Meinung

Prof. Mausfeld über Meinungskontrolle: reine Demokratie ist Illusion – und gefährlich für Eliten!

Am 01. Mai 2017 sprach Rainer Mausfeld bei der ödp in München. Das Thema, "Wie werden Meinung und Demokratie gesteuert", hatte es in sich. Entsprechend war das mediale Echo, wie des Öfteren, wenn schonungslose Analyse zu befürchten ist, auch gleich null. Eine Zusammenfassung.
Prof. Mausfeld über Meinungskontrolle: reine Demokratie ist Illusion – und gefährlich für Eliten!Quelle: Reuters © Ralph Orlowski

von Florian Osrainik

Das Theater Leo 17 in der Münchner Leopoldstraße 17 war bis auf den letzten Platz gefüllt. Draußen Regen, drinnen Spannung. Die ökologisch-demokratische-Partei (ödp) hatte einmal mehr, wie etwa mit dem Historiker Daniele Ganser, einen Vortragenden für ein brisantes Thema geladen. Der Andrang war groß, ging es doch um Meinungsmanagement in unserer so genannten – und nach dem Vortrag sind Anführungszeichen sehr wohl angebracht –"Demokratie".

PR ist auch bloß Propaganda

Um das zu erklären, geht der Professor, der bis 2016 einen Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel hatte, für seinen Vortrag zunächst rund 200 Jahre zurück. Denn "an den Ursprüngen sind die Dinge noch klarer zu sehen. Heute ist alles mit einer großen Legitimationsrhetorik überzogen." Damals sprach man noch offen davon, dass dem Volk nicht zu trauen sei, wie die US-Gründungsväter meinten. Ohne Filterung durch politische Repräsentanten, die besser als das Volk wüssten, was es will, sei die Meinung des Volks nach James Madison, dem vierten US-Präsidenten, wertlos. Denn nur durch Kontrolle der Meinung ließe sich die Mehrheit der Besitzlosen von der Minderheit der Besitzenden regieren. Dieses Paradoxon der Demokratie wurde ganz offen diskutiert. Dann kam das Meinungsmanagement als effiziente Alternative zur Gewalt ins Spiel, da so, anders als bei Gewalt, kein Widerstand zu befürchten ist und reine Demokratie ja gefährlich für die Interessen der Besitzenden sei.

War die Interessenvertretung der Arbeiter anfangs erfolgreich, wurde dieser Erfolg in den 1920er und 1930er Jahren mit Denkfabriken, Universitäten und den explodierenden Sozialwissenschaften von den Besitzenden studiert, um ihn zu zerschlagen, was gut untersucht ist.

Interessant, so der Professor, sei aber, dass "wenig von dem, was herausgefunden wurde, in den öffentlichen Diskussionsraum gekommen ist." So wurde die Identität der Arbeiter aufgebrochen. Man gründete Fußballvereine wie bei Bayer oder druckte Artikel mit Firmenlogos, um stattdessen eine Identität mit dem Konzern und gegen andere Arbeiter herzustellen.

Am Anfang wurde das offen Propaganda genannt, bis die Nazis sich dafür begeisterten, sodass man es in Public Relations (PR), zu deutsch Öffentlichkeitsarbeit, umbenannte. Man brachte die Arbeiter dazu, ihr eigenes Wohlergehen mit dem der Arbeitgeber zu identifizieren, was eine perverse Verdrehung ihrer Interessen ist. Mit diesem Wissen, einem "Arsenal an Techniken", so der Professor, werden auch heute Bewegungen wie Occupy, Podemos oder jene von Corbyn zerschlagen, bevor sie Erfolg haben. Behilflich ist dabei etwa die Entwurzelung der eigenen Geschichte, ein Identitätsverlust durch den Konsumismus, einer unersättliche Gier nach Formen von Falschidentitäten, die mit der eigenen Lebenswelt nichts zu tun haben, gefördert durch Facebook, belanglose Unterhaltung und vermeintliche Stars.

"Der Kapitalismus hat die Demokratie nie geschätzt" – und keiner tut was!

Heute gibt es gigantische Machtstrukturen, die weder demokratisch legitimiert, noch durch Wahlen zu beseitigen sind. "Die Situation ist fast aussichtslos", so der Professor. Im Saal könnte man eine Stecknadel fallen hören. Dabei ist es dem Neoliberalismus, der nichts mit dem klassischen Liberalismus zu tun hat, gelungen, staatliche Strukturen für eigene Interessen, jene der Reichen und Konzerne, zu übernehmen. So belegt eine Studie der Universität Princeton, dass die Meinung der Bevölkerung "fast null Einfluss auf politische Entscheidungen" hat.

