Meinung

Die Werte-Maske ist gefallen: Den Westen lässt der Terrorakt in Donezk unbeeindruckt

Die Reaktion von OSZE, EU und Staaten des Normandie-Formats auf den Terroranschlag in Donezk zeigt einmal mehr, welche Seite sie im Ukraine-Krieg bedingungslos unterstützen und welche Werte sie in Wirklichkeit vertreten. Ein Blick in Abgründe der Doppelmoral.
Die Werte-Maske ist gefallen: Den Westen lässt der Terrorakt in Donezk unbeeindrucktQuelle: Sputnik

von Wladislaw Sankin

Was passiert, wenn irgendwo im Zentrum einer europäischen Großstadt eine Bombe in einer zivilen Einrichtung in die Luft geht, zwei Menschen tötet und noch mehr lebensgefährlich verletzt? Mit anderen Worten: wenn ein Terroranschlag passiert. Medien beginnen im Live-Ticker Modus zu berichten und Politiker ergreifen das Wort. Sie zeigen Empörung, sind entrüstet und bekunden Beileid und Unterstützung für die Betroffenen.

Was passiert, wenn dieser Terroranschlag einer politischen Führungspersönlichkeit gilt? Wenn diese gar ein Präsident ist? Dann fordern sie schnellstmögliche, umfassende Aufklärung, verurteilen das Verbrechen auf das Schärfste und bekunden ihr Beileid allen Bürgen im jeweiligen Land. Sie sind dann sehr, sehr, sehr betroffen.

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Was hier beschrieben wird, hat sich in Donezk ereignet. Die bei dem Anschlag Getöteten sind Alexander Sachartschenko, der Chef der nicht anerkannten Volksrepublik Donezk, und sein Leibwächter. Die Verwundeten sind Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung für einen bekannten verstorbenen Künstler, die als Ort für den Mordanschlag gewählt wurde. Darunter sind viele junge Menschen, manche von ihnen schweben noch immer in Lebensgefahr. Doch in den Medien hört man nichts – fast nichts. Medien berichten mit spürbarer Distanz. Politiker schweigen. Was stimmt da nicht?

Verstummtes Volk

Vielleicht, weil Sachartschenko ein "Separatist" war und die Republik, deren Chef er war, international nicht anerkannt ist? Nein. Wir kennen doch weltweit so viele "gute" Separatisten, die unter Einsatz ihres Lebens - zum Glück mit Hilfe westlicher Demokratien - ihre Ziele verwirklichten und deren Schicksal permanent verfolgt und hochemotional gewürdigt wird. Nein, Sachartschenko war einfach nur prorussisch. Und das war sein Problem und ist unverändert das Problem des Volkes, das er repräsentierte. Genau vor diesem Teil des Volkes in der Ukraine scheut die ohnehin dünne Berichterstattung über den Vorfall zurück – dort, wo sie richtig rührend werden könnte. Die wenigsten deutschen Medien zeigten - wenn überhaupt - nur kurz, wie viele Menschen Anteil nahmen und zum Opernhaus in Donezk gekommen sind, um persönlich von Sachartschenko Abschied zu nehmen. Es waren schätzungsweise an die 150.000 Trauernde, die keines Wortes gewürdigt wurden.

Niemand wollte verdeutlichen, was Sachartschenko für diese Menschen und damit für die Region dort bedeutete. Niemand wollte zeigen, dass es einfache prorussische Menschen in der Ukraine gibt, die genauso gute und junge Gesichter haben - wie auch die Menschen zu Beginn auf dem Maidan in Kiew. Deren Schicksal war im Winter 2013/2014 für Monate das Hauptthema im Westen. Die deutschen Medien wollten nicht, dass jetzt die Trauernden in Donezk selbst zu Wort kommen – es gab keinen einzigen O-Ton aus Donezk zu dem, was die Menschen dort nach dem Mord an ihrem Republikchef empfinden. Denn hätte der Zuschauer gleichzeitig mitbekommen, welche Freude in Kiew der Tod von Sachartschenko ausgelöst hatte, würde er selbst auf die Frage "Qui Bono" stoßen und die Ukraine als Nutznießer des Terroraktes erkennen.

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Nur Russland hat den "hinterhältigen Mord" verurteilt und internationale Organisationen zur Mitwirkung bei der Aufklärung aufgerufen. Die Antwort: Schweigen. Erst drei Tage nach dem Mord folgten die ersten Reaktionen – aus Berlin, Brüssel und EU. Keine Empörung, keine Entrüstung, kein Beileid. Nur spärliche Aufrufe, doch bitteschön den Minsker Prozess fortzusetzen.

Es ist wirklich wichtig, dass jetzt eine Eskalation vermieden wird. Der gewaltsame Tod des Herrn Sachartschenko macht ja die Bemühungen, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, nicht weniger wichtig, ganz im Gegenteil." sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.

Immerhin hat Steffen Seibert den getöteten Politiker beim Namen genannt. Sonst wurde er stets lediglich als "Separatistenführer" gebrandmarkt. Aber kein Wort des Bedauerns über das an ihm verübte Verbrechen.

Am 31. August und 1. September stand auch Russland unter Schock, ebenso wie Donezk. Emotional bewegt nannten russische Politiker den Mord "eine Provokation" und drohten mit Konsequenzen. Denn Russland sieht sich notgedrungen für das Leben der Menschen in Donezk und Lugansk verantwortlich, die von Kiew abgeschrieben sind. Dabei verzichtet es auf Einsatz von Truppen, obwohl sich sehr viele in den selbsterklärten Republiken danach sehnen: Russland geht es um die Zukunft einer Großukraine als ein wirklich guter Nachbar. Nach dem gewaltsamen Staatsstreich in Kiew im Jahre 2014 ist das ein schwieriges, zähes Unterfangen.

