Meinung

Kann die deutsche Passivradartechnik tatsächlich US-Tarnkappenflugzeuge "entzaubern"?

Vergangene Woche sorgten Medienberichte für Furore, dass ein deutscher Rüstungshersteller den US-Tarnkappenbomber F-35 im Flug über Brandenburg "entzaubert" habe. Experten bewerten die Berichte kritisch und sehen keinen erbrachten Beweis der Passivradartechnologie unter echten Kampfbedingungen.
Kann die deutsche Passivradartechnik tatsächlich US-Tarnkappenflugzeuge "entzaubern"?Quelle: AFP © Eric Piermont

von Zlatko Percinic

Der Besuch von zwei Kampfjets des Typs F-35A "Lightning II" der US-Air Force an der Luftfahrtausstellung ILA am Berliner Flughafen Schönefeld im April 2018 sollte auch dazu dienen, die Bundesregierung dazu zu überzeugen, diesen Typ als Ersatz für die zur Ausmusterung stehenden Tornados der Luftwaffe in Betracht zu ziehen. Nebst der Flugshow, an der die F-35 nicht teilnahmen und sich stattdessen mit einem Aufenthalt auf dem Boden begnügen mussten, sollte es auch eine Verkaufspräsentation des US-Herstellers Lockheed Martin geben.

Dass die prominenten Gäste der ILA ihre Fähigkeiten nicht unter Beweis stellen durften, lag Gerüchten zufolge daran, dass der deutsche Rüstungshersteller Hensoldt sein neues Passivradarsystem "Twinvis" ebenfalls ausstellte. Demnach soll befürchtet worden sein, dass durch den Einsatz von "Twinvis" die vermeintlich unsichtbaren Kampfjets vielleicht dann doch nicht so unsichtbar sind, wie es der Hersteller gern hätte.

Und tatsächlich schien sich diese Befürchtung zu bewahrheiten, als beim Abflug der beiden F-35 in Richtung Heimat sie von einem Radarsystem von Hensoldt knapp 150 Kilometer weit verfolgt wurden. Das System wurde auf einem Ponyhof in der Nähe des Flughafens "versteckt", was für die deutsche Berichterstattung die ganze Dramatik dieser Entdeckung noch weiter verstärkte. So titelte beispielsweise der Berliner Kurier "Geheime Militärzentrale auf Ponyhof – Unsichtbarer US-Kampfjet in Brandenburg enttarnt".     

Doch war es wirklich so? Wurde das teuerste Rüstungsprojekt der USA tatsächlich auf dem Flug enttarnt und dabei der Tarnkappenmodus mehr oder weniger obsolet gemacht? Für Lockheed Martin – und natürlich die US-Kriegsführung – hätte das katastrophale Folgen und Hensoldt eine Cashcow allerersten Ranges beschert.

Um es kurz zu machen: Nein, die F-35 wurden weder enttarnt noch entzaubert. Ganz im Gegenteil. Beide Flugzeuge befanden sich nicht in einer Kampfmission, dementsprechend waren sowohl ihre Transponder eingeschaltet, als auch die sogenannten Lüneburg-Linsen am Flugzeug selbst angebracht. Diese Linsen sind Radarreflektoren, die jeweils auf der Ober- und Unterseite der Tragflächen angebracht werden, um die Jets so für die Radarüberwachung sichtbar zu machen.

Mit der Anbringung der Radarreflektoren gibt man sich nicht nur absichtlich zu erkennen, sondern versucht so auch gleichzeitig, die spezifische Radarsignatur eines bestimmten Flugzeugs mit Tarnkappenfunktion zu verschleiern. Deshalb sorgen sich beispielsweise Israel und die USA über die russischen Radarwarnanlagen in Syrien, dass sie die Signaturen der F-22 und F-35 im Kampfeinsatz "charakterisieren" können und mit Elektronischer Aufklärung (ELINT) Informationen über die Waffensysteme erhalten. Aus diesem Grund flog die US-Air Force bei ihrem ersten Kampfeinsatz mit einer F-35 im Irak am 30. April nicht etwa im Tarnkappenmodus, sondern mit angebrachten Radarreflektoren, damit es zu keiner Radarsignatur kommt, die Erkenntnisse für die russische Aufklärung liefern könnte.

Dennoch bleibt Hensoldt dabei, dass die Tatsache, dass die beiden F-35-Kampfjets gar nicht unerkannt flogen, keine Rolle in der Bewertung des Erfolgs des "Twinvis"-Systems spielten. Gegenüber dem Spiegel sagte Joachim Schranzhofer, Kommunikationschef des deutschen Herstellers:

Passivradar ist aufgrund der zugrundeliegenden Technologie sehr geeignet, um Stealth-Plattformen zu detektieren 

In diesem Punkt hat Schranzhofer recht. Passivradartechnologie ist in der Tat theoretisch in der Lage, Tarnkappenflugzeuge zu entdecken. Wie David Cenciotti, ein Luftfahrtexperte und ehemaliger italienischer Kampfpilot, darlegt, nutzt der Passivradar bereits in der Luft vorhandene Signale durch Rundfunk und Mobilfunkanlagen. Indem Computersysteme der Radaranlage dann den Dopplereffekt zwischen einem Objekt, das sich durch diese Signale hindurchbewegt, und deren Sender auswertet, können Rückschlüsse auf die Art, Größe und Geschwindigkeit des Objekts gezogen werden.

Diese Technologie ist aber nicht neu. Bereits vor 18 Jahren wurde öffentlich bekannt, dass sich auf diese Weise Tarnkappenbomber entdecken ließen. Auf diese Weise sollen auch serbische Streitkräfte während der NATO-Bombenkampagne 1999 einen US-Tarnkappenbomber des Typs F-117 in der Nähe von Belgrad abgeschossen haben.

Dass sich die Passivradartechnologie nur bedingt als ein aktiver Teil der Luftabwehr einsetzen lässt, liegt genau in den Voraussetzungen für das System begründet. Überall, wo es keine große Dichte an Telekommunikationssendern gibt, kann das System nicht funktionieren. Man muss dazu nicht einmal auf Kriegsschauplätze in Afghanistan, Afrika oder eben Gegenden im Irak und Syrien – von maritimer Luftüberwachung gar nicht erst zu sprechen – blicken, sondern selbst in einigen Teilen Deutschlands wäre dieses System nutzlos. Was bedeutet, dass in all diesen Gebieten eben doch mit hochfrequenten Radaranlagen der Luftraum überwacht wird, wogegen die Tarnkappenflugzeuge durch ihre spezielle Form und Legierung abgeschirmt sind.

Doch selbst bei städtischen Gebieten mit einer großen Dichte an Telekommunikationssendern, wo die Passivradartechnologie theoretisch funktioniert, können in einem Ernstfall diese Signale mit modernsten Mitteln gestört oder sogar völlig ausgeschaltet werden. Durch elektronische Kriegsführung und kinetische Schläge wird der Weg für Tarnkappenbomber freigemacht, damit diese möglichst unerkannt ihre Mission ausführen können.

Ob daher das "Twinvis"-System auch in einem solchen Umfeld trotzdem ihre Wirkung entfalten und Tarnkappenflugzeuge aufspüren kann, ist daher ungewiss. Diesen ultimativen Beweis ist Hensoldt schuldig geblieben. Dennoch bleibt auch eine F-35 mit ihren Fähigkeiten keine "Wunderwaffe", wie Cenciotti darlegt. Man kann auch dieses Waffensystem knacken, nur benötigt es dafür eine Kombination aus modernsten elektronischen Kampfsystemen.  

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