Meinung

Frankreich stürzt in einen politischen Abgrund

Emmanuel Macron musste "seinen" Regierungschef Gabriel Attal nun also doch entlassen. Wer wird der nächste? Zwei "Linke" haben große Chancen – und jeder der gehandelten Namen lässt nicht nur das französische Großkapital auf die eine oder andere Weise erschaudern.
Frankreich stürzt in einen politischen AbgrundQuelle: AFP © CLEMENT MAHOUDEAU / AFP

Von Jelena Karajewa

Emmanuel Macron hat also aufgegeben: Er akzeptierte schließlich den Rücktritt des bisherigen 25-jährigen Premierministers Gabriel Attal und der von ihm geführten Regierung.

Dem derzeitigen Hausherrn im Élysée-Palast wurde von denen, die ihn einst zum französischen Präsidenten gemacht hatten, einfach keine andere Wahl gelassen. Er musste sich zum unpassendsten Zeitpunkt entscheiden: zwischen völliger Lähmung der Staatsgewalt und Chaos im Land oder doch einem neuen Kabinett.

Dieses neue Kabinett wird ein Koalitionskabinett sein. Für Frankreich handelt es sich damit um ein politisches Erdbeben oder einen Super-Gau – je nachdem, welche Analogie näher liegt. Eine solche Krise der Macht hat es in der Geschichte der Fünften Republik noch nie gegeben, und es ist völlig unklar, wie genau und vor allem aus welchen Verbänden und Parteien mögliche Kandidaten für die Ministerämter kommen werden.

Die Unruhen von 1968 werden dagegen wie ein Kinderstreich wirken. Damals ging es der Wirtschaft gut, und Frankreich wollte keinen Krieg mit Russland führen, schon gar nicht "wegen der Ukraine".

Die Regierung hat einen weiteren Schritt in Richtung des politischen Abgrunds gemacht und die Kontrolle über das Geschehen im Land fast vollständig verloren.

Trotz der Wahlniederlage wird die Entscheidung über die Zusammensetzung der Regierung von einer ziemlich gerupften parlamentarischen Minderheit aus Macronisten und mit ihnen verbandelten Politikern getroffen werden. Es wird damit beginnen, Kandidaten für den (nach allgemeiner Annahme) zweitwichtigsten Posten im Land zu suchen. Auch wenn die Nominierung von Persönlichkeiten für das Amt im Élysée-Palast relativ transparent ist, so kennt doch niemand die genauen Kriterien für die Auswahl eines französischen Premierministers.

So konnte zum Beispiel durchaus einmal der Schwarm des Präsidenten (ein Schelm, wer Böses dabei denkt) auf diesem Posten landen. So fand sich auch  Édith Cresson dort wieder. An wen dachten Sie denn?

Zweifellos war die fröhliche, helläugige Frau mit den braunen Haaren intelligent und gebildet, aber ob Mitterrand sie nur deshalb liebte? Madame Cresson blieb sechs Monate lang auf dem Sessel des Premierministers und hinterließ keine bleibende Erinnerung. Aber sie hatte die Möglichkeit, den Präsidenten zu jeder Tages- und Nachtzeit zu sehen. Und das ist, wie Sie zugeben müssen, sehr praktisch. Nicht jeder fährt zu inoffiziellen Freunden gern auf einem Motorroller. Und das auch noch als Beifahrer, wie es zum Beispiel der umtriebige Hollande machen musste.

Im 21. Jahrhundert war Nicolas Sarkozy womöglich der einzige französische Regierungschef, der einen Premierminister nach den Kriterien der politischen Erfahrung und Kompetenz ernannte.

Hollande war auf einem ganz anderen Gebiet unterwegs: Er löste permanent nicht enden wollende persönliche Probleme. Und Frankreich hatte übrigens großes Glück, dass der Rollerfahrer von ein paar intelligenten und willensstarken Persönlichkeiten umgeben war, die die gesamte Innen- (und auch Außen-)Politik abwickelten.

Und so war nun der tiefe Staat dessen überdrüssig, dass er zwar Macron als vorübergehenden Bewohner des Élysée-Palast aufgestellt und gefördert hatte, aber weder dessen "obere" noch die "untere" Etage beeinflussen konnte. Solange der "Mozart der Finanzen" durch ein günstiges wirtschaftliches Umfeld glitt (und wir werden nicht müde, es zu wiederholen: das durch partnerschaftliche Beziehungen zu unserem Land ermöglicht wurde) und es eine vergleichsweise politische Stabilität gab (die ebenfalls nicht zuletzt durch eine starke diplomatische Achse zwischen Moskau und Paris gesichert war), lief alles gut für die Interessen eben dieser Eliten.

Doch am Ende seiner ersten Amtszeit hatte Macron es satt, von älteren reichen weißen heterosexuellen Männern bevormundet zu werden. Er beschloss, dass er alle seine Verpflichtungen ihnen gegenüber erfüllt hatte und nun selbst das Schiff steuern wollte.

Die Ergebnisse können wir alle heute bewundern.

