Meinung

Was der Sternfahrer Ijon Tichy nach seiner legendären Zeitschleife zu sehen bekam (III)

"Das beste Regenbogenbunt*Land", "Spionagesatelliten", "Pan*Europien" und ein gewisser "Leberwurst Ole" – lesen Sie hier, wie es mit dem in seiner futuristischen Zeit einstmals berühmten Sternfahrer Ijon Tichy weitergeht.
Was der Sternfahrer Ijon Tichy nach seiner legendären Zeitschleife zu sehen bekam (III)Quelle: Gettyimages.ru

Teil I finden Sie hier – und Teil II hier.

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Der Satire dritter Teil: Eine unerwartete Bedrohung

Wie überraschend und angenehm, wenn man endlich aufwacht und denkt "Dies alles war doch nur ein dummer Traum. Der ganze Irrsinn mit Zeitschleife, anschließendem Rücksturz in Terraniens Vergangenheit und die Hybris damaliger Kriegspropaganda." … so erging es Ijon Tichy, der nunmehr wieder in seiner eigenen Zeit und auf seinem Heimatplaneten war. Und doch störte da etwas, es war ein flaues Gefühl, das er nicht genau beschreiben konnte... Wie dem auch sei: nicht zu viel nachdenken, das macht nur misslaunig! Auch ertönte schon die Stimme seiner Mutter, die ihn aus seinen Gedanken aufschrecken ließ und zum Essen rief. Dies inmitten des Sommers, er selbstzufrieden auf der Blumenwiese hinter dem elterlichen Haus und um ihn das beruhigende Gesumme der Insekten … und dennoch wirkte alles merkwürdig, "da stimmt doch etwas nicht", dachte Ijon erneut …

"Komm schon, es eilt, Ijon,... Ijjjonnnnn !!!", ertönte es, nun mit etwas veränderter Stimmlage, die gar nicht mehr zu dem singenden Tonfall seiner Mutter passen wollte. Und da fielen auch schon riesige regenbogenfarbene Schmetterlinge vom Himmel, tauchte ein riesiger dunkler Zeigefinger vor der Sonne auf und überhaupt verdunkelte sich der Himmel bedrohlich, um sich dann plötzlich in grellem Rauch aufzulösen. "Letzter Aufruf, Ijon, Kollisionsalarm!!! Falls Sie binnen einer Minute nicht reagieren, übernimmt der Autopilot die Kurskorrektur und weitere Maßnahmen zur Eliminierung zweier Objekte auf Gegenkurs!"

Rasch die Augen auf! Plötzlich war er wieder im Raumschiff, in einem Orbit um Terranien, und laut schrillte die Warnsirene: nichts mehr von Muttern, elterlichem Haus und Blumenwiese... aber zum Glück war auch der bedrohliche Zeigefinger weg! Ganz offensichtlich war diese Reise in seine Jugend nur ein Traum gewesen. "Schade, eigentlich hätte ich gerne noch das Mittagessen und ein Gespräch mit meiner schon lange verstorbenen Mutter wahrgenommen", dachte er, musste sich aber beeilen, um die notwendigen Maßnahmen der Kurskorrektur persönlich vorzunehmen.

Zunächst die Computerautomatik stoppen; dann begann er die Exploration besagter kritischer Objekte. Am Fernexplorationsmonitor wurde nun sukzessive ein immer detailreicheres Bild mit allen erforderlichen Bahnparametern der Kollisionskörper entwickelt. Im ersten Moment dachte er noch "Wieder so ein terranischer Weltraumschrott" : In der zukünftigen Zeit sollte es solcherlei hingegen nicht mehr geben, waren doch alle Satelliten mit einer Selbstfragmentierungsautomatik ausgestattet. Diese löste irreversibel aus, wenn der Kontakt zur Terranischen Kontrollstelle abbrach, sich irreguläre oder gefährliche Parameter zeigten oder auch nur lapidar das Ende der Energieversorgung bevorstand. So hatte man sich der Problematik der tausenden Fremdkörper im terranischen Orbit entledigt, die früher wie Schmeißfliegen um einen großes Placken Kuhscheiße herumschwirrten. Aber natürlich: erst nach dem 21. Jahrhundert wurde diese Technik entwickelt. Und dies auch nur aufgrund der unliebsamen Mahnung schwärmerisch veranlagter Zeitgenossen und von Liebhabern des Nachthimmels, die nicht einmal mehr die hellsten Sterne am Firmament genießen konnten, weil sie ständig durch vorbeifliegende künstliche Himmelskörper verdunkelt wurden.

