Meinung

Wie der trottelige Westen Putins größten Sieg ermöglichte

Scheinwahlen waren das, Fake-Wahlen, undemokratisch und manipuliert. So tönt es dieser Tage durch ganz Deutschland. Unter dem Schleier des Geruchs tausender beleidigter Leberwürste übersehen die Schreihälse jedoch, dass Putin gar nicht anders konnte als zu gewinnen. Mit (un)freundlicher Unterstützung des Westens.
Wie der trottelige Westen Putins größten Sieg ermöglichteQuelle: Sputnik © Ilya Pitalev

Von Tom J. Wellbrock

Nie war die Wahlbeteiligung in Russland so hoch. Nie war der Anteil der Stimmen, die für Putin abgegeben wurden, so deutlich. Da muss etwas faul sein, analysierten knallhart die Transatlantiker von "Fra-Wa" Steinmeier bis Emilia Fester (wobei ich nicht weiß, ob die grüne Namenstänzerin überhaupt eine Meinung dazu hat).

Der verweigerte Glückwunsch diverser "Infantilisten"? Schwamm drüber, bloß nicht beachten! Trotzige Kinder lässt man am besten liegen, wenn sie sich im Supermarkt auf dem Boden wälzen, um ihre Protestnote abzugeben, weil ihnen das Überraschungs-Ei an der Kasse verweigert wird. Aber man sollte sich mit zwei Aspekten beschäftigen, die den Wahlerfolg Putins zumindest begünstigt haben.

Russland ruinieren!

Wer erinnert sich nicht an die erfahrene deutsche Diplomatin Annalena Baerbock, wie sie mit gespielter Autorität in kleinem Kreis sagte, man (also der Westen) befinde sich im Krieg mit Russland? Und wie könnte man es vergessen, als die große Ministerin für Äußerlichkeiten ihren lustvollen Gedanken freien Lauf ließ, indem sie das Ziel ausgab, Russland ruinieren zu wollen?

Diese Dinge wirken wie hunderttausende Kilometer entfernt, dabei sind sie noch gar nicht so lange her. Dennoch liegt Verständnis für eine allgemeine Vergesslichkeit nahe, bringt Baerbock doch regelmäßig neue Pointen auf den politischen Markt, die die alten ablösen.

Wir hätten vermutlich ein besseres Gedächtnis, wenn die Ruinierungswünsche Baerbocks ganz offiziell uns gelten würden. Sicher, Baerbock und ihre vom grünen Gott Entsandten sind gerade dabei, Deutschland in den Ruin zu treiben, aber die offizielle Regierungslinie ist das natürlich nicht.

Die Russen aber erinnern sich ganz sicher an Baerbocks Vorhaben, Russland zu ruinieren. Daraus wurde nichts, was auch damit zusammenhängt, dass wir es sogar beim Ruinieren anderer mit einem Haufen inkompetenter Selbstdarsteller zu tun haben. Wäre ich Russe, würde mich das aber nicht sonderlich beruhigen. Ich würde das wohl ziemlich persönlich nehmen, selbst wenn ich davon ausgehen würde, dass die Außenministerin ebenfalls eine persönliche Motivation antreibt, und zwar die, es Putin so richtig zu zeigen.

Sie müssen es nur kurz umkehren, liebe Leser: Stellen Sie sich vor, ein ausländischer Politiker würde offen sagen, dass er "Scholz ruinieren" wolle. Klingt jetzt komisch, ist aber so, um die Perspektiven deutlich zu machen. Nehmen wir doch, um noch einen draufzusetzen, Joe Biden, der zu einem seiner Mitstreiter sagt: "Wir müssen Scholz ruinieren."

Klingt nicht so angenehm, oder? Selbst dann nicht, wenn man weiß, dass die USA nicht das geringste Problem damit haben, Deutschland tatsächlich zu ruinieren. Es ist halt ein europäisches Land, nahe Brüssel, unweit vom Berliner Eiffelturm entfernt. Oder so ähnlich, die US-Amerikaner sind in europäischer Ortskunde noch nie die besten gewesen.

Aber zurück zum gemeinen Russen. Der hat die letzten Jahre über die Erfahrung gemacht, dass der Wertewesten recht glücklos dabei ist, Putin und die Russen zu ruinieren. Also standen die Chancen gut, dass er bei der Wahl in Russland schon deswegen Putin seine Stimme gegeben hat. Man kann also sagen: Der Schuss ist nach hinten losgegangen.

Apropos Schuss!

Russland muss den Krieg verlieren

Es hat eine Weile gedauert und wurde garniert mit Formulierungen wie "Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren" oder wahlweise "Russland darf den Krieg nicht gewinnen." Aber das Publikum – bestehend unter anderem aus kriegserprobten Sesselsitzern mit Wein und französischem Käse neben dem Mauspad – wollte mehr. Also bekamen sie mehr, diese Tastatursöldner.

Dankbar kam zum Beispiel Roderich Kiesewetter, die bebrillte, schmalschultrige Allzweckwaffe (böse Zungen meinen: der bebrillte, schmalschultrige Allzweckaffe) der Union, aus der Deckung und fachsimpelte über die Möglichkeit, russische Ziele in Russland anzugreifen. Es müsse doch möglich sein, so der Möchtegern-Napoleon ohne französischen Akzent, den Krieg irgendwie direkt nach Russland zu tragen. Das ist alles völkerrechtlich gedeckt, menschlich sympathisch und irgendwie knuffig ist es allemal.

