Interview – Die Geburt einer neuen Religion und die Psychologie der "Klimaleugner"
Wie würden Sie sich selbst beschreiben? Sind Sie Klimapsychologe, Politiker oder Aktivist?
Ich (Per Espen Stocknes) bin ein Mann mit vielen Funktionen. Das ist eines meiner Probleme und stellt mich vor Herausforderungen, es macht mir aber auch Freude. Also, Klimapsychologe bin ich in meiner Rolle des Kommunizierens und Forschens, wie die Menschen auf die Klimawissenschaft reagieren.
Ich war für ein Jahr Mitglied des norwegischen Parlaments, als unser Parteivorsitzender (der Partei "Miljøpartiet De Grønne", zu Deutsch "Umweltpartei Die Grünen"; Anm. d. Red.) in Elternzeit war, und bin noch immer sein Vertreter, also könnte ich wieder berufen werden. Ich verfüge über einen Hintergrund als Psychologe und Unternehmer und als Universitätslehrkraft.
Ich habe Ihren TED-Vortrag gesehen. Herzlichen Glückwunsch zu über einer Million Zuschauern. In Ihrem Vortrag sprechen Sie von einer "apokalyptischen Ermüdung" oder Ermattung. Was meinen Sie damit?
In der psychologischen Wissenschaft ist das gut bekannt: Wenn man Drohungen und Ängste nutzt, dann führt das zu nichts, nach einer Zeit münden diese in Gewöhnung. Gewöhnung in der Psychologie bedeutet, dass man schwächer auf die gleiche Stimulation reagiert. Wenn ich beispielsweise ein Glas Wein trinke, dann werde ich anfänglich benommen und betrunken, aber dann gewöhne ich mich daran. Dann brauche ich vielleicht bald drei Gläser.
Wenn mein Gehalt in einem Jahr steigt, dann freue ich mich anfänglich sehr darüber. Aber dann nutzt sich diese Freude ab, und ich brauche eine neue Gehaltserhöhung, um mehr Freude in Bezug auf Geld zu empfinden.
Diese Gewöhnung erfolgt auch in Bezug auf Bedrohungen wie den Klimawandel. Um das gleiche Maß an Angst und Reaktionen hervorzurufen, muss man die Aufmerksamkeit für Nachricht und Nachrichtenüberbringer vielleicht durch dramatischere Videos steigern. Ähnlich wie in der Geschichte "Der Hirtenjunge und der Wolf".
Dies ist das Erste, das wir tun, und dann beginnen wir zweitens damit, den Nachrichtenüberbringer und die Nachricht selbst zu meiden.
Unser Gehirn registriert, dass es beim letzten Mal ungemütlich war, es war schmerzhaft, und wir empfanden Angst und vielleicht Schuld. Nächstes Mal lenke ich meine Aufmerksamkeit vielleicht auf etwas anderes. Ich sehe mir etwas Interessanteres an oder schalte auf einen anderen Fernsehsender um.
Also erfolgt erst Gewöhnung und dann Vermeidung. Dies passiert teilweise automatisch in unserem Geist. Letztlich projizieren wir dies aufgrund von Gewöhnung und Vermeidung auf den Nachrichtenüberbringer. Also kommen wir zu dem Fazit: "Oh, der ist nur ein Klimahysteriker." Er oder sie wird dann nur zum Weltuntergangspropheten. Wir diskreditieren den Übermittler, statt die Nachricht anzuhören.
Besonders, wenn es keinen eindeutigen Feind gibt, wie etwa Terroristen, ein anderes Land, Hitler oder den IS. Wenn es möglich ist, auf jemanden zu zeigen, wirkt sich die Angst auf andere Art als in der Klimasache aus. Denn wer ist der Feind, wenn es um den Klimawandel geht?
Sie vertreten in Ihrem Vortrag den Standpunkt, dass Menschen in Industrienationen den menschengemachten Klimawandel eher leugnen. Wie kommt das?
Dies liegt in etwas begründet, das ich als psychologisches Klima-Paradox bezeichne. Denn wenn man Langzeitstudien betrachtet, dann war unsere Sorge zumindest in Norwegen und Teilen der USA 1989 größer, als sie es heute ist. Und seit 1990 gab es 30.000 Artikel (zum Thema Klimawandel und globale Erwärmung) und IPCC-Berichte mehr. Der Wissenschaft wird immer klarer, dass (ein Wandel) nötig ist, aber unsere Besorgnis nimmt ab. Zumindest im gesamten letzten Jahr, bis zum Beginn dieses Jahres. Die letzte Welle, die wir hatten, war 2008 und 2009.
