
Der neue Korruptionsskandal in der Ukraine kommt vielen zugute, nur nicht Selenskij

Von Sergei Mirkin
In der Ukraine gewinnt der "Fall Energoatom" an Fahrt. Es handelt sich um den größten Korruptionsskandal seit dem Amtsantritt von Wladimir Selenskij. Die Ermittlungen des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine (NABU) und der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung (SAP) haben ergeben, dass hochrangige ukrainische Beamte, darunter Minister, Großunternehmer und Top-Manager von Energoatom, hohe Schmiergelder von Auftragnehmern erhalten haben, die Aufträge für dieses Unternehmen ausgeführt haben.
Zu den Beteiligten des Verfahrens gehören Personen, die dem Chef des Maidan-Regimes, Wladimir Selenskij, sehr nahestehen – unter anderem der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident der ukrainischen Regierung, Alexei Tschernyschow, und der Geschäftsmann Timur Minditsch. Ersterer ist der Pate des derzeitigen Präsidenten, der zweite sein inoffizieller Schatzmeister. Als das NABU und die SAP im Sommer dieses Jahres versuchten, sie zur Rechenschaft zu ziehen, erreichten Selenskij und sein Büroleiter Andrei Jermak, dass das Parlament ein Gesetz verabschiedete, das das NABU und die SAP der Kontrolle des Generalstaatsanwalts der Ukraine unterstellte. Unter dem Druck des Westens wurde das Gesetz jedoch bald wieder aufgehoben. Die Konfrontation zwischen dem Büro von Selenskij und den Antikorruptionsbehörden endete damit jedoch nicht und führte zur Einleitung von Strafverfahren gegen Mitarbeiter des NABU durch den ukrainischen Geheimdienst SBU und zu ähnlichen Maßnahmen von Ermittlern des NABU gegen Mitarbeiter des SBU.

Der Konflikt verschärfte sich, und es war klar, dass entweder Selenskij und Jermak einen Weg finden würden, die Antikorruptionsbehörden unter ihre Kontrolle zu bringen, oder dass das NABU und die SAP einen schweren Schlag gegen die Positionen des Teams von Selenskij ausführen würden. Die Führung des NABU und der SAP hat bisher die Oberhand: Es wurden Audioaufnahmen mit Gesprächen der Beteiligten über Korruptionsmachenschaften veröffentlicht. Dadurch wurde es dem Büro von Selenskij unmöglich, die Angelegenheit hinter verschlossenen Türen zu vertuschen. Selenskij und seine Mitstreiter gaben vor, die Maßnahmen von NABU und SAP zur Aufdeckung von Korruption bei "Energoatom" zu unterstützen. Eine andere Option hatten sie eigentlich auch nicht.
Die Unterlagen zum Fall "Energoatom" wurden 15 Monate lang gesammelt, aber das NABU und die SAP haben beschlossen, gerade jetzt aktiv zu werden. Warum? In den ukrainischen Medien und Telegram-Kanälen herrscht die Meinung vor, dass sich eine günstige Situation ergeben hat: In der Ukraine gibt es große Probleme mit der Stromversorgung, und Informationen über groß angelegte Korruption im Energiesektor werden in der Gesellschaft enorme Resonanz finden. Im Winter könnten sich die Probleme mit der Stromversorgung in der Ukraine indes noch verschärfen. Es könnte zu Energie-Maidan-Protesten kommen, und dann würde die politische Wirkung dieser Ermittlungen noch größer werden.
Ukrainische Medien berichten, dass der SBU Strafverfahren gegen wichtige Mitarbeiter des NABU und der SAP vorbereitet, jedoch keine Genehmigung zur Durchführung dieser Verfahren erhalten habe. Die Leiter des NABU und der SAP wussten davon und waren sich bewusst, dass das Team von Selenskij früher oder später beschließen würde, ihre Mitarbeiter und möglicherweise auch sie selbst zu verhaften. Sie haben daher einen Präventivschlag durchgeführt.
Die Entscheidung, die Aufzeichnungen zum "Fall Energoatom" zu veröffentlichen und die Beteiligten zu verhaften, konnten die Leiter des NABU und der SAP jedoch nicht selbst treffen – das war nicht ihre Verantwortungsebene. Wer steckt also hinter den Handlungen von NABU und SAP? Es ist kein Geheimnis, dass viele Ermittler des NABU mit den ukrainischen Strukturen von George Soros in Verbindung stehen – und diese sind nicht immer Freunde von Selenskij.
