Spekulationen über Wagner-Nordfront: Möglich, aber eher unwahrscheinlich
Eine Analyse von Andrew Korybko
Larry C. Johnson, einer der renommiertesten Analysten aus der Community der alternativen Medien – und der im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen über eine tadellose Integrität verfügt –, präsentierte eine interessante Interpretation des gescheiterten Putschversuchs von Jewgeni Prigoschin. In seinem Artikel mit dem Titel "Russlands Oscar-preisgekrönte Leistung für den besten Coup, Prigoschin wird als bester Schauspieler ausgezeichnet" postuliert er, dass diese "Maskirowka" – die russische Kunst der Verschleierung – inszeniert wurde, um ohne allzu viel Aufmerksamkeit anzuziehen, russische Militäreinheiten näher an die Grenze zur Ukraine zu verschieben und damit die Lancierung einer Nordfront vorzubereiten.
Johnson spekuliert wie folgt:
"Die gesamte Geschichte rund um den Putschversuch wurde entwickelt, um die Bewegung russischer Streitkräfte in Gebieten nördlich und westlich von Woronesch zu ermöglichen, ohne dabei die Planer der NATO zu alarmieren. Es sollte so aussehen, als ob Moskau Truppen entsendet, um die Putschisten aufzuhalten und nicht um eine neue Angriffsachse vorzubereiten."
Dies sei eine Möglichkeit gewesen, russische Truppen in Gebieten nördlich von Belgorod zu verlegen, ohne die unwillkommene Aufmerksamkeit der NATO auf sich zu ziehen.
So faszinierend diese Erklärung auch sein mag, sie ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Erstens birgt die Analyse von Johnson die Theorie, dass der gescheiterte Putsch von Prigoschin ein Täuschungsmanöver von Präsident Wladimir Putin war, was impliziert, dass dieser sich damit einverstanden erklärte, dass die Kämpfer von Wagner russische Flugzeuge vom Himmel schießen und dabei Piloten und Soldaten der Luftwaffe ums Leben kommen. Befürworter der Interpretation von Johnson könnten hingegen behaupten, dass die Wagner-Gruppe trotzdem noch eine Nordfront lancieren könnte, wenn der Kreml die jüngsten Ereignisse opportunistisch zu diesem Zweck ausnutzt –, was plausibler erscheint.
Die Überzeugung von Prigoschin, dass Russland seine Sonderoperation ausweiten sollte, ist allgemein bekannt, daher ist es möglich, dass Präsident Putin ihm gesagt hat, dass er nun selbst die Chance dazu habe, um damit seinen Ruf wiederherzustellen. Darüber hinaus sprach der russische Staatschef kürzlich über die Möglichkeit, "Pufferzonen" entlang der Grenzen seines Landes zur Ukraine einzurichten, um den ukrainischen Beschuss russischer Grenzregionen zu stoppen, was der Theorie von Johnson Glaubwürdigkeit verleiht.
Allerdings stünde ein solcher Versuch im Widerspruch zu den starken Signalen, die Präsident Putin Anfang des Monats hinsichtlich seines Wunsches aussendete, den Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland politisch zu lösen, solange die Sicherheit seines Landes gewährleistet ist, etwa indem die USA die Waffenlieferungen an Kiew einstellen. Auch wenn er seitdem, aus welchen Gründen auch immer, seine militärpolitischen Kalkulationen geändert hätte, wäre es unwahrscheinlich, dass er Wagner den Auftrag geben würde, eine Nordfront zu lancieren, da es sehr schwierig wäre, vor Ort greifbare Erfolge zu erzielen.
