Meinung

Wie Deutschland seine Industrie besiegte

Das Debakel, das die Berliner Ampelparteien bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erlitten haben, war von Moskau aus absehbar. Die Bundesregierung laborierte erfolglos an der Rezession herum, in der die deutsche Wirtschaft steckt. Eine ernsthafte Debatte ist nicht möglich, da Regierungskritiker umstandslos als "Extremisten" etikettiert werden.
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Von Sergei Sawtschuk

Die wichtigsten Ereignisse der letzten Tage außerhalb des russischen Informationsraums waren natürlich die Wahlen in Deutschland, bei denen die sogenannte Ampelkoalition von Olaf Scholz in wichtigen Bundesländern eine K.-o.-Niederlage erlitt. In den letzten 24 Stunden haben es die lautstarken Verfechter der Meinungsfreiheit und der Demokratie aus den unterlegenen Parteien geschafft, die oppositionelle Alternative für Deutschland (AfD) mit Schmutz zu bewerfen, wobei das Spektrum der verwendeten Ausdrücke von "rechtsradikal" bis "Neonazi" reichte. Die Tatsache, dass diese Partei seit elf Jahren existiert und von ihren eigenen Landsleuten gewählt wurde, die jetzt auch als Neonazis gelten, bringt niemanden in Verlegenheit.

Andere werden sich mit den Ergebnissen des Willens aus politikwissenschaftlicher Sicht befassen. Aber uns interessieren die praktischen Voraussetzungen dafür, dass europäische Politiker, die sich an die Macht klammern, bereit sind, alle unerwünschten Menschen mit dem bequemen Brandmal des Nazismus zu stigmatisieren.

Bei dem Versuch, herauszufinden, wie es dazu kam, haben die deutschen Medien ungewollt ihre eigenen Auftraggeber in Berlin hereingelegt. Denn die AfD-Sympathisanten unter ihnen kann man an den Fingern einer Hand abzählen, und es werden nicht die Giganten des Sendebetriebs sein. Also: Die führenden Sender wälzten im Jahresvergleich die Werte des Industrieproduktionsindex (IPI) und des industriellen Auftragsvolumens während der Regierungszeit von Herrn Scholz und seinen hölzernen Kabinettsfiguren. Auch der Vergleich der BIP-Wachstumsschwankungen wurde veröffentlicht, allerdings bereits zum Ende des zweiten Quartals dieses Jahres. Kurzum, die Daten sind die neuesten und aktuellsten.

Zu Beginn seiner Amtszeit rühmte sich Scholz sowohl des Wachstums des IPI als auch der besseren Auslastung der deutschen Industriezentren. Ersteres stieg um fast zehn Prozent, Letzteres um satte zwanzig Prozent. Mit einem kleinen Vorbehalt, den man in den besseren Häusern in Brüssel und Berlin nicht zu erwähnen pflegt. Das Wachstum des IPI bewegte sich im positiven Korridor von null bis zehn Prozent, während die Industrieproduktion aus dem negativen Bereich von unter zwanzig Prozent wuchs und die Nullmarke nicht erreichte. Mit anderen Worten, wir haben es mit dem unvermittelten Effekt einer niedrigen Basis zu tun, an deren Stelle dem Betrachter absolute Zahlen präsentiert werden, die nicht das wahre Bild widerspiegeln.

Nach der akademischen Definition ist der IPI das in Geld ausgedrückte Volumen der Industrieproduktion. Die methodologischen Erläuterungen von Rosstat [russische Abkürzung für: Föderaler Dienst für staatliche Statistik, das staatliche Statistikamt der Russischen Föderation; Anm. d. Red.] definieren das Volumen der Industrieproduktion (Output) im Allgemeinen und in den einzelnen Wirtschaftszweigen als die Summe der von großen und mittleren Organisationen sowie von kleinen Unternehmen hergestellten Produkte sowie der erbrachten Arbeiten und Dienstleistungen. Die Statistiken werden in Preisen für das Produktionsjahr berechnet.

Mit anderen Worten, alle Erfolge der Scholz-Mannschaft, die dabei ist, das Ruder abzugeben, sind ein Versuch, aus den Tiefen der Deindustrialisierungsgrube aufzutauchen, aber sie erreichten nicht einmal die Zahlen der Vorkriegszeit von 2021. Das Flugzeug der deutschen Wirtschaft raste und raste auf der Startbahn in Richtung der strahlenden Vergangenheit, aber am Ende der Startbahn knickte es ein und vergrub sich noch tiefer in der Krise.

