Meinung

Wo über Leid und Tod gelacht wird, fängt Faschismus an

Alltäglicher Faschismus bei uns: Gleichgültigkeit gegenüber Folter, Misshandlungen, Krieg gegen die Zivilbevölkerung, Rassenwahn und Hitlergruß mit ausgestrecktem Arm. Ja, die Pest ist in unserem Haus. Wie konnte es dazu kommen? Gedanken des russischen Schriftstellers Dmitri Orechow.
Wo über Leid und Tod gelacht wird, fängt Faschismus anQuelle: www.globallookpress.com © Ovsyannikova Yuliaukrinform / Keystone Press Agency

Von Dmitri Orechow 

Würden Sie sagen, dass der Faschismus nur in der Ukraine und den baltischen Staaten existiert? Oder wie sieht es bei unseren Herren Schauspielern, Schriftstellern und Musikern aus, die Spenden für die Nazi-"Sicherheitskräfte" der Ukraine sammelten und den dortigen Strafkommandos ein Spektakel boten? Was ist mit all den "Kreativen", deren Liebe für eine "freie" Ukraine sich mit einer Art naserümpfendem Hass auf das eigene russische Volk verbindet? Nein, liebe Leute, der Faschismus hat schon längst Einzug auch in unser Haus gehalten. Die Pest ist in unserem Haus. Wie konnte es dazu kommen?

Irgendwie kommt mir jene Zeit in den Sinn, als wir aufhörten, über Wahrheit und Gerechtigkeit zu reden, stattdessen aber "Effizienz" und "Wettbewerb", gemeint ist Konkurrenz, in den Vordergrund stellten. Zu jener Zeit wurden die Unehrlichen zu den "Erfolgreichen" und die Ehrlichen zu "Sowjets" und den "Verlierern".

Diese Veränderung des Massenbewusstseins wurde durch entsprechende Phänomene in der Kultur noch verstärkt. Die beiden sowjetischen Science-Fiction-Autoren, die Brüder Strugazki, verherrlichten in ihren Büchern den Fortschritt und die "Fortschreitenden". Wie sie dabei argumentierten, ist kein Geheimnis. "Für mich und auch für dich ist der Kommunismus die Bruderschaft der Intellektuellen, nicht irgendwelcher stinkenden Gärtner", schrieb Boris Strugazki an seinen Bruder. "Den Kommunismus kann man nicht auf den Erzählungen von Solschenizyn aufbauen."

Die arrogante Haltung gegenüber den Arbeitern und Rechtschaffenen aus dem einfachen Volk (gegenüber solchen Menschen wie der Heldin in Solschenizyns Erzählung "Matrjonas Hof") wurde gegen Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre zur Norm. Wir haben uns eingeredet, das Licht der Welt sei dort, wo das Geld und die Technologie sind. Dort aber, wo nichts dergleichen zu finden ist, gibt es gar nichts – nur Wildheit und Armut. Eventuell etwas Kannibalismus. Kein Wunder, dass wir uns vor den "dreckigen Gärtnern" zu scheuen begannen, die ja nicht zum Bestandteil der fortgeschrittenen westlichen Zivilisation werden durften – all die unglücklichen Vietnamesen, Kubaner, Kongolesen, Chilenen … Nun verhielten wir uns auch gegenüber ihren Helden dementsprechend.

So erinnere ich mich an Artikel in Zeitschriften, in denen verächtlich von Salvador Allende und enthusiastisch von Pinochet gesprochen wurde, der "in Chile die Marktwirtschaft aufgebaut" hatte. Wenn man an Che Guevara überhaupt noch dachte, dann voller Ironie. Man begann mit der Umbenennung von Straßen, die nach Patrice Lumumba benannt waren, und strich den afrikanischen Helden aus der Bezeichnung der Moskauer Universität der Völkerfreundschaft (inzwischen wurde das korrigiert). Die Logik aber war klar: Die Ermordung Lumumbas war von unseren neuen US-amerikanischen "Freunden" geplant gewesen. Und wäre es sinnvoll gewesen, denen die Stimmung zu verderben? Ja, wir waren jetzt mit diesen erfolgreichen, weißen Menschen befreundet, und so entledigten wir uns fleißig unbequemer Namen und Geschichten. Wenn wir aber von Nicht-Weißen und Nicht-Westlern sprachen, dann meist bereits mit einem spöttischen Lächeln:

Auf der Insel Tahiti,

Lebte Neger Titi-Miti,

Lebte Neger Titi-Miti,

War schwarz wie ein Stiefel,

Stand frühmorgens auf

Und aß drei Bananen,

Und nachdem die verschlungen,

Ruht er aus sich im Sand ...

Dieser Unfug wurde natürlich in der Sowjetzeit verfasst, damals wurde er aber nur in der Gasse gesungen, und dann war dieses Liedchen im staatlichen Fernsehen zu hören. Darin lag etwas Beleidigendes und Entwürdigendes, besonders für diejenigen, die sich an David Diop erinnerten:

Der Weiße tötete meinen Vater,

Weil mein Vater zu stolz war.

