Meinung

Schrille Spionage-Debatte: Im Kriegsfall geht es der AfD an den Kragen

Die Altparteien glauben endlich, ein Heilmittel für den nahezu unaufhaltsamen Aufstieg der Alternative für Deutschland gefunden zu haben. Es ist der Vorwurf der Konspiration mit dem russischen Landesfeind.
Schrille Spionage-Debatte: Im Kriegsfall geht es der AfD an den Kragen© Urheberrechtlich geschützt

Von Astrid Sigena und Wladislaw Sankin

Wenn man am Mittwoch die von den Fraktionen der Regierungsparteien anberaumte Debatte verfolgt hat, hätte man meinen können, Deutschland befinde sich schon im Krieg mit Russland. "Auswirkungen des Verhältnisses der AfD zu Russland auf Deutschlands Sicherheitsinteressen – Kein Patriotismus, sondern mögliche Gefährdung unserer Sicherheit" lautete der sperrige Titel. Angeblich gefährdet die AfD durch ihre Russland-Kontakte die deutsche Sicherheit.

Die Grünen wollten in der AfD schon das "trojanische Pferd" des Kreml erkennen – versteckt im Inneren des hölzernen Pferdes waren die Griechen dereinst in die Festung Troja eingedrungen. Von einer "russlandtreuen Schläferzelle" in den Reihen der Rechtskonservativen war vonseiten der CDU die Rede, womit die AfD in die Nähe des Terrorismus gerückt wurde (RT DE berichtete). Besonders alarmierend: Auch die Linke, vertreten durch den Redner Jan Köstering, machte bei der Spionage-Hysterie gegen die AfD mit. Sowohl Grüne als auch Linke warben für einen Verbotsantrag.

Die AfD-Redner reagierten angesichts der Massivität der Vorwürfe verschreckt und meist defensiv. Sie verwiesen darauf, dass sie längst verhaftet sein müssten, wenn wirklich etwas an den Vorwürfen dran wäre. Außerdem hätte auch die CDU ähnlich lautende Anfragen zu sicherheitsrelevanten Themen gestellt. Es klang wie das Pfeifen im Walde – denn die Haftbefehle gegen deutsche Oppositionelle dürften schnell beantragt und ausgestellt sein, wenn es erst einmal zu Kampfhandlungen gekommen ist; das ist zumindest zu befürchten. Die entsprechende Einordnung der AfD als Landesverräter und "Alternative für Russland" ist jedenfalls bereits vorhanden.

Andere AfD-Abgeordnete wiesen darauf hin, dass auch Politiker anderer Parteien, insbesondere der SPD, Kontakt mit Russland gepflegt hätten – womit sie das Narrativ, wer sich mit Russen treffe, sei kontaminiert, nur noch verstärkten. Stephan Brandner pochte sogar darauf, dass es kein einziges Foto eines AfD-Politikers mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gebe.

Trotz aller gelegentlichen Forschheit merkte man die Angst in den Reihen der AfD. Nicht, weil in der Fraktion tatsächlich gewiefte Putin-Parteigänger und Kreml-Spione säßen, die nun als ertappte Sünder ihr Schuldbewusstsein nicht verbergen könnten. Tatsächlich fällt es schwer, angesichts der absurden Vorstellung, die AfD bekäme zu befolgende Anordnungen und Finanzmittel aus Moskau, die Fassung zu bewahren.

Und dennoch muss man diese Vorwürfe ernst nehmen, denn sie haben ganz konkrete Folgen: In der Aktuellen Stunde wurde auch erwähnt, dass der als russlandfreundlich stigmatisierte Bundestagsabgeordnete Petr Bystron schon die 26. Hausdurchsuchung durchgemacht hat. Zuletzt wegen fadenscheiniger Vorwürfe einer Geldannahme mit Russland-Bezug.

Momentan vergeht kaum eine Sitzungswoche, in der nicht einem AfD-Abgeordneten die Immunität aberkannt worden wäre. Diese Woche war der Bayer Raimond Scheirich dran. Die anschließende Durchsuchung seines Büros steht wohl in Zusammenhang mit Untreue-Vorwürfen, die auch seinen Parteikollegen Andreas Jurca betreffen – einen AfD-Landtagsabgeordneten und – oh Wunder! – Russland-Fahrer. Jurca hatte im März vergangenen Jahres die russischen Präsidentschaftswahlen als Demokratie-Experte in Wladiwostok begleitet.

