Meinung

Ukraine – vom Stellvertreterkrieg zum Kampf um die Weltordnung

Der Ukraine-Krieg wandelt sich von einem Stellvertreterkrieg zwischen dem Westen und Russland zu einem Kampf um die künftige Weltordnung. Siegt der Westen oder besteht die Chance auf eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen, wie sie der Globale Süden fordert?
Ukraine – vom Stellvertreterkrieg zum Kampf um die Weltordnung© Ding Haitao

Von Gert Ewen Ungar

Die Konfrontation zwischen den Ländern des kollektiven Westens und denen des Globalen Südens nimmt zu. Ursache ist auch hier der Ukraine-Konflikt, der das Potenzial hat, sich zu einem umfassenden geopolitischen Konflikt auszuwachsen. 

Grund dafür sind einerseits der unterschiedliche Blick auf den Konflikt sowie die damit einhergehenden unterschiedlichen Vorstellungen für seine Lösung. Damit wiederum sind unterschiedliche Visionen für eine Welt danach verbunden. 

Der kollektive Westen macht auf dem Gipfeltreffen der G7-Außenminister in Japan seinen Standpunkt erneut deutlich. In ihrer Abschlusserklärung verurteilen die Außenminister Russland scharf und suchen die Konfrontation mit China. Russland wird aufgefordert, sich sofort aus der Ukraine zurückzuziehen. Es wird Bezug auf den Vorschlag des ukrainischen Präsidenten Selenskij genommen, der faktisch eine bedingungslose Kapitulation Russlands fordert. Die G7 unterstützen diesen Plan. 

Nach Auffassung der G7-Außenminister trägt Russland die alleinige Schuld an der Entwicklung in der Ukraine. Die Sanktionen müssen verschärft und vehement durchgesetzt werden. Ihre Einhaltung müsse strenger gehandhabt, und Verstöße durch Sekundärsanktionen geahndet werden. 

China weist die Erklärung als Versuch der Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurück und verurteilt die sich darin ausdrückende Arroganz und Überheblichkeit. China unterstellt den G7 böse Absichten – nicht zu Unrecht. 

Damit besteht der kollektive Westen weiter auf seine Vorherrschaft und Dominanz. Er setzt seinen Machtanspruch auch mit massiven Verstößen gegen die Charta der Vereinten Nationen und das internationale Recht durch. Westliche Länder, allen voran die USA, aber auch die EU, insbesondere Deutschland, zeigen immer wieder deutlich, dass sie sich nicht an das Völkerrecht gebunden sehen, fordern dessen Beachtung aber von ihren "systemischen Rivalen". Der Westen steht damit für ein System der Willkür und das Recht des Stärkeren. 

Der kollektive Westen besteht weiterhin darauf, zum Machterhalt Konflikte zu schüren und mischt sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein. Es geht ihm um die Durchsetzung seiner Sichtweise, auch dann, wenn die historischen Abläufe dieser Sicht faktisch widersprechen. Es geht um die Ausübung und Durchsetzung absoluter, totalitärer Macht.  

Der Westen will den Ukraine-Konflikt militärisch lösen, setzt auf Waffenlieferungen und schließt Verhandlungen bisher noch aus. Damit zeigt er sein Interesse an einem möglichst langen Krieg und nimmt dafür die Zerstörung der Ukraine und den Tod von Tausenden Soldaten billigend in Kauf. Das Interesse der Ukraine, als Staat zu überleben und humanitäre Erwägungen zählen für die Länder des Westens nicht. Die Motive des Westens sind zutiefst unmoralisch. Der Westen ist imperialistisch und so sind seine Ziele.

Er steht damit in Opposition zu den Ländern des Südens. Brasiliens Präsident Lula hat Friedensgespräche angemahnt und gefordert, dass sowohl die USA als auch die EU ihren Kriegskurs aufgeben. Lula wurde dafür von den USA, aber auch von deutschen Medien kritisiert. Das Handelsblatt schreibt, Lula brüskiere die USA und die EU. Der Spiegel meint, Lula habe den Westen verschreckt. 

Damit verlängern die großen deutschen Konzerne ihre Diffamierungspraxis gegenüber friedenspolitischen Positionen, die bisher vor allem im Inland angewandt wurde, in die Außenpolitik. Das Ausland sollte diese Berichte genau verfolgen, denn sie sagen viel über den Geist aus, der in Deutschland wieder herrscht. 

Außerhalb des Westens findet das Engagement Lulas jedoch viel Zuspruch. Neben China sind es auch arabische Länder, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die Lulas Initiative unterstützen. Die Türkei und Israel haben sich bereits sehr früh bei der Suche nach einer friedlichen Lösung engagiert. Dieses Engagement wurde vom Westen jedoch sabotiert. Dennoch ist die Türkei weiter bereit, eine Vermittlerrolle zu übernehmen. Auch Indien schließt sich der Friedensinitiative an. Damit drängen Länder, die eine übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren, zu Verhandlungen. 

Der Westen ist mit seiner harten Haltung in der Staatengemeinschaft zunehmend isoliert. Deutlich wurde dies zuletzt im UN-Menschenrechtsrat, der eine Resolution, in der die westlichen Sanktionen als völkerrechtswidrig und obendrein die Menschenrechte verletzend, mit großer Mehrheit und gegen die Stimmen der westlichen Staaten annahm. Dass dem kollektiven Westen das Völkerrecht immer dann egal ist, wenn es seinen Interessen im Wege steht, beweist er mit seiner Reaktion auf die Resolution. Der Westen ignoriert sie einfach. 

Damit zeichnet sich jedoch ab, dass in der Ukraine nicht nur ein Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite ausgetragen wird. Der Konflikt wird zum Kristallisationspunkt im Kampf um die Weltordnung. Dabei geht es immer offener um den Kampf gegen den totalen Herrschaftsanspruch des Westens, der die vollständige Zerstörung des Völkerrechts zur Folge hätte. 

Demgegenüber stehen die Länder des Südens, die eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen anstreben und dem Völkerrecht mit all seinen Regeln und der Verpflichtung zum Frieden wieder zur Geltung verhelfen möchten. Sie wollen die westliche Dominanz brechen. Es geht also inzwischen um das ganz Große. Damit ist allerdings auch gesagt, dass Russland diesen Konflikt nicht verlieren darf. Der Sieg des Westens wäre der Weg zu einer Art globaler Diktatur unter Führung der USA – ein System globalen Unrechts. Es steht in der Ukraine inzwischen wirklich das Ganze auf dem Spiel. 

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