Meinung

Ein Zivilist und Ökonom als neuer russischer Verteidigungsminister

Die Tatsache, dass ausgerechnet der Zivilist und Ökonom Beloussow neuer Verteidigungsminister der Russischen Föderation geworden ist, hat viele verwundert, nicht nur im Westen. Der Grund dafür liegt einerseits in der Person von Andrei Beloussow, andererseits in den neuen Anforderungen, die von der Sonderoperation in der Ukraine an die russische Rüstungsindustrie gestellt werden.
Ein Zivilist und Ökonom als neuer russischer VerteidigungsministerQuelle: Sputnik © Anatoly Medved

Von Rainer Rupp

Am Ende der Amtsperiode eines russischen Präsidenten tritt automatisch seine gesamte Regierung zurück und macht damit dem neuen Präsidenten – in diesem Fall dem wiedergewählten Wladimir Putin – den Weg frei für Veränderungen in der Führungsriege. Auf die eingangs gestellte Frage, warum ausgerechnet der Wirtschaftsexperte Andrei Beloussow, jetzt zum Verteidigungsminister ernannt wurde, hat der Sprecher des Präsidenten Dimitri Peskow am Sonntag eine kurze Erklärung abgegeben, die einen ersten Hinweis gibt.

Laut Peskow hat der Anteil der Verteidigungsausgaben mitsamt der in staatlichem Besitz befindlichen Militärindustrie noch vor Kurzem bei etwa drei Prozent des BIP gelegen. Aber in letzter Zeit sei dieser Anteil auf aktuell 6,7 Prozent gestiegen. Dies sei, so Peskow, noch "kein kritischer Wert", aber aufgrund der bekannten geopolitischen Umstände nähere sich Russland allmählich der Situation von Mitte der 1980er Jahre an, als der Anteil der Ausgaben für den militärischen Komplex der Wirtschaft bei 7,4 Prozent lag.

Es sei daher sehr wichtig, die Wirtschaft des Militärkomplexes in die restliche Wirtschaft des Landes zu integrieren. Sie müsse so integriert werden, dass sie den neuen, aktuellen Anforderungen entspricht. "Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen ist, der offener für eine maximale operative Umsetzung ist. Daher ist es nur natürlich, dass der Präsident in der jetzigen Phase beschlossen hat, dass das Verteidigungsministerium von einem Zivilisten geleitet werden soll."

Zur Person von Beloussow führte Peskow weiter aus, dass er "sehr erfolgreich das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung geleitet hat und lange Zeit Berater des Präsidenten in Wirtschaftsfragen war. Zugleich war er Erster Stellvertretender Vorsitzender der bisherigen Regierung". Abschließend unterstrich Peskow die Notwendigkeit, dass "das Verteidigungsministerium absolut offen sein muss für Innovationen und für die Umsetzung aller fortschrittlichen Ideen".

Der auf russischen Telegram-Kanälen als brillant, aber bescheiden beschriebene Beloussow war im Westen kaum bekannt. Dabei war er derjenige, der für Putin die Weichen gestellt hatte für die Wiederverstaatlichung der russischen Rüstungsindustrien und der Industrien zu Gewinnung und Verarbeitung strategischer Rohstoffe, die in den Wilder-Osten-Jelzin-Jahren an "Privatinvestoren" mit westlichen Hintermännern verramscht worden waren.

"Russland braucht neue Ustinows! Deshalb wurde Beloussow zum Verteidigungsminister ernannt", lautete zum Beispiel ein Telegram-Beitrag. Das war eine Anspielung auf Dmitri F. Ustinow (1908–1984). Von Beruf Ingenieur, arbeitete Ustinow zunächst als Bauingenieur, dann als Direktor einer Leningrader Rüstungsfabrik. Im Jahr 1941 ernannte Stalin Ustinow zum Volkskommissar für Rüstung. In dieser Funktion veranlasste Ustinow 1941 die Evakuierung zahlreicher sowjetischer Rüstungsbetriebe an Standorte östlich des Uralgebirges, die außerhalb der Reichweite der vorrückenden deutschen Armee lagen und legte damit den Grundstein für den Sieg über Nazi-Deutschland.

Nach dem Krieg war er Rüstungsminister (1946–1953) und von 1953 bis 1957 Minister für die Verteidigungsindustrie. Er stellte die industriellen und technologischen Weichen, wodurch die sowjetischen Streitkräfte schließlich ihr hohes Niveau während des Kalten Krieges erreichten. 1976 wurde Ustinow erneut Verteidigungsminister. Er wurde Vollmitglied des Politbüros und zum Marschall der Sowjetunion ernannt. In den 1970er Jahren spielte Ustinow hinter den Kulissen eine wichtige Rolle bei den sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung.