Doch zurück zum Monitor: Merkwürdig, da waren zwei wirr schaukelnde, doch ziemlich nagelneue Satelliten, die führerlos in ihrer instabilen Umlaufbahn herumtrudelten. Interessant auch: er konnte militärische Aufschriften und die Flagge des besten Regenbogenbunt*Landes erkennen, umgeben von einem kreisrunden Sternenbanner Pan*Europiens. Rasch entschied er sich für ein kleines Ausweichmanöver, wollte er doch keine Aufmerksamkeit erregen, wenn diese zwei blinden Satelliten mittels eines Gravitationssoges eliminiert würden. Derartiges hätte die menschlichen und künstlichen Gehirne Terraniens im 21. Jahrhundert völlig überfordert! Wenigstens wurde seine wissenschaftliche Neugier geweckt, denn der bisherige getarnte Alltag im Orbit war recht langweilig und öde. So setzte er rasch zwei kleine pechschwarze Tarntauben ab, welche sich nach ihrer irregulären, eben taubenhaften Annäherung binnen weniger Minuten an die Außenwand der terranischen Satelliten heften sollten. Selbstverständlich besaßen diese getarnten, nur vogelgroßen Spionagesonden neben Scannern und Explorationsinstrumenten auch eine hocheffektive Selbsteliminierungstechnik, womit man sie mitsamt der anheftenden tonnenschweren Last jederzeit in die Singularität befördern konnte.

Die folgenden Tage waren erfüllt von den Untersuchungen der beiden terranischen Satelliten durch die applizierten Tarnkappenspione, der Ermittlung von Bahnkorrelationen und der Recherche der aktuellen Nachrichtenlage über jene offenbar geisteskrank und führerlos gewordenen Artefakte. Endlich, dachte unser Sternfahrer, habe ich wieder eine wirkliche, eine wissenschaftliche Aufgabe! Und in der Tat: die akribische Analyse, welche Ijon durchführte mit der ihm eigenen Pedanterie aufgrund seines bisweilen etwas schwermütigen Charakters und mit dem umfangreichen Wissen eines mehrfach ausgezeichneten "Universalen Weltraumingenieurs erster Kategorie mit Stern", förderte Erstaunliches zutage. Es handelte sich bei den zur Diskussion stehenden Artefakten um die vorgeblich neueste Generation von Hightech-Spionagesatelliten des in massiver Aufrüstung befindlichen regenbogenbunten Landes. Diese Satelliten, bestückt mit schweineteurer KI-Technologie und neuesten Überwachungssystemen, waren bestimmt, eine kontinuierliche Weltraumaufklärung insbesondere auch des seinerzeit angeblich bösartigsten und aggressivsten Landes auf Terranien zu unterstützen. Der erstaunte Leser beachte, dass der Name dieses Landes, so wie der von Harry Potters bitterbösem Gegenspieler "Lord Voldemo.." gar nicht ausgesprochen oder geschrieben werden darf! Selbst die ersatzweise Bezeichnung nur durch einen Buchstaben wie zum Beispiel "ß" oder "Z" ist bereits unter Strafe gestellt worden. Interessanterweise nicht unter Strafe gestellt ist hingegen die Erwähnung und politische Kontaktaufnahme zu dem N*AZOFF Bataillon in Ukra*Tanien, das sich nun quasi aus seiner langjährigen braungefärbten Schale als weißes unschuldiges Küken herausgeschält hatte. Wobei die edlen Ritter gleichgeschalteter Journaille das unbedeutende Detail verschwiegen, dass im Innern dieser lupenrein-demokratischen Küken doch noch ein tiefbraunes Herz schlug.

