Internationaler Strafgerichtshof spricht ehemaligen ivorischen Staatschef Laurent Gbagbo frei

Das Ereignis blieb unbemerkt. Doch es ist von großer Bedeutung und stellt eine ernsthafte Ohrfeige für das westliche Lager dar: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat den ehemaligen ivorischen Staatschef Laurent Gbagbo und einen seiner Minister freigesprochen.
Internationaler Strafgerichtshof spricht ehemaligen ivorischen Staatschef Laurent Gbagbo frei Quelle: Reuters © Peter Dejong

von Pierre Lévy

Beide Männer waren des "Verbrechens gegen die Menschheit" angeklagt worden. Das Urteil war bereits seit mehreren Monaten bekannt, doch erst am 16. Juli veröffentlichten die Richter die ausführliche Begründung ihres Urteils. Es wirkt wie eine scharfe Zurechtweisung derjenigen, die den Rivalen von Gbagbo bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 militärisch unterstützt hatten.

Kurzer Blick zurück: Am Ende des zweiten Wahlgangs erklärte seinerzeit der Verfassungsrat der Elfenbeinküste den scheidenden Präsidenten für wiedergewählt. Aber vor dem Hintergrund einer turbulenten Geschichte und verschärfter Konflikte in den Vorjahren, erklärte sich ebenso sein Gegner zum Wahlsieger, auf Grundlage der Berichte einer unabhängigen Wahlkommission.

Die "internationale Gemeinschaft" beschuldigte den scheidenden Präsidenten des Wahlbetrugs. Die Europäische Union drohte dem Land mit Sanktionen, falls Laurent Gbagbo nicht abdanken sollte. Die Spannung stieg und im Februar 2011 kam es zu einem bewaffneten Konflikt. Es war auch der Moment, in dem die Westmächte – Frankreich und das Vereinigte Königreich, unterstützt von den Vereinigten Staaten – militärisch in Libyen eingriffen, um die Menschen dieses Landes zu "schützen". Dabei verbargen sie kaum ihr Ziel, Oberst Gaddafi loszuwerden. In Paris, London, Brüssel und Washington frönt man der Kanonenpolitik.

In der Elfenbeinküste ist die westliche Präferenz selbstverständlich. Einerseits wurde Laurent Gbagbo, ein langjähriges Mitglied der Sozialistischen Internationale, von den Führern der "freien Welt", die ihn "nationalistisch" nennen, zunehmend verpönt. Diese vermuteten, dass er den nationalen Reichtum schützen wollte und daher nicht genügend Verständnis für die Interessen der europäischen Großunternehmen, insbesondere der französischen, zeigte (die Elfenbeinküste war lange Zeit eine französische Kolonie).

Andererseits war da Alassane Ouattara, ein an der American University of Pennsylvania ausgebildeter Ökonom, der 1968 dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beitrat. Im November 1984 wurde er Leiter der Afrika-Abteilung dieser Institution. Nebenbei heiratete er auch noch kurz darauf eine wohlhabende Geschäftsfrau: Die Zeremonie fand in Paris statt, im Beisein von Martin Bouygues, einem der mächtigsten französischen Oligarchen (Bauwesen und Telekommunikation).

Es wäre daher noch untertrieben zu sagen, dass Herr Ouattara ein Kandidat des Westens war. Im März 2011 verschärften sich die Kämpfe zwischen den beiden Seiten. Mit diskreter Unterstützung einer UNO-Mission drangen die Pro-Ouattara-Truppen, die an Übergriffen nicht sparten, in die Verwaltungshauptstadt Yamoussoukro ein.

Und am 11. April belagerten und inhaftierten sie Laurent Gbagbo und seine Familie. Unter dem Deckmantel der UNO leisteten die französischen Truppen ihnen diskrete, aber entscheidende Hilfe, wie zahlreiche Zeugen berichteten.

Der scheidende Präsident – der weiterhin seine Legitimität bekundete – wurde schließlich in das Internationale Gefängnis von Den Haag überführt, in Erwartung des Prozesses vor dem IStGH. Das Ergebnis des Prozesses wurde nun, acht Jahre später, veröffentlicht.

Eine erste Enttäuschung für die Westmächte: Der Richter am Internationalen Strafgerichtshof, Cuno Tarfusser, betonte, dass ein Prozess nicht dazu da sein "die Geschichte eines Landes zu beurteilen" und dass er kein Recht habe, "Stellung zur moralischen oder politischen Verantwortung" der Angeklagten zu beziehen.

In Übrigen beruhe die Anklage des Staatsanwalts, die Angeklagten hätten eine Strategie verfolgt, die die sich massiv gegen zivile Anhänger von Herrn Ouattara richtete, nach Ansicht von zwei der drei Richter auf "unsicheren und zweifelhaften Grundlagen, inspiriert von einer manichäischen und vereinfachten Erzählung". Auf den tausend Seiten der Urteilsbegründung heißt es: "Es gibt keinen Grund zur Annahme, Laurent Gbagbo habe sich geweigert, sich zurückzuziehen, weil er plante, um jeden Preis an der Macht zu bleiben." Genau um diese These herum wurde die damals von den dominanten Medien, insbesondere in Frankreich, betriebene intensive Propaganda organisiert.

Im Gegenteil, so die Richter, sahen sich die regierungstreuen Truppen mit "einer Stadtguerilla " konfrontiert und befanden sich in einer defensiven Position. Das Urteil hebt hervor, dass die UNO-Truppen nicht neutral handelten, obwohl sie der Neutralität verpflichtet sind und erwähnt sogar die Anwesenheit französischer Panzer, die auf Gbagbos loyal gebliebenen Soldaten geschossen hätten.

Schließlich ist eine Enthüllung besonders peinlich für diejenigen, die davon träumten, eine internationale Justiz zu inszenieren, die angebliche Täter von Verbrechen gegen die Menschheit unparteiisch bestrafen sollte (Verbrechen, deren Stattfinden schließlich verneint wurde). Nach Ansicht der Richter nahm der Staatsanwalt "erste Kontakte zu bestimmten Zeugen" auf, noch bevor er gesetzlich zur Untersuchung zugelassen wurde. Dies ist ein ziemlich problematischer Verstoß für all jene, die sich – angefangen bei der Europäischen Union – ständig auf "Rechtsstaatlichkeit" berufen.

Man darf sich darüber freuen, dass professionelle und ehrliche Juristen sich geweigert haben, die Rolle zu spielen, die die amerikanischen und europäischen Führer von ihnen erhofften. Obwohl Laurent Gbagbo aus dem Gefängnis entlassen wurde, bleibt er dennoch in Brüssel unter Hausarrest, falls der Staatsanwalt Berufung einlegen sollte.

Vor allem besteht ein großes Missverhältnis zwischen der massiven Propaganda, mit der der Westen 2011 eine kaum getarnte militärische Intervention rechtfertigen wollte, und dem Schweigen der Medien über die letztendlich erfolgte Widerlegung.

Der IStGH wurde 2002 gegründet, um das "Recht auf Einmischung" zu legitimieren, ein Konzept, dessen eigentlicher Zweck darin besteht, die Souveränität der Staaten dem Wohlwollen der sogenannten "internationalen Gemeinschaft", das heißt der globalisierten Eliten, unterzuordnen.

Abgesehen von der Ehrlichkeit einiger Richter, die begrüßt werden muss, ist auch und vor allem darauf hinzuweisen, dass sich die Welt, die zu Beginn des Jahrhunderts als "unipolar" entstanden ist, seitdem etwas verändert hat.

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