Der Weiße vergewaltigte meine Mutter,

Weil meine Mutter so schön war.

Der Weiße dörrte meinen Bruder

In der heißen Sonne der Straßen,

Weil mein Bruder so stark war.

Der Weiße drehte sich zu mir

Mit seinen Händen rot von Blut

Spuckte mir in mein schwarzes Gesicht und schrie:

Hey, Kerl, hol Schüssel, Handtuch und Wasser!

"Jedes Mal, wenn irgendwo ein weiterer armer Kerl gelyncht wird, jedes Mal, wenn irgendwo ein weiterer Unglücklicher gefoltert wird, da fühle ich mich gedemütigt und innerlich zerrissen", schrieb Aimé Césaire, der große Dichter aus Martinique.

"Seine Zugehörigkeit zur Dritten Welt anzuerkennen, bedeutet – um José Martí zu zitieren – zu bestätigen, dass wir jede Ohrfeige spüren, die man irgendwo auf der Welt irgendeinem Menschen verpasst hat", sagte der schwarzafrikanische Held Thomas Sankara.

Wir aber haben wohl aufgehört, die Schläge zu spüren, die der Westen den Menschen überall auf der Welt versetzt hat. Vielmehr haben wir diese Hiebe belustigend gefunden. Der Dichter Igor Irtenjew, das TV-Idol der sogenannten Perestroika, lachte über den Tod von Nicolae Ceaușescu. Ja, 1989 haben rumänische Putschisten den siebzigjährigen Ceaușescu ermordet – sie haben ihn und seine Frau ohne Gerichtsverfahren hingerichtet, einfach so. War das aber wert, sich darüber lustig zu machen?

Die Reihen der Helden gelichtet,

Innerhalb weniger Wochen.

Freunde, ich sorge mich um Fidel,

Sag mir, Fidel, lebst du noch?

In der Tat haben die US-Imperialisten viele Male versucht, Fidel Castro zu töten. Es gab mehrere Hundert Versuche, ihn zu töten. Es war ein Mann, der George W. Bush zugerufen hat: "Sie, der als Millionär und Sohn eines Millionärs so sehr an großen Vermögen gebunden ist, werden möglicherweise nie verstehen, dass es Menschen gibt, die unbestechlich sind und denen Geld gleichgültig ist." Dieser Mann hat sich für das einfache Volk eingesetzt – und gewonnen. Ist das des Spottes würdig?

Entspricht es überhaupt irgendeiner Würde, dass man Mordversuche zum Thema seiner poetischen Heiterkeit macht? Hillary Clinton ist nicht dafür bekannt, Gedichte zu schreiben. Aber ihr Ausruf "Wow" bei der Nachricht des Massakers an Gaddafi gehört in die gleiche Kategorie wie das Gedicht von Irtenjew. Doch es geht natürlich nicht um Hillary oder Irtenjew, sondern um jenes Publikum, das denen stehend Applaus zollt.

Anders der russische Volkskünstler Alexei Koslow, der mit seinen Musikerfreunden in dem TV-Programm "Schiffe docken in unseren Häfen" mit einem Lächeln das Lied "Patrice Lumumba" vortrug:

Der Held Patrice Lumumba wurde getötet

Und der Kongo ist nun ein Waise.

Seine Frau, die Schönheit Pauline,

Sie wollte keinen anderen Mann ...

Tatsächlich haben die CIA und belgische Geheimdienste im Jahr 1961 den kongolesischen Premierminister Patrice Lumumba ermordet. Und bevor er starb, wurde er noch gefoltert. Sein Körper wurde zerstückelt und in Säure aufgelöst. Seine Kinder wurden zu Waisen und seine Witwe hat nie wieder geheiratet. Das war das ultimative Nazi-Verbrechen, für das weder in den Vereinigten Staaten noch in Belgien jemals jemand bestraft wurde. Darf man sich darüber lustig machen? Darf man etwa ein solches Lied über den Mord an einem Juden in einem Konzentrationslager und dessen Witwe singen?

Ihr werdet sagen, die denken nicht an so etwas, die haben nur Spaß daran, einen "Gassenhauer" vorzutragen. Und ich antworte: Das ist es, was beängstigend ist. Beängstigend ist, dass man den Text lachend und schunkelnd mitsingen kann. Beängstigend, dass niemand im Studio sie daran gehindert hat. Beängstigend ist, dass die Redakteure die Sendung ausgestrahlt haben.

