"Benjamin Netanjahu ist kein Freund von Amerika"
von Scott Ritter
Benjamin Netanjahu ist kein Fremder im US-amerikanischen Scheinwerferlicht. Ein israelischer Karrierepolitiker, der die Schule in den Vereinigten Staaten besucht hat und sich in der Art von Rhetorik spezialisiert hat, in welchem seine amerikanischen Gegenstücke schwelgen: eine Art von Narzissmus der mehr Gebrauchtwagenhändler als Erzieher ist.
Netanjahu ist darin spezialisiert, dem amerikanischen Volk Gefahr zu verkaufen. Das ist eine Kunst, die er zu verschiedenen Anlässen praktiziert hat, ob das bei den Zusammenkünften der (Lobbygruppe/Anm.) American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) ist, seine vielen Auftritte vor dem US-Kongress, bei Fernsehanlässen oder während der Generaldebatte in der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Bibi (wie er allgemein bekannt ist) hatte seinen letzten Auftritt am 27. September vor der UN-Vollversammlung.
Wie schon bei den anderen Auftritten zuvor, war das eine Glanzleistung von Angst, Schrecken und Wut mit einem nahezu singulären Fokus auf eine Sache, die Netanjahu seit mehr als zwei Jahrzehnte gefangen hält: Iran und sein angebliches Atomwaffenprogramm. In seiner Autobiografie "Fighting Terrorism" von 1995, mit welcher er sich für die Kandidatur auf das Amt des Ministerpräsidenten von Israel vorbereitete, behauptete er, dass der Iran noch "drei bis fünf Jahre" von einer Atombombe entfernt ist. Bibi wiederholte diese Behauptung während den nächsten mehr als zwanzig Jahren immer wieder, offensichtlich gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass die selbst gesteckte Zeittafel kam und ging ohne dass sich die iranische nukleare Bedrohung manifestiert hätte.
Im September 2002, als er sich für eine kurze Zeit als Zivilist wiederfand, wechselte Netanjahu auf den Irak, welcher ein Atomwaffenprogramm verfüge und klärte die Zuhörer über die Vorteile eines Sturzes von Saddam Hussein auf. Als Zivilist vor dem US-Kongress wohlgemerkt. Er lag bei beiden falsch, ein Fakt, welcher aus dem Gedächtnis von jenen verschwindet, die ihm den Anschein von Glaubwürdigkeit angesichts seiner Nähe zu Israels vielgepriesenen Geheimdiensten verleihen.
Als jemand, der vier Jahre (von 1994 bis 1998) eng mit Israels Geheimdienst gearbeitet hat um die Wahrheit über das irakische Massenvernichtungsprogramm auszugraben, kann ich attestieren, dass der israelische Geheimdienst in vielem besser ist, aber weit von der Perfektion entfernt ist. Für jede gute Spur die die Israelis der United Nations Special Commission (UNSCOM) geliefert haben, für die ich zu der Zeit gearbeitet habe, haben sie ein Dutzend oder mehr gebracht, die nichts waren. Ihre detaillierte Analyse über die angebliche Organisation und Struktur des irakischen Atomprogramms, war am Ende weit von der Wahrheit entfernt. Sie hatten falsche Namen, falsche Zugehörigkeiten, falsche Orte: kurz, die Israelis machten exakt die gleichen Fehler wie andere Geheimdienste auch.
Der Irak war eine "gesperrte Zone" für Überwachung, die durch die Präsent von UNSCOM Waffeninspekteuren wie mich etwas abgemildert wurde, weil wir noch nie dagewesen Zugang zu den kritischsten Sicherheitsstätten des Landes hatten. Und trotzdem haben es die Israelis falsch eingestuft. Das haben sie nicht getan, weil sie "schlechte geheimdienstliche Informationen" hatten, sondern weil sie wie die CIA und andere Geheimdienste auf der Welt in die enorme Zahl von Informationen und Daten eingeweiht waren, die die UNSCOM Inspekteure über den wahren Zustand der irakischen Waffen und entsprechenden Programme zusammengetragen haben. Sie litten von derselben Unfähigkeit wie die anderen, die behaupteten dass der Irak bis etwa 2002 nuklear bewaffnet sein wird, unwillig die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Saddam Hussein vielleicht doch die Wahrheit gesagt hat, dass er keine Waffen und entsprechende Programme beibehalten hat, die vom UN-Sicherheitsrat verboten wurden.
