Meinung

Warum Macron von Bodentruppen redet und Taurus gut für die Psyche sein sollen

Jetzt sind wir fast durch – vor kurzem erst wurde von "europäischen Atomwaffen" geschwatzt und nun sind wir bei Bodentruppen angekommen. Solche Versuchsballons, wie sie Macron gerade losgelassen hat, verraten aber immer mehr, als man ihnen auf den ersten Blick ansieht.
Warum Macron von Bodentruppen redet und Taurus gut für die Psyche sein sollenQuelle: www.globallookpress.com © Panoramic

Von Dagmar Henn

Es scheint fast so, als wäre dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sein Napoleon-Komplex endgültig zu Kopf gestiegen, wenn er von westlichen Bodentruppen in der Ukraine fantasiert. Paris soll noch das eine oder andere Monument aufweisen, das daran erinnert, wie derartige Versuche ausgehen. Aber er hat damit auch das ausgesprochen, was immer der naheliegende Grund schien, warum derzeit ein bilateraler Beistandsvertrag mit der Ukraine nach dem anderen geschlossen wurde – um eine Möglichkeit zu schaffen, in den Krieg in der Ukraine einzusteigen, ohne das als NATO zu tun.

Was natürlich Unfug ist, da jede solche Beteiligung Russland das Recht gäbe, gegen die beteiligten Länder vorzugehen. Wobei die erste Folge einer derartigen Beteiligung vermutlich eine andere wäre – wie zuletzt der Artikel der New York Times über die CIA in der Ukraine bestätigt hat, beruht die ukrainische Kriegsführung weitgehend auf westlichen Daten. Das sind allerdings nicht nur US-amerikanische; über dem Schwarzen Meer tummeln sich auch französische und britische Spionageflieger, deutsche AWACS sind unterwegs, und womöglich werden auch von Bundeswehrsatelliten Daten geliefert. Ohne diese Daten ist die Ukraine beinahe blind. Sie kann diese Daten aber nur erhalten, weil das ganze westliche Gerät, das sie liefert, bisher nicht angegriffen wurde, weil Russland sich auf die Fiktion einlässt, das sei keine Beteiligung.

In dem Moment, in dem offizielle (nicht die längst anwesenden "Söldner", über deren technische Notwendigkeit ich schon mehrfach geschrieben hatte) Truppen eines westlichen Landes in der Ukraine aufschlagen, sind die zu diesem Land gehörenden herum fliegenden und schwimmenden Gerätschaften ein legitimes Ziel. Eine offene Beteiligung, sagen wir französischer Truppen, würde der russischen Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung jede Möglichkeit nehmen, nicht entsprechend zu reagieren. Sollten Franzosen, Briten und Deutsche offen sichtbar in diesem Konflikt militärisch aufschlagen, dürfte es nicht länger als einen Tag dauern, und alle Varianten der Informationssammlung durch diese Länder in der Nähe der Ukraine sind Geschichte. Praktisch würde das die Ukraine sogar militärisch schwächen und nicht stärken, weil die Daten wesentlich wichtiger sind als das mögliche zusätzliche Personal.

Diese Überlegungen beweisen aber noch etwas ganz Anderes. Die europäischen Regierungen wissen sehr wohl, dass die Ukraine inzwischen auch ein Personalproblem hat. Dieses Personalproblem lässt sich nicht mit jenen lösen, die in der Ukraine von der Straße gefangen, aus Bussen gezogen oder aus Flüssen gefischt werden, weil die Ausbildung eines Soldaten, der zu mehr zu gebrauchen ist denn als Zielscheibe, Zeit benötigt, weit mehr Zeit, als die Ukraine hat. Der einzige, reale Grund für Macrons Fantasien ist dieser – eine andere Möglichkeit, die Löcher in der zunehmend brüchig werdenden Front zu stopfen, gibt es nicht mehr. Allerdings: wenn es keine Munition mehr gibt, dann nützen auch weitere Truppen nichts …

Olaf Scholz hat auf die Andeutungen Macrons ungewöhnlich schnell reagiert. Man sei sich einig gewesen, dass keine Truppen entsandt würden, wobei er in diesem Punkt nicht nur vom britischen Premier Richi Sunak unterstützt wurde. Bestätigt wurde dies auch aus Spanien und sogar aus Polen (das bisher das größte Kontingent an "Söldnern" gestellt hat). Selbst NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hielt es für angebracht, zu betonen, dass es derartige Pläne bei der NATO nicht gebe.