Denn mit dem Beginn der militärischen Sonderoperation und der Verhängung von sektoralen Sanktionen gegen Russland brachen alle genannten Indikatoren der deutschen Wirtschaft wie ein Kartenhaus zusammen. Der IPI sank von fast plus zehn auf minus zweiundzwanzig Prozent, die Industrieproduktion von fast (vor der Krise) null auf minus dreißig Prozent, und das BIP fiel von einem skizzierten Wachstum (plus fünf Prozent) in den negativen Bereich (minus zwanzig Prozent).

Berlin, das erkannt hatte, dass es mit solchen Indikatoren bei den Wahlen nichts zu gewinnen hat, hat begonnen, verzweifelt die Ausgaben zu kürzen, auch im sozialen Bereich. Hier hat übrigens der Brief des deutschen Finanzministers an seinen Kollegen im Verteidigungsministerium seinen Ursprung, dass im deutschen Haushalt kein Geld mehr für den Unterhalt der ukrainischen Militärmaschinerie vorhanden ist. Wen wundert's?

Die in diesem Jahr ergriffenen Maßnahmen haben eine kurzfristige Wirkung gezeitigt. Finanzielle Interventionen aus dem Haushalt ermöglichten zwar ein Wachstum (IPI bis plus 30, Industrieproduktion bis plus fünf, BIP bis plus 21 Prozent), aber da der Zustand der Wirtschaft eine buchstäbliche Flutung des realen Sektors mit Geld nicht zulässt, wurde der positive Trend schnell wieder umgekehrt. Infolgedessen hat die deutsche Wirtschaft bis zu den letzten Wahlen ein rein negatives Ergebnis erzielt (IPI minus fünf, Industrieproduktion minus zehn, BIP minus sechs Prozent).

Deshalb ist es seltsam, dass die AfD keinen vollständigen Sieg eingefahren hat, oder besser gesagt: Es ist seltsam, warum der Kühlschrank und die Preisschilder in den Geschäften so schlecht funktioniert haben.

Um das Bild der allgemeinen Stimmung in Deutschland und der Paroxysmen des Berliner Gebietskomitees [Anspielung auf die Territorialgliederungen der früheren KPdSU und anderer Massenorganisationen in der Sowjetunion; Anm. d. Red.] zu vervollständigen, fügen wir noch eine markante Note hinzu.

Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses hielt der Co-Vorsitzende der Partei, Tino Chrupalla, eine Rede auf der Wahlparty der AfD. Von der hohen Tribüne aus beging er aus Sicht der zeitgenössischen westlichen liberalen Lehre ein absolutes Sakrileg. Denn er sagte, dass seine Partei erstens für eine völlige Einstellung aller Hilfen für die Ukraine sei und zweitens die "Alternative" fordere, die Wirtschaft des Landes umzukehren. Das heißt, es bedarf einer breiten Kombination von Kohle, Kernkraft – und Erdgas aus Russland, um das Land zu retten. Zitat Ende.

Es will einem scheinen, dass dies die offensichtlichsten Dinge sind, die ganz an den Anfang logischer Erkenntnis und zum Grundwissen gehören – und die umso offensichtlicher für Menschen mit ernstzunehmender Führungserfahrung sind. Das Problem liegt in genau zwei Positionen. Der gegenwärtige wirtschafts- und energiepolitische Kurs wurde der willenlosen deutschen Führung von außen aufgezwungen, wohl wissend um seinen zerstörerischen Charakter. Jeder Versuch, sich auf den gesunden Menschenverstand, mathematische Modelle und die Physik der Brennstoffe zu berufen, wurde sofort als russische Propaganda gebrandmarkt, während unsere heimischen Autoren in den letzten Jahren nicht mit praktischen Berechnungen und kalkulierten Prognosen geizten.

Die herrschende Elite in Berlin und die Realität vor Ort klaffen auseinander – mit unterfinanzierten Haushalten, steigender Arbeitslosigkeit, ausufernden Tarifen, steigenden Lebenshaltungskosten und der damit einhergehenden Verpflichtung, der Hauptsponsor des Krieges in der Ukraine zu sein. In der Wirtschaft wird dies mit dem Begriff "Cash Gap" umschrieben: Wenn man Gehälter, Steuern und so weiter zahlen muss, aber nichts zum Bezahlen hat, weil das Budget erschöpft ist.

Im Jahr 2024 haben die Deutschen, wie sie es nennen, mit ihrem Geldbeutel und ihrem Bauch abgestimmt und ihr Persönliches in Erwartung einer Wende und von Verbesserungen auf den Staat als Ganzes hochgerechnet. Es sind diese Mitbürger, die Berlin als Neonazis bezeichnet. Wer in der heutigen westlichen Welt nicht gehorsam seinen Lebensstandard aufgeben will, wer es wagt, eine andere Meinung als der Mainstream zu haben, und seinem Land Wohlstand wünscht, ist ein Extremist.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 3. September 2024 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.

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