Dieses gleiche Unvermögen scheint auch Netanjahus immer wildere Behauptungen über den Iran zu befeuern. Es ist kein Geheimnis, dass Netanjahu seit dem Moment gegen den Iran-Deal (offiziell als Joint Comprehensive Program of Action oder JCPOA bekannt) war, als die Möglichkeit einer diplomatischen Lösung zur Beendigung der Krise zwischen dem Iran und dem Rest der Welt auf dem Tisch der Regierung von Obama 2012 gelandet war. Er hat hart gegen das Abkommen geworben, indem er sich in einer noch nie dagewesenen Art und Weise in die amerikanische Innenpolitik eingemischte, um die Verhandlungen zu unterminieren.
Als Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen 2016 gewann, fand Netanjahu eine verwandte Seele, dessen intellektuelle Neugierde es nicht erlauben würde, irgendeine effektive Herausforderung zum vom israelischen Ministerpräsidenten konstruierten Narrativ anzunehmen. Und als Trump sich mit Widerstand seines Außenministers Rex Tillerson und seinem nationalen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster konfrontiert sah, hat er ganz einfach mit gefügigeren Personen wie Mike Pompeo und John Bolton ersetzt.
Trumps Entscheidung, die USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran zurückzuziehen, wurde von keinem einzigen Bericht der US-Geheimdienst Community gestützt, die weiterhin an der Beurteilung festhielt, dass sich der Iran vollständig an die Bedingungen aus dem Abkommen hält. Stattdessen hielt er sich an die von Israel übermittelten Berichte, die wilde Behauptungen einer Operation im Herzen von Teheran enthielten: hunderttausende Dokumente die angeblich ein Atomprogramm aufzeigen und der Iran darauf bestand, dass es dieses nicht gibt. Im April 2018 enthüllte Bibi das wie er es nannte "Atomarchiv" des Irans, als er den Inhalt einiger Dokumente aufzeigte, die angeblich während dieser israelischen Operation gestohlen wurden.
Während Netanjahus dramatische Präsentation genügte um Trump dazu zu bringen, im darauffolgenden Monat den Rückzug der USA aus dem Abkommen bekannt zu geben, konnte es den Rest der Welt nicht davon überzeugen, dass der Iran in böser Absicht handelte, als es darum ging, die Gesamtheit seines Atomprogramms zu erklären. Einer der Hauptgründe dafür lag darin, dass das Märchen das Bibi präsentiert hatte, schlicht und ergreifend keinen Sinn ergab. Dokumente die er präsentierte und die angeblich aus der israelischen Operation in Teheran stammen sollen, wurden von Offiziellen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) – welches zusammen mit anderen Vertragsparteien für die Implementierung des Abkommens verantwortlich ist – wiedererkannt, weil sie die gleichen sind, die der Organisation vor über einem Jahrzehnt gezeigt wurden. Und diese Dokumente stammten angeblich von einem Laptop, der in den Besitz einer iranischen Oppositionsgruppierung (die Terrororganisation MEK/Anm.) kam und dem israelischen Geheimdienst übergeben wurde.
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Bestenfalls gibt es nichts Neues in diesem Material und sämtliche grundlegende Inhalte die angeblich "enthüllt" wurden, bereits von der IAEO und dem Iran vor der Unterzeichnung des JCPOA diskutiert und richtiggestellt wurden. Schlimmstenfalls aber, hat Netanjahu über die israelische Geheimoperation gelogen und einfach altes Material recycelt, welches von Israel bereits 2004 erstellt wurde, einfach um politische Rückendeckung für Donald Trump zu bieten.
