"Final countdown" - Hessen-Wahl bringt das Ende der Ära Merkel und der Großen Koalition näher
von Andreas Richter
Das blamable Abschneiden von CDU und SPD bei den hessischen Landtagswahlen am Sonntag führte zu ersten Konsequenzen. Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat am Montagmorgen angekündigt, im Dezember nicht erneut für den Parteivorsitz anzutreten und keine weitere Amtszeit als Regierungschefin anzustreben. Dass Merkel sich zu diesem Schritt gezwungen sah, obwohl der aus Sicht der Union größte anzunehmende Unfall – eine Abwahl ihres Ministerpräsidenten Bouffier – erst einmal ausblieb, zeigt, dass der Druck in der Partei gewaltig war.
Damit hat der personelle Umbruch in der CDU begonnen. Merkel hat sich mit ihrer vergleichsweise schnellen Reaktion immerhin eine Chance bewahrt, ihn mitzugestalten. Für ihre Nachfolge hat sich über die Bild ihr alter Rivale Friedrich Merz in Stellung gebracht, die Merkel-Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer und der Gesundheitsminister Jens Spahn wollen ebenfalls kandidieren. Auch der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet gilt als möglicher Nachfolger. Wer das Rennen macht, muss als offen gelten, tendenziell dürfte Distanz zu Merkel eher von Vorteil sein als Nähe zu ihr. Bis zum Parteitag Anfang Dezember in Hamburg werden hinter den Kulissen intensiv Bündnisse und Intrigen geschmiedet.
Natürlich ist mit dieser Personalentscheidung auch eine inhaltliche Ausrichtung verbunden. Merz kann in den Punkten Migrations-, Familien- und Energiepolitik als Gegenpol zu Merkel gelten. Außenpolitisch steht Merz als Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Aufsichtsratschef von BlackRock für eine noch engere Bindung an die USA. Die von Merkel begonnene, vorsichtige Emanzipation etwa bei den Themen Syrien, Iran und Nordstream könnte von einem CDU-Chef Merz in Frage gestellt werden.
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Es ist längst nicht ausgemacht, dass Merkels Kanzlerschaft erst mit der laufenden Legislaturperiode 2021 zu Ende geht. Merkel selbst hatte immer wieder betont, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz für sie zusammengehören. Dass sich Merkel nach all den Jahren des "Durchregierens" plötzlich von ihrer Partei herumdirigieren lässt, erscheint kaum vorstellbar.
Der gegenwärtige Zustand der Großen Koalition lässt umwälzende Veränderungen innerhalb von Tagen möglich erscheinen. Die schwarz-rote Regierung könnte jederzeit von den Sozialdemokraten beendet werden. In der Partei mehren sich die Stimmen, die einen Austritt aus der Koalition als einzige mögliche Rettung für die SPD sehen. Dass Parteichefin Andrea Nahles noch im Amt ist, ist wohl nur dem Mangel an Alternativen geschuldet.
Ein Ende der Großen Koalition würde mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht zu Neuwahlen führen. Weder Union noch SPD haben ein Interesse daran, ein Viertel oder ein Drittel ihrer Abgeordneten zu verlieren.
Denkbar ist ein neuer Versuch zur Bildung einer Jamaika-Koalition von Union, Grünen und FDP, wahrscheinlicher erscheint allerdings eine Minderheitsregierung der Union, wie sie der CDU-Veteran und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sie schon vor Wochen ins Spiel gebracht hatte. Schäuble selbst könnte ein Kandidat für den Übergang im Kanzleramt sein, falls Merkel nach dem Abschied vom Parteivorsitz die Lust am Regieren verliert.
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Das absehbare Ende der politischen Karriere Angela Merkels und das der Großen Koalition stellt eine Zäsur für dieses Land dar. Merkels Bilanz ist, kurz gesagt, niederschmetternd. Die deutsche Gesellschaft ist gespalten, die Diskussionskultur verkümmert, die Europäische Union steht auch wegen Merkels Migrationspolitik vor dem Nichts. Ganz gleich, wer künftig in der CDU das Sagen hat und wer regiert: Die Politik muss wieder in der Lage und willens sein, bestehende Probleme auch gegen die Regeln der politischen Korrektheit zu benennen und die Interessen der Menschen in diesem Land zu vertreten und zu verteidigen. Ob das mit einem Merz oder einem Spahn gelingen kann? Man darf gespannt sein, und skeptisch.
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