Meinung

Könnte es wieder passieren? Die USA erinnern die Welt mit "Oppenheimer" an Hiroshima

Der Film "Oppenheimer" über den Einsatz der US-Atombomben gegen Japan läuft weltweit in den Kinos. Der Streifen stellt eine umfassende Propagandabotschaft dar, die an Vasallen, Gegner und das heimische Publikum gleichermaßen gerichtet ist.
Könnte es wieder passieren? Die USA erinnern die Welt mit "Oppenheimer" an HiroshimaQuelle: www.globallookpress.com © Cfoto/Keystone Press Agency

Von Wiktorija Nikiforowa

Es heißt, dass es in Christopher Nolans Film "Oppenheimer" eine fünfzehnminütige Bettszene gibt. In Wirklichkeit gibt es nichts dergleichen. Der Liebesstrang in dem Film ist generell auf ein Minimum beschränkt. Aber die US-amerikanische Leidenschaft für die Weltherrschaft wird hier luxuriös, in allen Details und mit pornografischer Offenheit dargestellt.

Es ist klar, dass ein Blockbuster dieses Niveaus, zu solch einem Thema und von einem Regisseur dieses Kalibers nicht nur ein einfacher Film sein kann. Es ist eine komplexe Propagandabotschaft, die an Vasallen, Gegner und das heimische Publikum gleichermaßen gerichtet ist. Heute läuft "Oppenheimer" – ein Film über die Herstellung und den Einsatz der Atombombe durch die US-Amerikaner – in den Kinos aller Kontinente und erzielt Rekordeinnahmen an den Kinokassen. Doch was genau ist die wahre Bedeutung von Nolans neuem Meisterwerk?

Formal verbringt man beim Schauen des Films drei Stunden damit, die Leiden eines intelligenten Wissenschaftlers, des Vaters der US-amerikanischen Atombombe, zu beobachten. Er wird von sadistischen FBI-Agenten verhört. Dann wird er von den Militärs eingeschüchtert. Plötzlich wird er von Gewissensbissen geplagt. Cillian Murphys große Augen sind stets von Traurigkeit erfüllt.

Wenn man jedoch von der exquisiten Schauspielerei absieht, dann sieht man im trockenen Rest nicht den begabtesten, sondern einen äußerst eitlen Wissenschaftler, den die Militärs unter ihre Fittiche nehmen und dabei ebendiese Eitelkeit ausnutzen.

Nachdem er in die Maschinerie der US-amerikanischen Rüstungsindustrie geraten ist, ist Oppenheimer gezwungen, einen Verrat nach dem anderen zu begehen, seine Freunde an die Geheimdienste zu verraten und seine intimsten Geheimnisse preiszugeben. Um seiner Karriere willen ist er zu jeder Demütigung und Gemeinheit bereit, vergisst aber nicht, sich ständig als Opfer aufzuspielen.

Hier die Rede, die der Held des Films unmittelbar nach dem erfolgreichen Einsatz der Atombombe auf Hiroshima vor seinen Mitarbeitern hält: "Die Welt wird sich an diesen Tag erinnern. Es ist noch zu früh, um die Folgen des Bombenangriffs zu beurteilen, aber ich wette, den Japanern hat er nicht gefallen (Gelächter im Saal und stürmischer Beifall). Ich bin stolz auf euch … Schade, dass wir keine Zeit hatten, sie gegen Deutschland einzusetzen (Gelächter, Beifall, Wissenschaftler springen von ihren Sitzen auf, schwenken US-amerikanische Flaggen und rufen 'Oppie! Oppie!')."

In Murphys Darstellung hält Oppenheimer diese triumphale Rede, blass und bei jedem Wort stolpernd. Will der Regisseur auf diese Weise jedoch die grausame Brutalität seines Landes verurteilen?

Nein, nichts dergleichen. Der Wahnsinn der US-amerikanischen Atomwaffenfans wurde von Stanley Kubrick in seinem unsterblichen Film "Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" gut dargestellt. Dort schreit aus jeder Szene die grausame Absurdität eines Atomkriegs, den Washington ohne jeden Grund auszulösen bereit ist.

Nolan schwelgt ganz offen in den blutrünstigen Triumphen der US-amerikanischen Kriegsmaschinerie. Das nervöse Zucken von Oppenheimers Gesichtsmuskeln, sein Hin- und Hergerissensein und seine Zweifel unterstreichen nur ihre unüberwindliche Macht. Diese Maschinerie ist zu allem fähig: Hunderttausende von Menschen am anderen Ende der Welt zu töten, jeden Intellektuellen zu brechen und ihn sklavisch in ihren Dienst zu stellen, große wissenschaftliche Errungenschaften für die Zerstörung von Ländern und Völkern zu nutzen. Und das alles nur um der Macht über die Welt willen.