Die französischen Oligarchen (und sie waren es, die den Präsidenten und Politiker Macron erschaffen haben) waren nicht allzu sehr an einer Konfrontation mit Russland interessiert. Und sicherlich brauchte kein Großunternehmen Sanktionen, Beschränkungen, endlose "Pakete", denen es sich unterwerfen musste, samt dem Verlust von Märkten, Kapitalisierung, Produktion, Verringerung des Handelsumsatzes. Kurzum, aus dem "Mozart der Finanzen" wurde der Macron von heute: nur noch eine Vogelscheuche für das französische Großkapital.

Und nun sind die Unternehmer, anstatt sorgenfrei auf ihrem geliebten Landgut in der Normandie oder in einer Villa an der Côte d'Azur Urlaub zu machen, gezwungen, buchstäblich auf die Buchhalter zu setzen, die künftig die französische Regierung leiten werden.

Einer der Namen macht sie fast hysterisch. Das ist Raphaël Glucksmann, Sohn des berühmten trotzkistischen Philosophen André Glucksmann. Der Sohn hat das Schlimmste von seinem Vater geerbt. Die Russophobie, versteht sich. Bei der Erwähnung Russlands, und erst recht der UdSSR, bekam Glucksmann-Senior Krämpfe. Auch der Sohn ist natürlich Anhänger der "Weltrevolution". Aber es gibt eine Nuance: es muss eine von den USA organisierte "Weltrevolution" sein. Und zwar im Interesse der USA, um die amerikanische Hegemonie zu stärken – wo immer das auf dem Erdball möglich ist.

Deshalb verfolgt Glucksmann-Junior diese Agenda seit der "Rosenrevolution" in Georgien. Die Heirat mit der Georgierin Eka Zgouladze (Jekaterina "Eka" Sguladse), die unter Saakaschwili eine Schlüsselposition in der Regierung innehatte, erwies sich als ein sehr bequemer Weg, um die Entscheidungsfindungen in Tbilissi zu beeinflussen. Wer sagt denn, dass so etwas nicht rein zufällig passieren kann? Doch, es kann! 

Als Georgien langsam wieder zur Besinnung kam und das ihm von den Globalisten zugedachte Schicksal eines transkaukasischen Antirusslands bewusst ablehnte, zog Glucksmann – erst physisch und dann mit seiner Seele – in die Ukraine. Natürlich musste die neue Agenda mit seinem persönlichen Leben in Einklang gebracht werden. Er verließ Zgouladze und fand Trost bei Leá Salamé.

Salamé ist eine der führenden Frauen in den Hörfunk- und Fernsehmedien Frankreichs, eine Schönheit libanesischer Herkunft, Milliardenerbin des Boghossian-Clans, des größten Händlers von Diamanten und Diamantschmuck. Böse Zungen behaupten, dass man das Schmuckatelier der Boghossians in Genf nicht ohne ein paar Dutzend Millionen Franken besuchen sollte.

Aber wer von den berühmten "Kaviar-Linken" würde sich jemals seiner angeheirateten oder geerbten Millionen und Milliarden schämen?

Glucksmann Jr. beeilte sich, das Europäische Parlament und dann die Nationalversammlung zu erobern. Natürlich unter dem Banner von "sozialer Gerechtigkeit und Ökologie". Und nun ist Raphaël Glucksmann, wie man in den Pariser Hinterzimmern der Macht sagt, durch einen Trick zum Favoriten für das Amt des Premierministers geworden.

Zu sagen, dass das Großkapital entsetzt ist, wäre eine gewaltige Untertreibung. Das Programm, das die Linken umsetzen wollen, könnte die Staatskasse Hunderte von Milliarden Euro zusätzlich kosten. Natürlich steht da die militärische Unterstützung für die Ukraine im Mittelpunkt – und auch die totale Kontrolle über das Geschehen im Land von Brüssel aus.

Es ist klar, dass auch andere über die französische Staatskasse verfügen wollen. Man sagt, dass Hollande davon träumt, im Hôtel Matignon (so heißt der Amtssitz des französischen Premierministers) einzuziehen.

Dies ist eine weitere Unbekannte in der Gleichung, für die der französische "tiefe Staat" eine Lösung finden muss, um nicht schon in diesem Herbst in eine noch heftigere Finanzkrise und politische Lähmung zu stürzen, als es jetzt ohnehin geschehen ist.

So war der politisch sehr geschwächte Präsident zunächst gezwungen, den Rücktritt von Attal zu akzeptieren (der übrigens in drei Jahren ein Präsidentschaftskandidat sein könnte), und wird dann gezwungen sein, einen Premierminister zu ernennen, der dem Willen der oligarchischen Gruppen gehorcht.

Glucksmann sieht bisher immer noch wie ein gehorsamer Junge aus, und deshalb taucht sein Name immer öfter auf. Aber die Wirtschaftseliten wissen bereits, was mit solchen gehorsamen Jungs geschieht, wenn sie erst an den Schalthebeln der Macht angekommen sind und Zugang zu riesigen Summen erhalten haben.

Übersetzt aus dem Russischen und zuerst auf ria.ru erschienen am 17. Juli 2024.

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