Scholz dürfte es nicht ganz ungelegen kommen, an diesem Punkt wieder etwas Unterstützung um sich sammeln zu können: In der Frage der Taurus-Marschflugkörper scheint er mittlerweile allein gegen den Rest zu stehen. Es wirkt, als habe ihm jemand zumindest die Feindstaatenklausel ausführlich erklärt. In der Frage der Truppenentsendung findet er selbst die Bild auf seiner Seite, die in einem Kommentar mutmaßt, der französische Präsident wolle mit diesem Gedanken und mit seinen Vorwürfen gegen Scholz wegen der Taurus nur von der Unzulänglichkeit des eigenen Beitrags für die Ukraine ablenken. Auch Vertreter der Grünen wie der CDU haben die Vorstellung von Truppenentsendungen zurückgewiesen.

Macron hatte in seiner Aussage jedoch selbst darauf hingewiesen, wie eine derartige Debatte üblicherweise abläuft.

"Viele Menschen, die heute "nie, nie" sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren sagten, "nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite."

Und:

"Ich habe nicht gesagt, dass Frankreich dafür nicht offen ist."

Es ist aber auch denkbar, dass Macron auf diese Weise versucht, sich Rückendeckung bei seinen europäischen Nachbarn zu verschaffen. Schließlich gab es diese Einbestellung des französischen Botschafters in Moskau, hinter der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit (wenn auch aus gegebenen Gründen, auch aus Moskau nicht offiziell bestätigt) die Anwesenheit französischer Fremdenlegionäre in der Ukraine verbirgt, die nur mit Genehmigung des französischen Präsidenten erfolgen konnte. Heute erst gab es eine Meldung des französischen Verteidigungsministers Sébastien Lecornu, dass die russische Seite so aggressiv gegenüber französischen Aufklärungsflugzeugen über dem Schwarzen Meer sei. Angriffe auf diese Flugzeuge wären, wie oben beschrieben, eine Konsequenz aus dieser Beteiligung.

"Vor einem Monat hat ein System der russischen Luftüberwachung damit gedroht, französische Flugzeuge abzuschießen, während wir im internationalen Luftraum patrouillierten", erklärte Lecornu. Es ginge um "Luft- und Seepatrouillen Frankreichs, die die Bewegungsfreiheit auf dem Meer gewährleisten sollen" – und nebenbei z. B. Zieldaten über die Krim liefern. Auch in der Seine-Bucht ankere ein russisches Kriegsschiff, allerdings in internationalem Gewässer.

Die französischen Flugzeuge starten aus Rumänien, wo noch weitere NATO-Mitgliedsländer derartige Truppen stationiert haben. Die Frankfurter Rundschau, die darüber berichtete, fügte noch hinzu:

"Kampfjets und spezielle AWACS-Radarflugzeuge werden von dort aus zur Auskundschaftung des Südens der Ukraine, des Schwarzen Meers und der von Russland besetzten Krim eingesetzt."

Inzwischen hat nun auch der französische Premier Gabriel Attal Macrons Idee aufgegriffen. "Man kann nichts ausschließen in einem Krieg, der wieder einmal im Herzen Europas und vor den Toren der Europäischen Union" stattfinde.

