Neues aus dem Westen: Kann das Chaos einen Wandel hervorbringen?
Von Dagmar Henn
Es ist etwas schwierig, im Augenblick den Überblick zu behalten, was alles derzeit auf westlicher Seite geschieht. Man könnte die letzten Tage mühelos auf einige Wochen dehnen, und es gäbe immer noch genug Ereignisse. Vor allem gibt es sehr widerstreitende Signale – und sogar Indizien –, die einen Umbruch im Westen andeuten könnten, wie etwa die Kündigung von Victoria Nuland, zu der immerhin der Krieg in der Ukraine "Mama" sagen kann.
Da ist auch das ungewöhnliche Verhalten des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der sich kommentarlos eine Pipeline wegsprengen ließ, aber nun plötzlich im Zusammenhang mit den Taurus-Marschflugkörpern irgendwie erkannt zu haben scheint, dass ein Krieg gegen Russland nicht ratsam wäre, und sich gleichzeitig aufrafft und sich sogar gegen eine Auslieferung von Julian Assange ausspricht.
Das mag eine Reaktion auf britische Pöbeleien sein, die zuletzt auf ihn einprasselten, weil er indirekt die Anwesenheit britischer Soldaten in der Ukraine bestätigt hatte. Oder auch nicht? Warum sollte man auf Großbritannien überhaupt noch reagieren? Die Briten können froh sein, wenn sie ihre Flugzeugträger irgendwo zum Schrottwert loswerden und wenn ihren Verteidigungsministern keine der eigenen Raketen auf den Kopf fallen.
Der britische Premierminister Rishi Sunak jedenfalls kann derzeit in völliger Auflösung besichtigt werden. Die Nachwahl in Rochdale, bei der George Galloway, der Meister der Mutter aller Talkshows, mit Abstand sowohl die Konservativen als auch die Labour-Partei schlug, hat Sunak dazu gebracht, gleich von einer "Bedrohung der Demokratie" zu reden. Und das bei einer Pressekonferenz vor der Tür von Number 10 Downing Street, also an einem Ort, der sonst in britischen Premiers nahezu nur gewählt wird, um den Beginn oder das Ende von Kriegen zu verkünden. Galloway hat allein mit seiner Äußerung, er widme diesen seinen Sieg Gaza, größte Teile der beiden traditionellen britischen Parteien in Panik versetzt, da die doch bisher einhellig Israel deckten, trotz Hunderttausender von propalästinensischen Demonstranten, die bereits mehrfach durch London zogen.
Dazu kommt natürlich, dass derartige Äußerungen wie die von Olaf Scholz durchaus dazu führen könnten, dass ein Teil der jetzt in der Ukraine anwesenden Briten nur noch in schwarzen Plastiksäcken heimkehrt. Larry Johnson, dem man nach wie vor Kontakte in die CIA zutrauen sollte, berichtete etwa, einer der zwölf geheimen Stützpunkte der CIA in der Ukraine, von denen jüngst die New York Times berichtet habe, sei mittlerweile durch russische Raketen ausgelöscht worden. Das bleibt natürlich unbestätigt, wie nahezu alles in diesem Krieg, aber Johnsons Informationen sind oft valide.
Die Geschichte rund um die Bundeswehr-Telefonkonferenz dürfte inzwischen zur Genüge bekannt sein, aber ein kleines weiteres Detail könnte noch dazugehören: Ab heute ist die Bundeswehr zuständig für die Patrouillenflüge über dem Baltikum, und das ist jetzt eine der Gegenden, wo der Westen könnte eine weitere Eskalation zünden wollen. Nicht vergessen sollte man, dass auch immer noch derzeit ein NATO-Großmanöver läuft. Womöglich hat dieses Leck der Telefonkonferenz nicht nur mit den Taurus-Marschflugkörpern zu tun, sondern auch mit diesem Luftwaffen-Einsatz oder einer eventuellen Unlust deutscher Piloten, für die Glorie der USA und die Eitelkeit baltischer Zwergstaaten Bekanntschaft mit russischen Kampfpiloten und auch mit Raketen von deren Luftverteidigung zu schließen.
Wie gesagt, es geht um Bewegungen in unterschiedliche Richtungen. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der eben erst seine Truppenentsendungsfantasien zurückgenommen hatte, lässt ausgerechnet neben dem tschechischen Präsidenten Pavel (dem, der alle Russen internieren wollte) schon wieder Sätze voller Fantasie vom Stapel, als wolle er einem Winston Churchill Konkurrenz machen:
"Wir nähern uns gewiss einem Zeitpunkt in der Geschichte Europas, an dem wir keine Feiglinge sein dürfen. Niemand möchte über die Tragödien nachsinnen, die vor uns liegen, niemand will sehen, was auf dem Spiel steht, und ich glaube, dass unsere beiden Länder sich dessen bewusst sind, was Europa bevorsteht, der Tatsache, dass der Krieg auf unseren Boden zurückgekehrt ist, die Tatsache, dass Mächte, die unwiderstehlich wurden, jeden Tag die Bedrohung gegen uns weiter erhöhen und uns wieder und wieder angreifen."
Man möchte einwerfen, ein wenig mehr Klarheit über die Tragödien, die hinter uns liegen, könnte dafür sorgen, dass nichts dergleichen vor uns liegt. Aber selbst wenn man alle französische Neigung zum Pathos und das ein wenig übersteigerte Selbstwertgefühl von Herrn Macron abzieht, bleibt das eine Kriegsrede. Will er nun doch gen Moskau marschieren?