Widerstand hätte aber nur eine Chance, wenn man eine realistische Einschätzung der Situation hat. "Und davor drücken wir uns", so Mausfeld. Man lebe in der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben, was uns so anfällig für Manipulation macht. Dabei herrscht ein sozialer Krieg. Der Neoliberalismus als Extremform des Kapitalismus sei nach dem Kolonialismus das größte Umverteilungsprojekt der Geschichte, von unten nach oben, von Süd nach Nord, vom öffentlichen in den privaten Raum. Und die Reichen, wie etwa Warren Buffett deutlich sagte, sind sich des Klassenkampfes, des Krieges gegen die Armen, im Gegensatz zu den Armen sehr wohl bewusst.

Es ist ja alles schrecklich, aber so schrecklich, dass ich mich bewegen müsste, ist es auch nicht.

Wie lässt sich Meinung also steuern? Durch Gewöhnung zum Beispiel. Wenn man etwas nur lange genug tut, dann wird die Welt es akzeptieren.

Wir haben die Idee der gezielten Tötung erfunden [...] acht Jahre später wird es akzeptiert,

zitiert der Professor einen israelischen Militärjuristen. Wir haben auch keine Schwierigkeiten, das Völkerrecht zu verletzen, denn wir haben uns daran gewöhnt.

Es ginge, wie zahlreiche Studien belegen, aber auch über die Neigung zum Status quo, der selbst dann bevorzugt wird, wenn die Alternative eindeutig besser wäre. Dabei besteht sogar die Tendenz, den Opfern die Schuld für ihre Situation zu geben. Denn ein Status quo, in dem man es zu etwas gebracht hat, könne ja gar nicht ungerecht sein, sonst hätte man es ja nicht zu etwas gebracht.

Durch Beunruhigung und Ängste, etwa über den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes, lässt sich der Wähler am leichtesten lenken. Dann wäre eine marktkonforme Demokratie erreichbar. Es dürfe keine Unklarheit darüber geben, auf wen sich der Hass der Öffentlichkeit zu richten hat. Dazu müsse man nur die Medien durchgehen, die immer wieder Hassobjekte konstruieren. Oder man überhäuft die Leute mit Nichtigkeiten, um ein Nachdenken zu verhindern. Manipulation von Meinung funktioniert aber auch wunderbar über Bilder. Der Professor zeigt ein Foto von Bill und Melinda Gates, dessen wahre Absichten ihres Engagements nicht hinterfragt würden. So nennen wir amerikanische Milliardäre bewundernd Philanthropen und russische Milliardäre abwertend Oligarchen,

obwohl beide eigentlich durch Betrug am Gemeinwesen zu ihrem Reichtum gekommen sind,

sagt der Professor. An dieser Stelle wird Mausfeld, und nicht zum ersten Mal an diesem Abend, von starkem Applaus unterbrochen.

Macht ist die Befähigung, über die Dinge zu befinden, über die nicht entschieden werden soll.

Aber wer und wo sind die Machteliten? Im Feudalismus hat man sie anhand ihrer feinen Kleider und ihres Reichtums gesehen, was zu Empörung und zur Revolte führte. Also wurden die Zentren der Macht unsichtbar. In einer repräsentativen Demokratie ist nicht das Volk der Boss, was schon zu Zeiten von Edward Bernays so offensichtlich war, dass Bemerkungen darüber nur beiläufig in Nebensätzen Erwähnung fanden. Heute bekommt man die eigentlichen Bosse, letztlich sind 147 Konzerne weltweit bestimmend, all dies ist empirisch belegt, nicht zu greifen. Professor Mausfeld, das fällt auf, untermauert seinen Vortrag durchgehend mit Ergebnissen aus Studien und Folien mit Zitaten, Bildern, Zeitungsartikeln oder Grafiken. Und untereinander, da "reden die Eliten Klartext". Aber eben nur untereinander.

