Meinung

Giftgas in Duma: Eine kritische Analyse des OPCW-Zwischenberichts (Teil 1)

Der OPCW-Zwischenbericht über den mutmaßlichen Giftgasangriff im syrischen Duma im April hält einer eingehenden Analyse nicht stand. Unvollständige Untersuchungen und unzureichende wissenschaftliche Standards werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.
Giftgas in Duma: Eine kritische Analyse des OPCW-Zwischenberichts (Teil 1)Quelle: AFP © John Thys / AFP

von Erik Frisch

Vor genau einem Monat, am 6. Juli, und somit zweieinhalb Monate nach Aufnahme ihrer Ermittlungen gab die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) ihren zweiten Zwischenbericht zum mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz im syrischen Duma vom 7. April heraus, für den der Westen die syrische Armee verantwortlich macht.

Die OPCW konnte den von der US-Regierung behaupteten Einsatz von Sarin nicht bestätigen. Doch nach wie vor steht der Vorwurf im Raum, die syrische Armee habe Chlorgas gegen die Einwohner des Damaszener Vororts eingesetzt. Chlorgas ist bei der OPCW nicht als Chemiewaffe registriert, da es vielseitig gebraucht werden kann. Natürlich ist seine Anwendung als Waffe verboten.

Der OPCW-Zwischenbericht wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dabei wäre genug Zeit gewesen, mit einigen vorrangigen Untersuchungen Verdachtsmomente auszuräumen, die bis heute im Raum stehen. Eine Analyse der "Mitteilung des technischen Sekretariats" der OPCW offenbart zudem ein zweifelhaftes Vorgehen und unklare wissenschaftliche Kriterien.

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Die OPCW sammelte oder erhielt in Syrien und in einem ungenannten Nachbarland 129 Beweisproben für die Untersuchung. Davon prüfte sie in einer ersten Testreihe 20 Materialien, deren Laborergebnisse bereits am 22. Mai 2018 zur Verfügung standen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 (S. 15) des Zwischenberichts festgehalten. Bei fünf Materialproben haben die beiden Labore übereinstimmend Hinweise auf Chlorverbindungen gefunden, bei den anderen widersprechen sie sich. Die Bedeutung dieser Funde hätte rechtzeitig geklärt werden können.

Keine Angaben zur Konzentration vorgefundener Chemikalien

Im Bericht der OPCW werden keinerlei Angaben über die Konzentrationswerte der vorgefundenen Chlorspuren gemacht, obwohl solche Werte standardmäßig in einer Laboranalyse festgestellt werden. Die von der OPCW beauftragten Labore haben sie mit Sicherheit geliefert. Ohne Kenntnis der Konzentrationswerte kann nicht definitiv festgestellt werden, worum es sich bei den Chlorverbindungen wirklich handelt.

Doch die OPCW verzichtete auch auf unmittelbare neue Untersuchungen der Funde, die sie im Zeitraum der sechs Wochen bis zum 6. Juli hätte durchführen können. Stattdessen wurde diese Untersuchung auf den Endbericht verschoben.

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Öffentliche Spekulationen, ob es sich bei den festgestellten Chlorverbindungen um die Überreste von Chlorgas handeln könnte, werden somit befördert. Der Verdacht gegenüber der syrischen Regierung steht dadurch weiter im Raum. Die für den technischen Zwischenbericht verantwortlichen Akteure müssen im Bewusstsein dieser möglichen Folgen gehandelt haben.

Keine Spuren chemischer Waffen in Bio-Proben - Chlorgas nicht getestet

Eine rechtzeitige Klärung des Verdachts auf Chlorgas wäre auch über eine gezielte Spurensuche bei den Blutproben möglich gewesen.