Dass die AfD selbst mittlerweile diese Vielzahl an Durchsuchungen als abgekartetes Spiel und Repressionsmittel begreift, zeigt sich daran, dass sie im Fall Scheirich der Aufhebung der Immunität nicht zugestimmt hat, wie es normalerweise der Fall ist. In den Berliner Büros der AfD-Abgeordneten geht offenbar die Angst um, man könnte der Nächste sein. Und dass es irgendwann nicht bei Durchsuchungen von Wohnungen und Büros bleiben wird. Noch viele weitere Repressionsvarianten sind möglich. Das Schicksal der Hamburger AfD-Abgeordneten Olga Petersen, die mittlerweile zusammen mit ihren Kindern Zuflucht im russischen Exil gefunden hat, haben sicher viele im Hinterkopf.

Angesichts der Rede Grünen-Politikerin Irene Mihalic hatte sich Martin Reichardt, AfD-Abgeordneter aus Sachsen-Anhalt, "von der Hetze her" an McCarthy-Zeiten erinnert gefühlt (Minute 24). Mihalics Parteikollege Omid Nouripour, der als Bundestagsvizepräsident die Bundestagssitzung während der Aktuellen Stunde leitete, warnte daraufhin schon mal vorsorglich vor "historischen Vergleichen zu Diktaturen auch der deutschen Geschichte". Das war vermutlich auch besser so, denn die historische Einordnung des derzeitigen Umgangs mit der verbliebenen Opposition kann nur wenig schmeichelhaft für die Zustände in der gegenwärtigen BRD ausfallen.

Es ist kein Zufall, dass diese Spionagevorwürfe jetzt überhandnehmen. Zum einen verschärfen sich die Spannungen mit Russland immer mehr. Die Merz-Regierung hat den russlandfeindlichen Kurs ihrer Vorgängerregierung noch einmal getoppt und ist voll auf Konfrontationskurs. Zum anderen sieht man offenbar im deutschen Politestablishment durch die Stigmatisierung jeglichen AfD-Kontakts mit Russland eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, der verhassten Partei endlich beizukommen, nachdem andere Maßnahmen wie die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sich als relativ stumpfes Schwert erwiesen haben.

Diese Bekämpfungsmethode wird auch relativ offen in der deutschen Medienlandschaft kommuniziert. Der Vorwurf der Spionage mit Russland, insbesondere vonseiten der Union, sei "nicht so dumm", egal ob man ihn unbewusst oder absichtlich gegen die AfD platziere, erläuterte Gerrit Seebald Ende Oktober in einem Interview mit der Welt. Man könne damit auf Richtungskämpfe innerhalb der AfD abzielen (ab Minute 4.30). Wenn man es schaffe, den Burgfrieden innerhalb der AfD zu brechen, könne man dieser Partei Schwierigkeiten bereiten. Auch Barbara Kostolnik vom Bayerischen Rundfunk glaubt, in den Spionagevorwürfen gegen die AfD die Strategie einer "härteren Gangart" erkennen zu können (kritisiert allerdings, dass man sich innerhalb der Koalition immer noch nicht über ein Parteienverbot einig ist).

Die Aktuelle Stunde im Bundestag war daher nur der (bisherige) Gipfelpunkt einer ganzen Schmutzkampagne. Zuvor bereits war eine geplante Russlandreise noch unbestimmten Datums dem AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier unter anderem von der SPD als "Vaterlandsverrat" angekreidet worden. Und der Thüringer SPD-Innenminister Georg Maier sah in den häufigen Anfragen zu brisanten, sicherheitsrelevanten Themen das Wirken der AfD-Fraktion "als verlängerter Arm und Handlanger Putins" – ein schwerer Vorwurf, auf den die Landes-AfD mit einer Anzeige wegen Falschverdächtigung und Verleumdung reagierte.

Dies sind nur einige Beispiele aus den vergangenen Wochen. Offenbar sind die Machthaber der Ansicht, die AfD nur noch besiegen zu können, indem man durch Vorwürfe und Repression internen Streit entfacht. Die Partei ist in das letzte, schwierigste Stadium gelangt, das die AfD auf ihrem angestrebten Weg zu einer Regierungsverantwortung durchstehen muss. Die Frage ist: Wird ihr das Überleben gelingen, ohne auf ihre Prinzipien zu verzichten?