Der Professor erinnert, in Anspielung an das europaweite Netz von Goldman Sachs, dass in der EU fast alle entscheidenden Positionen nicht demokratisch legitimiert sind und wir eine "Verrechtlichung" moralischer Kriminalität zugunsten der besitzenden Klasse hätten. Wie etwa Trump mit dem Austrocknen des Staates, der seine Aufgaben nicht mehr übernehmen kann, durch Steuergesetze für die Reichen in den USA zeigen würde.

Institutionalisiert sei dies durch Parteispenden oder Lobbyismus. Mausfeld erinnert, wie ein ehemaliges Nachrichtenmagazin – gemeint war der Spiegel; Lachen und Applaus im Saal – im Jahr 2004 berichtete, dass der Staat mehr als eine Milliarde Euro in einem Jahr für die Hilfe von "Externen" ausgab, wobei die Berater keine "rationalen Ergebnisse" produzieren, sondern eine grundsätzliche Strukturänderung, so der Professor. Und nichts davon ist sichtbar oder unterliegt einer Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Die Lobbys arbeiten so wirksam in den Parlamenten, dass nichts von allem rückgängig gemacht werden kann. "Vorwärts immer, rückwärts nimmer", sei das Motto.

So schickte die Wall Street nach der Finanzkrise 3.000 Lobbyisten zum Kapitol, sechs Lobbyisten für jedes Mitglied im Kongress, um eine wirksame Regulierung der Finanzmärkte durch Obama zu vereiteln. Zum Dank erhält Obama heute ganz legal 400.000 US-Dollar für ein paar nette Worte vor Vertretern eben jener Wall-Street.

Zum Abschluss stellt der Professor noch klar, dass "Fake News" selbst nur "Fake News" und die "normale Funktionsweise von Propaganda" sind, um Falschmeldungen zu Zwecken der Manipulation zu platzieren. Der Professor wird von Applaus unterbrochen, um dann zu fragen: Und wer macht die Propaganda?

Die Aufgabe zur Steuerung der öffentlichen Meinung übernehmen private Organisationen, spezialisierte PR-Agenturen, da heute etwa kein Krieg mehr ohne PR-Agentur denkbar sei. 40 Prozent der Informationen einer Tageszeitung stammten von PR-Agenturen, laut "Guardian" sogar 50 bis 80 Prozent, erzählt Mausfeld, was Zeitungen außerdem auch Kosten sparen würde.

Der Professor bringt noch schnell ein paar Folien, die zeigen, dass etwa die Kampagne für Stuttgart 21 – die Deutsche Bahn wollte bei der Kampagne ausdrücklich im Hintergrund bleiben – von einer PR-Agentur entworfen wurde oder die Brutkastenlüge von Psychologen der CIA-nahen PR-Agentur Hill & Knowlton ausgearbeitet wurde. Damals hatte die fünfzehnjährige Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA öffentlichkeitswirksam und unter Tränen ausgesagt, dass sie als kuwaitische Krankenschwester sah, wie irakische Soldaten nach der Invasion im Kuwait Frühgeborene aus Brutkästen gerissen und getötet hätten. Anschließend stieg die Kriegsbereitschaft der US-Bevölkerung. Und obwohl man die Lüge damals schon erkennen konnte, haben alle Medien das Märchen so wiedergegeben. Ähnlich sei es mit der intransparenten Listung von Ergebnissen bei Google, um die Meinung zu manipulieren.

Wir sind auch verantwortlich für das, was wir nicht tun!

Trotz allem, und obwohl wir mit der Politik einer neoliberalen Alternativlosigkeit täglich konfrontiert werden, so der Professor vor der Fragerunde mit dem Publikum, erteilen wir einer zirkulierenden Elite unter dem Banner des Gemeinwohls noch immer die Legitimation "ihre Interessen auf unsere Kosten zu verfolgen." Dabei wird "die Abschaffung der Demokratie" gar nicht so richtig bemerkt. Wir bräuchten also ein Ziel, denn ohne Ziel, könne man auch im Weg nicht irren, schließt der Professor und fordert Korrekturen für eine menschenwürdige, gerechte und solidarische Gesellschaft.

Der Vortrag des Professors fand in der lokalen Presse, ob Süddeutsche Zeitung oder Münchner Merkur, keine Beachtung. Im Gegensatz zur AfD, die mediale Unterstützung erhält und in einer Fernsehsendung nach der anderen vertreten ist, ignoriert man die ödp eben, jedenfalls, wenn es interessant wird. "Na das war doch klar", so der Professor vier Tage später.

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