Meinung

Einsatz für Frieden wichtiger denn je: DDR-Künstler Hartmut König im Interview

An diesem Wochenende gibt es vielen deutschen Städten und Regionen wieder die Ostermärsche für Frieden und Abrüstung. In Berlin startet er am Samstag um 13 Uhr auf dem Rosa-Luxemburg-Platz. Wir sprachen mit Dr. Hartmut König, der die Demo als Redner und musikalisch begleiten wird.
Einsatz für Frieden wichtiger denn je: DDR-Künstler Hartmut König im InterviewQuelle: www.globallookpress.com © dpa/Jörg Carstensen

Sie waren in der DDR Mitbegründer der Singegruppe "Oktoberklub" und Kulturpolitiker. Zu Ostern starten in vielen deutschen Städten und Regionen wieder Ostermärsche, in Berlin am Ostersonnabend um 13 Uhr auf dem traditionsreichen Rosa-Luxemburg-Platz zwischen Volksbühne und Kino Babylon. Halten Sie das noch für zeitgemäß?

Zeitgemäß waren die Ostermärsche immer, und sie sind es heute – leider – unvermindert. Was in den fünfziger Jahren mit den britischen Aldermaston Marches begann und bald auch in der alten BRD gegen Adenauers Aufrüstungspläne, gegen perverse Neutronenbombenfantasien oder gegen den NATO-Beschluss zur Stationierung atomarer Kurz- und Mittelstreckenraketen die Straßen füllte, war aus Angst geborener Widerstand und massenhaft mahnende Vernunft. Der Krefelder Appell von 1980, der die Bundesregierung aufforderte, ihre Zustimmung zur Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Mitteleuropa zu annullieren, war binnen drei Jahren von vier Millionen Menschen unterzeichnet worden. Heute beunruhigen uns ein nicht weniger irrationales, dabei diabolisch modernisiertes Wettrüsten und die zu seiner Legitimierung herbeigeführten internationalen Konfliktverschärfungen. Die NATO-verordneten Russland-Schelten sind ein Teil davon. Der INF-Vertrag tendiert zur Makulatur. Trump drängt auf ruinöse Militärausgaben. Ein Blick auf Saudi-Arabien bestätigt, dass Waffenexporte längst keine Moral mehr kennen. Die Menschheit sitzt am Kraterrand, und die Besonnenen befürchten die Eruption. Sie demonstrieren ihr Basta! auch bei Aktionen wie den Ostermärschen.

Sind Sie eigentlich ein eher ängstlicher Typ? Hat Sie am 4. April die Anmoderation von Claus Kleber in den ZDF-Tagesthemen erschreckt, dass nun wegen des Angriffs von Russland auf das Baltikum der NATO-Bündnisfall eintritt?

Wie sollte man bei der Weltlage kein ängstlicher Typ sein? Zur Anmoderation: Ein amerikanischer Präsident dachte bei seinem berüchtigten Anfall gleicher Denkungsart, das Mikro sei aus. Aber Kleber wusste, dass es an war und ließ ganz bewusst seinen antirussischen Zündeleien freien Lauf. Journalismus ist eine andere Profession.

Der Kalte Krieg ist lange vorbei, den Warschauer Pakt gibt es nicht mehr, die NATO sollte uns doch also sehr gut beschützen können. Warum meinen sie, dass wieder so viel mehr Menschen an den Ostermärschen wie vor 40 Jahren teilnehmen sollten. Seinerzeit wollte die NATO in der Bundesrepublik Pershing-II Raketen als neuartige atomare Erstschlagwaffen zur Enthauptung der Sowjetunion aufstellen, um einen auf Europa "begrenzten" Atomkrieg führen zu können.

Zu Zeiten der bipolaren Welt war der Warschauer Vertrag die Antwort auf die NATO, die als Militärbündnis gegen die sozialistischen Länder installiert wurde. Mit der Auflösung des Erstgenannten durfte man hoffen, die NATO sei obsolet geworden. Aber die NATO kleidete sich um, dehnte sich im politisch gewendeten Terrain ostwärts aus und rückte provokatorisch in russische Grenznähe, wo jenseits der neuen Gräben die Erinnerung an 27 Millionen sowjetische Opfer des Krieges wach ist. Nur Völkerverständigung und gute Nachbarschaft auf der Basis von Gleichheit und Gerechtigkeit können uns ein erneutes Wettrüsten vom Halse halten und dauerhaften Frieden schaffen. Das wären meine Schutzschilder. Aber davon ist die NATO weit entfernt.

Gab es denn in der DDR überhaupt solch eine Friedensbewegung wie die Ostermärsche in der BRD, war denn Protest in der DDR gegen die atomare Aufrüstung erlaubt? Oder was verband Sie denn damals, was verbindet Sie heute mit der Idee der Ostermärsche?

