Spionage: Wie die USA und ihre "Freunde" einander ihre Geheimnisse stehlen
Von Rachel Marsden
"Sie sind nicht nur aktiv auf der Jagd nach vielversprechenden Forschungsergebnissen, Daten und Parametern unserer Waffen, sondern auch nach unseren Spezialisten, die besonders wertvoll sind", sagte der russische Industrie- und Handelsminister Denis Manturow kürzlich. Er bezog sich dabei auf westliche Spione und ihre Bemühungen, Informationen über die russische Rüstungsproduktion zu erlangen, wobei sie es auf Industrieexperten abgesehen haben.
Nun, es ist für Spione sicherlich besser, sich an "leichte Zielpersonen" wie Experten heranzuwagen, als zu versuchen, einen Soldaten anzusprechen, dessen Gespür für Verarsche feiner auf Spionage eingestellt ist. Und westliche Spione wissen das besser als jeder andere, denn sie haben fleißig geübt – untereinander.
Letztlich geht es bei jeder Spionage darum, sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen – sei es in Konflikten oder Kriegen, wo der Ausgang über die Bedeutung künftiger wirtschaftlicher Standbeine entscheidet, ganz direkt durch den Diebstahl wirtschaftlich wertvoller Geheimnisse oder die Untergrabung des Handels bzw. Wettbewerbs. Die derzeitige Konzentration auf den militärischen Konflikt zwischen Russland und dem westlichen Militärbündnis via Ukraine verdeckt die Tatsache, dass trotz aller öffentlichen Proklamationen von Einigkeit und Solidarität seitens der westlichen Staats- und Regierungschefs alle einander wirtschaftlich über den Tisch ziehen würden, wenn sie auch nur die geringste Chance dazu hätten.
Der Ukraine-Konflikt hat die amerikanische Sichtweise auf Deutschland als wirtschaftlichen Rivalen unterstrichen, was sich einst in Washingtons systematischer Kritik an Deutschlands wirtschaftlicher Lebensader für russisches Gas, der Nord-Stream-Pipeline, niederschlug (bevor sie auf mysteriöse Weise gesprengt wurde). Jetzt zeigt sich das in der Form, dass Uncle Sam deutsche Unternehmen mit grünen Steuererleichterungen und reichlich Energie an die US-Küste lockt, während das begrenzte und teure amerikanische Flüssigerdgas, das nach Europa verkauft wird, die deutsche Deindustrialisierung ausgelöst hat. Für die USA ist damit ein lang gehegter Traum in Erfüllung gegangen, da sie Deutschland seit den frühen 1990er Jahren als einen wichtigen Konkurrenten auf der Weltbühne betrachten.
Im Jahr 1995 berichtete die Los Angeles Times, dass die Regierung von Präsident Bill Clinton die CIA angewiesen habe, "die Wirtschaftsspionage von der Ersatzbank zu nehmen", und dass schon vor Clinton "klar wurde, dass die wirtschaftliche Rivalität mit industriellen Supermächten wie Japan und Deutschland vom Weißen Haus und dem Kongress nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als kritische Frage der nationalen Sicherheit angesehen wurde."
Im Jahr 1999 berichtete die europäische Presse über den Diebstahl von Windturbinen-Bauplänen des deutschen Unternehmens Enercon zugunsten eines amerikanischen Konkurrenten. Der elektronische Spionagedienst der USA (National Security Agency, kurz NSA) wurde dafür verantwortlich gemacht und hatte es den Meldungen zufolge auf mindestens 30 deutsche Firmen abgesehen.
Berlin war offenbar so empört über die US-Spionage, dass sein Auslandsgeheimdienst BND eben jener NSA dabei half, über ein Jahrzehnt lang deutsche Wirtschaftsinteressen sowie den Nachbarn und US-Verbündeten Frankreich auszuspionieren, wie die deutsche Presse 2015 berichtete. Es ist kein Geheimnis, dass der deutsch-französisch geführte Airbus-Konzern (bekannt als EADS) wirklich der einzige große globale Konkurrent des Pentagon-Auftragsnehmers und Verkehrsflugzeugherstellers Boeing ist, doch die Süddeutsche Zeitung berichtete damals, Deutschland habe den USA dabei geholfen, auch diesen Konzern auszuspionieren. Als also der derzeitige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Ukraine-Konflikt neben Biden stand und lächelte, während dieser wie ein Mafioso darüber sinnierte, sich um die Nord-Stream-Pipeline für billiges russisches Gas zu kümmern, war dies nicht das einzige Mal, dass Berlin sich begeistert für Washington zu bücken schien.