Definitiv, denn da ist ein Tonfall zu hören, der einen völligen Verlust der Ratio andeutet, was sehr gut zu den Informationen passt, die Alastair Crooke auf dem Videokanal von Judge Napolitano lieferte. Crooke ist ein ehemaliger britischer Diplomat. Er erwähnte, immer mehr israelische Truppen würden in Richtung der libanesischen Grenze verlegt, und in den letzten Tagen seien drei Infiltrationsversuche israelischer Spezialeinheiten in den Libanon gescheitert. Zum Genozid in Gaza soll offenkundig noch ein Angriff auf den Libanon und in der Folge ein Krieg gegen die Hisbollah folgen.
Und auch da gibt es eine irritierende Meldung. NBC berichtet tatsächlich, vom Nationalen Sicherheitsrat der USA und vom Büro des US-Präsidenten sei die Rede von Kamala Harris "entschärft" worden, mit der diese einen sechswöchigen Waffenstillstand und Zugang für humanitäre Lieferungen forderte (die UNO hat mittlerweile fünfzehn verhungerte Kinder gemeldet):
"Der ursprüngliche Entwurf der Rede von Harris war, als er dem Nationalen Sicherheitsrat zur Überprüfung geschickt wurde, schärfer gegenüber Israel bezüglich der ernsten humanitären Lage im Gazastreifen und der Notwendigkeit nach weiterer Hilfe, als es die Anmerkungen waren, die sie letztlich dazu machte, hieß es von einem derzeitigen und einem ehemaligen Mitarbeiter."
Nun, auch Harris hatte weder gefordert noch versprochen, die Bombenlieferungen an Israel einzustellen, insofern bleibt selbst der schärfste Kommentar politisches Theater. Aber was dieser Artikel versucht, ist, Harris zu einer Person aufzubauen, die so etwas wie eine politische Linie hat, die von der erbarmungslosen Unterstützung Israels durch den US-Präsidenten Joe Biden abweicht, und sie zugleich zum Opfer der Biden-Regierung zu stilisieren. Das ist ein wenig wie ein Wiederbelebungsversuch an einem ausgestopften Hasen, weil im Grunde niemand Kamala Harris will. Aber es könnte zumindest ein Hinweis auf einen Versuch sein, noch vor den US-Wahlen die Notbremse zu ziehen und Joe Biden zu entsorgen.
Die USA sind womöglich demnächst ganz gewaltig mit sich selbst beschäftigt. Immerhin erging inzwischen ein Urteil des Supreme Court, wonach Donald Trump nicht von den Vorwahlen in Colorado ausgeschlossen werden darf. Die Senatsmehrheit der Demokraten begann – kaum war das einstimmige Urteil veröffentlicht – sofort nach Schlupflöchern zu suchen, wie man doch noch eine Kandidatur von Trump verhindern könne, und erklärte, man wolle zu diesem Zweck ein neues Gesetz verabschieden. Allerdings riecht eine Blockade der Kandidatur von Trump durch ein neues Gesetz wirklich streng nach Bürgerkrieg. Ist dieses kleine Manöver um Kamala Harris ein Zeichen, dass zumindest Teile der US-Demokraten dieses Szenario doch lieber im Kino als auf den Straßen besichtigen wollen?
Dazu kommen immer weitere Meldungen, die bestätigen, dass die europäische Aufrüstung wohl eine Fantasie bleiben wird. Nachdem schon der Ausbau der industriellen Kapazitäten nicht klappt, Stahl teurer wurde (in Ermangelung des günstigen russischen Erdgases), Fachkräfte fehlen und zuletzt sogar die Schießbaumwolle, wird nun auch noch das Aluminium knapp. Das braucht man zwar vor allem im Flugzeugbau, und bisher wurde noch kein westliches Flugzeug abgeschossen, aber dennoch … die grundlegenden Daten bezogen auch auf militärisch-industrielle Kapazitäten werden nicht besser, sondern schlechter, und schon vor über einem Jahr stand im Grunde über jeder ernstzunehmenden Darstellung dieser Fragen groß und breit: "Lasst es sein! Ihr könnt nur verlieren!"
Macron träumt also vermutlich von einem Krieg mit Schwert oder Säbel, womöglich auch noch zu Pferde. Er flüchtet sich aus dem Ende des französischen Kolonialreichs in kriegerische Fantasien, die nur begrenzt zu seinen gut manikürten Fingernägeln passen, aber so war das Personal von Kuchen statt Brot schon immer. Scholz reagiert wie ein alter Lustgreis und zeigt Lebensregungen, wo sie niemand erwartete, die britische Regierung fürchtet, dass ihr der Himmel auf den Kopf fällt, weil George Galloway einen Wahlkreis erobert hat, wonach er bestimmt als nächstes London erobert, und in den USA wird die Maidan-Hexe mit einem goldenen Nachruf entsorgt. Nach zwei Jahren, in denen jeder Satz eines westlichen Politikers wie vom selben Teleprompter abgelesen klang, kommt einem das jetzt vor wie das Herumrennen einer Schar Hühner angesichts eines Fuchses. Die einen rennen zum Hühnerhaus, die anderen zu den Büschen, aber davonfliegen kann keines, weil die Federn gekappt sind.
Allerdings ist selbst dieses Durcheinander, diese Unklarheit eine Erleichterung – nachdem die erste Reaktion auf die Befreiung von Awdejewka eine Beschleunigung eines gemeinsamen Marsches Richtung Krieg war. Etwas ist in Bewegung geraten. Es ist nur noch nicht genau zu erkennen, was es ist und wohin es läuft. Dass Nuland geht, könnte aber ein Indiz sein, dass sich ausnahmsweise sogar der Westen in die richtige Richtung bewegen könnte, oder wenigstens die USA. Wenn die aber auf die Bremse steigen, fliegt nämlich die politische Elite Europas durch die Windschutzscheibe. Das Wissen auch darum dürfte deren jetzt schon wahrnehmbare Panik weiter steigern.
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