Meinung

Wird Wladimir Selenskij zum neuen Micheil Saakaschwili?

Bei seiner Rückkehr nach Georgien wurde Micheil Saakaschwili, der ehemalige Staatspräsident des Landes, inhaftiert. Nachdem in Tiflis eine vergleichsweise souveräne Regierung an die Macht gekommen war, löste sie ihr Wahlversprechen ein, brachte Saakaschwili vor Gericht, so dass er verurteilt wurde. Wladimir Selenskij könnte ein ähnliches Schicksal erwarten.
Wird Wladimir Selenskij zum neuen Micheil Saakaschwili?Quelle: AP © Handout Pressedienst des ukrainischen Präsidenten/AFP

Von Andrew Korybko

Wladimir Selenskij beschuldigte am Montag Russland des Versuchs, den ehemaligen georgischen Präsidenten Saakaschwili zu ermorden, nachdem Aufnahmen von ihm am selben Tag in den Mainstream-Medien viral gingen. Auf denen war zu sehen, wie er ausgemergelt und krank wirkend in seiner Gefängniszelle sitzt, während er seine jüngste Videobotschaft aufzeichnet. Die Ironie besteht darin, dass niemand geringerer als der Westen selbst für die missliche Lage von Saakaschwili verantwortlich ist. Darüber sollte sich Selenskij im Klaren werden, da die Möglichkeit besteht, dass auch ihm ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte.

Wie bereits im vorigen August festgestellt wurde, war der Georgien-Konflikt von 2008 die Vorlage der USA für den Ukraine-Konflikt von 2022, was hierfür sehr relevant ist. Von Bedeutung für diese Analyse ist die Rolle, die Saakaschwili und Selenskij in ihren jeweiligen, von den USA unterstützten Stellvertreterkriegen gegen Russland gespielt haben beziehungsweise gerade spielen.

Saakaschwili wurde von seinen westlichen Paten angewiesen, einen militärischen Überraschungsangriff gegen Südossetien zu lancieren, der – wie man ihm damals versicherte – mit einem schnellen Erfolg seiner Streitkräfte und der anschließenden Rückeroberung dieser abtrünnigen Region enden würde. Was jedoch tatsächlich geschah, war, dass Russland sich gezwungen sah, eine fünftägige militärische Intervention in Georgien durchzuführen, die letztlich für Georgien zum Verlust des umstrittenen Territoriums und des nahe gelegenen Abchasiens führte, worauf Russland beide Regionen als souveräne Staaten anerkannte und bis heute anerkennt.

Auf dieselbe Weise wurde Selenskij von seinen westlichen Paten angewiesen, für das Frühjahr 2022 einen militärischen Überraschungsangriff gegen den Donbass vorzubereiten, von dem man ihm ebenfalls versicherte, dass der Angriff mit einem schnellen Erfolg seiner Streitkräfte enden werde. Doch die russische Spezialoperation, die daraufhin am 24. Februar 2022 begonnen wurde, verhinderte dies in allerletzter Minute. Anstatt den seit 2014 abtrünnigen Donbass endlich zurückzuerobern, verlor Kiew diese Region sowie zwei weitere Gebiete obendrein. Im vergangenen September sprach sich in allen drei Regionen im Rahmen von Referenden eine Mehrheit der Bewohner für den Anschluss an die Russische Föderation aus. Der durch westliche Pläne provozierte Konflikt zwischen der Ukraine und Russland wütet auch sechzehn Monate nach seinem Beginn weiter – im Gegensatz zur raschen Niederwerfung der georgischen Streitkräfte im Jahr 2008.

Die von der NATO unterstützte Gegenoffensive der Ukraine entpuppte sich bisher als eine Katastrophe, was mittlerweile selbst die westlichen Mainstream-Medien zugeben müssen, genauso wie westliche und ukrainische Regierungsvertreter. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im US-Repräsentantenhaus Michael McCaul warnte Anfang Juni, dass die Nichterfüllung westlicher Erwartungen zu einem Rückgang der konkreten Unterstützung für die Ukraine führen könne. Selenskij weiß, dass ihm die Zeit davonläuft, weshalb er kürzlich seine Truppen dazu drängte, vor dem NATO-Gipfel in der kommenden Woche zumindest einige positive Ergebnisse auf dem Schlachtfeld vorzulegen.

Selenskij hatte bereits Ende des vergangenen Monats in einem Gespräch mit der BBC die Erwartungen seiner westlichen Paten kritisiert, genauso wie es namentlich nicht genannte, hochrangige westliche Regierungsvertreter getan haben, wie The Economist meldete. Unterdessen brachte der ukrainische Oberbefehlshaber Waleri Saluschny kürzlich in einem Interview mit der Washington Post deutlich zum Ausdruck, wie sehr es ihn frustriert, dass der Verlauf der Gegenoffensive kritisiert wird. Ganz offensichtlich wird den Entscheidungsträgern in Kiew langsam klar, dass die Ukraine wahrscheinlich nicht zu einem Beitritt zur NATO eingeladen wird.

Darüber hinaus opferte Kiew zehntausende Menschenleben bei dem Versuch, Gebiete zurückzuerobern, die gar nicht erst verloren gegangen wären, hätte man sich an den Wortlaut des Minsker Abkommen gehalten. Kiew hielt sich zudem nicht an den Plan der USA, das georgische Szenario zu wiederholen, was Russland dazu veranlasste, präventiv zu intervenieren. Darüber hinaus hätte Kiew möglicherweise die Vereinigung der Regionen Cherson und Saporoschje mit Russland verhindern können, wenn es nicht zugelassen hätte, dass die angloamerikanische Achse im Frühjahr 2022 jenen Friedensprozess sabotiert, durch den bereits ein unterzeichneter Vertragsentwurf vorlag, der dann ruiniert wurde.