Der Überraschungseffekt ist 16 Monate nach Beginn der Sonderoperation verpufft und Kiew hatte genügend Zeit, seine Grenzen zu befestigen. Russland kämpft bereits darum, an der Ost- und Südfront weiter vorzudringen, daher ist es unwahrscheinlich, dass ein plötzlicher Durchbruch entlang einer Nordfront gelingen sollte, unabhängig davon, ob der Vorstoß von Russland oder Weißrussland aus lanciert wird. Was das zweitgenannte Szenario betrifft, so könnte Lukaschenko zögern, sein Land in diese spekulativen Pläne zu verwickeln. Anfang des Monats deutete er eindringlich an, dass er in der nahen Zukunft Überfälle auf sein Land erwarte, ähnlich wie jene auf das russische Belgorod, die mit einem weiteren, von der NATO unterstützten Putschversuch gegen ihn, zusammenfallen könnten.
Sollte die Lancierung der Nordfront außerdem vor dem bevorstehenden Gipfeltreffen der NATO Anfang Juli geschehen, könnte dies dazu führen, die zunehmenden Risse im westlichen Lager zu kitten und möglicherweise sogar die Lieferung modernerer Waffen nach Kiew zu beschleunigen. Beide Ergebnisse könnten diesen Konflikt auf unbestimmte Zeit verlängern.
Sollte der Vorstoß dennoch von Weißrussland aus versucht werden und in der Umgebung der ukrainischen Hauptstadt unerwartet konkrete Erfolge erzielt werden, so könnte dies genutzt werden, um Druck auf das ukrainische Regime auszuüben, die Friedensgespräche auf der Grundlage des inzwischen nicht mehr gültigen Vertragsentwurfs vom Frühjahr 2022 unverzüglich wieder aufzunehmen. Darüber hinaus sagte Präsident Putin Anfang des Monats, dass er eine zweite Mobilisierungsrunde anordnen müsste, wenn er sich entscheiden sollte, erneut gegen Kiew zu marschieren, was seiner Meinung nach derzeit nicht in Sicht sei.
Es sollte auch erwähnt werden, dass Polen jederzeit eine formelle Intervention der NATO in der Konfliktzone anführen könnte, wenn das weit hergeholte Szenario droht, dass Kiew fallen könnte. Dies wiederum könnte Russland dazu zwingen, seinen Angriff aus dem Norden einzufrieren, aus der Gefahr heraus, dass ein Zusammenstoß mit Truppen der NATO den viel zitierten Artikel 5 auslösen könnte. Dies würde zu einer unerwünschten nuklearen Pattsituation führen. Da der Eröffnung einer weiteren Front von Weißrussland aus so viele Hindernisse im Weg stehen, würde Präsident Putin einer solchen Verschwendung der russischen Streitkräfte höchstwahrscheinlich nicht zustimmen.
Gleichzeitig könnte die Entsendung von Wagner-Söldner in diese Todesfalle jedoch zynischerweise dem Zweck dienen, sie zu eliminieren, ohne dass Russland sich selbst die Hände schmutzig machen muss. Dieses Szenario setzt jedoch voraus, dass Präsident Putin nicht aufrichtig war, als er die Kämpfer von Wagner in seiner nationalen Ansprache vom vergangenen Samstagmorgen als "die Helden, die Soledar und Artjomowsk, Städte und Dörfer im Donbass befreit haben, die für Noworossija und die Einheit der russischen Welt gekämpft und ihr Leben gegeben haben", beschrieben hat. Es wäre hetzerisch, solches zu implizieren.
Die Theorie von Johnson setzt zudem voraus, dass es der Wagner-Truppe und ihrem Anführer plötzlich nichts mehr ausmacht, wenn man ihnen Befehle erteilt, obwohl sie gerade eben deswegen rebelliert haben und sie keinen Vertrag unterzeichnen wollten, der sie unter die Kontrolle des russischen Verteidigungsministers stellt.
Wagner hat die Schlacht von Artjomowsk bestritten, es gibt also einen Präzedenzfall dafür, dass ihre Kämpfer sich aus patriotischen Gründen furchtlos in Todesgefahr begeben. Aber nach dem gescheiterten Putschversuch von Prigoschin könnten sie davor zurückschrecken, eine Nordfront zu lancieren, weil sie möglicherweise den Verdacht haben, dass dies, wie oben beschrieben, zum Scheitern verurteilt ist.
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Übersetzt aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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