Wenn Beloussow also die Erinnerung an Ustinow erweckt, dann sind das anscheinend nicht nur Vorschusslorbeeren. Denn Menschen, die im Laufe der Jahre mit Beloussow gearbeitet haben oder ihn persönlich kennen, beschreiben ihn durchweg als außergewöhnlichen Mann, von höchster Intelligenz und Gelehrtheit, mit enzyklopädischen Kenntnissen in einer Vielzahl von Bereichen bis hin zu alter Geschichte und sinfonischer Musik. Er habe die Fähigkeit, sieben Tage in der Woche von morgens bis abends hart zu arbeiten, und das mit beneidenswerter Effizienz.

Letztlich verfüge Beloussow über eine seltene Kombination aus einem brillanten theoretischen Verstand, hervorragenden organisatorischen Fähigkeiten, systemischem Denken über den Staat und der Fähigkeit, Prinzipien zu verteidigen. Am auffälligsten sei aber sein persönlicher Anstand und vor allem seine Bescheidenheit, die für einen Beamten seines Ranges so überraschend sei. All dies mache Andrei Beloussow zu einer wirklich einzigartigen Persönlichkeit, deren Qualitäten im heutigen Russland sehr gefragt seien – insbesondere in seinem neuen Amt.

Nur durch das Eingreifen von Andrei Beloussow, der damals als Berater des Präsidenten tätig war, konnte im Juli 2014 das Gesetz "Über die strategische Planung in der Russischen Föderation" verabschiedet werden. Das Gesetz wurde von den prowestlichen Liberalen in der Regierung komplett abgelehnt.

Das neue Gesetz schaffte Abhilfe bei einem nach der Auflösung der Sowjetunion entstandenen großen Problem der regionalen und gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Nicht alle Regionen und Gemeinden Russlands hatten Strategien für die langfristige sozio-ökonomische Entwicklung verabschiedet. In vielen anderen Fällen gab es keine Integration und Koordination zwischen verschiedenen Planungsdokumenten (Strategien, Konzepte, Programme und andere). Diese Tatsache führt zu Unterbrechungen und wirkt sich negativ auf die Effektivität der Verwaltung in den Gebieten aus. Es war daher notwendig, die allgemeinen Entwicklungslinien für die sozialen, technologischen, wirtschaftlichen und wehrtechnischen Bereiche des Landes auf lange Sicht klar zu definieren. Das aber nahm den prowestlichen Liberalen den Wind aus den Segeln ihrer privatwirtschaftlichen Mauscheleien und Betrügereien.

Von Anfang an, nachdem Beloussow Minister für wirtschaftliche Entwicklung geworden war, sahen die Liberalen in ihm eine Bedrohung für ihre staatsfeindlichen Handlungen, angefangen bei der illegalen Privatisierung strategischer Unternehmen des Landes, einschließlich einiger Rüstungsbetriebe, die angeblich in den Händen von Privatinvestoren viel "effizienter" gemanagt würden.

Damals wie auch in den folgenden Jahren war Beloussow bestrebt, die Rolle des Staates in der Wirtschaft zu stärken und Russland wieder ein vollwertiges strategisches Planungssystem zu geben. In jüngerer Zeit hat mit seiner Hilfe der Prozess der Rückführung von Schlüsselunternehmen in den Schoß des Staates begonnen, und zwar nicht nur im militärisch-industriellen Komplex. In vielerlei Hinsicht war es Beloussow als Erstem Stellvertretendem Vorsitzenden der Regierung zu verdanken, dass Russland den beispiellosen westlichen Sanktionen widerstehen, die Lieferketten wieder aufbauen und die Wirtschaft in die richtige Richtung lenken konnte.

Gerade eine solche Persönlichkeit wie Beloussow, der die Bedürfnisse des Militärs besser und planmäßiger in die gesamte Volkswirtschaft integrieren kann, sollte an der Spitze des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation die bisher vermissten Verbesserungen bringen. Denn trotz aller den Westen überraschenden atemberaubenden Produktionssteigerungen wichtiger Waffensysteme durch die russische Rüstungsindustrie ist es dem Vernehmen nach in den mehr als zwei Jahren des Krieges nicht gelungen, strukturelle Schwierigkeiten im Bereich der Versorgung der Armee, vor allem bei gefragten innovativen Produkten, zu überwinden.

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