Meinung

Versuchskaninchen Kinder: Neuromarketing als orangefarbene Revolution

Was erst einmal harmlos klingt, nämlich "wie man das Vertrauen der Kunden gewinnt", entpuppt sich bei dem Neuromarketing-Kongress 2019 als ein perfider Versuch, die Hirne von Konsumenten zu manipulieren. Auch vor Kindern wird kein Halt gemacht.
Versuchskaninchen Kinder: Neuromarketing als orangefarbene Revolution© Wikipedia

von Marita Vollborn und Vlad Georgescu

Die Veranstaltung ist die größte ihrer Art in Europa, der Name ist seit elf Jahren Programm. Wenn am 15. Mai 2019 der Neuromarketing Kongress 2019 in München beginnt, geht es um nichts Geringeres als die Frage nach der Manipulierbarkeit der Konsumentengehirne – und darum, wie man das Vertrauen der Kunden gewinnen kann. Was auf den ersten Blick harmlos klingt, hat weitreichende Folgen: Seit rund einem Jahrzehnt zielt Neuromarketing nicht nur auf Erwachsene ab – sondern nimmt ganz bewusst Kinder und Jugendliche ins Visier.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit setzen dabei PR-Strategen auf das Verfahren, bei dem durch Logos gezielt bestimmte Gegenden des Gehirns aktiviert werden. Auf diese Weise belohnt das Gehirn den Konsum der entsprechend vermarkteten Produkte, ein fataler Mechanismus, dem in erster Linie Kinder zum Opfer fallen.

Denn ihre neuronalen Schaltungen, die "Informationsstraßen" des Gehirns also, sind noch nicht zu jenen Endmustern verknüpft, die am Ende die eigene Persönlichkeit des Erwachsenen ausmachen und dessen ganze Verhaltensweise bestimmen.

Zuwendung und Liebe wären normalerweise die naturgegebenen Umwelteinflüsse, anhand derer aus Kinderhirnen eigenständiges Denken erwächst – Konsumrausch und eine übertrieben multimediale Umgebung hingegen verändern heute in unserem Kulturkreis die Rahmenbedingungen für die soziale Entwicklung: Der Weg zum allgegenwärtig-konsumierenden Erwachsenen wird von der Industrie schon in der Kindheit geebnet.

Die Folgen sind derart fatal, dass Mediziner mittlerweile eine ganze Reihe von Störungen bei Kindern beobachten: Diabetes Typ 2, Übergewicht, sogar eine kürzere Lebenserwartung sind die physisch messbaren Konsequenzen. Gestörte Verhaltensweisen, Sprachstörungen, soziale Isolation und der Verlust des selbständigen Denkens gehören zu den anderen, nicht minder gravierenden Folgen der Marken-Bildner. Die Zielgruppe Kind spült Milliarden in die Unternehmenskassen – am Ende sind nicht selten menschliche Wracks das Ergebnis des global zunehmenden Konsumrauschs.

Erst gucken, dann kaufen: "Orange Underground" als Marketing-Revolution für Kids

Tatsächlich gelang es der Food-Industrie, das Verhalten von Kindern und Jugendlichen durch Werbung massiv zu beeinflussen. Der zum US-Konzern Pepsi Cola zählende Chipshersteller Frito-Lay beispielsweise heuerte bereits 2008 die Marketingfirma NeuroFocus an, um herauszufinden, wie sich die hauseigenen Chips namens Cheetos besser an die Kunden bringen lassen könnten. Gehirnscans der Probanden ergaben letztendlich Erstaunliches: Nur der auf Chips vorhandene, orangefarbene Belag führte zu einer starken Aktivierung des Belohnungszentrums – dabei spielte die Farbe Orange die entscheidende Rolle.

Kurzerhand entschlossen sich die Marketingstrategen, die Farbe in den Mittelpunkt ihrer Verkaufsrevolution zu hieven, und starteten die Kampagne "Orange Underground".  

Die orangefarbene Revolution als Angriff aufs Konsumentengehirn. Was 2008 bei Jugendlichen in den USA wirkte, hat heute womöglich juristische Konsequenzen. Denn spätestens seit das Fachblatt Journal of Cognitive Neuroscience den Zusammenhang zwischen Neuromarketing und Essverhalten herstellte, sehen Forscher einen direkten Zusammenhang zwischen der Zunahme der Fettleibigkeit bei Kindern und dem Neuromarketing-Gebaren der Industrie. Unsere fettleibigen Kinder, so hat es den Anschein, sind die Opfer einer perfiden Wissenschaft geworden, die ihnen eigene Entscheidungen unmöglich macht. Gekauft wird, wovon dem Gehirn suggeriert wird, dass es gekauft werden muss.

Auch in Europa schlagen Wissenschaftler Alarm. So erklärte der britische Verhaltensforscher Jason Halford gegenüber dem Guardian, dass Kinder, die fettleibig sind, "Werbeanzeigen für Fast Food sehen und auf diese Logos reagieren".