Die Ukraine hat sich somit wesentlich schlechter geschlagen als damals Georgien, da während des bisherigen konventionellen Konflikts, der jetzt schon sechzehn Monate tobt, weite Gebiete völlig verwüstet wurden und zusätzlich zwei Regionen verloren gingen, die vor Beginn der russischen Sonderoperation nicht einmal umstritten waren. Nach einem Scheitern der Kiewer Gegenoffensive, die laut dem russischen Präsidenten Putin und laut Dmitri Medwedew als dem Stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrates durch die NATO jederzeit und umgehend beendet werden könnte, indem man Waffenlieferungen an Kiew eingestellt, wird das politische Kapital von Selenskij verpuffen.

Hätte er sich behauptet und den Friedensprozess im Frühjahr 2022 zu Ende geführt, hätte er vielleicht die Unterstützung seines Volkes und des mächtigen "Triumvirats" aus Militär, Geheimdienst und Oligarchen-Elite behalten können. Aber es ist praktisch unmöglich, dass sie ihn weiterhin unterstützen werden, wenn er gezwungen wird, sich mit Moskau zu einigen – und das jetzt auch noch zu ungünstigeren Bedingungen als jemals zuvor. Zu viele Menschenleben wurden geopfert, zu viel Eigentum und Infrastruktur zerstört und zu große Gebiete an Russland verloren, als dass Selenskij auch nur eine vorübergehende Einstellung der Feindseligkeiten – ganz zu schweigen von einem Waffenstillstand und insbesondere einem Friedensvertrag – als Sieg verkaufen könnte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass seine westlichen Paten ihn genau in diese Lage bringen, steigt von Tag zu Tag, da die ukrainische Gegenoffensive zu einer der schlimmsten Demütigungen für den kollektiven Westen zu werden droht. Um in diesem Szenario einen Einfluss auf die Ukraine zu behalten, wäre es nicht verwunderlich, wenn der Westen Pläne für einen eigenen Regimewechsel in Kiew durch populäre Militärs wie etwa den Oberbefehlshaber Saluschny oder den Chef des Militärgeheimdienstes Budanow unterstützen würden, nur um Selenskij abzusetzen und so einen möglichen Volksaufstand präventiv zu vereiteln.

Schließlich würde es den Interessen von Saluschny und Budanow dienen, den Zorn der Bevölkerung auf das bisherige Aushängeschild des Landes zu lenken, nachdem die Menschen dort erkannt haben, wie viel sie für nichts opfern mussten – anstatt das Risiko einzugehen, selbst in die Schusslinie zu geraten. Auch wenn man sich im Interesse des internationalen Ansehens darauf einigt, Selenskij an der Macht zu lassen, wird ihm ein harter Kampf um die Wiederwahl bevorstehen, sofern er sich überhaupt für eine erneute Kandidatur entscheiden wird. So oder so wäre seine politische Zukunft ruiniert, sobald der Westen ihn zu Friedensgesprächen mit Moskau zwingt.

Genauso wie vor ihm damals Saakaschwili könnte auch Selenskij wegen Machtmissbrauchs durch seine politischen Gegner angeklagt und für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Dies würde unweigerlich zu einer Gefängnisstrafe führen, falls er sich noch im Land aufhält oder dorthin zurückkehren sollte, um dort erneut eine Farbrevolution anzuführen, so wie es sein georgischer Kollege vorgemacht hatte. Sollte die Nachkriegsukraine einen Großteil ihrer an den Westen abgegebenen Souveränität zurückgewinnen – wie es im Fall von Georgien geschehen ist –, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass genau solch ein Szenario eintritt.

Saakaschwili wurde inhaftiert, weil er seine Macht missbrauchte und gegen Russland eine Niederlage erlitten hatte – in einem Stellvertreterkrieg, den er auf Geheiß seiner westlichen Paten vom Zaun gebrochen hatte. Auch Selenskij hat seine Macht missbraucht, ist jetzt dabei den Stellvertreterkrieg gegen Russland zu verlieren, den er auf Geheiß seiner westlichen Paten provoziert hatte, und könnte daher ein ähnliches Schicksal erleiden.

Die USA kennen keine Verbündeten, sondern lediglich Vasallen, die sie kontrollieren können oder – in ganz seltenen Fällen – starke Partner wie Indien als ein Land, das seine Souveränität trotz enormen Drucks erfolgreich verteidigen konnte, um schließlich in Washington, D.C. auf Augenhöhe behandelt zu werden. Ein Verbündeter der USA zu sein impliziert, dass man die Regierenden in Washington aus Loyalität zu unterstützen und zu verteidigen hat, selbst auf Kosten der eigenen Interessen. Jedoch würden die Regierenden in Washington solches nie tun, weshalb es treffend ist zu behaupten, dass die USA keine Verbündeten haben.

Die Ukraine von Wladimir Selenskij ist im Reigen dieser Vasallen bloß ein weiterer derartiger Vasall, der rücksichtslos benutzt wird, um die schwindende unipolare Hegemonie der USA aufrechtzuerhalten. Aber anstatt ihren Zweck zu erfüllen, werden Selenskij und sein Land allmählich zu einer Last, die zu einem geopolitischen Rückschlag für die USA führen könnte, sollte der Konflikt nicht eingefroren werden, weil Russland auf dem Schlachtfeld weiterhin Fortschritte macht. Daher wird Selenskij früher oder später auf die eine oder andere Weise abserviert werden, genauso wie Saakaschwili, wobei die einzige Frage ist, ob er auf freiem Fuß bleibt, vor Gericht gestellt wird oder vielleicht gar mit seinem Leben bezahlen muß.

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Übersetzt aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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