Wenn eine Annäherung an Russland zur Gefahr für den "Deep State" wird
Von Zlatko Percinic
Seit über einhundert Jahren wird in den Vereinigten Staaten von Amerika die "Rote Angst" geschürt. Zuerst war es der Bolschewismus, dann der Kommunismus und jetzt der Putinismus: aber am Ende war stets Russland das Ziel der Anfeindungen. Es gab zwar kurze Spannen einer taktischen Annäherung, wie zum Beispiel während des Zweiten Weltkriegs, als es eine Überlappung strategischer Interessen mit dem Kampf gegen Nazi-Deutschland gab. Oder nach dem Kalten Krieg zu Zeiten von Boris Jelzin, der sein Land dem Raubzug von westlichem Kapital wie einer Meute hungriger Löwen feilbot. Selbst am Anfang der Präsidentschaft von Wladimir Putin gab es eine kurze Zeit der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Washington, als sich Russland nach den Anschlägen vom 11. September 2001 solidarisch zeigte und die US-Intervention in Afghanistan logistisch unterstützte.
Diese Panikmache vor den Russen, geschürt von Politikern, Medien und Geheimdiensten gleichermaßen, hat auf der einen Seite für eine irrationale und, man neigt schon fast zu sagen, institutionalisierte Neurose geführt. Auf der anderen Seite hat kein Bereich so sehr von dieser Angst profitiert wie der Militärisch-Industrielle-Komplex und dessen Vertreter und Verfechter. Um die Billionen von US-Dollar zu rechtfertigen, die in den vergangenen achtzig Jahren in diesen Bereich flossen, gibt es keinen besseren Weg als ein permanenter Zustand der Angst. Schon die Nazis erkannten diesen Vorteil für ihre eigenen dunklen Pläne. Reichsmarschall Hermann Göring beschrieb diesen Zusammenhang ziemlich deutlich in einem Interview mit Gustave Gilbert, welches er dem US-Gefängnispsychologen in seiner Zelle während der Nürnberger Prozesse gewährte:
Natürlich, das einfache Volk will keinen Krieg. […] Aber schließlich sind es die Führer eines Landes, die die Politik bestimmen, und es ist immer leicht, das Volk zum Mitmachen zu bringen, ob es sich nun um eine Demokratie, eine faschistische Diktatur, um ein Parlament oder eine kommunistische Diktatur handelt. […] Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.
Und wie sie funktioniert. Allerdings müssen es nicht immer die "Führer eines Landes" sein, die diese Politik verfolgen. Gerade in den USA sind es oftmals einflussreiche Senatoren, Minister oder Militärs, die eine versuchte Entspannungspolitik ihres Präsidenten gegenüber Russland mit den von Göring genannten Mitteln sabotieren.
Was Donald Trump jetzt widerfährt, musste auch Präsident Dwight D. Eisenhower durchmachen. Obwohl "Ike", wie der Präsident genannt wurde, ein hochrangiger General der US-Armee war, stand er außenpolitisch im Schatten der Dulles-Brüder, die das Außenministerium (John Foster) und den Geheimdienst CIA (Allen) führten. Zwar hatte Eisenhower absolut keine Probleme damit, Ländern wie China, Korea oder Vietnam mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen oder demokratisch gewählte Regierungen im Iran und Guatemala zu stürzen, aber wenn es um die Sowjetunion ging, zeigte er sich weit weniger resolut als es die Dulles-Brüder gerne gehabt hätten.
Mit dem Tod von Josef Stalin am 5. März 1953 eröffnete sich eine Möglichkeit für eine Annäherung zwischen den beiden Supermächten. Eisenhower würdigte diese Chance in seiner sogenannten "Chance für Frieden"-Rede am 16. April 1953, nebst den in einer solchen Rede zu erwartenden anti-russischen Plattitüden natürlich. Doch davon wollte der Sicherheitsapparat der USA nichts wissen. In einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im Oktober 1953 wurde festgehalten, dass die verschiedenen "Friedensgesten" der Sowjets nur dazu "entworfen" wurden, "um den Westen zu teilen indem falsche Hoffnungen geweckt werden und (dann) versucht wird, die Vereinigten Staaten unnachgiebig erscheinen zu lassen". Es sei allerdings unter Umständen auch möglich, dass die Sowjetunion "aus inneren oder anderen Gründen" den Wunsch hegen könnte, eine "Verringerung von Spannungen" zu erzielen. Dafür gebe es allerdings keine "überzeugenden Hinweise der Bereitschaft für solche wichtigen Konzessionen in diese Richtung".
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Auch in dieser Sitzung wurde das Zusammenspiel zwischen Sicherheit und Angst erwähnt. Um die Drohkulisse gegenüber der Sowjetunion aufrechthalten zu können, sei man auf die materielle und finanzielle Unterstützung von führenden Industrienationen angewiesen. Aber auch die Gewährung von Nutzungsrechten an Luftwaffenstützpunkten in verschiedenen Ländern sei dringend notwendig:
Die Verfügbarkeit solcher Stützpunkte und ihre Nutzung durch die Vereinigten Staaten im Bedarfsfall wird in den meisten Fällen von der Zustimmung und Zusammenarbeit jener Nationen abhängen, in denen sie sich befinden. Solche Nationen werden die damit verbundenen Risiken nur übernehmen, wenn sie davon überzeugt sind, dass damit ihrer eigenen Sicherheit am besten gedient ist.
Doch Washington laufe Gefahr, diese Überzeugungsarbeit nicht erfolgreich betreiben zu können. Insbesondere die Europäer würden sich "weniger bereit" zeigen, der US-Führung zu folgen. Die Asienpolitik und die "zu große Beschäftigung mit Antikommunismus" würden dazu führen, dass die USA die Kosten für ihre eigene Politik vermehrt selbst zu tragen haben.
