Skripal, Syrien und Sarin: Der öffentliche Tod des westlichen Journalismus
von Thomas Schwarz
Wenn der US-Sender Fox News das einzige zitierfähige US-Medium zu einem wichtigen aktuellen Thema geworden ist, dann ist das ein schockierendes Zeugnis für die gesamte Branche. Nicht umsonst werden in den letzten Tagen die Clips aus Sendungen des Fox-Moderators Tucker Carlson auf der ganzen Welt geteilt und angesehen: Er stellt – im Gegensatz zu allen anderen großen US-Medien – die richtigen Fragen zu Syrien, zu angeblichen Giftgas-Attacken und zur Rechtfertigung für die US-geführten Bombardements vom Wochenende. Oder besser: Er stellt überhaupt noch Fragen, anstatt stümperhaft zusammengeschusterte "Geheimdienst"-Dossiers brav zu akzeptieren.
Die Reaktionen seiner US-Kollegen – also derer, die längst aufgehört haben, Fragen zu stellen – lassen sowohl die Verachtung für die freie Meinungsäußerung als auch für Gebote der Höflichkeit erkennen: "Er ist irre!", wird Carlson etwa von Jennifer Rubin von der Washington Post charakterisiert. Noah Rothman vom Commentary Magazin nennt Carlsons Beiträge "unverdünnte russische Propaganda". Seth Mandel von der New York Post brachte die Anliegen seiner Kollegen auf den Punkt: "Halt deine Fresse!", schleuderte er Carlson entgegen.
Rasante ideologische Umwälzungen
Die geänderte Perspektive auf den noch vor wenigen Jahren (zu Recht) als neoliberale Propaganda-Schleuder verschrieenen Sender Fox News ist nur ein weiteres Symptom für die rasanten ideologischen Umwälzungen, die Medienkonsumenten in diesen Zeiten verarbeiten müssen.
Wir erleben dieser Tage den öffentlichen Tod einer ganzen Branche: Das westliche Mediensystem kann seine wichtigste Aufgabe – das skeptische Hinterfragen der Entscheidungen der Mächtigen – nicht mehr erfüllen. Wie dieser Zustand erreicht wurde, soll hier nicht gemutmaßt werden. Dass es aber so ist, kann nun endgültig nicht mehr geleugnet werden. Denn wenn es für die Zahnlosigkeit und für den eingeschüchterten Opportunismus der westlichen Medienlandschaft noch eines Beweises bedurft hatte, dann haben ihn die großen Medien in Europa und den USA im Zusammenhang mit der Skripal-Affäre, den angeblichen syrischen Giftgas-Attacken und der Leugnung des jüngsten Bruchs des Völkerrechts durch das Syrien-Bombardement überdeutlich geliefert.
Wenn die Medien die Intelligenz beleidigen
Und die Redakteure der großen Medien fahren damit fort, Belege für diesen dramatischen Befund zu präsentieren: Die letzten Wochen und vor allem das vergangene Wochenende waren für kritische Mediennutzer besonders schwere Zeiten. Denn der Wert einer "freien" Presse bemisst sich an ihren Leistungen in Momenten, in denen sie ihre Freiheit unter Beweis stellen muss. Wenn sich aber fast alle Redakteure über Wochen hinweg zusammenschließen, um die Intelligenz der Konsumenten zu beleidigen, indem sie allen Standards Hohn sprechenden "Argumentationen", etwa der britischen Regierung und ihrer Propagandisten, folgen, ohne eine kritische Nachfrage zu stellen, dann ist der Beweis für ihre Unfreiheit erbracht.
Die Süddeutsche Zeitung stellt zwar zähneknirschend fest, dass die Bombardements in Syrien "nach der strengen Auslegung der UN-Charta" nicht vom Völkerrecht gedeckt waren. In einer "breiteren, humanitären und politischen Lesart" sei "der Schlag indes sehr wohl möglich" gewesen. Schließlich senden die bombardierenden Staaten "die Botschaft aus, dass der völkerrechtswidrige Einsatz von Giftgas nicht widerspruchslos akzeptiert und der Ächtung der chemischen Waffen durch die Weltgemeinschaft Geltung verschafft wird. Das ist ein starkes Argument". Eher ist dieser Absatz ein starkes Stück, weil er in wenigen Sätzen nicht nur die Unschuldsvermutung, sondern auch die UN mit ihrer "strengen Lesart" in den Dreck zieht.
Noch mehr Bomben
Die Welt hält sich mit dem Völkerrecht erst gar nicht auf, sondern fordert "mehr Taten": "Die Kanzlerin hat recht: Der Militärschlag gegen Syrien war 'erforderlich'. Freilich war er nicht, wie Angela Merkel meinte, auch 'angemessen'. Wenn weiter keine Taten folgen, wird man von einer rein symbolischen Handlung reden müssen."
