Meinung

In der Ukraine kein gutes Geld schlechtem Geld hinterherwerfen

Zwei hochrangige ehemalige US-Regierungsmitglieder haben in einem gemeinsamen Artikel argumentiert, dass Washington die Tatsache akzeptieren sollte, dass egal, wie viel Geld es noch in der Ukraine versenkt, sich am Ausgang des Kriegs nichts ändern wird. Denn Russland hat die Motivation, den eisernen Willen und die militärischen Mittel, sich in der Ukraine durchzusetzen.
In der Ukraine kein gutes Geld schlechtem Geld hinterherwerfenQuelle: www.globallookpress.com © Kay Nietfeld

Von Rainer Rupp

Wer über die letzten 24 Monate die russische "Spezielle Militärische Operation" (SMO) in der Ukraine analysiert hat, dem dürfte aufgefallen sein, dass es der russischen Führung zu keinem Zeitpunkt um möglichst schnelle und größtmögliche Geländegewinne gegangen ist. Ein Grund dafür war stets, das Leben ihrer eigenen Soldaten zu bewahren und den Feind zu ermutigen, Gebiete zu verteidigen, die eigentlich denkbar ungeeignet zur Verteidigung waren, oder Positionen anzugreifen, die mit den derzeitigen Fähigkeiten der Ukraine unmöglich einzunehmen sind. In beiden Fällen sind auf ukrainischer Seite unverhältnismäßig hohe Verluste entstanden.

Auch sind die Russen bei ihren Operationen selten in gerader Linie auf Ihr eigentliches Ziel, das wir mal "C" nennen wollen, losgestürmt. Um "C" zu erreichen, machten die Russen in der Regel zuerst einen Umweg über den Meilenstein "A". Erst wenn der erreicht und gesichert war, ging es dann wieder mit möglichst geringen eigenen Verlusten zu Position "B", von wo aus sich der Weg für eine relativ schmerzlose Erreichung das eigentliche Ziel "C" öffnete.

Die ukrainische politische und militärische Führung unter Oberaufsicht von NATO-Generälen ist auf diese Taktik der Russen voll eingegangen und damit stets in die Falle gelaufen. Denn die Priorität der ukrainischen Seite war eindeutig darauf gerichtet, schnelle Propaganda-Siege zu erzielen. Vom Erscheinungsbild der "siegreichen" ukrainischen Armee hing nämlich ein wesentlicher Teil der finanziellen und militärischen Unterstützung aus dem Westen, vor allem aber aus den USA ab.

Obwohl die Ukrainer aufgrund der russischen Kampftaktik extrem hohe Verluste an Soldaten und Kriegsmaterial erlitten, konnte Kiew seinen westlichen Geldgebern in den letzten Monaten vorgaukeln, es herrsche ein militärisches Patt. Da der Frontverlauf über längere Zeit ziemlich statisch war, gelang es Kiew, die eigenen Ausfälle weitgehend auszublenden.

Erst bei der kürzlichen Einnahme von Awdejewka durch die Russen wurde der desaströse Zustand der ukrainischen Armee deutlich sichtbar. Die Erschöpfungserscheinungen der ukrainischen Streitkräfte äußerten sich unter anderem durch massenhafte Befehlsverweigerungen, Kapitulation ganzer Einheiten oder die panische Flucht unter Zurücklassung der verwundeten Kameraden, der Waffen und ihrer Munition. Diese Katastrophe konnten auch noch so brillante Propagandisten in den westlichen "Qualitätsmedien" nicht in ukrainische Siege oder geordnete Rückzüge zwecks Frontbegradigung verwandeln.

Vor diesem Hintergrund argumentierten die beiden hochrangigen ehemaligen US-Regierungsmitglieder in ihrem Artikel an die Kongressabgeordneten, gegen die von US-Präsident Biden für die Ukraine geforderten 60 Milliarden Dollar zu stimmen. Die Ukraine habe bereits verloren und deshalb sollte man "kein gutes Geld schlechtem Geld hinterherwerfen".