Dieser Trend in den Industrienationen, in denen es Langzeitstudien gibt, scheint besonders in Ländern mit hoher CO2-Emission pro Kopf vorzuherrschen.
Seltsamerweise sind die Sorgen in armen Ländern, die niedrige CO2-Emissionen pro Kopf haben, sehr groß – wie etwa in Indien, in Thailand, aber auch in Teilen Spaniens und anderen südlichen Ländern. In reicheren Ländern wie den USA, Großbritannien, Norwegen, Kanada und Australien ist die Besorgnis hingegen geringer, obwohl die CO2-Emissionen dort höher sind.
Es sollte eigentlich genau andersherum sein. Je mehr man für den Klimawandel verantwortlich ist, desto mehr Bedenken sollte man haben. Deshalb müssen wir die psychologischen Verteidigungsmechanismen kennen, die besonders in reicheren Industrienationen vorkommen. Es gibt fünf davon: Distanzierung, Verdammung, Dissonanz, Verneinung und Identität. Diese sind besonders relevant und besonders in reicheren westlichen Demokratien zutreffend.
In Deutschland vertritt beispielsweise die AfD die Ansicht, es gebe keinen menschengemachten Klimawandel, und kämpft damit um Wählerstimmen. Auch unter unseren Lesern gibt es viele Menschen, die dieser Ansicht sind. Glauben Sie, dass sich diese Leute umstimmen lassen? Und wenn ja, wie?
Kurz gesagt, wenn ich glaube, dass meine Freunde, Nachbarn, Kollegen sich gegen den Klimawandel einsetzen, wenn ich zum Beispiel sehen kann, dass sie Solarzellen auf dem Dach haben, ein E-Auto oder E-Fahrrad fahren oder weniger Fleisch essen, dann möchte ich das auch. Das ist eine Veränderung der sozialen Norm. Wir müssen Werkzeuge als Klimakommunikatoren nutzen, die helfen, dass die sozialen Netzwerke sich zu verändern beginnen.
Wie können wir den Menschen eine einfache Möglichkeit bieten, ihnen Klimaverhalten aufzuzeigen und diese Kettenreaktionen und sozialen Normen auszulösen?
Wir wissen, dass die Leute sich von Experten, von Klimawissenschaftlern, von nationaler Politik distanzieren, aber wenn das Problem konkret und anschaulich vor Augen geführt wird, dann fühlt es sich persönlicher und dringlicher an. Viele Leute sagen, es hilft mir nicht, Solarzellen auf dem Dach anzubringen, weil das das Klimaproblem nicht löst. Das ist korrekt, aber es führt zu mehr Unterstützung und zu strukturellen Ergebnissen im Kampf gegen das Klimaproblem.
Ein deutscher Grünen-Politiker entgegnete auf Greta Thunbergs emotionale Rede in New York: Nein, wir haben deine Kindheit nicht ruiniert. Er hob die guten Dinge hervor, die sich in den letzten Jahre verändert haben, wie die Reduzierung der Kindersterblichkeit, die gestiegene Lebenserwartung und so weiter. Betrachten wir die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie hat mit ihrem Aktivismus einen Nerv unserer Zeit getroffen. Die deutsche Presse wird ihr gegenüber jedoch immer kritischer. Es gibt eine generelle Übersättigung, wenn es um Artikel und Nachrichten über die junge Aktivistin geht.
Das ist zu erwarten. Greta Thunberg hatte bisher eine sehr feine Balance zwischen dem Aufzeigen der Dissonanz zwischen dem, was Politiker tun, und dem, was sie sagen, aber sie war bisher noch nicht so apokalyptisch wie jetzt und letzte Woche in ihrer UN-Rede. Dies war etwas Neues in ihrer Rhetorik, die Emotionen und ihre Rhetorik, Logos, Pathos und Ethos waren ausgeprägter. In Bezug auf Logos wiederholte sie immer wieder, was die Wissenschaft sagt, nichts Neues. Aber bezüglich des Pathos hatte sie diese sehr kontrastarme Stimme, nicht schreiend, und beinahe ein Mona-Lisa-Lächeln. Vielleicht hat das mit ihrem Asperger-Syndrom zu tun, sie agiert ohne große Höhen und Tiefen der Emotionen. Ihre Glaubwürdigkeit aber kommt vom Ethos, davon, wer sie ist. Sie hat eine sehr hohe Integrität, sie hat ihre eigene Geschichte und ihr Alter genutzt. Aber letzte Woche kam es zu einer Veränderung in ihrem Pathos – sie wurde apokalyptischer im Ton ihrer Emotionen, wie ich es sehe.