In der ersten Testreihe hat man neun Bio-Proben auf drei unterschiedliche Typen chemischer Kampfstoffe untersucht. Alle Ergebnisse waren negativ, relevante Spuren wurden nicht gefunden. Nach Chlorgas wurde offenbar nicht geforscht, zumindest gibt es in dem Bericht keinen Hinweis darüber. (S. 19, Tabelle A3.2)

Hätte man nach dem 22. Mai in den neun biologischen Proben auch nach Indizien für Chlorgas gesucht, wäre diese offene Frage rechtzeitig geklärt worden. Doch die OPCW-Ermittler ließen sechs Wochen ungenutzt verstreichen, der Bericht vom 6. Juli ließ die entscheidende Frage nach Beweisen für Chlorgas offen – was viele Mainstreammedien jedoch nicht davon abhielt, fälschlicherweise zu behaupten, die OPCW habe in ihrem Bericht Chlorgas nachgewiesen.

Mögliche Tatwaffen nur unzureichend untersucht

Zwei Bomben, die in den obersten Stockwerken zweier Wohnhäuser in Duma eingeschlagen sein sollen, sind laut den Aufständischen sowie Medienberichten für die mutmaßliche Giftgaskatastrophe verantwortlich. 

Die dort aufgefundenen Zylinder stehen daher als mögliche Tatwaffen im Fokus der internationalen Beschuldigungen gegen Damaskus. Umso wichtiger wäre es gewesen, dass die Ermittler bereits für ihren zweiten Zwischenbericht eine umfassende Untersuchung der beiden Objekte durchgeführt hätten. Es war genügend Zeit dafür. Erkannte die OPCW nicht deren zentrale Bedeutung?

Eine vollständige Übersicht über die Ergebnisse der zehn an den Bombenzylindern vorgenommenen Tests hätte auf einen Blick ermöglicht, diese als Tatwaffen zu bewerten. Stattdessen untersuchte die OPCW lediglich drei von zehn Proben "vorrangig" und verschob den Rest auf später. Das ist umso unverständlicher, da die bisher bekannten drei Prüfergebnisse nicht übereinstimmen.

Die drei getesteten Proben enthalten keine Sprengstoffspuren. Zwei Proben sind auch frei von chlorgasverdächtigen chemischen Verbindungen, die eines der beiden Labore jedoch bei der dritten Probe gefunden hat, was wiederum von dem anderen Labor nicht bestätigt werden konnte. Wie erklärt sich das unterschiedliche Ergebnis? Welche Verifizierungsmethode wurde verwendet?

Auch hier hat die Vorgehensweise der OPCW den bekannten medialen Verdächtigungen und Spekulationen Tür und Tor geöffnet.

Wo sind die Familienangehörigen der Todesopfer?

Der angebliche Giftgasangriff soll nach Medienberichten 40 Todesopfer gefordert haben. Auch das US-Außenministerium veröffentlichte diese Information. Es müssten entsprechend mehrere Dutzend Familienangehörige existieren. Haben sie sich in Duma an das OPCW-Team gewandt? Haben sie vielleicht spezielle Anliegen wie Forderungen nach Entschädigung geäußert? Das wäre naheliegend, doch der Bericht erwähnt davon nichts.

Die Experten hätten die Familienangehörigen der Todesopfer in Duma vorrangig befragen müssen. Auch deshalb verwundert die in dem Bericht angegebene Zahl von nur 13 vor Ort durchgeführten Befragungen. Wie passt das zusammen? Warum werden die Worte "Familienangehörige von Todesopfern" an keiner Stelle des Textes des technischen Sekretariats erwähnt? Auch die Zahl der überlebenden Giftgasopfer wird nirgendwo genannt.

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Der DNA-Vergleich zwischen Angehörigen und Todesopfern ermöglicht eine eindeutige Identifizierung. Im Anschluss daran kann die Todesursache geklärt werden. Das würde die Wahrheit über die angebliche Chlorgas-Attacke offenlegen. Laut technischem Bericht (S. 8, 7.8) hat das OPCW-Team die Exhumierung von in einem Massengrab verscharrten Leichen, bei denen es sich um Opfer des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes handeln soll, zwar vorbereitet, doch dann offenbar nicht durchgeführt. Zumindest reißt an dieser Stelle im Text die Information ab.