Ostermärsche wie in Westeuropa gab es nicht, wenngleich die in der DDR-Gesellschaft Aufmerksamkeit und Sympathie fanden. Im Osten existierten andere Aktionsformen der Friedensbewegung. Manche Zeitgenossen tun sie heute als "staatlich gelenkt" und von "den Leuten" wenig verinnerlicht ab. Aber, um ein paar Beispiele zu nennen, die Veranstaltungsreihe "Rock für den Frieden", der große Wurf "Der blaue Planet" der DDR-Rock-Gruppe "Karat", die DDR-Auftritte von Künstlern, die den Krefelder Appell unterstützt hatten – von Harry Belafonte über Udo Lindenberg bis Kunze – die Friedensmanifestationen auf dem Berliner August-Bebel-Platz oder sonstwo in der Republik trafen durchaus einen empfindlichen Lebensnerv. Pazifistische Verständnisse von Friedensarbeit, die in der westlichen Ostermarschbewegung, aber auch in der DDR, etwa bei Aktionen von "Schwerter zu Pflugscharen", vorhanden waren, trafen eher auf offiziellen Widerspruch. Auch ich hatte mal Ärger mit meinem Schuldirektor, weil ich das westliche Ostermarschabzeichen trug. Heute fällt es schwer zu verstehen, warum sich die weiße Taube auf blauem Grund, die unser Symbol war, nicht mit den inoffiziell umgeschmiedeten Schwertern vertragen sollte. Viele Missverständnisse, die die Folgejahre belasteten, wären vermeidbar gewesen. Das Abzeichen habe ich immer noch, und auch die Erinnerung daran, wie Fasia Jansen damals auf westdeutschen Plätzen sang: "Unser Marsch ist eine gute Sache, weil er für eine gute Sache geht…" Dieser Text ist nun eine gesamtdeutsche Parole.

Die meisten früheren Warschauer-Pakt-Staaten östlich von Deutschland sind ja nun mittlerweile NATO-Mitglieder. Damit sollten doch die Gefahren eines Krieges noch weiter von Deutschland weggerückt sein. Ist nicht also die Bundeswehr für den Krieg gegen den Terror weltweit wichtiger als zu Hause für eine Verteidigung, die ja wohl kaum gebraucht werden wird?   

Man sollte die Kirche im Dorf und die Soldaten im Lande lassen. Es mag einige humanitär begründete Ausnahmen geben. Aber als das Weltgendarmentum der Amerikaner, begleitet von ihren "Willigen", den Irak überfallen, Syrien destabilisiert, den Staat Libyen paralysiert oder Belgrad bombardiert hat, zeigte sich das Elend, das mit egoistischer geostrategischer Wilderei bei den überfallenen Völkern angerichtet werden kann. Und: Die beste Prophylaxe gegen Terror ist und bleibt die Vermeidung seiner allzu oft extern gezüchteten Brutstätten.

Warum sollte die reale Bedrohung für Deutschland angesichts der Stärke und Geschlossenheit der NATO so groß sein, dass man dafür wieder in Massen auf die Straße gehen sollte? Klimawandel und ungebremster Mietwucher bewegen doch viel mehr Leute.

Erste Auswirkungen des Klimawandels und ungebremster Mietwucher sind aktuelle Alltagserfahrungen, die Menschen hierzulande machen. Dagegen sind aktuelle Kriege für viele ein Fernsehereignis aus der Ferne und die Kriegstraumata der Seniorengeneration nie selbst erlebte Erzählungen. Dem Bienensterben Einhalt zu gebieten ohne das bei einem nuklearen Scharmützel einkalkulierte Menschensterben abzuwenden, wäre eine verkehrte Welt. Die jungen Freitagsdemonstranten, die sich auf so tolle Weise Gehör verschaffen, werden zwangsläufig der Verwobenheit von Frieden und Klima ihre Beachtung schenken. Und die Aussicht auf bezahlbaren Wohnraum, wofür in Deutschland mit Nachdruck demonstriert wird, wächst mit steigenden sozialen Aufwendungen für den Wohnungsbau. Die dürfen nicht durch immens wachsende Rüstungskosten aufgefressen werden. Klima-, Mieter- und Friedensschutz sind im Leben wie auf den Losungsbändern der Demos eine plausible Troika.

Falls Russland den INF-Vertrag zum Verbot aller Nuklearwaffen mittlerer Reichweite verletzt hat, könnte es da nicht besser sein, dagegen zu protestieren?

Die Behauptungen, Russland verletze den INF-Vertrag, fußen maßgeblich auf US-Geheimdienstaussagen. Nach den von den USA vor der UNO präsentierten "Gründen" für den Irakkrieg, die sich als gefälschte amerikanische Geheimdienstrecherchen entpuppten, empfiehlt sich Skepsis gegenüber solchen Quellen.

Reicht es nicht, wenn selbst unser Außenminister Heiko Maas als Vertreter der Regierung vor einem Wettrüsten warnt?

Die Stellungnahmen des Außenministers erscheinen konjunkturell. Die Befindlichkeiten der Deutschen in dieser Frage dürften ihm zu denken geben. So wie die Bilder von den Massenprotesten gegen die Stationierung von Nuklearraketen in den 80er Jahren, die man sich auf der Regierungsbank für die Gegenwart nicht wünscht. Noch immer lagern US-Atomwaffen in Büchel und sollen durch noch zielgenauere "modernisiert" werden. Mal sehen, wieviel Druck der Minister aushält, wenn sich der US-Botschafter in Berlin als "His Masters Voice" erneut aufbläst. Ich wünschte mir, die Bundesregierung besänne sich auf eine eigenständige, gegenseitig vorteilhafte, wirklich souveräne Politik in den deutsch-russischen Beziehungen.

Vielen Dank für dieses Gespräch!

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