Doch nach diesem erläuternden Exkurs in das damalige Orwell'sche Doppeldenk, nun zurück zu den Analysen unseres Sternfahrers. Besagte Spionagesatelliten wurden nach jahrelanger Planung und Herstellung der Einzelteile in mehreren streng geheimen Fabriken (die sich zudem weit über Pan*Europien verteilten) dann völlig inkognito zusammengefügt und via Tarnkappenschwerlastschiff in das Vereinigte Konglomerat von Trans*Teichnien befördert. Dort ging es dann ebenso geheimnisumwittert und ungesehen weiter zur Abschussrampe von Schaum-X, dem größten kommerziellen Anbieter von orbitalen Abenteuern auf Recyclingbasis. Selbst der Start und die Einleitung in den vorgesehenen Orbit gelangen unerwartet problemlos. Und schon knallten die Schampuskorken in den Kontrollzentren nicht nur der militärischen Leitung in Regenbogenbunt*Land, sondern auch bei den geheimnisvollsten Diensten von NA*Tor, wo sich traditionell auch die Marionettenspielertruppe regelhaft ein Stelldichein gab. Selbstverständlich durfte da auch der Orwell'sche Verteidigungsminister Baldovino Pistoletti, der inoffiziell auch noch Geschäftsführender und Erster Sekretär der Geheimen Obersten Militärischen Leitungsbehörde seines Landes war, nicht fehlen. Fehlen sollte aber, weil gar ausgeladen, die "Spaßbremse": ein bürokratischer, etwas eng denkender und unflexibler Charakter namens "Leberwurst Ole" – von Amtes wegen Generalsekretär von Regenbogenbunt*Land. Dieser hatte nämlich bei einer früheren internen Besprechung in diesen geheimnisvollsten Zirkeln von Na*Tor gewagt, die saudumme Frage zu stellen, wie man es denn in Gottes Namen anstellen solle, der skeptisch gewordenen autochthonen Bevölkerung Regenbogenbunt*Landes zu verkaufen, dass das Land jetzt sogar im Weltraum verteidigt werden müsse. Wohl wollte er anschließend noch die Kostenfrage diskutieren und auch die Notwendigkeit hinterfragen, warum diese Satelliten denn überhaupt über dem Teich starten sollten – doch dazu kam er gar nicht mehr. Ein dichter Hauch eisigen Schweigens und unzählige plötzlich grauschwarze Gesichtszüge verdeutlichten ihm, dass solcherlei Bagatellen überhaupt keine Bedeutung hätten und sie geboten ihm, fortan zu schweigen. Nach diesem unerwünschten Ereignis wurde er vorsorglich aus dem geheimsten Zirkel ausgeschlossen, und statt seiner war nun nur noch der "nette Kumpel" Baldovino Pistoletti wohlgelitten.

Doch das Knallen der Schaumweinkorken sollte alsbald verhallen, als plötzlich vermeldet wurde "Newton, wir haben ein Problem!". Nämlich beide wunderwirksame Weltraumüberwachungskörper antworteten und reagierten nicht mit der vorbereiteten Abspreizung ihrer Schmetterlingsantennen. "Potz Blitz!" entfuhr es dem nun cholerisch entgleisenden "netten Kumpel". "Wer hat denn diese Sch... zu verantworten?" Achselzucken hochdekorierter strategischer wie taktischer Waffenköpfe folgten ebenso wie deren nicht mehr zu ertragendes Schweigen. Es begann sodann ein Drama in vier Akten mit gegenseitigen Schuldzuweisungen an Untergebene, Anfragen an die Herstellerfirmen, direkten Ordern an deren leitende Ingenieure (pardon: leidende Bologna-Bachelors) bis hin zu peinlichen Randnotizen an das völlig über jegliche Kritik erhabene Raumfahrtzentrum von Schaum-X. Und selbst die besten geheimnisvollsten Dienste aus dem Dunstkreis von Freunden und Unterstützern des NA*Tor gaben sich ratlos – ganz so, wie seinerzeit, als die unterseeischen Olivenölleitungen für nordische Veganer urplötzlich korrodiert (worden) waren. Selbst der Geheimnisvolldienst von Regenbogenbunt*Land konnte, auch aufgrund seiner allseits geschätzten Insuffizienz, beim besten Willen keine relevanten Informationen beisteuern, waren doch vor einiger Zeit dessen fähigste Generalsekretäre in den unfreiwilligen Ruhestand versetzt worden.