So ganz offen sagte sie es zwar nicht, aber was der Roderich da vorschlug, war auch ganz im Sinne der Heiligen Marie, Freundin der blutigen Lacher auf Kosten von Frauen und Kindern, denen zunächst das Lachen und dann das Atmen vergeht. Findet die Marie-Agnes Strack-Zimmermann zwar irgendwie traurig und schade, aber wenn es um die gute Sache geht, muss man zuweilen auch die kindliche Entwicklung vorzeitig beenden, hat alles Vor- und Nachteile, wusste schon Madeleine Albright.

Die Hardliner jedenfalls – und davon gibt es in Deutschland ja einen ganzen stinkenden Haufen – sprachen es in letzter Zeit immer häufiger aus: Russland müsse den Krieg verlieren. Klare Kante eben. Nur was bedeutet das für den gemeinen Russen, der gern mal wieder Urlaub auf der Krim machen oder seine traumatisierten Verwandten in der Ost-Ukraine besuchen würde?

Nichts Gutes, aus Kiesewetter-Zimmermannscher Perspektive. Denn wenn ich ein Russe wäre und mir mal ein paar Gedanken über das Ziel machen würde, Russland müsse den Krieg verlieren, kämen mir schnell weitere Überlegungen in den Sinn.

Schließlich gibt es ziemlich genau zwei Optionen, wie ein Krieg zu Ende gehen kann:

  1. Durch Verhandlungen der Kriegsparteien

  2. Durch Kapitulation der einen Kriegspartei

In den feuchten Träumen der deutschen Kriegshetzer verliert Russland den Krieg, kapituliert und ergibt sich den siegreichen Wertehelden. Die freuen sich darüber auch deshalb wie Bolle, weil damit ein weiterer Schritt einhergeht: der Regime Change in Russland.

Denn so läuft es nun einmal: Der Verlierer verliert alles, den Krieg, seine Würde, seine Eigenständigkeit. Der Gewinner dagegen diktiert den neuen Frieden und die Regeln, nach denen es jetzt zu laufen hat. Für Russland hieße das "Bye Bye, russische Traditionen" und auf "Wiedersehen, Rohstoffe, Autarkie und neue Metrostationen".

Spätestens jetzt dürfte dem gemeinen Russen der Hals anschwellen. Die da drüben, im Westen, wollen also erstens Russlands wirtschaftlichen Ruin, was schon ziemlich schmerzhaft ist. Jeder Russe, der die Zeit unter Boris Jelzin erlebt hat, wird wenig angetan sein, morgens in einer ruinierten Gesellschaft aufzuwachen, denn das war zu Jelzins Zeiten alles andere als prickelnd.

Und zweitens bringt die Möglichkeit, den Krieg als amtlicher Verlierer beenden zu müssen, die Vorstellung an die Oberfläche, dass neben dem Verlust des Russischen als solchen auch noch der neoliberale Müll, dem Jelzin Tür und Tor geöffnet hat, wieder Einzug erhält. Der gemeine Russe hat aber in aller Regel keine große Lust darauf, dass die Armut, der Suizid und der Alkoholismus wieder auf den Siegertreppchen stehen, die Jelzin ihm mit offenen Armen angeboten hatte.

Und selbst wenn der eine oder andere bei der Vorstellung erst mal einen großen Schluck aus der Pulle genommen haben sollte, um die theoretische Katastrophe innerlich zu verarbeiten, im nächsten Schritt wird er sein Kreuz aller Wahrscheinlichkeit nach bei Putin gemacht haben, denn der kommt auf solch irrwitzige Ideen nun mal nicht.

Last mal stecken, Leute …

Nein, so wird das nichts. Die Kriegshetzer in Deutschland haben sich geirrt, oder besser: Sie haben schlicht nicht nachgedacht. Bei all ihren Tiraden gegen Putin haben sie einfach nicht bedacht, dass auch die russische Bevölkerung ihnen zuhört.

Eigentlich müsste man annehmen, dass die Strack-Kiesewetters die Reaktionen des russischen Volkes in ihre Überlegungen einbezogen haben. Doch ganz offensichtlich haben sie genau das nicht getan und die Quittung dafür bekommen. Auch möglich, dass die Roderich Kiesemänner davon ausgingen, dass die Russen da drüben, wo es im Winter auch noch scheiße-kalt ist, ohnehin keine Lust mehr auf Putin und diese verdammte Kälte haben, weil das Leben so, ganz ohne den Wertewesten, einfach doof ist.

Ein weiterer Fehler arroganter Falken, denen langsam das Fett auf den Flügeln zu schaffen macht: Die Russen fühlen sich alles in allem ziemlich wohl so, wie sie leben. Und sämtliche westliche Alternativen dürften ihnen überhaupt nicht gefallen, denn sie müssen ja nur nach Deutschland blicken, um zum Schluss zu kommen, dass das Leben dort alles andere als ein Zuckerschlecken ist. Da dann doch lieber weiter sein Leben in Russland leben und abends mit der Gewissheit einschlafen, dass die Wahrscheinlichkeit einer weißen Weihnacht ziemlich hoch ist.

In Deutschland wird dann vermutlich zwei Wochen früher über ein Verbot der Weihnachtsbeleuchtung diskutiert, damit 2076, wenn wir endlich die deutsche Klimaneutralität erreicht haben, der schöne Teil des westlichen Lebens beginnen kann.

Ist ja auch bald soweit …

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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