Der "Fall Energoatom" gibt ihnen die Chance, Selenskij zu schwächen. Zumal sie offenbar mit dem ehemaligen Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, und seinen Mitstreitern zusammenarbeiten. Die Anhänger Soros' und Poroschenkos rechnen damit, dass im Zuge der politischen Krise, die durch einen Korruptionsskandal ausgelöst werden könnte, die Fraktion "Diener des Volkes" in der Werchowna Rada, die aus unterschiedlichen Kräften besteht, auseinanderfallen wird. In diesem Fall wäre es möglich, die parlamentarische Koalition neu zu formieren und das Ministerkabinett auszuwechseln.
Allerdings sind das NABU und die SAP nur formal unabhängige Strukturen. Sie sind Teil des ukrainischen Strafverfolgungssystems, wurden jedoch ausschließlich vom Westen und nicht von Selenskij gegründet und werden auch ausschließlich vom Westen kontrolliert. Offiziell wurden sie gegründet, um die Korruption zu bekämpfen, in Wirklichkeit jedoch, um die politische und wirtschaftliche Elite der Ukraine an der kurzen Leine zu halten. Daher würden sich die Leiter von NABU und SAP selbst mit der Unterstützung von Soros und Poroschenko nicht trauen, ohne den Segen der mächtigen Kräfte im Westen zu handeln. Wer im Westen könnte die Umsetzung des "Falls Energoatom" also genehmigt haben?
Das NABU und die SAP wurden 2015 mit Unterstützung der US-Botschaft in der Ukraine gegründet, als Barack Obama Präsident der Vereinigten Staaten war. Wenn auch die Strukturen von Soros an dem Angriff auf das Team von Selenskij beteiligt sind, kommen einem in erster Linie US-amerikanische und europäische Liberale in den Sinn. Warum sollten sie Selenskij untergraben, wo sie ihn doch unterstützen?
Möglicherweise wusste die westliche "liberale Regionalleitung" von Selenskijs Plänen, die Führung und die wichtigsten Mitarbeiter des Antikorruptionssystems zu verhaften, und den Liberalen gefiel es gar nicht, dass man ihnen die Strukturen nehmen wollte, mit denen sie die ukrainische Elite kontrollierten.
Noch wichtiger ist, dass man im westlichen Oberkommando wohl zu dem Schluss gekommen ist, dass Selenskij und Jermak nicht mehr lange an der Macht bleiben können. Die Niederlagen an der Front, der bevorstehende Winter, dem die Ukraine ohne Strom und Heizung begegnen muss, die totale Mobilmachung – all das wird das Fass der Geduld der Menschen zum Überlaufen bringen, und das Selenskij-Regime wird hinweggefegt werden. Deshalb wurde im Westen wohl beschlossen, vorzugreifen, um selbst zu bestimmen, wie die politische Konstellation nach Selenskij aussehen wird.
Eine weitere Kraft, die grünes Licht für den Angriff auf Selenskij geben könnte, sind die Trumpisten. Es ist kein Geheimnis, dass es im NABU Kuratoren vom FBI gibt, diese Struktur wird derzeit von US-amerikanischen Republikanern kontrolliert. Wenn man im Weißen Haus wirklich Frieden in der Ukraine will, muss man verstehen, dass das größte Hindernis dafür die politischen Ambitionen von Selenskij und Jermak sind, die keine Kompromisse mit Russland eingehen wollen.
Der Skandal um "Energoatom" könnte ein ernstzunehmender Hebel sein, um Einfluss auf Selenskij und seinen grauen Kardinal auszuüben. Umso mehr, wenn die Gerüchte stimmen, dass das NABU Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Selenskij und Minditsch über Korruptionsmachenschaften hat. Die Veröffentlichung dieser Materialien würde Selenskij politisch ruinieren. Möglicherweise ist es ja genau das, was Trumps Team braucht – die Entmystifizierung Selenskijs in den Augen der europäischen und US-amerikanischen Öffentlichkeit würde dazu beitragen, Wege zum Frieden zu finden.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 14. November 2025 auf der Website der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
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