Die gruseligste Szene des Films ist praktisch wie aus einem Dokumentarfilm entnommen. Sie zeigt eine geduldig gefilmte Sitzung eines Ausschusses zur Auswahl von Atombombenzielen. Sie diskutieren höflich und ruhig, welche japanischen Städte bombardiert werden sollten. Die Zahl der Todesopfer wird geschätzt. Oppenheimer wird nach seiner Meinung gefragt. Die Militärs melden sich zu Wort. Der Bleistift von Verteidigungsminister Henry Stimson schwebt über einer Liste von elf Städten. Ursprünglich waren es zwölf – Stimson strich Kyoto von der Liste, weil er dort mit seiner Frau in den Flitterwochen war und ihm die Stadt so gut gefiel. Dies ist eine verbürgte historische Tatsache.

Der Regisseur genießt jeden Augenblick dieser Szene – für ihn ist dies eine Episode, in der seine Landsleute wie olympische Götter buchstäblich über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Sie wird als die ultimative Behauptung der US-amerikanischen Macht über die Welt gezeigt.

Oppenheimers Botschaft hat nichts mit Pazifismus zu tun – im Gegenteil, sie ist reine Einschüchterung. Dies ist in Russland besonders gut zu sehen – schließlich wurde die Atombombe im Wesentlichen gegen unser Land entwickelt. Trotz aller Tränen und des Gejammers des Hauptakteurs ist die Botschaft des Films im Grunde eindeutig: Die US-Amerikaner "können es wieder tun".

Die Botschaft, die dem US-amerikanischen Publikum vermittelt wird, lautet, dass die USA über Supertechnologien verfügen und ungestraft so viele Menschen auf dem Planeten töten können, wie sie wollen. Das ist natürlich eine Propagandalüge, aber sie wird sehr überzeugend dargestellt. Und sie dürfte das US-amerikanische Volk im Kernland ansprechen.

Nicht weniger interessant ist, wie Nolans Film in der Welt wahrgenommen wird. Das japanische Publikum steht natürlich unter Schock, der Film wurde dort gar nicht erst freigegeben. Ja, die Japaner waren bereits davon überzeugt, dass sie an der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki selbst "schuld" waren. Nun wird jedoch der Jubel der US-amerikanischen Elite unmittelbar nach den Massakern unverhohlen präsentiert, und das mit sehr viel Freude in den Gesichtern. "Ich wette, den Japanern hat es nicht gefallen …"

Und dann boten die US-amerikanischen Studios den ausländischen Zuschauern an, den "Barbenheimer" zu arrangieren und an einem Tag sowohl "Barbie" als auch "Oppenheimer" zu sehen – eine Komödie über Puppen und die Tragödie des Atombombenabwurfs am Stück. Sehr geistreich, was soll ich sagen?

Den Japanern bleibt nur, den schottischen Komiker Frankie Boyle zu zitieren:

"Amerika wird nicht einfach in Ihr Land einmarschieren und alle töten. Es wird in zwanzig Jahren wiederkommen und einen Film darüber drehen, wie traurig die amerikanischen Soldaten waren, alle zu töten."

In China hingegen wurde der Film mit Begeisterung aufgenommen: Dort hat "Oppenheimer" riesige Einspielergebnisse und Bestnoten von Publikum und Kritikern erhalten. Es ist leicht zu verstehen, mit welchen Gefühlen die Nachkommen der vom japanischen Militär gefolterten Menschen den Prozess der Entwicklung der Bombe verfolgen, die das Ende Japans bedeuten wird.

Wir in Russland sollten darauf achten, wie der feinsinnige Psychologe Nolan das US-amerikanische Establishment darstellt. Er glaubt, dass dort alles vom reinen Machtwillen beherrscht wird – nicht vom Geld, nicht vom Profit, sondern nur von der Leidenschaft für die Vorherrschaft. Um ihres Hegemoniestrebens willen sind diese Leute in der Lage, die ganze Welt buchstäblich in Schutt und Asche zu legen.

An einer Stelle gesteht Oppenheimer dem militärischen Kurator des Manhattan-Projekts: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine einmal in Gang gesetzte Kernreaktion nicht mehr aufhört, bis sie die gesamte Atmosphäre verbrennt und die Menschheit vernichtet, ist größer als Null. Der General ist zwar von dieser Aussage beunruhigt, sagt den Bombentest aber dennoch nicht ab.

Dies ist eine uns völlig fremde Psychologie, die wir aber in unseren Beziehungen zu unseren Partnern in Übersee berücksichtigen müssen. Der prominente US-amerikanische Militäranalyst Herman Kahn, der Kubrick zu seinem Dr. Seltsam inspirierte, schlug einmal vor, dreißig Millionen US-Amerikaner zu opfern, nur um einen Atomkrieg mit der UdSSR zu gewinnen. Verständlicherweise ist nicht jeder in Washington so verrückt. Dennoch sind dort solche Personen an der Macht. Von ihnen geht die Botschaft des neuen Films von Christopher Nolan aus.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 22. September 2023 auf RIA Nowosti erschienen.

Wiktorija Nikiforowa ist eine Kolumnistin bei RIA Nowosti.

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