Als Klimakommunikationswissenschaftler bin ich mir nicht sicher, ob dies gut oder schlecht für ihre Sache ist. Ich verstehe, dass die deutschen Medien und die deutsche Presse kritischer geworden ist. Weil was sie nicht hat, nicht dass wir dies wirklich von einer 16-Jährigen fordern sollten, wir brauchen, und das fehlt hier, eine Geschichte zu der Gesellschaft die wir haben wollen. Also, wie verändern wir unsere Wirtschaft? Wie verändern wir unseren Konsum, die Finanzen, wie können wir den Verbrauch unserer Ressourcen auf die natürlichen Grenzen unseres Planeten reduzieren, auf eine Art, die nicht die Panik von allen voraussetzt?
Das hilft nicht in Bezug auf unseren Ressourcenverbrauch. Unser Ressourcenverbrauch ist das Problem.
Wir brauchen eine bessere, glaubwürdigere Geschichte, die integrativ ist und an der man teilhaben will. Ich bin froh zu hören, dass der Grünen-Politiker dies zu tun versuchte und uns an Kindersterblichkeit, Lebensqualität sowie Beseitigung von Armut erinnerte. Diese Dinge müssen eingebracht werden, um eine Polarisierung zu vermeiden. Eine geteiltes Narrativ einer Gesellschaft von hoher Qualität mit einer Wirtschaft innerhalb der Grenzen des Planeten.
Wie kann dies aussehen? Persönlich habe ich daran die letzten zehn Jahre gearbeitet und darüber geschrieben. Ich nenne es "ehrliches grünes Wachstum". Manchmal gesundes Wachstum. Wie sieht solch ein gesundes Wachstum aus? Wir schaffen mehr Arbeitsplätze, wir schaffen mehr Nutzen, während wir den Verbrauch der Ressourcen radikal verringern, und dies wird durch ein Ende der Verschwendung erreicht. Ich denke die Art der Erzählung muss so geändert werden, dass man darüber spricht, wie verschwenderisch die Wirtschaft ist. Wir nehmen jedes Jahr 60, 70 Gigatonnen an Dingen, wir produzieren etwas und werfen es weg. Nur ein paar Prozent dieser Dinge werden nach einem Jahr genutzt. Nur neun Prozent der Ressourcen werden genutzt, um mehr als einen einmaligen Wert zu schaffen. Wir leben in einer 90-prozentigen Wegwerfgesellschaft.
Wenn Sie von Oslo nach Berlin reisen, tun sie dies mit dem Flugzeug?
Ich fliege, ja. Ich unternehme verschiedene Dinge– erstens kaufe ich viermal mehr an (Emissions-)Zulagen in den europäischen Handelssystemen, als ich fliege. Zuerst kauft die Fluglinie Zulagen, dann kaufe ich viermal so viele. Also sind meine Flüge klimapositiv, wenn es innerhalb der EU ist.
Wie viel kostet Sie dieser Ausgleich?
Wissen Sie, ich mache das jedes Jahr für alle Flüge. Ich nehme alle Flugtickets, addiere sie und rechne meine CO2-Last aus. Letztes Jahr waren es glaube ich 13 Tonnen, ich fliege recht viel. Also ungefähr 1.250 Euro. Das aber ist nur der Ausgleich entsprechend der konventionellen Struktur von gestern, um die CO2-Emissionen zu kompensieren.
Zum Beispiel bietet uns SAS (Scandinavian Airlines) die Möglichkeit, ein Feld anzuklicken, wenn wir wollen, dass das Flugzeug mit Biotreibstoff betankt wird. Also kaufe ich 100 Prozent Biotreibstoff für meinen Flug, und dann kaufen sie Biokraftstoff, was hilft, die Extrakosten auszugleichen, und sie mischen es in ihr Treibstoffgemisch. Der Umstieg auf Biokraftstoff ist ein Schritt nach vorne, aber ich arbeite auch mit norwegischen Luftfahrtgesellschaften und der Politik, um neue Lösungen zu finden. Wir nennen es "Power to Liquid". Man kann elektrische Energie nehmen, diese zum Umwandeln von Wasser in Wasserstoff nutzen und so CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Dann kombiniert man das CO2 mit Wasserstoff und macht daraus Treibstoff, synthetischen Treibstoff für Flugzeuge. Ich will erreichen, dass dies eine Auflage wird.