Netanjahu hat die meiste Zeit seines Auftritts vor der UN-Generalversammlung am 27. September damit verbracht, ein angebliches "Atomlager" aufzuzeigen, welches vom israelischen Geheimdienst im Herzen Teherans entdeckt worden sein soll. Wie schon mit dem "Atomarchiv" zuvor, machte Netanjahu große Behauptungen über iranische Missbräuche: Auf dem Platz standen "15-Fuss Schiffscontainer voll mit entsprechender Nuklearausrüstung und Material", nebst "15 Kilogramm von radioaktivem Material", die der Iran angeblich evakuiert hat um es vor einer Entdeckung zu verstecken.
Der israelische Ministerpräsident beschuldigte den Iran ein "Atomarchiv" und ein "Atomlager" zu unterhalten, damit es sein Atomwaffenprogramm wieder aufgreifen kann wenn "die richtige Zeit" dafür ist, vorgeblich wenn die sogenannte Sunset-Klauseln des JCPOA, die die Anzahl der Zentrifugen begrenzen die der Iran betreiben kann, verfallen. Wie mit der "Atomarchiv"-Geschichte, nehmen aufgeklärte amerikanische Offizielle außerhalb von Trump und seinem inneren Zirkel von anti-Iran Gefolgsleuten, die Fabeln des israelischen Führers nicht ernst und verweisen auf das von Netanjahu übertriebene Ausmaß des fraglichen Lagers (diese Offizielle behaupten, dass das dort eingelagerte "Material" dokumentarischer Natur ist, und weit von der von Netanjahu behaupteter "Ausrüstung" entfernt ist).
Netanjahu beklagte sich, dass der Welt "überall und jederzeit" Inspektion im Iran versprochen wurde, und dennoch habe die IAEO keine Schritte unternommen, um die israelischen Enthüllungen zu untersuchen. Die Realität ist, dass im JCPOA nichts dergleichen versprochen wurde. "Überall und jederzeit" war ein künstliches Konstrukt, das von Gegnern des Abkommens zusammengeschustert wurde, um die Ermittlungsfähigkeiten der IAEO zu verunglimpfen. Mehr noch, die IAEO ist mit der Qualität der von Israel in der Vergangenheit bereitgestellten nachrichtendienstlichen Information bestens vertraut, indem Monate mit dem Iran verbracht wurden, um die darin enthaltenen Behauptungen zu überprüfen. Die Agentur möchte nicht wieder Opfer von israelischen Übertreibungen und Fälschungen werden, und das zu Recht.
Und noch viel wichtiger ist, dass das Iranabkommen einen detaillierten Mechanismus enthält, um Behauptungen wie jene von Israel zu untersuchen. Doch durch den jähen Rückzug aus dem Abkommen, hat sich die Regierung von Trump selbst aus diesem Prozess entfernt. Das bedeutet, dass sich Israel an die Europäer, Russen oder Chinesen wenden muss, um seinen Standpunkt zu vertreten. Und die Tatsache, dass weder Frankreich noch Deutschland oder Großbritannien den Mantel von Israels Behauptungen aufgenommen hat, zeigt die inhärente Schwäche seiner Geheimdienstinformationen. Netanjahu kann vielleicht die Sirene von Trumps Odysseus spielen, um Amerikas Schiff in iranischen Untiefen zu zerschellen, aber der Rest der Welt zieht nicht nach.
Das amerikanische Volk sollte dieses kontinuierliche Eindringen in deren Angelegenheiten durch einen Außenstehenden nicht tolerieren, dessen vorherige Lügen, Ausflüchte und Provokationen mit dazu geführt haben, dass sich die Vereinigten Staaten in einen Krieg verfangen, während er bereits für unsere Beteiligung an einem anderen wirbt. Bibi Netanjahu hat ein Problem mit der Wahrheit, und wir geben seinen Worten und Taten Nachdruck, indem wir ihn nicht als das bezeichnen was er wirklich ist: ein gewohnheitsmäßiger Lügner mit dem Blut von tausenden von unseren Mitbürgern an seinen Händen. Netanjahu behauptet ein Freund des amerikanischen Volkes zu sein. Tatsächlich ist er davon weit entfernt.
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