Was im Oktober 1953 noch als diffuse "Friedensgesten" der sowjetischen Führung bezeichnet wurde, konkretisierte sich im Jahr 1954 immer mehr und führte schließlich zur ersten großen Gipfelkonferenz der Siegermächte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 18. Juli 1955 in Genf. Während sich US-Präsident Eisenhower für die Gesten von Nikita Chruschtschow empfänglich zeigte, wertete sein Außenminister Dulles diese Entwicklung als ein Zeichen dafür, dass die harte US-Politik funktioniert und Moskau an den Tisch gebracht habe. Deshalb empfahl er dem Präsidenten, den sowjetischen Vertretern weder die Hand zu reichen, noch sie anzulächeln. Der Journalist Stewart Alsop berichtete für die New York Herald Tribune über die Gipfelkonferenz und bemerkte diese Dulles`sche Anordnung an Eisenhower:
Es entsprach seinem ganzen Instinkt, zu lachen und freundlich zu sein. Und dann hatte er sowas wie einen Rückzieher, daran erinnernd, was Foster gesagt hatte.
Die Genfer Gipfelkonferenz bestätigte die Ängste der Dulles-Brüder und ihrer gleichgesinnten Unterstützer in Washington nur noch mehr. Was schon in der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im Oktober 1953 festgehalten wurde, dass Angst der Kleber ist, der die Nationen hinter die USA scharen lässt, dieser Kleber aber gerade in Europa bröckelt, hat Außenminister John Foster Dulles veranlasst, nach dem Gipfeltreffen mit einem Memo an alle US-Botschaften auf der Welt dazu aufzurufen, ihre Gastländer auf Spur zu halten:
Genf hat gewiss Probleme für die freien Nationen geschaffen. Acht Jahre lang wurden sie hauptsächlich durch einen Zement bestehend aus Angst und dem Gefühl der moralischen Überlegenheit zusammengehalten. Diese Angst hat sich verringert und die moralische Abgrenzung ist etwas verschwommen.
Es galt also aus Sicht des Außenministers und im Namen des Militärisch-Industriellen-Komplexes, diese Angst aufrecht zu erhalten. Sie garantierte den Rüstungsunternehmen, Banken und Industriellen sprudelnde Kassen, die durch eine Annäherung der USA an die Sowjetunion in Gefahr kämen. Auch die Machenschaften der CIA unter Allen Dulles würden dadurch beeinträchtigt werden, da die Angst natürlich der Raison d'être des Geheimdienstes ist. Oder wie es David Talbot, Autor des Buches "Das Schachbrett des Teufels", beschrieb:
Foster, der immer im Interesse des amerikanischen Establishments gehandelt hat, hatte das verstanden. Es war dieses permanente Kriegsfieber, das die politische und militärische Hierarchie des Landes ermächtigte und den vermehrt militarisierten geschäftlichen Sektor bereicherte. Es war das Lebenselixier der Existenz von dieser herrschenden Gruppe, selbst wenn es im Atomzeitalter die menschliche Existenz gefährdete.
Was Eisenhower vor über sechzig Jahren durchmachte und es zuließ, dass ihn die Dulles-Brüder nach ihren Vorstellungen manipulierten, so dass ihm am Ende nichts anderes übrig blieb, als in seiner Abschiedsrede die Welt vor den Geistern zu warnen, die er selbst aus der Flasche ließ, erlebt auch der gegenwärtige US-Präsident Donald Trump. Auch er versuchte auf seine ganz eigene und typische Weise, eine Annäherung an Russland herbeizuführen. Trotz aller Hysterie in den US-Medien und bei einigen Politikern über eine angebliche russische Einmischung in die Präsidentschaftswahlen 2016 wünscht sich eine Mehrheit von 58 Prozent der US-Amerikaner eine bessere Beziehung zu Russland.
Doch was Mitte der 1950er Jahre galt, gilt heute noch viel mehr. Die USA haben im Jahr 2017 Waren für insgesamt 2,179 Billionen US-Dollar produziert, davon hatte die Rüstungsindustrie mit 404,5 Milliarden einen Anteil von 18,55 Prozent. Und dieser hohe Anteil hat nichts mit Wladimir Putin, der Ukraine oder der Krim zu tun, weil er seit 2008 im zweistelligen Prozentbereich wächst und 2011 nur leicht über dem Niveau von 2017 lag. Allerdings muss Russland als Feindbild herhalten, genauso wie im Kalten Krieg, um diese hohen Kosten irgendwie rechtfertigen zu können. Und wie schon Dwight "Ike" Eisenhower insbesondere von den Dulles-Brüdern umgarnt wurde, um sich als Kandidat für die Republikaner aufstellen zu lassen, und vom politischen und finanziellen Netzwerk der Brüder profitierte, so hatte auch Trump seine Unterstützer, deren Erwartungen er jetzt erfüllen muss.
Dazu gehören hohe Aktienkurse und niedrige Steuern für Superreiche. Was nicht dazu gehört, ist eine Entspannungspolitik gegenüber Russland, dem wichtigsten Feindbild der USA. Was für Auswirkungen solch eine Politik auf die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen haben kann, zeigte sich im Juni dieses Jahres, als sich Trump über alle Köpfe hinweg mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un traf und über Frieden sprach. Frieden löst die künstlich aufgebaute Angst auf, was normalerweise etwas Gutes sein sollte. Nur nicht für jene, die von dieser Angst leben.
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