Hiernach folgt meine Übersetzung des gemeinsamen Artikels von Ray McGovern, ehemaliger Geheimdienstoffizier der Armee und später Chef der Sowjet-Abteilung in der CIA; in den Jahren 1981 bis 1985 war er auch für die täglichen CIA-Lageberichte für den US-Präsidenten zuständig. Der Zweite im Bund ist Ex-Oberst der US-Streitkräfte, Lawrence Wilkerson. Er war im US-Außenamt Stabschef von Außenminister Colin Powell und später Professor am "College of William & Mary". In einem Youtube-Interview vor wenigen Tagen hatte McGovern erklärt, dass er und Wilkerson ihren Artikel einer Reihe von US-Mainstream-Medien wie der New York Times, Washington Post und anderen angeboten hatten, aber niemand Interesse zeigte. Schließlich wurde er auf der Webseite von Consortium News veröffentlicht.

Beginn der Übersetzung:

Während sich die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses mit der Frage auseinandersetzen, ob sie der Ukraine weitere 60 Milliarden Dollar geben sollen, müssen sie sich auch mit der wechselhaften Natur der Geheimdienstinformationen auseinandersetzen, mit denen sie gefüttert wurden. Am 13. Juli 2023 verkündete Präsident Joe Biden, dass der russische Präsident Wladimir Putin "den Krieg bereits verloren hat". Das war sechs Tage, nachdem CIA-Direktor William Burns, normalerweise eine vernünftige Stimme, den Krieg als "strategischen Fehlschlag" für Russland bezeichnet hatte, da "dadurch Russlands militärische Schwächen offengelegt wurden".

Zuvor, im Dezember 2022, berichtete die Direktorin des Nationalen Geheimdienstes, Avril Haines, (die oberste Chefin der aktuell 16 US-Geheimdienste), dass die Russen unter "Munitionsmangel" litten und "nicht in der Lage sind, das, was sie verbrauchen, selbst zu produzieren". Wir raten jedoch zur Vorsicht, da dieselben Leute jetzt sagen, dass die Ukraine nur siegen kann, wenn die USA weitere 60 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen. Glauben diese Leute, dass sich die Geografie in der Zwischenzeit geändert hat, oder dass sie die russische Industriemacht überwinden oder die Russen davon überzeugen können, dass die Ukraine nicht mehr zu ihren Kerninteressen gehören sollte?

Obamas Gründe

Erinnern wir uns doch an die Gründe von Präsident Barack Obama, warum er der Ukraine keine tödlichen Waffen liefern wollte. Im Jahr 2015 berichtete die New York Times über Obamas Zurückhaltung mit folgenden Worten: "Teilweise hat er Beratern und Besuchern gesagt, dass die Bewaffnung der Ukrainer in Kiew die Vorstellung befördern würde, dass sie tatsächlich die weitaus mächtigeren Russen besiegen könnten und das möglicherweise eine energischere Reaktion aus Moskaus nach sich ziehen würde."

Ein hochrangiger Beamte des US-Außenministeriums erklärte diese so:

"Wenn man in der Ukraine auf militärischem Terrain mitspielt, dann spielt man gegen Russlands Stärke, denn Russland ist gleich nebenan. Es verfügt über eine riesige Menge an militärischer Ausrüstung und militärischer Macht direkt an der Grenze. Alles, was wir als [NATO-] Länder in Bezug auf militärische Unterstützung für die Ukraine tun, wird wahrscheinlich von Russland verdoppelt und verdreifacht und vervierfacht werden."

Diese Worte sprach der damalige stellvertretende US-Außenminister (und jetzige US-Außenminister) Antony Blinken am 5. März 2015 vor einem Publikum in Berlin. Es stellte sich heraus, dass Präsident Obama recht hatte. Es ist schwer zu verstehen, warum Blinken (und Biden) den Weg von Präsident Donald Trump, der der Ukraine als erster tödliche Waffen geliefert hat, dem Weg Obamas vorzogen haben. So viel zur Geografie und relativen Stärke.