Angesichts der hysterischen Spionagevorwürfe und der repressiven Maßnahmen ist es der AfD hoch anzurechnen, dass sie weiterhin Kontakt mit Russland pflegt, wenn auch gebremst durch die Angst vor Anfeindungen in der Presse und dem Druck der Russophoben in den eigenen Reihen, die derzeit Oberwasser zu haben glauben. Kommende Woche wollen Medienberichten zufolge gleich vier hochrangige AfD-Politiker zu einer Konferenz nach Russland fahren, dem BRICS-EUROPE-Forum in Sotschi.

Es soll sich dabei um die Bundestagsabgeordneten Rainer Rothfuß und Steffen Kotré sowie um den sächsischen AfD-Landeschef Jörg Urban und den EU-Abgeordneten Hans Neuhoff handeln (Letzterer hatte sich erst kürzlich im EU-Parlament gegen die Enteignung russischer Geldanlagen ausgesprochen). Rothfuß hatte die geplante Reise in einem Facebook-Post bestätigt.

Zunächst hieß es, die AfD-Abgeordneten würden in Sotschi unter anderem auch mit dem russischen Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew sprechen. Wie ängstlich man in der AfD mittlerweile aber ist, zeigt sich daran, dass die Bundestagsfraktion – so ihr Außenpolitischer Sprecher Markus Frohnmaier gegenüber der Nachrichtenagentur dpa – den Russlandfahrern das Treffen mit Medwedew verboten hat. Die Bedenken hatten wohl zuletzt überwogen, angesichts von Schlagzeilen wie der der Bild: "AfD-Abgeordnete pilgern zu Putins Ober-Hetzer". Ganz offensichtlich hat man in der AfD noch keine geeignete Offensivstrategie gegen die russophobe Spionagekampagne des politmedialen Mainstreams gefunden.

Ohnehin soll die Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nicht begeistert von der Reise nach Sotschi gewesen sein und sich "Bademantel-Videos" verbeten haben. Zur Erinnerung: Bei seinem letzten Russland-Aufenthalt hatte Rothfuß ein TikTok-Video im Bademantel aufgenommen, in dem er geschildert hatte, wie gut es sich in Russland leben lässt. Immerhin: Die Fraktion hat die Reise dann doch genehmigt. Man wolle die Gesprächskanäle nach Russland offen halten, heißt es.

Generell orientiert sich die AfD jedoch mehr und mehr transatlantisch, was ihr nach dem Machtwechsel in den USA von Joe Biden zu Donald Trump leichter fällt denn je. Erst kürzlich war der Außenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion Frohnmaier nach Washington gereist. Und am Mittwochabend war der US-amerikanische Politstratege und Trump-Berater Alex Bruesewitz bei der AfD-Fraktion im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus zu Gast, eine Ehre, die man bei der AfD entsprechend medial feierte. Ein Jungpolitiker aus der AfD-Fraktion sah den hohen Besuch aus den USA denn auch auch als Argument gegen den Vorwurf einer allzu große Russland-Nähe.

Offenbar hofft man in der AfD, als Protegé Trumps und J. D. Vance' vor einem Parteiverbot gefeit zu sein. Ob die Trump-Administration die BRD unter Friedrich Merz allerdings wirklich sanktionieren würde, sollte die AfD verboten werden, bleibt fraglich. Das wird auch vielen ranghohen AfD-Politikern bewusst sein. So manch einer dürfte denn auch die USA vielmehr als Ziel eines kommenden Exils betrachten, sollten sich die politischen Verhältnisse in Deutschland weiter verschlimmern.

So schrieb der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah auf X angesichts einer erhofften Asylgewährung für die Influencerin Naomi Seibt in den USA von einem Ausweg, ja von "eine(r) Befreiung für jeden von uns". Der neurechte Publizist Benedikt Kaiser wünschte daraufhin nur trocken: "Gute Reise!" Offenbar hält nicht jeder aus dem Umfeld der AfD das US-amerikanische Exil für eine Option.

Noch allerdings ist es nicht so weit. Noch ist die AfD am Kämpfen um Frieden und Rechtsstaatlichkeit und nutzt ihre Optionen, soweit es ihr als Oppositionspartei möglich ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich die AfD durch die Drohungen der bellizistischen Parteien nicht einschüchtern lässt. Als einzig verbliebene wirkliche Opposition im Bundestag obliegt ihr eine schwere Verantwortung. Es wäre fatal, wenn sie dieser historischen Aufgabe nicht gerecht würde. Nur durch die Anprangerung und die Offenlegung der konfrontativen Regierungspolitik gegenüber Russland – und sei es durch Anfragen, die bis ins kleinste Detail gehen – lässt sich noch Widerstand gegen die scheinbare Unvermeidlichkeit eines Krieges erwecken.

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