Vor allem ist es aber deshalb so schwer, weil die ukrainische Führung nach wie vor glaubt, mit ihrer Russophobie im Westen Pluspunkte sammeln zu können. Dass der Westen - und allen voran auch Deutschland - diese Ukraine wie eh und je weiter unterstützt, zeigt sich einmal mehr in der Reaktion auf den politischen Mord in Donezk.

Medien legen das Narrativ fest, nicht die Politik

So überschrieb gleich am 1. September Die Zeit ihren Artikel über die Reaktion in Russland so: "Russland stellt Friedensprozess für Ostukraine infrage". Nicht die vermutlichen Drahtzieher, die mit Terror provozieren, sondern Russland ist wieder der Bösewicht, der keinen Frieden gibt! Das heißt im Klartext – egal, was wirklich passiert, Russland wird am Ende immer schuld sein. Die deutschen Medien räumen den russischen und Donezker Meldungen den geringsten Platz ein, im krassen Gegensatz zur Berichterstattung und Reaktion auf einen angeblichen Mordanschlag in Großbritannien, den bislang nicht aufgeklärten "Fall-Skripal", bei dem Widersacher Russlands mit allerlei kruden Verschwörungstheorien ausgiebig zu Wort kommen.

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Dafür wurde dem Chef des ukrainischen Geheimdienstes Wasyl Gritzack als respektwürdiger Person, wie in einem ARD-Beitrag, wortreiche Aufmerksamkeit zugeteilt. Seine Theorie hieß: Moskau beseitige eigene Leute wie Sachartschenko selbst. Nach der Mord-Inszenierung am Blogger Arkadi Babtschenko (dem vermeintlichen "Putin-Kritiker", der jedes Unglück in Russland via Facebook feiert), bei der Gritzack ganz vorne mitgespielt hat, wird der Chef des ukrainischen Geheimdienstes heute schon wieder ohne jeden Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit zitiert!

Nach unaufgeklärten Massakern auf dem Maidan, in Odessa und weiteren politischen Morden an Politikern und Journalisten in der Ukraine, nach den Meldungen über geheime Gefängnisse ist und bleibt der ukrainische Geheimdienst SBU für die deutschen Medien eine unbefleckte Behörde, deren Aussagen kritiklos übernommen werden.  In dieser Hinsicht hat der Spiegel alle deutschen Medien noch übertroffen. Der knappe Satz "Das russische Außenministerium macht die ukrainische Führung in Kiew für die Tat verantwortlich", war dem Medium genug für die russische Version der Ereignisse, um die nächsten 1.300 Zeichen ausschließlich den ukrainischen Theorien zu widmen, die schon bei der ARD serviert wurden und beim Spiegel dieses Mal noch mit "Gerüchten auf Telegram-Kanälen" garniert wurden. Das Verhältnis: eins zu  fünfzehn.

OSZE: Explosion um die Ecke  

Die geschilderte Ignoranz im Fall Sachartschenko war allerdings keine allein deutsche Spezialität. Den Gipfel an Ignoranz erreichte nicht Deutschland, sondern die OSZE – die internationale Sicherheitsbehörde, die mit Hunderten von Mitarbeitern in Donezk vor Ort ist – durch ihr Schweigen.

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Noch am 1. September rief sie der Sprecher des russischen Parlaments Wjatscheslaw Wolodin zu einer Reaktion auf. Es sei jetzt angebracht, dass die Parlamentarische Versammlung der OSZE den Mord beurteilt und die Ukraine aufruft, sich zu dem Verbrechen zu äußern. Die Reaktion blieb aus – zumindest bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels. Auch durch die Tatsache, dass der Ort des Attentats nur weniger als 200 Meter vom Sitz der OSZE in Donezk entfernt ist, ließ sich die internationale Organisation nicht beeindruckten. Sie ließ am 1. September nur folgendes über den Terrorakt in Donezk vermelden:

Am 31. August, um 17:27 Uhr, haben die Mitarbeiter der Mission eine Explosion ungeklärter Herkunft gehört - weniger als 200 Meter nord-nord-östlich vom Office auf dem Puschkin-Boulevard entfernt. Die Explosion ereignete sich im Restaurant "Separ", das sich im Park unweit des Puschkin-Boulevards befindet. Die Beobachter hatten zu verzeichnen, dass das Gebiet um das Restaurant gesperrt war. Der Kommandeur der militärischen Einheiten teilte mit, dass infolge dieser Explosion Alexander Sachartschenko tödlichen Verletzungen erlag und ein anderes Mitglied der bewaffneten Einheiten schwer verletzt war. Noch 9 weitere Personen erlitten Verletzungen. Von der Speziellen Monitoring-Mission sind keine Mitarbeiter zu Schaden gekommen.

Man kennt die OSZE für gewöhnlich sehr viel schneller und wortgewaltiger, zum Beispiel wenn es um russischen Gesetze und russische Wahlen geht. Ein offensichtlicher politischer Mord gleich um die Ecke ist dagegen kein Anlass für eine Reaktion. Etwa deshalb, weil Sachartschenko die OSZE für ihre Parteinahme zugunsten der Ukraine öffentlich kritisierte? Ist das nun die Rache der OSZE ? 

Man fragt sich nur: Wie können die OSZE, die Bundesregierung und die großen Medien nach ihrer so zur Schau gestellten Doppelmoral noch die großen Moralhüter spielen und irgendwann wieder - wenn ihnen politisch der geeignete Augenblick gekommen scheint - zur Einhaltung "westlicher Werte" aufrufen? Glauben sie wirklich, die Menschen werden ihre "Sorge" dann für bare Münzen nehmen?

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