Washington hielt Frankreich lange Zeit für ein industrielles Kraftzentrum, insbesondere unter dem ehemaligen Präsidenten Charles de Gaulle, dessen offizielle Politik der Entwicklung der Kernenergie das Land zu einem billigen Energielieferanten machte, der mit der amerikanischen Industrie konkurrieren konnte – und damit zu einem Ziel für US-Wirtschaftsspionage. Die Zentrale der CIA in Paris wurde 1995 im Rahmen einer Operation des französischen Inlandsgeheimdienstes aufgelöst und des Landes verwiesen, was damit endete, dass Paris die USA öffentlich der Wirtschaftsspionage beschuldigte. Auch wenn die Einzelheiten dieser Spionageoperation nach all den Jahren immer noch im Dunkeln liegen, scheint es sich um dieselbe Art von Wirtschaftsspionage zu handeln, die die USA während der Clinton-Regierung auch bei einem anderen Verbündeten, Japan, im Rahmen von Geschäftsverhandlungen im Automobilsektor betrieben, wie die Los Angeles Times 1995 berichtete.
In jüngerer Zeit war der Erwerb französischen Industriewissens durch US-Konkurrenten nur die sichtbare Spitze des Eisbergs von Washingtons rabiaten Methoden zur Sicherung industrieller Vorteile – wie etwa der Übernahme der französischen Nuklear-Know-how-Abteilung von Alstom durch den Pentagon-Auftragnehmer General Electric, als der Druck auf die Alstom-Führungskräfte, einschließlich des CEO, erhöht wurde, die in den USA nach amerikanischem extraterritorialen Recht wegen angeblicher Korruption in Entwicklungsländern inhaftiert und angeklagt waren.
Natürlich ist das, was ungesehen bleibt, weitaus ungeheuerlicher. Wikileaks berichtete 2015, dass etwa 100 französische Unternehmen ins Visier der NSA-Spione geraten seien – darunter laut der französischen Zeitung Libération "fast der gesamte CAC-40-Index", der die größten Unternehmen des Landes umfasst.
Nicht, dass die Franzosen immun gegen ein wenig Spionage unter Freunden gewesen wären. Im Jahr 1993 wurden zwei französische Beamte nach Paris zurückgeschickt, nachdem sie dabei erwischt worden waren, unter diplomatischer Tarnung die US-Industrie auszuspionieren. Etwa zur gleichen Zeit wurden in einem der Presse zugespielten Bericht des französischen Geheimdienstes "49 US-Hochtechnologieunternehmen, 24 Finanzdienstleistungsunternehmen und US-Beamte, die mit sensiblen Handelsgesprächen befasst sind... von Spionen für ihre Verhandlungsstrategien ins Visier genommen", wie der britische Independent damals berichtete.
Heutzutage lässt niemand mit auch nur zwei Gehirnzellen, der an der Pariser Luftfahrtausstellung oder dem Milipol-Gipfel für innere Sicherheit teilnimmt, seinen Computer oder sein Telefon im Hotelzimmer. Wie damals zu Zeiten des französischen Überschallflugzeugs Concorde, als die kanadischen und amerikanischen Geheimdienste ihre Führungskräfte warnten, das Flugzeug so zu behandeln, als sei es verwanzt, um alle Gespräche mitzubekommen.
Nicht zu vergessen ist Amerikas "bester Verbündeter" Israel, das von der US-Regierung bereits 1992 bei der gezielten Ausspähung amerikanischer Geschäftsleute für Forschungs- und Entwicklungszwecke angeführt wurde – und in jüngerer Zeit durch seine militärische Pegasus-Spähsoftware und seine größere Cyber-Überwachungsindustrie, deren Trennung vom Staat bestenfalls höchst fragwürdig und schlimmstenfalls nicht existent ist.
Moskaus öffentliches Eingeständnis, dass es nun aktiv das Ziel der westlichen Wirtschaftsspionage-Orgie ist, bedeutet, dass es nun die gleiche Wahl hat wie jeder Katzenbesitzer: Es kann jeden Biss als einen Akt der Aggression interpretieren. Oder es kann einfach das tun, was der Westen untereinander tut, und ihn als Knutschfleck verbuchen, während es sich überlegt, wie es der angreifenden Katze auf den Schwanz treten kann – natürlich mit plausibler Bestreitbarkeit.
Mehr zum Thema – WSJ-Bericht: USA wollen Spionagenetzwerk in China wiederherstellen
Übersetzt aus dem Englischen
Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com
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