Dabei müsste der Bericht klären, ob man die forensischen Untersuchungen dieser Leichen vorgenommen hat oder nicht, sowie die Gründe dafür darlegen. Allerdings gibt es in der Proben-Tabelle 4 des Berichts keinen einzigen Hinweis darauf, was die Frage, ob eine Exhumierung vorgenommen wurde, insofern verneint. Das wäre ein weiterer schwerer Mangel der OPCW-Untersuchung.

Die Auswahl der forensischen Proben und Zeugenbefragungen

Über zwei Drittel der biologischen Proben wurden den Ermittlern in einem ungenannten Nachbarland von der Öffentlichkeit nicht bekannten Überbringern ausgehändigt. Eine Garantie, dass die Proben authentisch sind, kann die OPCW allerdings nicht geben. Sie bürgt erst ab dem Erhalt der Präparate für eine lückenlose Sicherheit. (S. 7, Punkt 7.3)

Ein ähnliches Ungleichgewicht wie bei der Herkunft der Bio-Proben besteht auch hinsichtlich der befragten Zeugen und Opfer. Laut Punkt 8.17 des Berichts befragten die OPCW-Experten insgesamt 34 Personen, davon jedoch nur 13 in Damaskus und Duma.

Angesichts der von der Weltgesundheitsorganisation WHO am 5. April gemeldeten "500 verletzten Giftgasopfer" ist diese Zahl unverhältnismäßig gering. Das sind noch weniger als die 17 Zeugen, die in Den Haag auf einer Pressekonferenz bestritten, dass in Duma Giftgas eingesetzt wurde.

Hingegen trafen sich die Experten mit weiteren 21 Personen in einem nicht identifizierten Nachbarland Syriens zum Gespräch. Dabei dürfte es sich um Kämpfer der aus Duma abgezogenen islamistischen Milizen und deren Familienangehörigen sowie um Mitglieder der umstrittenen Organisation "Weißhelme" handeln, die mit ihnen zusammen die Stadt verließen. Letztere machten Videoaufnahmen, die tote Menschen in einem Keller zeigen, die der Giftgasattacke zum Opfer gefallen sein sollen. Die "Weißhelme" sollen auch gestellte Szenen im Krankenhaus in Duma organisiert und gefilmt haben.

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Zeugenaussagen bilden neben den Laborergebnissen die wichtigste Säule für die Bewertung eines Vorfalls. Der bei den Zeugenbefragungen vorherrschende Narrativ kann daher ausschlaggebend für die Bewertung sein. Aus Gründen der Objektivität und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse hätte die OPCW zumindest Wert auf Ausgewogenheit bei der Auswahl der befragten Personen legen müssen. Denn durch ein starkes zahlenmäßiges Ungleichgewicht kann ein Narrativ in die eine oder andere Richtung beeinflusst werden. Das wissen die OPCW-Experten. Warum sie vor allem im Ausland befindliche Regierungsgegner zu den Ereignissen befragten, erscheint daher fragwürdig.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass wissenschaftliche und forensische Standards beim Vorgehen der Organisation nur ungenügend eingehalten wurden.

Diese Erkenntnis gibt umso mehr Anlass zur Sorge, da die OPCW seit knapp zwei Monaten die Rolle eines internationalen Gerichts einnehmen kann. Bei einem Chemiewaffenangriff will sie künftig die Täter identifizieren und benennen, was bislang außerhalb ihrer Zuständigkeit lag. Von daher können die Ermittlungsergebnisse der OPCW jederzeit Anlass zu einem internationalen Konflikt geben. Umso mehr müssen diese auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen fußen, was hinsichtlich des zweiten OPCW-Zwischenberichts zum mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma nicht der Fall ist.

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