Die Regierungen müssten dann in den kommenden fünf Jahren fünf Prozent ihres Treibstoffs muss klimaneutral sein. Es nimmt CO2 aus der Atmosphäre, um den Treibstoff herzustellen, wenn man fliegt, gerät es wieder in die Atmosphäre, und so weiter.
Glauben Sie nicht, wenn wir die wissenschaftlichen Beweise außen vor lassen, dass es eine Art Hysterie rund um das Thema Klimawandel gibt? Die Menschen werden zu Klimaradikalen, andere hingegen leugnen den menschengemachten Klimawandel rundheraus. Ich habe in meinem Bekanntenkreis solche Veränderungen beobachten können. Es wird zu einer Art neuer Religion. Die Jugend sucht nach einer neuen Bedeutung, nachdem die alten, herkömmlichen Religionen versagt haben, suchen sie nach etwas Neuem. Die schwedische Klimaaktivistin erscheint als neue Heilsbringerin. Gegenüber ihren Anhängern muss man sich für seine Flüge entschuldigen.
Ich mag diese "Flygskam" (schwedische Wortschöpfung für Flugscham) nicht. Wir sind eine christliche Kultur, das ist der Grund. Wir unterschätzen immer, wie die Religion unsere Sprache, unser Denken und unsere Emotionen durchdrungen hat. Wir sind eine zutiefst christliche Kultur. Wir glauben noch immer an den Untergang. Im letzten Kapitel des Buches unserer Kultur, der Bibel, geht es nur darum, wie es zum Untergang kommt. Wie der Himmel auf uns herabfallen wird. Jetzt finden wir einen wissenschaftlichen Weg, um dieses mythische Idee zu reproduzieren. Dann haben wir diese Idee der Sünde. Wir haben sündige Emissionen, und wir müssen aufhören zu sündigen. Ohne es zu wissen, haben Klima-Aktivisten an religiöse Assoziationen in der Sprache erinnert: Sünde, Endzeit und die Reinigung dadurch, dass man nicht mehr auf schädliche Treibstoffe setzt.
Ich bin zutiefst skeptisch bezüglich des Einflusses der Schattenseiten des christlichen Gewissens, den dieses auf unsere Klimagespräche hat.
Die Klimapolitik scheint auf den kleinen Konsumenten abzuzielen. Alles macht das Leben teurer, Emissionssteuern werden auf Fleisch, Reisen etc. erhoben werden. Aber niemand spricht über Militär und Industrie. Ist es da nicht verständlich, dass es mehr Skeptiker in Industrienationen gibt?
Ich versuche es immer mit dem Flugbeispiel. Ich würde gerne die Verantwortung nur auf Produzentenseite sehen. Um sicherzugehen, dass sich Fluglinien am grünen Wachstum beteiligen oder Produzenten von Konsummaterialien für die Verpackung Verantwortung zeigen. Viel mehr Steuern auf der Produktionsseite. Dies könnte einige Kosten steigern, aber dies müsste durch die Steuern abgefangen werden.
Aber bringt uns dies nicht Nachteile im Wettbewerb beispielsweise mit asiatischen Konkurrenten?
Überhaupt nicht. Durch die Möglichkeiten der Nutzung digitaler Technologien wäre es eine Möglichkeit, die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den asiatischen Produzenten zu erhöhen, die viel mehr Ressourcen verbrauchen. Also, auf einem Planeten, auf dem sieben Milliarden Menschen und davon fünf Milliarden Menschen in Städten leben, die alle danach streben, zu konsumieren und in die Mittelklasse aufzusteigen, wissen wir, dass der Ressourcenverbrauch immer mehr zur Wettbewerbsfrage wird. Für diejenigen, die in der Lage sind, hoch qualitative Produkte zu liefern, die den Menschen Lebensqualität bieten, wie klimapositive Häuser mit Solaranlagen und Passivhäuser, die den Menschen ein gutes Leben bieten, aber keine hohe Stromrechnung mit sich bringen. Dies sind Produkte, die nicht nur profitabler, sondern auch sozial attraktiver sind.
Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen alles Gute.
Das Interview führte RT Deutsch Redakteurin Olga Banach.
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