Und wie sieht es mit den Kerninteressen aus? Im Jahr 2016 sagte Präsident Obama gegenüber The Atlantic, dass die Ukraine ein Kerninteresse Russlands, aber nicht der USA sei. Er warnte vor einer eskalierenden Dominanz Russlands: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was unsere Kerninteressen sind und wofür wir bereit sind, in den Krieg zu ziehen."

In einer früheren Zeit, als William Burns noch Botschafter in Russland und vernünftiger war, warnte er Washington vor Moskaus "emotionaler und neuralgischer Reaktion" auf eine Aufnahme der Ukraine in die NATO. Als er im Februar 2008 von Außenminister Sergei Lawrow angesprochen wurde, berichtete Burns, dass Russlands Widerstand auf "strategischen Bedenken über die Auswirkungen auf Russlands Interessen in der Region" beruhe. Er warnte damals, dass "Russland sich jetzt in der Lage fühlt, energischer zu reagieren". Burns fügte hinzu: "In der Ukraine gehört dazu auch die Befürchtung, dass das (NATO-) Thema die Ukraine möglicherweise in zwei Teile spalten könnte, was zu Gewalt oder sogar, wie manche behaupten, zu einem Bürgerkrieg führen könnte, der Russland zwingen würde, zu entscheiden, ob es eingreifen soll."

Regimewechsel in Kiew am 18. Februar 2014:

Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Februar 2014 bewahrheitete Russlands Warnungen bezüglich der Ukraine und seine Befürchtung, dass der Westen versuchen würde, auch in Russland einen "Regimewechsel" herbeizuführen. In einem großen Kommentar mit dem Titel "Russian Military Power", der im Dezember 2017 veröffentlicht wurde, kam der US-Nachrichtendienst Defense Intelligence Agency (DIA) zu dem Schluss: "Der Kreml ist davon überzeugt, dass die USA den Grundstein für einen Regimewechsel in Russland legen, eine Überzeugung, die durch die Ereignisse in der Ukraine noch verstärkt wird. Moskau betrachtet die Vereinigten Staaten als die entscheidende Triebkraft hinter der Krise in der Ukraine und dem Arabischen Frühling und glaubt, dass der Sturz des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch der jüngste Schritt in einem seit Langem etablierten Muster von US-orchestrierten Regimewechselbemühungen ist.

Ist Putin paranoid bezüglich der "US-Regimewechselbemühungen"? Die DIA hielt ihn nicht für paranoid. Und sicherlich hat Putin die Äußerungen von Verteidigungsminister Lloyd Austin im April 2022 zur Kenntnis genommen:

"Eines der Ziele der USA in der Ukraine ist es, ein geschwächtes Russland zu sehen (...) Die USA sind bereit, Himmel und Erde zu bewegen, um der Ukraine zu helfen, den Krieg gegen Russland zu gewinnen."

Zusammengefasst: Russland hat sowohl den Willen als auch die Mittel, sich in der Ukraine durchzusetzen – egal wie viele Dollar und Waffen die Ukraine bekommt.
Obama hatte recht; Russland sieht in der Ukraine eine existenzielle Bedrohung durch den Westen. Und Atommächte tolerieren keine existenziellen Bedrohungen an ihrer Grenze. Russland hat das 1962 in Kuba auf die harte Tour gelernt.

Schließlich gibt es keine Beweise dafür, dass Putin nach der Ukraine andere europäische Länder bedrohen wird. Die alte Sowjetunion und ihr Imperium sind längst vorbei. Daher sind die jüngsten Äußerungen von Präsident Trump, in denen er das Engagement der USA zur Verteidigung der NATO–Länder vor einer tatsächlich nicht existierenden Bedrohung infrage stellte, Unsinn und purer Bombast.

Die USA sollten akzeptieren, dass kein US-Geld den Willen und die Mittel Russlands ändern wird, sich in der Ukraine durchzusetzen.

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