Gänzlich unangenehm wurde es, als das Ganze etwa sechs Monate später an die Presse durchgesteckt wurde, welche wiederum allerhand zu tun hatte, diese ganze unangenehme Geschichte ein wenig zu verwässern. Dummerweise fragte dann doch irgendein offensichtlich betrunkener und kontrollverlustiger Redakteur, was denn diese ganze "Panne" gekostet hätte. So schnell wie diese Nachricht rausgehauen war, konnte sie nicht mehr ver*Merkelt (sprich: rückgängig gemacht) werden. Erneute cholerische Eruption beim "netten Kumpel"! Aber seine nervtötenden Anrufe bei den Chefredakteuren halfen allesamt nicht mehr. Nun mussten also einige der ohnehin blanken Karten aufgedeckt werden, was ergab, dass man das Geld im Rahmen des "Private public partnership" vom privatwirtschaftlichen Kooperationspartner, also dem Hersteller der besagten orbitalen Blindgänger zurückholen wolle. Denn da diese ja nun nicht ordnungsgemäß funktionierten, wäre der Gesamtvertrag nicht erfüllt. Erwartungsgemäß verfiel besagter Kooperationspartner nun in Aktionismus, sprach von wiederholten Kontaktierungsversuchen der Spionagesatelliten und davon, dass noch nicht alles verloren wäre. Man wolle bestens mit den militärisch Zuständigen zusammenarbeiten, um zu retten, was noch zu retten wäre (was auch immer das sei). Nun: Was sollten sie auch anderes tun, war doch die schön verdiente Geldsumme längst verflogen und verraucht und allein deshalb gab es gar nichts mehr zu Ver*Merkeln. Wie zu erwarten, begann nun eine weitere Lawine gegenseitiger Schuldvorwürfe, sogar gegenüber Schaum-X. Nur fragte sich hier selbst Ijon, was denn diese Firma mit dem Schaden zu schaffen haben sollte nach dem zweifelsfrei einwandfreien Raketenstart der darin verkapselten Satelliten.

So war es nun doch an unserem Kosmonauten, die genaue Ursache zu recherchieren – um sie dann aber für sich zu behalten! Relativ einfach und nach nur drei Tagen konnte er die genaue Ursachenkette ermitteln, als die mikrometergenauen Scans der blinden Raumkörper und ein Datenabgriff von den generierten KI-Speichermedien abgeschlossen waren. Dabei zeigte sich Erstaunliches: im Innern und an den Außenwänden beider Satelliten fanden sich die typischen verbackenen und irreversibel alles verklebenden Netzwerke der eierlegenden Wollmilchsau, dazu an leider technisch entscheidenden Stellen ein Mottenfraß durch die mutierte Steinlaus. Die sich eigentlich nur geringfügig auswirkenden Schäden durch diese auf Terranien offiziell noch unbekannten Zivilisationsparasiten wollte er nun aber beim besten Willen nicht reparieren, war er doch überzeugter Pazifist und Kleinsttierliebhaber. Zudem war er allzu neugierig auf den ulkigen Fortgang des Spektakels in den terranischen Medien und wollte zudem in Erfahrung bringen, wer in aller Welt denn die Spionagesatelliten mit den vermeintlich seinerzeit unbekannten Parasiten kontaminiert hatte.

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