeblich Guten für die deutschen Entscheider zum Alltag geworden. Das zeigt die bizarre Debatte, die nach dem Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien und dem türkischen Einmarsch dort entbrannt ist.

Schon das mediale Echo auf diese Ereignisse war so absurd wie wirklichkeitsfern. Von der "Kapitulation des Westens" war etwa im Spiegel die Rede, und vom Triumph der "Despoten" Assad, Erdoğan und Putin. Welche Rolle der vermeintlich gute und gütige Westen bei der Zerstörung Syriens spielte, wie viel Mühe und Geld er in den Regime Change steckte – kein Wort davon. Dass der absehbare Sieg der syrischen Regierung eine Chance auf Wiederaufbau und eine Rückkehr der Flüchtlinge bietet – kein Gedanke daran.

Dafür wieder das Gerede über den "Massenmörder" Baschar al-Assad, nachdem Claus Kleber und Konsorten über all die Jahre schon nicht müde wurden, den offenbar aus einer PR-Agentur stammenden Satz zu verbreiten, Assad führe "Krieg gegen das eigene Volk". Dass die Vorgänger des US-Präsidenten erheblich mehr Blut an den Händen, dass sie noch viel mehr Länder zerstört und Menschen ihre Heimat genommen haben, will, kann und darf in den "Qualitätsmedien" einfach niemandem auffallen.

Übertroffen wird das Versagen des medialen Mainstreams noch durch das der Politik. Dort überschlagen sich Vertreter fast aller Parteien, den Einmarsch der Türkei als völkerrechtswidrig zu kritisieren. Gleichzeitig bedauerten sie den Abzug der dort ebenfalls völkerrechtswidrig stationierten US-Truppen als "Verrat an den Kurden". Am Montagabend setzte die CDU-Vorsitzende und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer der Debatte mit ihrer Forderung nach einer von deutschen und anderen NATO-Truppen kontrollierten internationalen "Schutzzone" die Krone auf.

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Man muss sich das vor Augen führen: Die Ministerin schlägt vor, dem völkerrechtswidrigen Einsatz der Türken mit einem ebenfalls völkerrechtswidrigen Einsatz anderer NATO-Truppen zu begegnen. Glücklicherweise hat der Vorschlag Kramp-Karrenbauers mit der Realität vor Ort nicht viel zu tun. Die EU wird in Nordsyrien nicht viel zu melden haben; Russen und Türken dürften mit dem Vorschlag nichts anfangen können, die Syrer noch weniger. Und was sollte diese seltsame Zone bringen, außer einer Verlängerung des Konfliktes? Wer als westlicher Politiker den Menschen in Syrien helfen will, braucht sich nur für die Aufhebung der Sanktionen gegen das Land einzusetzen.

Vermutlich ging es der angeschlagenen Parteichefin weniger darum, wirklich in Syrien mitzumischen, als im Angesicht des wachsenden Unmuts in der Partei und der Kritik vonseiten der Springer-Presse Führungsstärke und Kompetenz zu beweisen. Das immerhin hat sie mit ihrem Vorstoß geschafft, der nicht einmal mit den Koalitionspartnern abgestimmt war, wenn auch nicht in dem von ihr beabsichtigten Sinn.

Die Fehlleistung Kramp-Karrenbauers ist kein Einzelfall, Parteifreunde von ihr wie Norbert Röttgen und Roderich Kiesewetter äußerten sich zuvor bereits ganz ähnlich. Und doch steht ihr Plan gewissermaßen stellvertretend für das immer offenkundiger werdende Versagen einer politischen Klasse, die sich in einem Gespinst aus Inkompetenz, Lobbyismus und Kriminalität verfangen hat und dabei zunehmend der eigenen "Wir-sind-die-Guten"-Propaganda aufsitzt. 

Moralisch aufgeladene Diskurse bestimmen die innen- und außenpolitischen Debatten in allen westlichen Ländern und haben das Bestimmen und Austarieren unterschiedlicher Interessen weitgehend ersetzt, objektiv zu Lasten der Fähigkeit der westlichen Gesellschaften, Probleme rational erkennen und lösen zu können. Auch das ist neben der Verbreitung von Unsicherheit, Gewalt und Chaos ein Element der sich vor aller Augen vollziehenden Auflösung des US-amerikanischen Imperiums.

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