Einst schrieb Bachtin (russischer Kunsttheoretiker – Anm. der Red.), dass Lachen keine Brände legt, aber von Awerinzew (russischer Kulturtheoretiker und Philosoph – Anm. der Red.) erhielt er eine scharfe Abfuhr: Natürlich legt das Gelächter keine Brände, doch man hört es oft in der Nähe des Feuers, und die amüsanten Kopfbedeckungen bei den Opfern sind ein notwendiges Accessoire für das Autodafé. Als Puschkin Voltaires Komödie über den Tod von Jeanne d'Arc gelesen hatte, verglich er den Autor mit dem römischen Henker. Der Dichter schrieb voller Erstaunen, dass in Frankreich, wo Voltaire doch so viele Feinde und Neider hatte, niemand eine passende Erwiderung für diesen Zynismus des Aufklärers fand, "der den tödlichen Qualen der Jungfrau noch eine Schändung beifügte". "Ein erbärmliches Zeitalter! Ein armseliges Volk!" – rief Puschkin aus.

Könnte es sein, dass solch ein "erbärmliches Zeitalter" jetzt das unsrige ist? Vielleicht sind wir die armselige Nation? Ist das vielleicht die Begründung dafür, wie wir die Pest in unserem Haus verschlafen haben? Könnte es sein, dass wir, indem wir den Tod von Helden wie Lumumba ironisierten und verhöhnten, die Bombardierung des Donbass und die Verbrennung von Menschen in Odessa herbeiführten? Kann der Weg von der intellektuellen Verachtung für "stinkende Gärtner" und "Matrjonas" bis zur Hetze gegen die "Neger" auf den Plantagen und sonstige "Farbigen" so weit sein?

Kann es sein, dass durch die Liedchen von Koslow und Makarewitsch, durch die Dichtungen von Bykow und Irtenjew, durch die versnobten Strugazki-Plattitüden der stinkende Herr der Fliegen in unsere Häuser gekrochen ist? Gar kein Import von einem anderen Planeten, weder deutsch noch italienisch oder kanadisch-amerikanisch, sondern unser eigener, mieser, primitiver Spross? Ist das nicht der Ursprung der Nazi-Pest, die wir nicht rechtzeitig erkannt haben?

Aimé Césaire schrieb in seiner Rede "Über den Kolonialismus", wenn die Menschen morgens aufwachen und überrascht sind, den sehr realen Nazismus in ihrer Welt zu sehen, sei der Grund dafür ganz einfach: "Sie hatten ihm bereits einmal verziehen, ein Auge zugedrückt, ihn legitimiert, da er bisher nur für nichteuropäische Völker galt." Derjenige aber, der den Nazismus gegenüber den außereuropäischen Völkern verzeiht, ist für ihn mitverantwortlich. Und eines Tages wird er selbst darunter zu leiden haben.

Sicher, das zu akzeptieren, ist nicht leicht. Doch jedes Mal, wenn die USA in Somalia, im Jemen, im Sudan oder in Panama morden oder morden lassen und wir dies als Tatsache hinnahmen oder sagten "Ach, das ist so weit weg! Was wissen wir schon darüber?", und jedes Mal, wenn sie jemanden in ihren Geheimgefängnissen folterten, während wir ein Loblied über ihre "demokratischen Institutionen" sangen, und jedes Mal, wenn sie die Menschen in Afrika oder im Nahen Osten in ein Massaker hetzten und wir dem den Rücken zukehrten und etwas über Stammesfehden murmelten …

jedes Mal dann, wenn Menschen in Nicaragua Blut spendeten, um nicht zu verhungern, und wir dabei die Geschichten des Westens über deren Rückständigkeit und Arbeitsscheu nachplapperten; und jedes Mal, wenn Kinder in Kambodscha von US-amerikanischen Minen in die Luft gesprengt wurden, während wir die Technologie und das Konsumniveau der USA bewunderten; und jedes Mal, wenn wir gemeinsam mit dem Westen jemanden als rückständig bezeichneten und dabei vergaßen, wie diese Menschen "rückständig" gemacht wurden, wie sie in Ketten gelegt, in die Sklaverei verkauft und in Reservate getrieben wurden – jedes Mal dann geschah etwas Schreckliches, und diese Pest schlich sich in unsere Häuser, und wir ließen dieses toxische, dieses zersetzende Gift des Nazismus in unsere Köpfe. Und am Ende all dieser Ungerechtigkeiten, dieser Fadheit und widerlichen Verlogenheit kam das Ungeheuerliche in unsere Welt – das, was wir jetzt erleben.

Denn beim Faschismus geht es nicht nur um die Rufe "Heil!" und "Slawa Ukraini". Faschismus besteht darin, die Menschen einzuteilen, auszusortieren – in schmutzige und saubere, in rückständige und fortschrittliche, in die, die da sein dürfen, und die, die nicht da sein sollten. Faschismus ist, beim Töten eines anderen auch noch zu lachen. Und manchmal ist Faschismus einfach nur Schweigen. Denn selbst durch dein Schweigen wirst du zu einem Komplizen der Verbrecher und des Verbrechens. Dann lässt es sich nicht vermeiden, dass die einen zu Opfern und die anderen zum Pack mit dem Hitlergruß werden.

Übersetzt aus dem Russischen, zuerst erschienen bei Wsgljad

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