Womöglich steckt also hinter Macrons Aussage das Bedürfnis, schon einmal für den denkbaren Moment vorzuarbeiten, an dem bekannt werden könnte, dass er in diesem Satz nicht von der Zukunft sprach, sondern von der Gegenwart, während Scholz’ Ablehnung gleichzeitig die unterschwellige Botschaft enthielt, diese Suppe möge Herr Macron doch bitte allein auslöffeln.

Aber da ist noch mehr. Im Handelsblatt wird berichtet, dass die Debatte mitnichten so überraschend ist, wie es scheine. Unter Bezug auf die Aussagen des slowakischen Premiers Robert Fico, der von entsprechenden Diskussionen "auf bilateraler Basis" (also auf Grundlage eben der neuen Verträge) sprach, heißt es:

"Damit plaudert Fico etwas aus, worüber hinter den Kulissen schon länger diskutiert wird, das in der Öffentlichkeit aber als rote Linie gilt: die Frage, ob bei einem Kollaps der ukrainischen Linien als letztes Mittel gegen einen russischen Vormarsch die Entsendung europäischer Truppen ins Kriegsgebiet notwendig werden könnte."

Mehr noch:

"In vertraulichen Gesprächen mit ihren Alliierten haben osteuropäische Regierungsvertreter darauf hingewiesen, dass sie der Ukraine notfalls direkt militärischen Beistand leisten würden."

Womit wir, trotz der Beteuerungen von Donald Tusk, wieder bei Polen wären, denn die Liste der denkbaren "osteuropäischen Regierungsvertreter" ist vergleichsweise kurz: drei weitgehend irrelevante Balten und – Polen.

Natürlich wird auch in diesem Artikel sogleich beteuert, ein solcher Kollaps drohe mitnichten in naher Zukunft, und die russischen Truppen seien derzeit zu erschöpft, um Durchbrüche überhaupt nutzen zu können; die aktuellen Berichte etwa über das russische Vordringen rund um Awdejewka in den vergangenen Tagen erwecken allerdings einen anderen Eindruck.

Auf ähnlich verdrehte Art finden sich übrigens auch in der deutschen Taurus-Debatte Hinweise auf die wirkliche Lage in der Ukraine. Ausgerechnet die oberste Rüstungslobbyistin der Republik, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, erklärte, dass die Lage in der Ukraine psychologisch "unglaublich ernst" ist und der Zeitpunkt für eine derartige Zurückweisung äußerst ungünstig sei:

"Es geht um die tatsächliche Lage, es geht aber auch um die psychologische Lage, und dass das jetzt in diesem Augenblick kommt – ich fasse das nicht!"

Wenn die psychologische Lage derart betont wird, hat Strack-Zimmermann offenkundig Informationen, dass die Moral der ukrainischen Truppen vor dem Zusammenbruch steht. Andernfalls wäre das Bedürfnis nach neuen Wunderwaffen nicht so hoch.

Es ist also nicht so, dass die Wahrheit nicht gesagt wird, sie wird nur gut verborgen. Wenn man die Puzzleteile zusammensetzt, die sich in diesen Debatten finden, ergibt das: Die Moral der ukrainischen Armee sowie ihre Frontlinie sind fast gebrochen, und einzig die Behauptung, die russische Armee könne daraus gar keinen Nutzen ziehen, steht noch zwischen diesen Politikern und dem Eingeständnis der Niederlage. Gewisse Osteuropäer sind in völliger Panik und wollen offen Truppen senden. Macron hat ein ganz eigenes Problem mit Russland an der Backe, das jederzeit eskalieren könnte. Die Vereinigten Staaten fänden vermutlich die Version eines Krieges der Europäer gegen Russland ganz praktisch. Scholz hat mittlerweile genug Angst, dass er halbwegs in die Realität zurückgekehrt sein könnte, und jede weitere Verschärfung der Lage macht es wahrscheinlicher, dass die ganze schöne Einheit auseinanderfliegt. Es bleibt jedenfalls spannend.

Mehr zum ThemaEs ist dem Westen egal, ob der Ukraine-Krieg endet

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.