Die Belege der Wissenschaft basieren auf Hirnscans und haben es in sich. Mit ihrer Hilfe sind Klagen betroffener Neuromarketing-Opfer gegen die Food-Industrie nicht nur denkbar, sondern vermutlich nur eine Frage der Zeit. Bildgebende Verfahren und Fachpublikationen, so scheint es, avancieren zur mächtigen Waffe im Kampf gegen die Beeinflussung von Kindern durch Neuromarketing.

Wer die Neuronen formt, gewinnt

Doch auch Konsumgüterhersteller haben die Macht der modernen Verfahren längst erkannt – und reagiert. Es geht nicht nur um die Beeinflussung einer Kaufentscheidung allein. Es geht darum, Kinder als Konsumenten nachhaltig zu prägen. Kundenbindung, Vertrauen, die Bildung von Bedürfnissen, das sind die ultimativen Ziele des Neuromarketings.

Durch Messung der Blutströmungen im Gehirn der Konsumenten erkennen die Forscher nämlich, welche Hirnregionen auf visuelle oder geschmackliche Reize reagieren. Entscheidend für die Akzeptanz eines Produktes durch unser Gehirn ist, ob die entsprechenden emotionalen Zentren auf die auferlegten Reize positiv reagieren. Einfacher ausgedrückt: Das Gehirn muss auf die angebotene Ware mit einem Gefühl der Belohnung antworten. Hinzu kommt eine weitere Finesse unseres Gehirns. Das Gefühl des eigenen Ich, unsere Selbstidentifizierung also, wird vom sogenannten medialen präfrontalen Cortex bestimmt. Bei Testpersonen, die sich während einer Magnetresonanztomographie (fMRT) verschiedene Markenprodukte ansehen mussten, zeigte sich in ebendieser Hirngegend eine erhöhte Blutströmung – aber nur dann, wenn sich die Probanden mit dem Produkt identifizierten.

Zu ähnlichen Resultaten kamen auch Mediziner am Baylor College of Medicine in Houston, Texas. Nahezu alle Testpersonen bevorzugten im Blindversuch, also ohne Kenntnis der probierten Marke, Pepsi als Colagetränk. Der Konkurrent Coca Cola hingegen blieb als getarnte Version in der geschmacklichen Beliebtheit weit zurück. Entsprechende fMRT-Bilder verdeutlichten, warum das so war: Pepsi löste im Belohnugszentrum des Gehirns, dem sogenannten ventralen Putamen, entsprechende Signale aus – Coke hingegen schaffte das in weitaus wenigeren Fällen.

Daraufhin änderten die Forscher die Versuchsanordnung – und kamen zu einem sensationellen Ergebnis. Jene Menschen, denen Pepsi im Blindversuch besser schmeckte, fanden bei Nennung der Marken vor dem Verkosten mit einem Mal Coke leckerer. Denn das Produkt verfügte offenbar über das bessere Marken-Branding und aktivierte dadurch den bereits erwähnten präfrontalen Cortex massiv. Anders ausgedrückt: Die Probanden identifizierten sich mit der Marke, bevor das Belohnungszentrum reagieren konnte. Dadurch suggerierten das Gehirn den besseren Geschmack – obwohl es ohne Markennennung eigentlich eine andere Geschmacksrichtung favorisierte.

Dass Marketing "bereits tief in die Pathologie" des Menschen eingreift, zeigte aufgrund solcher Ergebnisse bereits im Jahr 2004 Gary Ruskin, Mitbegründer des US-amerikanischen Verbraucherschutzverbandes Commercial Alert, der in Portland seinen Sitz hat. Ruskin zufolge, der auch die Verbraucherschutzorganisation "US Rights to Know" gründete, machen sich gerade bei Kindern mit Diabetes Typ 2 oder Übergewicht die "epidemischen Folgen des Marketings" bemerkbar. Und: "Neuromarketing ist ein Tool, um diese Trends zu verstärken."

Es sind also die anderen Menschen, die aus einem Baby den Erwachsenen von morgen machen. Hier liegt der große Angriffspunkt der Konsumgüterindustrie: Nichts von dem, was ein Kind kann, ist angeboren, alles ist erlernt. Seine Fertigkeiten und nicht zuletzt sein Umgang mit anderen können enorm unterschiedlich sein – je nachdem, ob es in Zaire zur Welt kommt, in Turkmenistan oder auf den Fidschi-Inseln –, geprägt von der Tradition, von den Wertvorstellungen und nicht zuletzt vom Milieu, in das es hineingeboren wird.

Und doch: Ausgerechnet jene Generation, die seit einem Jahrzehnt im Visier der Neuromarketing-Strategen steht und orangefarbene Marketing-Revolutionen über sich ergehen lassen musste, schlägt zurück. Heute trifft Orange Underground nicht mehr die fettleibigen Kids in spe – sondern als Parodiekampagne "Desperate Cheeto" des US-Comedian Randy Stewart Rainbow jenen Mann, der über die politische Macht verfügt, Neuromarketing bei Kindern in den USA per Dekret zu stoppen, es aber nicht tut: Präsident Donald Trump.

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