Jedes Kind weiß, dass der jüngste Angriff auf Syrien ohne jeden Zweifel völkerrechtswidrig war. Dass westliche Politiker und ihre Geheimdienste diesen Fakt vernebeln wollen, gehört zu ihrem Job. Der Job einer sich selber bei jeder Gelegenheit als "frei und unbestechlich" feiernden Presse wäre aber ein ganz anderer: Sie müsste die Politiker auf die unüberbrückbaren Widersprüche in den lächerlichen Geheimdienst-Dossiers hinweisen, sie müsste das ganze unhaltbare Konstrukt aus Giftgas, Dschihadisten und Weißhelmen aus "Kausalketten" und "einzig plausiblen Szenarien" in der Luft zerfetzen.
Stattdessen fordert selbst die ehemals linksliberale Frankfurter Rundschau noch mehr Bomben, um einen mutmaßlich nicht stattgefundenen Giftgas-Angriff zu sühnen: "Der bewusst schmal kalibrierte Raketenbeschuss zeigt, der Westen hat sich längst mit dem Diktator abgefunden und lässt ihm im Prinzip freie Hand."
Transatlantiker feuern gegen Trump
Neu ist, dass nun ehemals treue Transatlantiker etwa beim Spiegel oder bei der taz nicht nur Syriens Präsident Bashar al-Assad geißeln, sondern gleichzeitig auch US-Präsident Donald Trump. Sie geraten dadurch in die Zwickmühle, die Handlungen Trumps ablehnen zu müssen, obwohl sie selber seit Jahren Angriffe auf Syrien fordern. So fragt der Spiegel in einem aktuellen Interview den deutschen Außenminister Heiko Maas: "Wer ist eigentlich gefährlicher für den Weltfrieden, Trump oder Putin?" Der russische und der US-amerikanische Präsident auf einer Ebene – das wäre vor Kurzem beim Spiegel noch unvorstellbar gewesen.
Um gegen Trump schießen zu können, wirft die taz sogar ihren gut gepflegten Bellizismus vorübergehend über Bord: "Die Reaktionen deutscher Regierungspolitiker auf die eindeutig völkerrechtswidrigen Militärschläge der USA, Frankreichs und Großbritanniens gegen Syrien sind verlogen, hilflos und feige." Es wäre interessant zu wissen, wie die taz wohl kommentiert hätte, hieße der US-Präsident nicht Trump, sondern Hillary Clinton.
Wenn die Presse den Boden für Krieg bereitet
Was die Transatlantiker von Spiegel, taz und Süddeutsche Zeitung außerdem verschweigen: Es war die jahrelange Propaganda europäischer und US-amerikanischer Medien, die den Boden für die Bombardements vom Wochenende bereitet hat und die eine Hysterie entfacht hat, der sich Trump nun mutmaßlich nur durch (symbolische) Kriegshandlungen entziehen konnte.
Den vorläufigen Gipfel der Voreingenommenheit und Parteilichkeit hat am Wochenende aber ein öffentlich-rechtlicher Sender erklommen. Allein die Besetzung der Talkshow "Anne Will" in der ARD war eine Provokation für jeden Menschen, dem faire Diskussionen ein Anliegen sind: Mit Norbert Röttgen, Alexander Graf Lambsdorff, Golineh Atai und Wolfgang Ischinger waren dort vier gestandene Falken vertreten, die mit Jan van Aken von der Linkspartei ein leichtes Opfer serviert bekamen.
Nackt im Wind der Kriegspropaganda
Der Satz "hinterher ist man immer klüger" wird in einigen Jahren nicht zur Verteidigung des jetzigen medialen Versagens akzeptiert werden. Denn viele Menschen sind bereits jetzt klüger, sie werden nur niedergebrüllt (siehe Tucker Carlson) von einer Medienlandschaft, die – um nicht komplett entblößt zu werden – krampfhaft das selbst erzeugte, unhaltbare Narrativ zu Syrien am Leben halten will.
Die Erkenntnis, dass auch nach "Brutkastenlügen" und "Massenvernichtungswaffen" fast alle Medien schon wieder bereit sind, die Bürger den offenen und billigen Lügen der Kriegstreiber schutzlos auszuliefern und sie nackt im Wind der Kriegspropaganda stehen lassen, ist schockierend. Positiv könnte man es nur verarbeiten, indem dadurch ein schonungsloser und folgenreicher Erkenntnisprozess zu unserer "freien und unbestechlichen" Medienlandschaft angestoßen würde.
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